3. Analyse der Lebens- und ... - Frauengesundheitszentrum Graz
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Elisabeth List zitierte dazu in <strong>der</strong> Eingangveranstaltung 54 <strong>der</strong> im SS 2006<br />
stattfindenden Ringvorlesung „Menschen mit Behin<strong>der</strong>ung – Leben wie an<strong>der</strong>e<br />
auch?“ den Tugendethiker Alisdair Macintyre 55 , <strong>der</strong> in seinen Überlegungen zur<br />
Begründung <strong>der</strong> moralischen Tugend <strong>der</strong> Fürsorge, <strong>der</strong> Sorge für an<strong>der</strong>e, von einem<br />
universellen Sachverhalt ausgeht, vom Umstand, dass Abhängigkeit von an<strong>der</strong>en ein<br />
wesentliches <strong>und</strong> universelles Moment <strong>der</strong> menschlichen <strong>Lebens</strong>situation ist. Alle<br />
Menschen sind in ihrem Leben irgendwann auf die Hilfe an<strong>der</strong>er angewiesen – in <strong>der</strong><br />
frühen Kindheit, im Fall einer Krankheit o<strong>der</strong> Behin<strong>der</strong>ung, <strong>und</strong> schließlich im hohen<br />
Alter. Was folgt aus dieser Einsicht? Es folgt daraus, dass jedes einzelne Mitglied <strong>der</strong><br />
Gesellschaft mehr zur Hilfe an<strong>der</strong>er beitragen muss als es in <strong>der</strong> gegenwärtigen<br />
Situation selbst in Anspruch nimmt. Denn aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Kontingenzen seiner<br />
physischen Existenz ist niemand davor gefeit, irgendwann einmal selbst auf Hilfe<br />
an<strong>der</strong>er angewiesen zu sein. Deshalb sollte auch jedes Mitglied <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
bereit sein, dazu beizutragen, dass das soziale Netz gesichert ist, das Menschen in<br />
Situationen von Krankheit o<strong>der</strong> Behin<strong>der</strong>ung ein angemessenes Leben zu führen<br />
ermöglicht. Das ist nicht Sache <strong>der</strong> Gefälligkeit, son<strong>der</strong>n eine moralische<br />
Verpflichtung. 56<br />
Ein solcher Lösungsansatz setzt jedoch voraus, von einem bestimmten Normdenken<br />
Abschied zu nehmen, nicht alle gleich machen zu wollen, son<strong>der</strong>n Bedingungen zu<br />
schaffen, die es möglich machen, Individualität zu leben <strong>und</strong> dort Unterstützung zu<br />
bekommen, wo es um Stärkung <strong>der</strong> Fähigkeiten <strong>und</strong> nicht nur um Ausgleich <strong>der</strong><br />
Defizite geht. Generell ist es belastend, wenn Frauen <strong>und</strong> Männer an einer allgemein<br />
gültigen Norm gemessen werden. Jede/r hat eigene Normen. Und das eigene<br />
Entwicklungspotenzial kann nur an diesen gemessen werden. Dann kann es nicht<br />
dazu kommen, dass wie eine Werkstättenleiterin sagt:<br />
„Allgemein ist es jedoch so, dass viele <strong>der</strong> Jugendlichen nicht dazu stehen<br />
können.<br />
Wenn sie einen Bescheid haben, dann werden sie abgestempelt.<br />
O<strong>der</strong> dass jemand am eigenen Schicksal <strong>der</strong>maßen verzweifeln muss:<br />
54 Gehalten am 7.<strong>3.</strong>2006<br />
55 Alisdair Mecintyre, Dependent Rational Animals. Why Human Beings need Virtues.Illionois 1999,<br />
56 List, E.: Was ist Behin<strong>der</strong>ung? Theoretische Modelle <strong>und</strong> praktische Standpunkte. In: Prettenthaler-<br />
Ziegerhofer, A.(Hg.): Menschen mit Behin<strong>der</strong>ung. Leben wie an<strong>der</strong>e auch? <strong>Graz</strong>er Universitätsverlag<br />
2006 S.39f<br />
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