3. Analyse der Lebens- und ... - Frauengesundheitszentrum Graz
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Die Scham <strong>und</strong> die Trauer darüber, dass behin<strong>der</strong>te Frauen <strong>und</strong> Männer eben nicht<br />
„wie an<strong>der</strong>e auch“ sind. Wobei die Aussage, „Leben wie an<strong>der</strong>e auch“ von außen<br />
einen Unterschied suggeriert, <strong>der</strong> möglicherweise selbst nicht so erlebt wird.<br />
In den zitierten Schriften wird Behin<strong>der</strong>ung auf ein technisches Problem reduziert,<br />
dem man leicht mit technischen Mitteln zu Leibe rücken kann, um einen Zustand <strong>der</strong><br />
Gleichstellung zu erreichen. Man übersieht <strong>und</strong> verleugnet dabei einen Moment <strong>der</strong><br />
Scham, die sowohl für betroffene Personen als auch für nicht betroffene Personen<br />
mit einem Handicap verb<strong>und</strong>en ist.<br />
Wenn z.B. <strong>der</strong> pädagogische Leiter eines Integrationsprojektes über eine „K<strong>und</strong>in“ in<br />
<strong>der</strong>en Anwesenheit zu <strong>der</strong>en Eltern sagt:<br />
„Und die Hygiene haut jetzt auch schon ganz gut hin… “, wird darüber<br />
hinweggesehen, dass damit die Würde dieser Frau gr<strong>und</strong>legend verletzt wird.<br />
Mangelnde Hygiene, in welcher Form auch immer, ist ein gesellschaftliches Kriterium<br />
für einen Ausschluss aus <strong>der</strong> Gesellschaft, den es zu bekämpfen o<strong>der</strong> zu ignorieren<br />
gilt. In <strong>der</strong> Straßenbahn wird von einem abgerückt, im Restaurant sieht man<br />
beschämt weg.<br />
Dass dies jedoch möglicherweise gerade <strong>der</strong> Kern <strong>der</strong> so genannten „Behin<strong>der</strong>ung“<br />
ist, weil die Frau selbst nicht in <strong>der</strong> Lage ist, sich zu pflegen, wird übersehen. Damit<br />
ist es ihr wahrscheinlich auch nicht möglich, über längere Zeit ein gefor<strong>der</strong>tes<br />
Aussehen, das in vielen Berufen erfor<strong>der</strong>lich ist, aufrechtzuerhalten.<br />
Ähnliches gilt für z.B. „mangelndes Sozialverhalten“. Wenn ein Mädchen o<strong>der</strong> ein<br />
Bursch „auszuckt“, weil sie/er sich in einer Gruppensituation den Gleichaltrigen<br />
gegenüber nicht durchsetzen kann <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> sich dadurch gedemütigt fühlt, ist dies<br />
ebenso ein Kriterium, das es <strong>der</strong> betroffenen Person sehr schwer machen wird, einen<br />
Arbeitsplatz zu bekommen. Auch hier wird über das Moment <strong>der</strong> Beschämung<br />
hinweggesehen, das den Kern dieses Verhaltens bilden kann.<br />
Der <strong>Graz</strong>er Erziehungswissenschafter Ulf Lukan hat es bei <strong>der</strong> Ringvorlesung<br />
„Menschen mit Behin<strong>der</strong>ung. Leben wie an<strong>der</strong>e auch?“ auf den Punkt gebracht,<br />
indem er „Behin<strong>der</strong>ung“ als interaktiven sozialen Vorgang, an dem mehrere<br />
Personen beteiligt sind, definiert. Daher sei es zu kurz gegriffen, nur von<br />
„Behin<strong>der</strong>ten“ zu sprechen, es wäre auch wichtig, sich mit den „Behin<strong>der</strong>ern“<br />
ausführlicher zu befassen. Denn die bewussten <strong>und</strong> unbewussten Haltungen<br />
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