Där Chleinu und där Grossu
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Montag, 7. Februar 2022<br />
Wallis<br />
«<strong>Där</strong> <strong>Chleinu</strong> <strong>und</strong> <strong>där</strong> <strong>Grossu</strong>»:<br />
Von zwei Skiliften, die überleben wollen<br />
Viele kleinere Winterdestinationen haben zu kämpfen. Der Unterhalt der Anlagen ist teuer, die Temperaturen steigen.<br />
Doch in Gspon tut sich etwas.<br />
Matthias Venetz<br />
Gspon ist ein kleines Skigebiet,<br />
die Pistenkilometer sind überschaubar,<br />
die grossen Touristenströme<br />
fahren ins Matter- oder<br />
Saastal. Gspon, das sind eigentlich<br />
nur zwei Lifte. «<strong>Där</strong> <strong>Chleinu</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>där</strong> <strong>Grossu</strong>», wie die Einheimischen<br />
sagen.<br />
Mancherorts sind kleine<br />
Dorflifte längst verschw<strong>und</strong>en<br />
– der Hungerberg in Oberwald,<br />
der Erner Galen. Viele andere<br />
Lifte <strong>und</strong> Gesellschaften kämpfen<br />
ums Überleben. Doch Mark<br />
Brigger steht in Gspon an der<br />
Piste <strong>und</strong> blickt zuversichtlich in<br />
die Zukunft. Wie kann das sein?<br />
Mark Brigger ist Verwaltungsratspräsident,<br />
hat hier<br />
oben das Skifahren erlernt, ist in<br />
der JO, der Jugendorganisation,<br />
gefahren <strong>und</strong> hat auch seinen<br />
Kindern hier das Skifahren beigebracht.<br />
Brigger sagt: «Unsere<br />
Mitarbeiterinnen <strong>und</strong> Mitarbeiter<br />
leisten hier pro Saison r<strong>und</strong><br />
3500 Arbeitsst<strong>und</strong>en. Den<br />
Grossteil davon ehrenamtlich.»<br />
Das heisst: Die Betreibergesellschaft<br />
der Skilifte entlöhnt r<strong>und</strong><br />
einen Drittel davon. Der Rest ist<br />
unbezahlte Arbeit, ehrenamtliches<br />
Engagement.<br />
An einem sonnigen Nachmittag<br />
mitten unter der Woche<br />
herrscht auf den Pisten hier<br />
oben kaum Betrieb. Kinder <strong>und</strong><br />
Jugendliche sitzen in der Schule,<br />
Erwachsene arbeiten. Sie kommen<br />
erst am Wochenende wieder<br />
hinauf in ihre Ferienhäuser.<br />
In Gspon sind an diesem Tag<br />
vor allem Pensionierte <strong>und</strong><br />
Kleinkinder unterwegs. Rentieren<br />
tut sich das nicht. Die Verantwortlichen<br />
haben trotzdem<br />
aufgemacht. Weil schönes Wetter<br />
ist, <strong>und</strong> sie den Menschen<br />
hier einen Treffpunkt bieten<br />
möchten. Die Skilifte funktionieren<br />
nicht nach fein austarierten<br />
Effizienzrechnungen.<br />
Grosser Rückhalt<br />
«Ohne Skilift<br />
gibt es im<br />
Winter kein<br />
Leben in<br />
Gspon.»<br />
Mark Brigger<br />
Verwaltungsrat<br />
Vorwärts in die Zukunft? Eine Szene vom Skilift in Gspon.<br />
«Der Rückhalt in der Bevölkerung<br />
ist gross», sagt Mark Brigger.<br />
Die Bevölkerung hat an der<br />
letzten Urversammlung der<br />
jährlichen Unterstützung der<br />
Gemeinde im fünfstelligen Bereich<br />
erneut zugestimmt. Mit<br />
überwältigendem Mehr.<br />
So werden die Lifte auch an<br />
diesem Tag von Pensionierten<br />
betreut. Sie erhalten keinen<br />
Lohn. Und auf diese ehrenamtliche<br />
Arbeit sind die Menschen<br />
hier stolz. Mark Brigger sagt:<br />
«In Staldenried ist es für viele<br />
frisch Pensionierte üblich, an<br />
einzelnen Tagen auf den Skiliften<br />
zu arbeiten.» Doch ehrenamtliche<br />
Helfer gibt es in allen<br />
Generationen.<br />
In diesem Januar musste in<br />
Gspon oft künstlich beschneit<br />
werden. Das Trassee für den Lift<br />
war aper. Also kontaktierte der<br />
Verwaltungsrat Helferinnen <strong>und</strong><br />
Helfer über einen Whatsapp-<br />
Chat. Fast 100 Menschen sind<br />
dort vereint. Brigger deutet auf<br />
seinem Handy auf die Stelle, an<br />
welcher der letzte Einsatz koordiniert<br />
wurde. Dutzende folgten<br />
dem Aufruf <strong>und</strong> schaufelten am<br />
Wochenende in mühseliger<br />
Handarbeit Kunstschnee: Bis<br />
der Dorflift lief.<br />
Der Lift läuft schon seit<br />
Jahrzehnten. «<strong>Där</strong> <strong>Grossu</strong>»<br />
seit 1973, «<strong>där</strong> <strong>Chleinu</strong>» seit<br />
1984. Schon zuvor, Ende der<br />
1950er, gab es einen Lift. Er<br />
steht heute nicht mehr. Doch<br />
die Menschen fuhren in Gspon<br />
schon viel früher Ski. Auch<br />
Brigger kennt die Geschichten<br />
von den Grossvätern, die mit<br />
ihren Ski hinauf zum Wyssgrat<br />
getreten sind <strong>und</strong> dann auf<br />
ihren klobigen Holz latten ein<br />
Rennen bis hinunter nach<br />
Gspon veranstaltet haben.<br />
Mark Brigger sagt: «Ohne<br />
Skilift gibt es im Winter kein Leben<br />
in Gspon.» Er wünscht sich,<br />
dass auch seine Kinder sich hier<br />
Winter für Winter mit ihren Kolleginnen<br />
<strong>und</strong> Kollegen verabreden,<br />
im «Rondell» ihr erstes<br />
Bier trinken <strong>und</strong> an den verschiedenen<br />
Rennen teilnehmen,<br />
die der Skiklub organisiert.<br />
Alles digitalisiert<br />
Kerstin Abgottspon sieht die Sache<br />
gleich wie Mark Brigger. Sie<br />
ist verantwortlich für das Marketing<br />
<strong>und</strong> den Ticketverkauf. Auch<br />
ihre Eltern arbeiten ehrenamtlich<br />
für den Lift. In den vergangenen<br />
Jahren war Kerstin Abgottspon<br />
darum bemüht, den Ticketverkauf<br />
in Gspon zu modernisieren.<br />
Früher erhielten Gäste auf der<br />
Seilbahn oder an den beiden Liften<br />
ihre Billette aus Karton. Viele<br />
Einheimische lösten ein blaues<br />
Saisonabo mit aufgeklebtem<br />
Passfoto. Heute läuft alles zentral<br />
<strong>und</strong> digitalisiert.<br />
Diese Modernisierung hat<br />
dem Verwaltungsrat vieles erleichtert.<br />
Auch im «Rondell»,<br />
der Bar direkt an der Piste, kann<br />
inzwischen digital bezahlt werden.<br />
Digitale Zahlungsmittel<br />
wie Twint oder Kreditkarte werden<br />
inzwischen sehr geschätzt,<br />
denn weder in Gspon noch in<br />
Staldenried gibt es einen Bankomaten.<br />
Der Umsatz im «Rondell»<br />
konnte in den letzten Jahren<br />
gesteigert werden. Er macht<br />
trotz der Pandemie r<strong>und</strong> 40 bis<br />
50 Prozent des Gesamtumsatzes<br />
aus.<br />
Das «Rondell» ist ein Treffpunkt.<br />
Manche Besucher machen<br />
nur ein zwei Fahrten <strong>und</strong><br />
vertiefen sich danach im «Rondell»<br />
in Gespräche. Wer Kinder<br />
hat, kann sie unbeaufsichtigt<br />
fahren lassen. Man kennt sich<br />
<strong>und</strong> man schaut zueinander. Andere<br />
lassen ihre Ski gleich ganz<br />
zu Hause, kehren nach einem<br />
Spaziergang hier ein. Verabredungen<br />
sind überflüssig.<br />
Kaspar Hänni schätzt genau<br />
diesen Zusammenhalt. Er<br />
stammt aus dem Berner Oberland,<br />
lebt seit zehn Jahren in<br />
Staldenried, hat hier geheiratet,<br />
wurde hier Vater <strong>und</strong> ist heute<br />
Verwaltungsratsmitglied. 554<br />
Menschen leben in der Gemeinde<br />
Staldenried, die Skilifte verkaufen<br />
r<strong>und</strong> 230 Saisonabos.<br />
Manche kaufen jeden Winter<br />
eines, auch wenn sie kaum noch<br />
auf die Piste gehen. Kaspar<br />
Hänni sagt: «Für sie ist das Abo<br />
quasi wie ein Gönnerausweis<br />
mit Foto.»<br />
Doch die Skilifte in Gspon<br />
brauchen in den nächsten Jahren<br />
noch mehr Geld. Mark Brigger<br />
ist sich dessen bewusst. Der<br />
laufende Betrieb sei sichergestellt,<br />
sagt er. Doch in den kommenden<br />
Jahren stehen wichtige<br />
Investitionen an. Der Verwaltungsrat<br />
will vorsorgen. Vor drei<br />
Jahren wurde ein 100er-Club<br />
gegründet. 160 Menschen sind<br />
Mitglied. Hinzu kommt ein Mastensponsoring.<br />
«Die Idee ist,<br />
dass Firmen oder auch Privatleute<br />
jährlich einen Betrag zur<br />
Unterstützung bereitstellen»,<br />
sagt Brigger. Und das ist nötig,<br />
denn Ersatzteile für die altehrwürdigen<br />
Lifte werden allmählich<br />
rar. Eine neue Steuerung<br />
muss her.<br />
Geld muss her<br />
Im Frühling wird die Betreibergesellschaft<br />
ein Lotto ausrichten.<br />
Sie hofft, mit dem Gewinn,<br />
den Gönnerbeiträgen <strong>und</strong> der<br />
Unterstützung der Gemeinde<br />
in den nächsten Jahren diese<br />
Investitionen zu tätigen.<br />
«Schliesslich ist die Bedeutung<br />
von kleinen Skigebieten für<br />
den gesamten Wintertourismus<br />
von grosser Bedeutung»,<br />
sagt Mark Brigger. Das höre er<br />
auch von grösseren Destinationen.<br />
Die Skilifte von Gspon erhalten<br />
denn auch fachmännische<br />
Unterstützung für die<br />
Zertifizierung <strong>und</strong> den Unterhalt<br />
der Anlagen aus Grächen.<br />
Davon profitiere man sehr, sagt<br />
Bilder: pomona.media<br />
Kaspar Hänni, Mark Brigger <strong>und</strong> Kerstin Abgottspon vom Verwaltungsrat<br />
der Skilifte Gspon AG.<br />
Brigger. Doch das gilt auch<br />
umgekehrt. «Denn die Skifahrer<br />
von morgen lernen bei<br />
uns. Nicht nur in den grossen<br />
Destinationen.»<br />
Es ist Abend geworden in<br />
Gspon. Die Dämmerung setzt<br />
ein. Vor dem «Rondell» wird<br />
ausgetrunken. Gleich kommt<br />
die Beschneiungsequipe von<br />
ihrer Arbeit im Tal hinauf nach<br />
Gspon, um zu helfen. Selbstständige<br />
Dachdecker, Bauunternehmer,<br />
Arbeiter der Lonza,<br />
Elektriker.<br />
Eine Person muss die Beschneiung<br />
die ganze Nacht über<br />
regelmässig kontrollieren. Und<br />
um fünf Uhr morgens, wenn die<br />
Temperaturen langsam wieder<br />
steigen, die Anlage abstellen.<br />
Für manche geht es dann schon<br />
wieder hinunter ins Tal. Zur<br />
Lohnarbeit.