3. Analyse der Lebens- und ... - Frauengesundheitszentrum Graz

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21.09.2012 Aufrufe

Versuch, durch ein sehr starkes Engagement die Stigmatisierung zu überwinden. Auf intellektueller Ebene hat Frau F. es geschafft. Sie hat trotz vieler Operationen und Krankenhausaufenthalten ihre Ausbildung abgeschossen, den Führerschein gemacht und eine Anstellung am ersten Arbeitsmarkt bekommen. Auf körperlicher Ebene sind jedoch viele spezielle Behandlungen, wie aufwendige Wundversorgung und „kathetern“47, notwendig, die Frau F. immer wieder daran erinnern, dass sie körperlich auf unangenehme Weise anders ist als die anderen jungen Frauen in ihrer Umgebung. Frau E. hat es dank der starken mütterlichen Unterstützung und ihres eigenen Ehrgeizes gelernt, sich selbständig in der Welt zu bewegen. Vor kurzem hat sie sogar eine eigene Wohnung bezogen. Sie ist nicht allzu weit weg von zu Hause, so dass sie sich weiterhin jederzeit Unterstützung von der Mutter holen kann, wenn sie sie braucht. Frau E. hat zusätzlich zu ihren körperlichen Beschwerden immer wieder auch noch Schamhürden zu überwinden, wie eben gerade das Kathetern deutlich macht. Die Mutter sieht es als ihre Aufgabe, ihr in dieser Hinsicht beizustehen, was jedoch bei Frau E. wiederum Schamgefühle auslöst. Es fällt Frau E. schwer, sich mit diesem Stigma zu versöhnen. Netzwerk 6: Frau F. war nur unter der Bedingung, bereit, sich als Interviewpartnerin zur Verfügung zu stellen, dass niemand aus ihrem privaten Umfeld für ein Interview vermitteln zu müssen. Da Frau F. erst vor kurzem und erst mit 42 als begünstigte Behinderte eingestuft wurde, war sie selbst noch immer damit beschäftigt, es für sich anzunehmen. Aus ihren Schilderungen ging hervor, dass der diesbezügliche Aufarbeitungsprozess in ihrem privaten Umfeld noch nicht abgeschossen zu sein scheint. 47 Kathetern ist eine technische Hilfe beim Urinieren, die aufgrund von Lähmung der Beckenbodenmuskulatur notwendig ist. 86

3. Anerkannte und übergangene Scham in der sekundären Sozialisation: Schule und Gleichaltrige Die sekundäre Sozialisation bereitet das Individuum auf seine Rolle in der Gesellschaft vor und findet neben der Familie hauptsächlich in der Schule und unter Gleichaltrigen statt. 48 Für Frauen und Männer mit Behinderung liegt hier die größte Herausforderung. Denn auch wenn die Beziehungen in der Familie relativ sicher sind, und sie sich dort so angenommen und unterstützt fühlen, wie sie sind, heißt es hier, sich zu behaupten, interessant für die anderen zu sein, etwas geben zu können. Netzwerk 1: Bedingt durch die Erkrankung, Medikamentenallergie mit nachfolgender Sehbehinderung im Alter von 10 Jahren, und durch die damit verbundenen langen Krankenhausaufenthalte, aber auch durch die besondere Nachbehandlung zu Hause, wo sie sich über längere Zeit in abgedunkelten Räumen aufhalten musste, gab es für Frau A. einen sehr dramatischen Einbruch in ihrer Entwicklung. Dieser hatte einen beinahe lückenlosen Rückzug in die Familie zur Folge. Diese, und hier wiederum vor allem die Mutter, bot ihr den Schutz und Rahmen, innerhalb dessen sie trotz ihrer täglichen Schmerzen ihre eigenen Grenzen erproben konnte. Die Mutter stand ihr beinahe uneingeschränkt zur Seite, aber auch der Vater übernahm Assistenzleistungen. Die Geschwister machten und machen es scheinbar aus Pflichtgefühl einem Familienmitglied gegenüber auch von Zeit zu Zeit. Sie scheinen jedoch Probleme mit der Behinderung ihrer Schwester zu haben und über das Allernötigste hinaus nichts mit ihr zu tun haben zu wollen. Frau A. beschreibt sich selbst als schüchternes, ängstliches Kind, das sich nie in Gruppen wohl gefühlt hat. „Ich war, ich würde sagen, ein ganz ein mmmh (Pause) ein normales Kind an und für sich eher sehr schüchtern. Sehr sehr ängstlich, war nie ein Gruppenmensch. Also ich habe mich nie in Gruppen wohl gefühlt. Und habe mich eher immer zurückgezogen oder wurde im Kindergarten immer so unterdrückt (lächelt) und in der Volksschule sowieso (lächelt). Also, ich bin immer die, die hinten angestanden ist.“ Das Gefühl von Schüchternheit könnte bereits ein Hinweis auf eine versteckte Scham sein. Da es sich jedoch um die Zeit vor der Erkrankung handelt, wollen wir 48 Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Sozialisation#Prim.C3.A4re_Sozialisation 87

Versuch, durch ein sehr starkes Engagement die Stigmatisierung zu überwinden. Auf<br />

intellektueller Ebene hat Frau F. es geschafft. Sie hat trotz vieler Operationen <strong>und</strong><br />

Krankenhausaufenthalten ihre Ausbildung abgeschossen, den Führerschein gemacht<br />

<strong>und</strong> eine Anstellung am ersten Arbeitsmarkt bekommen. Auf körperlicher Ebene sind<br />

jedoch viele spezielle Behandlungen, wie aufwendige W<strong>und</strong>versorgung <strong>und</strong><br />

„kathetern“47, notwendig, die Frau F. immer wie<strong>der</strong> daran erinnern, dass sie<br />

körperlich auf unangenehme Weise an<strong>der</strong>s ist als die an<strong>der</strong>en jungen Frauen in ihrer<br />

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Frau E. hat es dank <strong>der</strong> starken mütterlichen Unterstützung <strong>und</strong> ihres eigenen<br />

Ehrgeizes gelernt, sich selbständig in <strong>der</strong> Welt zu bewegen. Vor kurzem hat sie<br />

sogar eine eigene Wohnung bezogen. Sie ist nicht allzu weit weg von zu Hause, so<br />

dass sie sich weiterhin je<strong>der</strong>zeit Unterstützung von <strong>der</strong> Mutter holen kann, wenn sie<br />

sie braucht.<br />

Frau E. hat zusätzlich zu ihren körperlichen Beschwerden immer wie<strong>der</strong> auch noch<br />

Schamhürden zu überwinden, wie eben gerade das Kathetern deutlich macht. Die<br />

Mutter sieht es als ihre Aufgabe, ihr in dieser Hinsicht beizustehen, was jedoch bei<br />

Frau E. wie<strong>der</strong>um Schamgefühle auslöst. Es fällt Frau E. schwer, sich mit diesem<br />

Stigma zu versöhnen.<br />

Netzwerk 6:<br />

Frau F. war nur unter <strong>der</strong> Bedingung, bereit, sich als Interviewpartnerin zur<br />

Verfügung zu stellen, dass niemand aus ihrem privaten Umfeld für ein Interview<br />

vermitteln zu müssen. Da Frau F. erst vor kurzem <strong>und</strong> erst mit 42 als begünstigte<br />

Behin<strong>der</strong>te eingestuft wurde, war sie selbst noch immer damit beschäftigt, es für sich<br />

anzunehmen. Aus ihren Schil<strong>der</strong>ungen ging hervor, dass <strong>der</strong> diesbezügliche<br />

Aufarbeitungsprozess in ihrem privaten Umfeld noch nicht abgeschossen zu sein<br />

scheint.<br />

47 Kathetern ist eine technische Hilfe beim Urinieren, die aufgr<strong>und</strong> von Lähmung <strong>der</strong><br />

Beckenbodenmuskulatur notwendig ist.<br />

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