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Baumeister 2/2022

Ladenschluss?

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B2<br />

B A U<br />

Februar 22<br />

119. JAHRGANG<br />

Das Architektur-<br />

Magazin<br />

MEISTER<br />

4 194673 016508<br />

02<br />

D 16,50 €<br />

A,L 19 €<br />

I 19,90 €<br />

CH 2 4 S F R<br />

LADENSCHLUSS?


B2<br />

Editorial<br />

COVERFOTO: MARCO INTROINI, 2011 © FAI – FONDO AMBIENTE ITALIANO<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

kaum ist unsere Nachhaltigkeitsserie beendet,<br />

wenden wir uns wieder schamlos dem<br />

Konsum zu? Mitnichten! Auch bei den Fragen<br />

und Projekten, denen wir uns in dieser Ausgabe<br />

widmen, ist das Thema Nachhaltigkeit<br />

omnipräsent. Alle Bauten, die wir Ihnen zeigen,<br />

sind Beispiele für Umnutzungen oder<br />

Bauen im Bestand. Das gilt für das Berliner<br />

KaDeWe ebenso wie für das Kaufhaus Samaritaine<br />

in Paris, die Uniqlo-Filiale in Tokio, den<br />

Gucci-Store in London und einen kleinen Laden<br />

im Prenzlauer Berg. Uns bewegt die Frage,<br />

wie ein schnelllebiges Business wie der<br />

Einzelhandel überhaupt nachhaltig sein<br />

kann. Um dies zu klären, haben wir mit Ellen<br />

van Loon über die Ansätze ihres Büros OMA<br />

gesprochen, lassen uns von der Münchner<br />

Hochschullehrerin Claudia Schmidt erzählen,<br />

wie die in vielen Fußgängerzonen zum<br />

Problemfall gewordenen Großkaufhäuser<br />

wieder Teil des Stadtraums werden können,<br />

und schauen uns die Ladenentwürfe Carlo<br />

Scarpas an, die nach einem halben Jahrhundert<br />

nichts von ihrem Reiz verloren haben.<br />

Denn eines müssen wir uns klar vor Augen<br />

führen: Stirbt der stationäre Einzelhandel in<br />

den Stadtzentren, bedeutet das, es müssen<br />

für diese sensiblen Bereiche neue Funktionen<br />

gefunden werden – und zwar sehr<br />

schnell, denn einen Verödungsprozess umzukehren,<br />

ist ein schwieriges und langwieriges<br />

Unterfangen. Das kann man etwa in<br />

vielen Innenstädten Nordrhein-Westfalens<br />

beobachten. Claudia Schmidt versucht, dies<br />

gerade gemeinsam mit dem Architekten<br />

Hugo van Velzen im niederrheinischen Krefeld<br />

anzustoßen. Welche Rolle dabei eine<br />

Gestaltungssatzung nach niederländischem<br />

Vorbild spielen soll, verraten sie und van Velzen<br />

uns ebenfalls im Interview.<br />

Es kann niemandem daran gelegen sein,<br />

dass der Einzelhandel völlig in die Hände von<br />

Amazon und Co. gerät – nicht zuletzt deshalb,<br />

weil die Retouren im Onlinehandel<br />

(etwa bei Zalando nach eigenen Angaben<br />

circa 50 Prozent) ein enormes CO2-Problem<br />

darstellen. Und zwar nicht allein, weil sich<br />

der Transportaufwand vervielfacht, sondern<br />

auch, weil viele Produkte kein zweites Mal<br />

verkäuflich sind. Retouren sind jedoch zumeist<br />

kostenlos. Was das umgekehrt für die<br />

Herstellungskosten bedeutet, die eine Ware<br />

verursachen darf, kann sich jeder selbst<br />

ausrechnen. Der Onlinehandel, wie wir ihn<br />

kennen, ist also perspektivlos, wollen wir<br />

Klimaziele ernst nehmen. Die autogerechte<br />

Innenstadt als Shopping-Monokultur aber<br />

natürlich ebenso. Grund genug also zu fragen:<br />

Quo vadis, stationärer Einzelhandel?<br />

Fabian Peters<br />

f.peters@georg-media.de<br />

@der_baumeister<br />

@baumeister_architekturmagazin


Ideen<br />

Fragen<br />

Lösungen<br />

5<br />

18<br />

KaDeWe<br />

in Berlin<br />

26<br />

La Samaritaine<br />

in Paris<br />

40<br />

Uniqlo<br />

in Tokio<br />

52<br />

Gucci Circolo<br />

Shoreditch<br />

in London<br />

62<br />

MDC<br />

in Berlin<br />

68<br />

Aesop<br />

in Wien<br />

I<br />

.<br />

T E<br />

W E B S<br />

M E H R<br />

U N S E R E R<br />

Z U M<br />

A U F<br />

T H E M A<br />

BAU<br />

MEISTER.<br />

DE<br />

I E<br />

S<br />

L E S E N<br />

74<br />

Was kann den<br />

stationären<br />

Einzelhandel<br />

retten?<br />

76<br />

Was macht<br />

Carlo Scarpas<br />

Läden<br />

so zeitlos?<br />

83<br />

Müssen wir<br />

zurück in<br />

die Zukunft?<br />

Unsere Städte stehen vor Problemen wie Klimawandel, Städtewachstum,<br />

Flächendruck, Innenstadtsterben, bezahlbares Wohnen. Was sich jetzt ändern<br />

muss, zeigt „Garten + Landschaft“ – unser Schwestermagazin für Landschaftsarchitektur<br />

und Stadtplanung – online auf 52thesen.garten-landschaft.de<br />

90<br />

Branchenfeature:<br />

Smart Home<br />

92<br />

Fassade + Dach<br />

100<br />

Software<br />

RUBRIKEN<br />

38<br />

KLEINE WERKE<br />

50<br />

U N T E R W E G S<br />

60<br />

SONDERFÜHRUNG<br />

86<br />

NEUE BÜCHER<br />

98<br />

REFERENZ<br />

105<br />

IMPRESSUM + VORSCHAU<br />

106<br />

KOLUMNE


6<br />

Gast-Arbeiter<br />

Nach ihrem Architekturstudium<br />

in<br />

München und Praktika<br />

in verschiedenen<br />

Architekturbüros<br />

hat Olga<br />

Petrenko bei Georg<br />

Media ein Volontariat<br />

abgeschlossen<br />

– bei den Zeitschriften<br />

<strong>Baumeister</strong>,<br />

Garten + Landschaft<br />

und Topos.<br />

Jetzt unterstützt<br />

sie Schnitzer& und<br />

Doelker& in<br />

Marketing und<br />

Öffentlichkeitsarbeit.<br />

Maryse Quinton hat<br />

Architektur im bretonischen<br />

Rennes<br />

studiert und ist<br />

dann nach Paris<br />

gezogen, um dort<br />

als freie Journalistin<br />

und Autorin zu arbeiten.<br />

Ihr Schwerpunkt<br />

ist Architektur,<br />

Landschaftsund<br />

Stadtplanung.<br />

Ihr jüngstes Buch,<br />

„Habiter autrement“,<br />

beschäftigt<br />

sich mit dem<br />

Thema Wohnen.<br />

Wird die Corona-<br />

Pandemie zum<br />

Totengräber des<br />

stationären Einzelhandels?<br />

Nicht<br />

wenige haben in<br />

den vergangenen<br />

Monaten die<br />

völlige Verödung<br />

der Innenstädte<br />

prophezeit.<br />

Ebenso wie Ellen<br />

van Loon (siehe Interview<br />

ab Seite 14)<br />

glauben wir nicht,<br />

dass es so weit<br />

kommen wird.<br />

Aber die Pandemie<br />

beschleunigt den<br />

bereits begonnenen<br />

Wandlungsprozess.<br />

Physisches Einkaufen<br />

muss in Zukunft<br />

zum Erlebnis werden.<br />

In den Geschäften<br />

in dieser<br />

Ausgabe ist das<br />

bereits gelungen.


Einführung<br />

7<br />

Ladenschluss<br />

?


8 Einführung<br />

Seit November 2020 erstrahlt der Hamburger Penny „Kiez“ in neuem Glanz.<br />

Bereits vor dem Umbau war der Discounter auf der Reeperbahn Kult – jetzt ist er noch kultiger.


Ein Einkaufswagen mit Lichtröhren, der an der Stange tanzt. Das Konzept des Markts spiegelt den Standort<br />

und das dortige Lebensgefühl wider. Der „Nachbarschaftsgedanke“ des Unternehmens ist erfüllt.<br />

9<br />

FOTOS: / QUELLE: OBS/PENNY VORNAME MARKT NAME GMBH


50<br />

Sympathische Sachlichkeit, moderne Bequemlichkeit: Rubrik Gebäude und Interieur von E2A Architekten


Unterwegs im …<br />

51<br />

Placid-Hotel<br />

Zürich<br />

Übernachten mit Panoramablick über die Stadt: Das Placid-<br />

Hotel bietet lichtdurchflutete, komfortable Zimmer, zwar nicht im<br />

Stadtzentrum, dafür aber mitten in einem urbanen Viertel im Umbruch,<br />

mit einer bunten Mischung aus Zwischennutzungen und<br />

Neubauprojekten.<br />

FOTOS: PLACID HOTEL<br />

Hotels außerhalb der touristischen Epizentren bieten<br />

häufig ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis, und<br />

wenn sie gut gestaltet und erreichbar sind, lohnt<br />

sich der Weg in die Peripherie. Das „Placid“ in Zürichs<br />

Westen ist ein solches Hotel – und noch viel<br />

mehr. Zwanzig Tram-Minuten vom Hauptbahnhof<br />

entfernt, liegt es im lebendig-heterogenen Stadtteil<br />

Altstetten. Zwischen neuer Wohnbebauung,<br />

großvolumigen Bürobauten, Lagerhaus und Zirkusquartier<br />

steuert man auf einen schlanken, zwölfgeschossigen<br />

Riegel zu, der mit seiner regelmäßigen<br />

Sichtbetonfassade und den großflächigen<br />

Fenstern ebenso ein eleganter Verwaltungsbau<br />

sein könnte. Auch der kühlneutrale<br />

Eingangsbereich mit der<br />

Rezeption wirkt eher wie das Foyer eines<br />

Bürohauses – ein Eindruck, den die<br />

Briefkästen neben der Lobby und auch<br />

die zahlreichen Firmennamen im Display<br />

des Lifts verstärken. Des Rätsels<br />

Lösung: Das Haus ist als Funktionshybrid<br />

geplant; die Etagen sind als stützenfreie, nutzungsneutrale<br />

Flächen flexibel konzipiert, die Büros<br />

unterschiedlichen Zuschnitts ebenso aufnehmen<br />

wie Co-Working-Spaces, Tagungsräume und<br />

eine Kindertagesstätte.<br />

Doch vor allem kann man hier sehr gut übernachten:<br />

Aus den Hotelzimmern, die die oberen Stockwerke<br />

einnehmen, bietet sich ein wunderbarer<br />

Blick über Zürich. Mit der vollständig verglasten<br />

Fassade öffnet sich der Raum quasi rahmenlos zur<br />

Stadt. Die Standardzimmer – „Urban Design Rooms“<br />

– sind nicht allzu groß, doch, unkonventionell zoniert<br />

und effizient möbliert, wirken sie luftig. Das<br />

Bad findet Platz in einer langgestreckten Wandnische,<br />

gekachelt mit lebhaft blauen Fliesen, und<br />

die Dusche wird durch eine raumhohe Glasscheibe<br />

abgeschirmt. Zum Ausblick orientiert sich auch<br />

das Bett – Fernsicht statt Fernsehen.<br />

PREISE<br />

Zimmer<br />

ab 118 CHF<br />

Zwischen Betthaupt und Zimmertür verbleibt eine<br />

ausreichend breite Nische für das Gepäck. Ein<br />

schwarzes Tablett dient als Nachttisch, der ebenso<br />

drehbar ist wie die Leseleuchte. Vor den Fenstern<br />

fungiert ein Eichenbrett als Brüstung, Schreibtisch<br />

und Ablage, mit viel Platz für Reiselektüre, Laptop,<br />

Kaffeemaschine. Seitlich davon entdeckt man in<br />

der Sichtbetonwand dann einen Druckknopf mit<br />

der Aufschrift „Window“ – und tatsächlich fährt die<br />

vermeintlich festverglaste Panoramascheibe um<br />

rund einen Meter zur Seite, nachdem das luftunterstützte<br />

Dichtungssystem als Startsignal ein deutlich<br />

hörbares „Pfffft“ von sich gegeben<br />

hat. Beim Schließen hört man dagegen<br />

einige Minuten lang ein Pumpgeräusch.<br />

Die Ausstattung ist puristisch und architektenaffin,<br />

den kühlen Sichtbeton<br />

kontrastieren die Bekleidungen aus Eiche<br />

sowie die stoffbespannten Wände<br />

und ein lichtdichter Vorhang in fast<br />

skandinavisch anmutenden Blau-, Grün- oder<br />

Grautönen. Entworfen wurden sowohl Gebäude<br />

als auch Interieur von E2A Architekten, deren Büro<br />

sich ebenfalls im Haus befindet. Wer sich auf Entdeckungstour<br />

durch das Hotel begibt, kommt an<br />

den kleinen Dachterrassen, an Lounge und Fitnessraum<br />

sowie am Restaurant Buckhuser im Erdgeschoss<br />

vorbei. Und die hoteleigenen Fahrräder<br />

und E-Roller laden zur Erkundung dieses weniger<br />

bekannten Stadtquartiers ein.<br />

Placid-Hotel,<br />

Buckhauserstrasse 36,<br />

Zürich-Altstetten<br />

www.placid.ch/de<br />

Text Claudia Fuchs


Phase 3, Dezember 2021<br />

Im dritten Teil verwandelt das Künstlerkollektiv HOME das Haus in eine Galerie.


Ideen<br />

57<br />

Gucci Circolo<br />

Shoreditch<br />

LONDON<br />

Text:<br />

Pamela Buxton


60<br />

QUELLE: MAXXI<br />

Scarpas Entwurf für ein Ferienheim für die Olivetti-Mitarbeiter in Brusson


Sonderführung mit ... 61<br />

3.12.<br />

2021<br />

… Elena Tinacci<br />

Kuratorin der Ausstellung<br />

„Scarpa/Olivetti. Brani di una storia condivisa“<br />

im MAXXI, Rom<br />

bis 29.5.<br />

<strong>2022</strong><br />

AUSSTELLUNG<br />

BAUMEISTER: Wenn man an die Zusammenarbeit<br />

zwischen Carlo Scarpa und<br />

Olivetti denkt, fällt einem natürlich sofort<br />

das berühmte Geschäft am Markusplatz<br />

in Venedig ein. Welche anderen Projekte<br />

verbinden das Unternehmen mit dem<br />

Architekten?<br />

ELENA TINACCI: Obwohl das Geschäft<br />

auf dem Markusplatz zweifellos der ikonischste<br />

Ausdruck der Beziehung zwischen<br />

Scarpa und Olivetti ist, bestand<br />

zwischen Carlo Scarpa und Olivetti eine Beziehung<br />

von mehr als zwanzig Jahren, aus der zwei<br />

weitere Projekte hervorgingen.<br />

Im Jahr 1955 nahm Scarpa an einem von Olivetti<br />

ausgeschriebenen Wettbewerb für den Bau eines<br />

Ferienheims in Brusson im Aostatal teil. Er gewann<br />

den Wettbewerb allerdings nicht – auch weil das<br />

Wettbewerbsverfahren nicht zu seiner Arbeitsweise<br />

passte, denn Scarpa entwickelte und verfeinerte<br />

seine Projekte über lange Zeiträume immer<br />

weiter.<br />

Im Januar 1957, nur einen Monat nach der Verleihung<br />

des Olivetti-Nationalpreises für Architektur,<br />

erhielt Scarpa den Auftrag für den Entwurf des<br />

venezianischen Ausstellungsraums, und zwar direkt<br />

durch Adriano Olivetti, der „eine Visitenkarte“<br />

für Olivetti auf einem der schönsten und beliebtesten<br />

Plätze der Welt wünschte.<br />

1969 schließlich beauftragte die britische Olivetti<br />

auf Initiative von Renzo Zorzi, dem Leiter des Unternehmens<br />

in Ivrea und Verantwortlichen für kulturelle<br />

Aktivitäten, Scarpa mit der Gestaltung der<br />

Londoner Station der Wanderausstellung „Frescoes<br />

from Florence“ in den Räumen der Hayward<br />

Gallery, die ein unglaublicher Publikumserfolg<br />

war.<br />

Das Museum MAXXI<br />

beleuchtet die langjährige<br />

Zusammenarbeit<br />

von Carlo Scarpa<br />

und dem Industrieunternehmen,<br />

die aus<br />

weit mehr als dem berühmten<br />

Olivetti-<br />

Geschäft in Venedig<br />

(ab Seite 76) bestand.<br />

B: Was verbindet die Architektur Scarpas mit dem<br />

Industriedesign von Olivetti?<br />

ET: Scarpa und Olivetti teilten viele Gemeinsamkeiten:<br />

das Streben nach Schönheit, nach kommunikativer<br />

Wirksamkeit und auch eine gewisse<br />

didaktische Absicht, den Geschmack durch Formen<br />

und Räume des täglichen Lebens zu<br />

erziehen. Extreme Sorgfalt bei der Gestaltung<br />

von Objekten, ob handwerklich<br />

oder industriell gefertigt, ist in der Olivetti-Welt<br />

ein ebenso wichtiger Aspekt wie<br />

bei Scarpas Projekten.<br />

Adriano Olivetti steht stellvertretend für<br />

diese Haltung des Unternehmens. Er war<br />

ein aufgeklärter Auftraggeber, der in<br />

der Lage war, den am besten geeigneten<br />

Architekten auszuwählen, um ein<br />

bestimmtes Projekt mit Leben zu erfüllen. Es ist kein<br />

Zufall, dass er sich für einen Ausstellungsraum –<br />

denn es handelt sich bei dem Showroom in Venedig<br />

um einen Ausstellungs- und nicht um einen<br />

Verkaufsraum – an den besten Architekten für Ausstellungsdesign<br />

überhaupt wandte. Carlo Scarpa<br />

besaß die einzigartige Fähigkeit, die wichtigsten<br />

Aspekte dessen, was er ausstellen soll, einzufangen<br />

– ob es sich nun um ein hölzernes Kruzifix, einen<br />

Gipsabguss von Canova oder eine Olivetti-<br />

Schreibmaschine handelt. Damit war er zweifellos<br />

die ideale Figur, um einen Ausstellungsraum zu gestalten,<br />

der nicht nur Produkte zeigen, sondern die<br />

Marke Olivetti und den Stil des Unternehmens vermitteln<br />

will.<br />

B: Was ist das Besondere an Ihrem Ausstellungskonzept?<br />

ET: Wir zeigen keine ausschließliche Architekturausstellung.<br />

Wir erzählen eine Geschichte, in der<br />

Persönlichkeiten und Ereignisse – politische,<br />

pädagogische, kulturelle – in einem dichten Beziehungsgeflecht<br />

miteinander verwoben sind.<br />

Beziehungen zwischen Persönlichkeiten, die auf<br />

unterschiedliche Weise mit Adriano Olivetti und<br />

seinem Unternehmen verbunden sind.<br />

Die Ausstellung erzählt von der Begegnung zwischen<br />

zwei außergewöhnlichen Männern, Scarpa<br />

und Olivetti, aber vor allem von dem Stück Geschichte,<br />

das sie gemeinsam geschrieben haben,<br />

mit seinem Anfang, seiner Entwicklung und seinem<br />

dramatischen Ende, Scarpas plötzlichem Tod<br />

in Sendai im Jahr 1978.<br />

Das Gespräch führte Fabian Peters.


74<br />

Was kann den<br />

stationären<br />

Einzelhandel<br />

retten<br />

?<br />

Der Ladenbauer Vizona entwickelt und realisiert<br />

Retailkonzepte für Weltunternehmen wie<br />

Volkswagen und Muji. Die ehemalige Vitra-<br />

Tochter ist seit eineinhalb Jahren eigenständig.<br />

Wir haben mit Matthias Hummel gesprochen<br />

– er leitet zusammen mit Oliver Arnold<br />

das Unternehmen und ist ein ausgewiesener<br />

Fachmann, wenn es um die Gestaltung von<br />

Räumen für den Einzelhandel geht.<br />

BAUMEISTER: Die Corona-Krise<br />

hat Teile des stationären Einzelhandels<br />

stark getroffen, während<br />

der Onlinehandel boomt.<br />

Ist das allein die Folge der Pandemie,<br />

oder wirkt sie nur als<br />

Brandbeschleuniger, die eine<br />

bereits im Gange befindliche<br />

Entwicklung noch beschleunigt<br />

hat?<br />

MATTHIAS HUMMEL: Die Corona-Pandemie<br />

war fraglos ein<br />

extremer Brandbeschleuniger.<br />

Die Umorientierung des Einzelhandels<br />

unter den Vorzeichen<br />

des Onlinegeschäfts war zwar<br />

auch vorher bereits ein wichtiges<br />

Thema – doch der Zeithorizont<br />

war ein ganz anderer.<br />

Für diejenigen Händler, die<br />

sich bisher überhaupt nicht auf<br />

hybride Geschäftsmodelle<br />

eingelassen hatten, ist die Krise<br />

natürlich verheerend.<br />

B: Was bedeutet das für die<br />

Zukunft des stationären Handels?<br />

MH: Einerseits ist der Onlinehandel<br />

als ergänzendes Geschäftsmodell<br />

nicht mehr wegzudenken.<br />

Andererseits hat<br />

sich in der Krise auch gezeigt,<br />

dass die Konsumenten vieles<br />

nach wie vor lieber im physischen<br />

Handel kaufen. Es gibt<br />

einen ausgeprägten Wunsch<br />

danach, den reinen Kaufakt mit<br />

einem Erlebnis zu verbinden,<br />

das so nur der stationäre Handel<br />

bieten kann. Dieses Entertainment<br />

ist meines Erachtens<br />

der Schlüssel zur Zukunft des<br />

klassischen Ladengeschäfts.<br />

Matthias Hummel ist in der Geschäftsleitung<br />

von Vizona.<br />

B: Doch bislang hat sich längst<br />

nicht jeder Händler darauf eingestellt.<br />

MH: Das stimmt. Ich fürchte allerdings,<br />

dass es der ganz normale<br />

Shop in Zukunft gegen die<br />

Onlineanbieter schwer haben<br />

wird.<br />

B: Welche Rezepte können Sie<br />

derzeit beobachten, um den<br />

Kundinnen und Kunden genau<br />

dieses Erlebnis zu bieten, das<br />

sie in die Läden locken soll?<br />

MH: Es wird immer stärker darauf<br />

geachtet, dass die Kunden<br />

in den Läden verweilen. Das<br />

geht einher mit einer starken<br />

Emotionalisierung des Einkaufserlebnisses.<br />

Gerade die<br />

großen Sportartikelhersteller<br />

beherrschen das sehr perfekt.<br />

Große LED-Screens mit entsprechender<br />

Sounduntermalung<br />

vermitteln das Erlebnis Sport<br />

und Wettkampf, Stars inklusive,<br />

während die „Brot-und-Butter“-<br />

Produkte im Hintergrund bleiben.<br />

Etwas anderes ist das mit<br />

limitierten Produkten, Sneaker<br />

vor allen Dingen, die zwar online<br />

und über Social Media gepusht<br />

werden, deren Verkauf<br />

oder zumindest Auslieferung<br />

aber im Flagshipstore erfolgt.<br />

Die langen Kundenschlangen<br />

vor der Tür, die glücklichen<br />

Käufer, die ein Paar der exklusiven<br />

Schuhe ergattert haben –<br />

all das zahlt auf das Markenbild<br />

ein.<br />

B: Dieses Konzept funktioniert<br />

nicht für alle Marken. Gibt<br />

es noch weitere Ansätze,<br />

das Kauferlebnis zu steigern?<br />

MH: Eine weitere Strategie,<br />

die wir derzeit verstärkt beobachten,<br />

sind die sogenannten<br />

„Shared Spaces“. Dabei tun<br />

sich mehrere Marken zusammen<br />

und bespielen attraktive<br />

Innenstadtladenflächen mit<br />

ihren Produkten. Eine Vorreiterrolle<br />

nimmt hier derzeit die<br />

Automobilindustrie ein.<br />

B: Dort geht der Trend weg vom<br />

Autohaus im Industriegebiet?<br />

MH: Definitiv! Schauen Sie sich<br />

etwa den Münchner Odeonsplatz<br />

an, an dem mittlerweile<br />

eine ganze Reihe von namhaften<br />

Herstellern in bester Zentrumslage<br />

präsent sind. Dort<br />

haben wir gerade mit der spa-


Fragen<br />

75<br />

nischen VW-Tochter Cupra<br />

einen Flagshipstore eingerichtet.<br />

Im Ladengeschäft ist aber<br />

nicht nur Cupra vertreten, sondern<br />

genauso der spanische<br />

Leuchtenhersteller Marset und<br />

der italienische Möbelproduzent<br />

Tacchini – auch wenn die<br />

Automarke natürlich im Mittelpunkt<br />

steht.<br />

B: Wie treten die Interieur-<br />

Marken in Erscheinung?<br />

MH: Zunächst stammt natürlich<br />

das Mobiliar und die Beleuchtung<br />

im Store von diesen Herstellern.<br />

Aber es wird durch die<br />

angebrachten Informationen<br />

auch deutlich, dass es sich hier<br />

um ausgestellte Produkte handelt,<br />

die gekauft werden können.<br />

Das Ganze hat viel stärker<br />

den Charakter eines Concept-<br />

Stores als eines reinen Autohandels.<br />

B: Warum ist eine solche Kooperation<br />

für einen Autohersteller<br />

interessant?<br />

MH: Das hat mehrere Gründe:<br />

Zum einen kann die Marke sehr<br />

wohnlich auftreten und sich in<br />

einer ganz anderen Atmosphäre<br />

präsentieren als im klassischen<br />

Autohaus. Zum anderen<br />

locken die Interieurprodukte<br />

andere Kunden in den Laden.<br />

So kann auch Schwellenangst<br />

abgebaut werden, denn nicht<br />

jeder Besucher möchte sich<br />

gleich in ein Kaufgespräch für<br />

einen Pkw verwickeln lassen.<br />

Viele wollen ja zunächst einfach<br />

schauen. Das kann man<br />

in den Augen vieler Menschen<br />

bei einer Leuchte oder einem<br />

Stuhl unverbindlicher als bei<br />

einem Auto.<br />

B: Es gab ja auch zuvor schon<br />

immer wieder Versuche der<br />

Automobilhersteller, sich in<br />

den Innenstädten zu etablieren<br />

– zumeist erfolglos. Was ist nun<br />

anders?<br />

MH: Tatsächlich hatten diese<br />

Konzepte eine lange „Inkubationszeit“.<br />

Die „Shared Spaces“<br />

sind ein neuer Ansatz, bei dem<br />

die Räume eine Art „Studiocharakter“<br />

bekommen. Das ist<br />

in meinen Augen ein sehr passendes<br />

Ambiente. Dadurch<br />

bekommt das Geschäft eine<br />

Leichtigkeit, die im klassischen<br />

Autohaus fehlt. Zudem muss<br />

man sehen, dass Hersteller wie<br />

Tesla Ausstattungslisten fast<br />

völlig gestrichen haben. Diese<br />

Marken müssen also nicht mehr<br />

Dutzende Modellvarianten<br />

zeigen können. Zugleich ist bei<br />

ihnen aber der junge, urbane<br />

Charakter für das Markenbild<br />

unverzichtbar.<br />

B: Welche Rolle werden zukünftig<br />

Hybride aus digitalen und<br />

physischen Konzepten spielen?<br />

MH: In diesem Bereich sehen<br />

wir derzeit zwei Tendenzen: Die<br />

erste ist, dass eine ganze Reihe<br />

von Onlinehändlern auch in<br />

den stationären Handel einsteigen.<br />

Der Online-Modehändler<br />

Zalando etwa ist diesen Weg in<br />

den letzten Jahren gegangen.<br />

Auch die Schweizer Laufschuhmarke<br />

On wurde mit dem Onlinehandel<br />

groß und beginnt<br />

nun, Flagshipstores zu eröffnen.<br />

B: Was ist die zweite Tendenz?<br />

MH: Umgekehrt ist bei der Digitalisierung<br />

der Ladengeschäfte<br />

die Euphorie einem gewissen<br />

Realismus gewichen. Die Ware<br />

bleibt zumeist im Mittelpunkt.<br />

Der Kunde möchte vor Ort gerade<br />

das haptische Erlebnis,<br />

möchte die Produkte anfassen<br />

und anprobieren.<br />

Die Otto-Tochter Bonprix etwa<br />

hat vor einiger Zeit einen experimentellen<br />

Store in Hamburg<br />

eröffnet, bei dem der Kunde<br />

online Termine buchen kann<br />

und dann zum Beispiel das bereits<br />

ausgesuchte Kleidungsstück<br />

gleich in der Kabine vorfindet.<br />

Allerdings „fremdeln“<br />

die Konsumenten mit solchen<br />

Konzepten noch. Vielleicht ist<br />

Bonprix mit dem Konzept seiner<br />

Zeit noch etwas voraus. Eine<br />

spannende und niederschwellige<br />

Ergänzung für das Einkaufserlebnis<br />

können aber Dinge<br />

wie QR-Codes sein, über die<br />

zusätzliche Informationen verfügbar<br />

sind.<br />

B: Das Thema Nachhaltigkeit<br />

spielt inzwischen in fast allen<br />

Lebensbereichen eine zentrale<br />

Rolle. Welche Auswirkungen<br />

hat das im Retail-Design?<br />

MH: Bei Vizona machen wir uns<br />

inzwischen sehr viele Gedanken<br />

über Materialherkunft,<br />

Transportwege und Verpackung<br />

bei der Produktion von<br />

Ladeneinrichtungen. Mittlerweile<br />

stellen wir auch bereits<br />

gemeinsam mit Kunden Überlegungen<br />

an, wie solche Einrichtungen<br />

kreislauffähig gemacht<br />

werden können. Was<br />

sich dagegen noch nicht<br />

durchsetzt, sind mehrfach verwendbare<br />

Ladeneinrichtungen<br />

– etwa als modulare Konzepte.<br />

Hier wird fast immer für jedes<br />

Ladenlokal „maßgeschneidert“.<br />

Allerdings haben wir inzwischen<br />

flexible Konzepte erarbeitet,<br />

die es dem jeweiligen<br />

Einzelhändler erlauben, eine<br />

Ladeneinrichtung lange bestehen<br />

zu lassen, ohne dass diese<br />

angestaubt wirkt. Das erreichen<br />

wir dadurch, dass es viele<br />

Möglichkeiten gibt, das Interieur<br />

zu verändern, anzupassen<br />

oder ihm durch Accessoires<br />

und Kleinmöbel einen neuen<br />

Look zu verleihen.<br />

Interview Fabian Peters


Fragen<br />

83<br />

Müssen wir zurück<br />

in die Zukunft?<br />

Das ehemalige Kaufhaus Galeria Kaufhof in der Mannheimer<br />

Innenstadt steht seit über einem Jahr leer. Claudia<br />

Schmidt, Vertretungsprofessorin für Entwerfen und Gebäudetypologie<br />

an der Hochschule München, hat mit Studierenden<br />

Strategien erarbeitet, wie die gewaltige fensterlose<br />

Box in den Stadtraum eingebunden werden könnte.<br />

Als Inspirationsquelle diente ihr dabei eine Analyse der<br />

Krefelder Innenstadt, die sie gerade mit den Kulturhistorikern<br />

und Architekten Hugo van Velzen und Marcel van<br />

Winsen erstellt hat. Im Interview erklären Schmidt und van<br />

Velzen, warum die Planer in Mannheim und Krefeld für die<br />

Zukunft in die Vergangenheit schauen sollten.<br />

BAUMEISTER: Claudia, Du hast<br />

Dich mit den Architekturstudierenden<br />

von der Hochschule<br />

München intensiv mit einem<br />

Kaufhausbau auseinandergesetzt<br />

– dem derzeit leer stehenden<br />

alten Horten-Kaufhaus im<br />

Quadrat N7 in der Mannheimer<br />

Innenstadt, zuletzt genutzt von<br />

Galeria Kaufhof. Warum funktioniert<br />

ein solches Kaufhauskonzept<br />

heute nicht mehr?<br />

CLAUDIA SCHMIDT: Kaufhäuser<br />

sind zeitgleich mit der Industrialisierung<br />

als Gebäudetypologie<br />

für eine einzige Funktion<br />

entwickelt und optimiert worden<br />

– den Verkauf von Waren.<br />

In Zeiten des Onlinehandels<br />

werden solche riesigen Flächen<br />

aber gar nicht mehr gebraucht.<br />

Es ist im stationären<br />

Einzelhandel bereits schwierig,<br />

Kunden ins erste Obergeschoss<br />

zu locken, geschweige denn in<br />

die dritte oder vierte Etage. Das<br />

Kaufhaus in Mannheim gehört<br />

einer relativ späten Generation<br />

des Warenhauses an, das auf<br />

Maximierung der Verkaufsfläche<br />

ausgelegt war und für den<br />

Stadtraum, abgesehen von<br />

Schaufenstern im Erdgeschoss,<br />

nur eine geschlossene Gebäudehülle<br />

zu bieten hatte. Diese<br />

„Schuhschachteln“ bieten – im<br />

Gegensatz zu ihren Vorläufern<br />

aus der „Belle Époque“ – weder<br />

im Innen- noch im Außenraum<br />

ein räumliches oder architektonisches<br />

Erlebnis.<br />

B: Warum wirken diese Nachkriegskaufhäuser<br />

in unseren<br />

Augen so freudlos?<br />

CS: Dieser Typus Kaufhaus als<br />

autonomes Volumen, das sich<br />

vom Maßstab der historischen<br />

Stadt absetzt, ist eng verknüpft<br />

mit der Idee der „autogerechten<br />

Stadt“. Die Architektur der<br />

Sechzigerjahre ist im besten<br />

Fall dazu entworfen, um daran<br />

vorbeizufahren, nicht aber zum<br />

Entlangflanieren. Das Mannheimer<br />

Warenhaus ist demzufolge<br />

auch direkt mit einem<br />

Parkhaus verbunden. Die Erbauer<br />

sind unverkennbar von<br />

einem Gesellschaftsbild ausgegangen,<br />

bei dem der Kunde<br />

im Grünen wohnt und auf möglichst<br />

direktem Weg mit seinem<br />

Fahrzeug zum Konsum eilen<br />

möchte. In diesem Zusammenhang<br />

fällt mir immer das Unwort<br />

„City“ ein, mit dem die Einkaufs-Innenstadt<br />

bis heute<br />

gern bezeichnet wird.<br />

HUGO VAN VELZEN: In den<br />

Siebziger- und Achtzigerjahren<br />

verlief die Entwicklung in den<br />

Niederlanden parallel zu der<br />

deutschen. In den letzten zehn<br />

Jahren hat man sich dort aber<br />

von dieser City-Idee – der Innenstadt<br />

als Einkaufs- und<br />

Dienstleistungszentrum, das mit<br />

dem Auto optimal erschlossen<br />

ist – fast völlig verabschiedet.<br />

In Innenstädten wird mehr gewohnt,<br />

und Erreichbarkeit bedeutet<br />

heute: langsamer Verkehr<br />

und ÖV. Hinzu kam, dass<br />

mit dem Konkurs der Kaufhauskette<br />

Vroom & Dreesmann 2015<br />

die Umnutzung vormaliger<br />

Kaufhäuser eher aktuell wurde<br />

als in Deutschland. Viele dieser<br />

Bauten sind bereits in den letzten<br />

Jahren umgebaut und aufgeteilt<br />

worden.<br />

B: Welche städtebaulichen<br />

Probleme entstehen durch das<br />

Kaufhaus in Mannheim?<br />

CS: Der Bau steht in keinem<br />

Verhältnis zur umgebenden Bebauung<br />

und ist fast doppelt so<br />

hoch wie die gegenüberliegenden<br />

Geschäftshäuser aus<br />

der Gründerzeit. Das Volumen<br />

unserer „geschlossenen Keksdose“<br />

scheint über seinem Erdgeschoss<br />

regelrecht zu schweben.<br />

Hinzu kommt, dass das<br />

Kaufhaus im Erdgeschoss über<br />

eine Länge von fast 100 m nur<br />

zwei Eingänge besitzt. Dadurch<br />

grenzt es sich vom umgebenden<br />

Stadtraum wesentlich stärker<br />

ab, als es wünschenswert<br />

wäre. Das Kaufhaus hat, als es<br />

noch geöffnet war, die Passanten<br />

aus dem öffentlichen Raum<br />

sozusagen „herausgeschlürft“<br />

und in einen privaten Raum gelockt.<br />

Dadurch hat es den<br />

Stadtraum regelrecht abgetötet.<br />

Nach der Schließung haben<br />

die Studierenden beobachtet,<br />

dass die allermeisten<br />

Passanten im Bereich des Kaufhauses<br />

die Straßenseite wechselten.<br />

Sie gingen lieber an der<br />

Interview:<br />

Fabian<br />

Peters<br />

WEITER


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kleinteiligen Gründerzeitbebauung<br />

entlang, weil es da<br />

mehr visuelle Reize und mehr<br />

Leben gibt. Jane Jacobs und<br />

Jan Gehl haben sich dazu ja<br />

sehr ausführlich ausgelassen.<br />

HVV: Wir sprechen ja gern vom<br />

großstädtischen Gepräge von<br />

Großbauten. In meinen Augen<br />

machen sie eine Stadt eher<br />

kleiner, während eine Abfolge<br />

kleiner Bauten die Stadt größer<br />

wirken lässt.<br />

B: Zu welchen Lösungen sind<br />

die Studierenden für das Mannheimer<br />

Kaufhaus gelangt?<br />

CS: Da muss man zwischen<br />

zwei Aspekten unterscheiden:<br />

die Nutzung des Volumens und<br />

die Gestaltung der Fassade –<br />

die aber natürlich zusammenhängen.<br />

Beim ersten Punkt<br />

geht es darum, wie man verschiedene<br />

Funktionen im Gebäudekörper<br />

anordnen kann,<br />

damit es lebendiger und interessanter<br />

wird. Man kann natürlich<br />

Funktionen übereinanderstapeln.<br />

Man kann aber auch<br />

Funktionen, die kein Tageslicht<br />

benötigen, mit Funktionen, die<br />

es brauchen, ummanteln. Oder<br />

man schneidet das Gebäude in<br />

Scheiben, die man dann staffelt.<br />

Die wesentliche Herausforderung<br />

ist dabei die Tiefe des<br />

Baukörpers von 50 Metern. Um<br />

einen partiellen Abbruch<br />

kommt man also kaum herum.<br />

Beim zweiten Punkt lautet die<br />

entscheidende Frage, welchen<br />

Eindruck man mit der Fassade<br />

im Stadtraum erzielen möchte.<br />

Greift man zum Beispiel die historische<br />

Parzellierung auf und<br />

unterteilt den Bau oder auch<br />

nur die Fassade entsprechend?<br />

Oder kann man die Gesamtfassade<br />

vielleicht so gliedern,<br />

dass der Bau wieder in einen<br />

Maßstab mit der historischen<br />

Bebauung gesetzt wird?<br />

B: Wie kann Letzteres bei einem<br />

derartig überdimensionierten<br />

Baukörper gelingen?<br />

CS: Zur Beantwortung dieser<br />

Frage muss ich kurz abschweifen.<br />

Gemeinsam mit Hugo und<br />

seinem Kollegen Marcel van<br />

Winsen habe ich im vergangenen<br />

Jahr die Arbeit an einer<br />

umfassenden kulturhistorischstädtebaulichen<br />

Analyse der<br />

Krefelder Innenstadt abgeschlossen.<br />

Sie soll jetzt als<br />

Stadtentwicklungskonzept beschlossen<br />

werden. Bei der Beschäftigung<br />

mit dem Bestand<br />

fiel uns die architektonische<br />

Qualität der Kaufhausfassaden<br />

auf, die im weitesten Sinne der<br />

„Belle Époque“ angehören.<br />

Diese Bauten aus dem Zeitraum<br />

zwischen der universellen Dominanz<br />

des Historismus und<br />

dem Durchbruch der architektonischen<br />

Moderne sind vorbildhaft<br />

für diese Aufgabe.<br />

Ihnen gelingt der Spagat zwischen<br />

großer Dimension und<br />

ablesbarem Bezug auf die<br />

Kleinteiligkeit des historischen<br />

Stadtkontexts. Das geschieht<br />

Studie Kaufhausfassade Mannheim<br />

von Melanie Rutsch<br />

etwa mithilfe von Gesimsen,<br />

die auf die Traufhöhen der<br />

Nachbargebäude verweisen,<br />

oder beispielsweise auch mit<br />

dem Maß der Fensterachsen,<br />

das einen Rhythmus der anschließenden<br />

Bebauung aufgreift.<br />

B: Haben die Studierenden an<br />

solche Vorbilder angeknüpft?<br />

CS: Es sind keine Belle-Époque-<br />

Fassaden entstanden. Vielmehr<br />

haben die Studentinnen und<br />

Studenten versucht, diese Vorbilder<br />

zeitgemäß zu interpretieren.<br />

So gab es etwa die Idee,<br />

einen mehrschichtigen Fassadenaufbau<br />

mit dem Konzept<br />

der Grünfassade zu kombinieren.<br />

In Verbindung mit plastischen<br />

Elementen sollen so<br />

spannende Schattenwürfe auf<br />

der Gebäudehülle entstehen.<br />

B: Hat die Moderne in Euren<br />

Augen versagt, wenn es darum<br />

geht, qualitätvolle Stadtbilder<br />

zu entwerfen?<br />

CS: Das kann man nicht verallgemeinern.<br />

Wir sind in Krefeld<br />

beispielsweise immer wieder<br />

auf Bauten der Nachkriegszeit<br />

gestoßen, die sich sehr sensibel<br />

in einen historischen Kontext<br />

einfügen. Dieser ersten Generation<br />

von Nachkriegsarchitektur<br />

merkt man oft noch deutlich<br />

an, dass der Faden zur klassischen<br />

Baukunst noch nicht völlig<br />

durchtrennt war. Von deren<br />

Pilastern und Architraven ist es<br />

nur ein kleiner Schritt zu den<br />

Rasterfassaden der ersten<br />

Nachkriegsmoderne. Außerdem<br />

nehmen diese Bauten<br />

oftmals Rücksicht auf die vorhandene<br />

Parzellenstruktur und<br />

zeigen ein großes Interesse sowohl<br />

an der baulichen Nachbarschaft<br />

als auch an der guten<br />

Gestaltung des öffentlichen<br />

Raums. Diese Art Architektur<br />

sorgt heute selbst in Städten,<br />

die im Zweiten Weltkrieg größtenteils<br />

zerstört wurden, dafür,<br />

dass die historische Stadtstruktur<br />

immer noch ablesbar ist.<br />

B: Welche Qualitäten habt Ihr<br />

bei Eurer Analyse des Krefelder<br />

Stadtraums als besonders<br />

wichtig identifizieren können?<br />

CS: Die Quintessenz dieser<br />

Qualitäten wird in unserer Analyse<br />

auf einen einfachen Nen-<br />

ILLUSTRATION: MELANIE RUTSCH, HOCHSCHULE MÜNCHEN

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