3. Analyse der Lebens- und ... - Frauengesundheitszentrum Graz

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21.09.2012 Aufrufe

auch noch einzufordern. Der Dialog in Ämtern ist geprägt von der ignorierten Scham, die mit einer solchen Situation verbunden ist. 46 Netzwerk 4: Bei Frau D., 36, einer von drei Töchtern einer Bauernfamilie, zeichnete sich kurz vor der Matura ab, dass sie starke Halluzinationen hat, die es ihr immer schwerer werden ließen, die Anforderungen des Alltags zu erfüllen. Schließlich wurde sie in die Klinik eingeliefert und mit Medikamenten stabilisiert. Sich selber in mitten von psychisch kranken Leuten wiederzufinden, war für sie ein Schock. Und erst langsam begriff sie, dass irgendetwas mit ihr nicht in Ordnung war. „Habe ich müssen… da habe ich (Pause) und die Erkenntnis, dass dass man seinen eigenen Gedanken nicht trau… trauen kann. Dass.. weil ich bin eigentlich so erzogen worden, dass man dass der Kopf… und das eigentlich das Denken (Pause) also das hat mir das Leben bestimmt in der Schule. Und dann plötzlich (Pause) heißt es, du also du, das was du… du bildest dir was ein.“ Seither ist sie auf die Einnahme von Medikamenten zur Stabilisierung ihrer Psychose angewiesen. Sie selbst findet zwar ihren Zustand als ganz normal und kann auch offen darüber sprechen. Für ihre Eltern ist die Psychose der Tochter ein Schock, den sie nicht verarbeitet haben. Sie machen sich noch immer Gedanken und Vorwürfe darüber, was sie selber falsch gemacht haben könnten. In ihrer Verzweiflung klagen sie auch Personen aus dem Umfeld an, wie die Lehrerin oder den Arzt: Wenn schon sie selber nicht, so hätten doch diese es rechtzeitig bemerken müssen. Rechtzeitig insofern, dass es dadurch möglich gewesen wäre, das lebenslange Unglück zu verhindern. „Mutter: (Sie weint in den folgenden Passagen immer wieder …) Und trotzdem, es war, es war ein Kampf. Auch unser Arzt hat nichts machen können. Und da heißt es normal, man kann sie nicht mit mit Gewalt ins Krankenhaus bringen. (Gemurmel) Sie muss selber. Aber sie war… sie war einfach nicht… sie hat selber einfach nicht wollen. Es war nicht so leicht, es war furchtbar. (Pause)“ 46 Aus anderen Ländern sind sehr wohl andere Vorgangsweisen bekannt. So werden in Schweden oder USA Eltern in einem Betreuungssystemen aufgefangen und begleitet. 84

Ja. Nicht dass man sie nicht (stockt)… zwingen kann man sie sicher nicht. Aber dass man da nicht zuschauen muss. Man muss da einfach zuschauen.“ In dieser Familie schwankt das Grundgefühl zwischen Schuld und Groll. Schuld als Ausdruck von Scham über die Psychose der Tochter und einer eventuellen Verantwortung dafür, weil man es vielleicht hätte abfangen können, und Groll darüber, dass es auch die anderen – Lehrerin und Arzt – nicht abgefangen haben, obwohl sie aus Erfahrung vielleicht besser in der Lage gewesen sein hätten können. In unserer Gesellschaft ist ignorierte Scham gesellschaftsfähig und wird von uns allen in der einen oder anderen Form praktiziert. Wenn man zum Beispiel ein Haus baut und es einem dabei nicht in den Sinn kommt auf Barrierefreiheit zu achten, ignoriert man die Tatsache, dass man selbst oder die Menschen im näheren Umfeld über Nacht davon betroffen sein können und dieses Haus dann unbrauchbar wird. Unter denselben Gesichtspunkten sind amtliche Gebäude, Schulen, etc. nicht von vorneherein barrierefrei gebaut und müssen im Nachhinein mit hohem Aufwand dahingehend verändert werden. Netzwerk 5: Frau E, 23, war ein zu früh geborener Säugling. „Mutter: Ja. Also die G. ist zu früh auf die Welt gekommen. Viel zu.. zwei Monate. Und zu leicht gewesen, zu klein und ist in den Brutkasten gekommen. Und dann nach drei Wochen haben sie sie operiert, ist sie in Lebensgefahr geschwebt, und ich bin nicht informiert geworden (schnieft) darüber. Erst nach vier oder fünf Wochen haben sie mich, bin ich hinaufgefahren und dann haben sie gesagt, sie ist bereits operiert geworden. Und dann hat das Ganze angefangen halt, (schnieft) dass sie behindert wird, immer mehr und immer mehr gekommen. War schon ein Schock für mich. Habe ich eigentlich nicht gewusst, wie ich damit umgehen soll. Habe ich lange gebraucht, bis ich mich gewöhnt habe daran. Und dann bin ich es eigentlich angegangen. Ich habe gedacht, ich muss es so nehmen, wie es ist. (Pause) Habe vieles lernen müssen oben. Durch die vielen Operationen, kathetern, alles. (schnieft). Die Wunden versorgen, weil sie seitlich Ausgang gehabt hat. Und so ist es eigentlich dann immer besser geworden. Ich bin immer besser mit ihr zusammengekommen.“ Den Schock über die Ereignisse um F.´s Geburt und die daraus folgende Behinderung scheint die Mutter bis heute nicht gänzlich überwunden zu haben. Dies wird in ihrer Darstellung deutlich. Ihre Reaktion ist – wie im Netzwerk 1 – der 85

auch noch einzufor<strong>der</strong>n. Der Dialog in Ämtern ist geprägt von <strong>der</strong> ignorierten Scham,<br />

die mit einer solchen Situation verb<strong>und</strong>en ist. 46<br />

Netzwerk 4:<br />

Bei Frau D., 36, einer von drei Töchtern einer Bauernfamilie, zeichnete sich kurz vor<br />

<strong>der</strong> Matura ab, dass sie starke Halluzinationen hat, die es ihr immer schwerer werden<br />

ließen, die Anfor<strong>der</strong>ungen des Alltags zu erfüllen. Schließlich wurde sie in die Klinik<br />

eingeliefert <strong>und</strong> mit Medikamenten stabilisiert. Sich selber in mitten von psychisch<br />

kranken Leuten wie<strong>der</strong>zufinden, war für sie ein Schock. Und erst langsam begriff sie,<br />

dass irgendetwas mit ihr nicht in Ordnung war.<br />

„Habe ich müssen… da habe ich (Pause) <strong>und</strong> die Erkenntnis, dass dass man<br />

seinen eigenen Gedanken nicht trau… trauen kann. Dass.. weil ich bin<br />

eigentlich so erzogen worden, dass man dass <strong>der</strong> Kopf… <strong>und</strong> das eigentlich<br />

das Denken (Pause) also das hat mir das Leben bestimmt in <strong>der</strong> Schule. Und<br />

dann plötzlich (Pause) heißt es, du also du, das was du… du bildest dir was<br />

ein.“<br />

Seither ist sie auf die Einnahme von Medikamenten zur Stabilisierung ihrer Psychose<br />

angewiesen.<br />

Sie selbst findet zwar ihren Zustand als ganz normal <strong>und</strong> kann auch offen darüber<br />

sprechen. Für ihre Eltern ist die Psychose <strong>der</strong> Tochter ein Schock, den sie nicht<br />

verarbeitet haben. Sie machen sich noch immer Gedanken <strong>und</strong> Vorwürfe darüber,<br />

was sie selber falsch gemacht haben könnten. In ihrer Verzweiflung klagen sie auch<br />

Personen aus dem Umfeld an, wie die Lehrerin o<strong>der</strong> den Arzt: Wenn schon sie selber<br />

nicht, so hätten doch diese es rechtzeitig bemerken müssen. Rechtzeitig insofern,<br />

dass es dadurch möglich gewesen wäre, das lebenslange Unglück zu verhin<strong>der</strong>n.<br />

„Mutter:<br />

(Sie weint in den folgenden Passagen immer wie<strong>der</strong> …) Und trotzdem, es war,<br />

es war ein Kampf. Auch unser Arzt hat nichts machen können. Und da heißt es<br />

normal, man kann sie nicht mit mit Gewalt ins Krankenhaus bringen.<br />

(Gemurmel) Sie muss selber. Aber sie war… sie war einfach nicht… sie hat<br />

selber einfach nicht wollen.<br />

Es war nicht so leicht, es war furchtbar. (Pause)“<br />

46 Aus an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n sind sehr wohl an<strong>der</strong>e Vorgangsweisen bekannt. So werden in Schweden<br />

o<strong>der</strong> USA Eltern in einem Betreuungssystemen aufgefangen <strong>und</strong> begleitet.<br />

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