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Hinz&Kunzt 347 Januar 2022

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Das Hamburger<br />

Straßenmagazin<br />

Seit 1993<br />

N O <strong>347</strong><br />

Jan. 22<br />

2,20 Euro<br />

Davon 1,10 Euro für<br />

unsere Verkäufer:innen<br />

Auf zu<br />

neuen Ufern!<br />

Schwerpunkt: Neustart


Editorial<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>347</strong>/JANUAR <strong>2022</strong><br />

Für unseren<br />

Schwerpunkt zum<br />

Thema „Neustart“<br />

hat sich Autorin<br />

Simone Deckner mit<br />

Job coachin Andrea<br />

Landschof getroffen.<br />

Liebe Leserin, lieber Leser,<br />

„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“ So poetisch hat der Dichter<br />

Hermann Hesse ein Gefühl beschrieben, das Sie sicherlich kennen: das des<br />

Aufbruchs. Wenn ein neues Jahr beginnt, denken wir öfter als gewöhnlich<br />

darüber nach, was wir anders, besser machen könnten. In unserem Privatleben,<br />

im Job, grundsätzlich. Mit unserem Schwerpunkt wollen wir Ihnen<br />

Ideen an die Hand geben, wie ein Neustart gelingen kann.<br />

Dafür haben wir eine ausgewiesene Expertin besucht: Anastasia<br />

Umrik. Die 34-Jährige hat eine Krankheit, die ihr im Verlauf ihres Lebens<br />

immer mehr Muskeln nehmen wird – und damit auch immer mehr Freiheit.<br />

Uns hat sie erzählt, wie die Behinderung ihre Lehrmeisterin wurde. Und wie<br />

wir alle Krisen in einen Neubeginn verwandeln können.<br />

Die Chance auf einen Neustart haben auch die Obdachlosen ergriffen,<br />

die in Wien am sogenannten Peers-Projekt teilnehmen. Sie kümmern<br />

sich um das Wohl von Schicksalsgenoss:innen und werden so zu erfahrenen<br />

Lebensbegleiter:innen für andere.<br />

Einen bemerkenswerten Wandel erleben wir derzeit in der Obdachlosenpolitik:<br />

Nach der Europäischen Union haben nun fast alle Bundesländer<br />

kürzlich erklärt, dass es bis spätestens 2030 keine Menschen mehr<br />

geben soll, die auf der Straße leben müssen – auch Hamburg.<br />

Die Ampel-Koalition im Bund stellt ebenfalls einen politischen Neuanfang<br />

in Aussicht. Doch was ist von den Versprechungen der selbst ernannten<br />

„Zukunftskoalition“ zu halten? Das haben wir die Bundessprecherin der<br />

Grünen Jugend Sarah-Lee Heinrich im Interview gefragt.<br />

Übrigens wage auch ich einen Neustart: Nach 24 Jahren als freier<br />

Journalist arbeite ich ab diesem Monat als festangestellter Redakteur bei<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Die Arbeit im Team macht großen Spaß. Oft denke ich<br />

deshalb in diesen Tagen: Besser kann ein Jahr kaum beginnen.<br />

<br />

Ihnen allen ein frohes neues Jahr!<br />

Ihr Ulrich Jonas<br />

Schreiben Sie uns an: briefe@hinzundkunzt.de<br />

FOTOS SEITE 2: DMITRIJ LELTSCHUK<br />

TITELFOTO: GETTYIMAGES/SHUNLI ZHAO<br />

2


Inhalt <strong>Januar</strong> <strong>2022</strong><br />

14<br />

Grüne-Jugend-<br />

Sprecherin Sarah-Lee<br />

Heinrich im Interview<br />

08<br />

Rastlos: Unterwegs<br />

mit Hamburger<br />

Obdachlosen<br />

18<br />

Wie der Energiehunger<br />

Lebensgrundlagen<br />

zerstört<br />

Stadtgespräch<br />

06 „Endlich haben unsere Appelle Gehör gefunden“<br />

Bis 2030 soll es keine Obdachlosigkeit mehr geben.<br />

08 Immer in Bewegung<br />

Obdachlose müssen ihre Unterkünfte tagsüber verlassen.<br />

14 Fridays for Future fürs Soziale<br />

Grüne-Jugend-Sprecherin Sarah-Lee Heinrich im Interview<br />

Fotostrecke<br />

18 „Wie eine Suchtgemeinschaft“<br />

Robin Hinsch zeigt die Folgen des globalen Energiehungers.<br />

Neustart<br />

28 Von jetzt an radikal<br />

Anastasia Umrik weiß, wie man Kraft aus Krisen schöpft.<br />

32 „Dinge entstehen beim Gehen“<br />

Jobcoachin Andrea Landschof im Interview<br />

36 Pionierprojekt: Die kennen sich aus<br />

In Wien werden ehemals Wohnungslose zu „Peers“ ausgebildet.<br />

Freunde<br />

40 „Alles vorwärts – los!“<br />

Ruder:innen sammeln Spenden für Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

44 Idylle entlang der Bille<br />

Rundgang durch Hamburgs Industriegeschichte<br />

50 Gegen den Trend<br />

Das Hamburger Internetradio ByteFM geht auf UKW.<br />

52 Tipps für den <strong>Januar</strong><br />

56 Kolumne: Auf ein Getränk mit Tanja Schwarz<br />

58 Momentaufnahme: Hinz&Künztlerin Boguslawa<br />

50<br />

ByteFM:<br />

Internetradio<br />

goes UKW<br />

Rubriken<br />

04 Gut&Schön<br />

12 Zahlen des Monats<br />

26 Meldungen<br />

42 Buh&Beifall<br />

57 Rätsel, Impressum<br />

Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk


Kunst-Retoure<br />

26 Objekte afrikanischer Kunst will<br />

die Lübecker Völkerkundesammlung<br />

jetzt freiwillig nach Namibia und<br />

Äquatorialguinea zurückgeben –<br />

obwohl nicht klar ist, ob es sich bei<br />

den Exponaten aus dem frühen<br />

20. Jahrhundert (siehe Foto)<br />

tatsächlich um Raubkunst<br />

handelt. „Wir müssen aber<br />

den unermess lichen Wert<br />

berücksichtigen, den diese<br />

Stücke für die Menschen in<br />

Afrika haben“, sagt Sammlungs­<br />

leiter Lars Frühsorge. Auch<br />

das Hamburger Museum am<br />

Rothenbaum gibt noch in diesem<br />

Jahr 179 Objekte an Nigeria<br />

zurück. Die Benin-Bronzen sind<br />

allerdings „klar koloniales Raubgut“, so<br />

Direktorin Barbara Plankensteiner gegenüber<br />

der „Zeit“. Bevor die Kunstschätze verschifft<br />

werden, sind sie noch einmal in der Ausstellung<br />

„Benin. Geraubte Geschichte“ zu sehen. JOC/ABI<br />

Geraubte Geschichte:<br />

MARKK – Museum am Rothenbaum,<br />

Rothenbaumchaussee 64, Di–So, 10–18 Uhr,<br />

Do bis 21 Uhr, 8,50/4,50 Euro,<br />

www.markk-hamburg.de<br />

JOC/ABI<br />


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Gut&Schön<br />

Engagementpreis<br />

Schwarze Vorbilder<br />

Eine überzeugende<br />

Verbindung „von Mentoring<br />

und rassismussensiblem<br />

Empowerment“:<br />

So lobt die Jury<br />

des „Deutschen Engagementpreis<br />

2021“ das<br />

Projekt „Vorbilder“.<br />

Der Hamburger Verein<br />

„Future of Ghana Germany“<br />

verbindet seit<br />

2016 Schwarze Mentor:innen<br />

mit Jugendlichen,<br />

um letztere zu<br />

unterstützen und zwischen<br />

Kind, Eltern und<br />

Schule zu vermitteln. JOC<br />

•<br />

Weitere Infos: www.fog-germany.de<br />

FOTOS: VÖLKERKUNDESAMMLUNG HL (S. 4), DARON BANDEIRA (OBEN),<br />

DMITRIJ LELTSCHUK (UNTEN LINKS), CARLOS KELLA (MITTE), DAK-GESUNDHEIT (UNTEN RECHTS)<br />

Natur-Refugium in Heimfeld<br />

Sichere Heimat für 37 Brutvogel-,<br />

11 Fledermaus- und sage und<br />

schreibe 440 Käferarten, von denen<br />

122 auf der „Roten Liste“ stehen:<br />

Das „Heimfelder Holz“ ist offiziell<br />

zum Naturschutzgebiet deklariert<br />

worden. Das 88 Hektar große Waldgebiet<br />

mit altem Mischwald und<br />

zwei sogenannten „Urwaldrelikt-<br />

Arten“ ist nun das 37. Naturschutzgebiet<br />

Hamburgs und darf damit<br />

nicht mehr forstwirtschaftlich bearbeitet<br />

werden. Knapp zehn Prozent<br />

der Stadtfläche sind jetzt streng<br />

naturgeschützt – so viel wie in<br />

keinem anderen Bundesland! JOC<br />

•<br />

Weihnachtsessen „To-Go“<br />

Bereits zum zweiten Mal unter<br />

Corona-Bedingungen, aber trotzdem<br />

beliebt und begehrt bei der<br />

„Kundschaft“: Mehr als 400 gut<br />

verpackte Weihnachtsmenüs konnte<br />

der „Friends Cup Fördervein“ an<br />

seinem Eventtag an Hamburger<br />

Bedürftige ausgeben. Unser Foto<br />

zeigt das Orga-Team um den<br />

1. Vereinsvorsitzenden, den früheren<br />

St. Pauli-Fußballprofi Jan-Philipp<br />

Kalla (Mitte), und Sven Flohr (rechts).<br />

Über 100 Helfer:innen im Ehrenamt<br />

machten das Angebot möglich –<br />

auch viele Hinz&Künztler:innen<br />

nahmen es gerne an und wahr. JOC<br />

•<br />

Komasuff?<br />

Nein, danke!<br />

Lieber im<br />

Rausch der<br />

Farben als im<br />

Vollrausch:<br />

Zwei 17-jährige<br />

Schülerinnen<br />

der Sophie-<br />

Barat-Schule<br />

haben mit ihrem<br />

Plakat den DAK-<br />

Landeswettbewerb „bunt statt blau“<br />

gegen Komasaufen gewonnen.<br />

Petra Ludewig Martins und Krisha<br />

Dalig setzten sich mit ihrer Arbeit<br />

gegen 150 Konkurrent:innen durch<br />

und dürfen sich jetzt über die<br />

Siegerprämie von 300 Euro freuen.<br />

Ebenfalls erfreulich: Der Alkoholmissbrauch<br />

junger Menschen in<br />

Hamburg ist zumindest rückläufig.<br />

Nach den aktuellsten Zahlen aus<br />

2019 kamen 161 Zehn- bis 20-jährige<br />

volltrunken in eine Klinik –<br />

das ist ein Rückgang um knapp<br />

20 Prozent. JOC<br />

•<br />

5


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>347</strong>/JANUAR <strong>2022</strong><br />

Die neue Bundesregierung und<br />

der Hamburger Senat legen sich fest:<br />

Bis zum Jahr 2030 soll es<br />

keine Obdachlosigkeit mehr geben.<br />

TEXT: BENJAMIN LAUFER<br />

6


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Stadtgespräch<br />

Acht Jahre noch, dann soll es in Deutschland keine<br />

Obdachlosen mehr geben. Mit diesem Versprechen geht<br />

die neue Bundesregierung an den Start. Im Koalitionsvertrag<br />

hat die Ampel festgelegt: „Wir setzen uns zum<br />

Ziel, bis 2030 Obdach- und Wohnungslosigkeit zu überwinden<br />

und legen einen Nationalen Aktionsplan dafür<br />

auf.“ Wenig später hat sich auch der Hamburger Senat<br />

zu diesem Ziel bekannt.<br />

Das wurde auch Zeit! Schon seit 2015 steht in der<br />

Agenda 2030 der Vereinten Nationen, dass alle Menschen<br />

Zugang zu angemessenem Wohnraum haben sollen.<br />

Auch Deutschland verpflichtete sich damals dazu.<br />

Doch die Umsetzung hat die große Koalition jahrelang<br />

verschleppt: Ein angekündigtes Maßnahmenpaket<br />

wurde nie vorgelegt. Auch die Hamburger Regierungsparteien<br />

wollten sich bislang nicht auf konkrete Ziele in<br />

der Bekämpfung von Obdachlosigkeit festlegen.<br />

„Es geht darum,<br />

Obdachlosigkeit zu<br />

beseitigen.“<br />

SPD-VIZE KEVIN KÜHNERT<br />

Doch langsam kommt Bewegung in die Sache, angestoßen<br />

durch einen Appell des Europaparlaments. Vergangenen<br />

Sommer unterzeichnete Deutschland die Erklärung<br />

von Lissabon. Danach soll 2030 niemand in der<br />

EU mehr auf der Straße leben müssen – und auch nicht<br />

länger als nötig in Notunterkünften. Nun greift die<br />

Ampel den Plan auf, nachdem sich im Wahlkampf vor<br />

allem die Grünen dafür stark gemacht hatten.<br />

Ist es dieses Mal mehr als ein Lippenbekenntnis?<br />

SPD-Vize Kevin Kühnert sagte Anfang Dezember im<br />

ZDF: „Es geht nicht darum, ein paar Menschen aus der<br />

Obdachlosigkeit herauszuholen. Es muss darum gehen,<br />

sie zu beseitigen.“ Dieses Ziel dürfe nicht mehr zur<br />

Diskussion stehen, sondern nur noch der Weg dorthin,<br />

erklärte Kühnert. Wo dieser entlangführen wird, ist nun<br />

die spannende Frage. Der 177 Seiten lange Koalitionsvertrag<br />

bleibt recht unkonkret.<br />

Das Bekenntnis zur Agenda 2030 und der Erklärung<br />

von Lissabon macht Expert:innen dennoch<br />

Hoffnung. „Wir sind hocherfreut!“, kommentierte<br />

die Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft<br />

Wohnungslosenhilfe, Werena Rosenke, den Koalitionsvertrag.<br />

„Endlich haben unsere Appelle Gehör gefunden.“<br />

Hamburgs Diakonie-Chef und Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />

Herausgeber Dirk Ahrens sieht im Vorhaben der Ampel<br />

auch einen Auftrag für die Hansestadt – schließlich ist<br />

die Bekämpfung der Obdachlosigkeit vor allem Ländersache:<br />

„Unsere Erwartung ist, dass der Hamburger<br />

Senat diesen Impuls aufgreift, für Hamburg das gleiche<br />

Ziel formuliert und die dafür notwendigen wohnungsund<br />

sozialpolitischen Maßnahmen schnell auf den Weg<br />

bringt“, sagte er Ende November.<br />

Nur wenige Tage später legte sich Hamburgs Sozialsenatorin<br />

Melanie Leonhard (SPD) in der Konferenz<br />

der Sozialminister:innen fest: Auch in der Hansestadt<br />

soll es bis 2030 keine Obdachlosen mehr geben. Fast alle<br />

Bundesländer hatten dem Antrag von Berlins scheidender<br />

Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) zugestimmt,<br />

nur NRW hatte Bedenken. Anders als die Bundesregierung<br />

haben die Länder auch schon genauere<br />

Vorstellungen davon, wie Obdachlosigkeit beseitigt<br />

werden kann: mit „Housing First“. Nach diesem Ansatz<br />

bekommen obdachlose Menschen ohne viele Vorbedingungen<br />

eine eigene Wohnung. Derzeit laufen dazu<br />

verschiedene Modellprojekte, bald auch in Hamburg.<br />

Sie sollen nach dem Willen der Minister:innen als Regelangebot<br />

etabliert werden.<br />

Damit bleiben Hamburg acht Jahre, um den mindestens<br />

2000 Menschen auf den Straßen der Hansestadt<br />

eine Wohnung zu verschaffen. Wie soll das gehen? Woher<br />

sollen die Wohnungen dafür kommen? Senatorin Leonhard<br />

wollte Hinz&<strong>Kunzt</strong> dazu nichts sagen. Strategien<br />

und Konzepte müssten erst länderübergreifend entwickelt<br />

werden, hieß es dazu aus ihrer Behörde. Derzeit<br />

geht der Trend noch in eine andere Richtung: Alleine in<br />

den ersten drei Quartalen im vergangenen Jahr meldeten<br />

sich in Hamburg 2475 Haushalte obdachlos. •<br />

benjamin.laufer@hinzundkunzt.de<br />

Leichte Sprache:<br />

Es gibt den Text auch in Leichter Sprache.<br />

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Der Text in Leichter Sprache öffnet<br />

sich. Oder Sie gehen auf unsere<br />

Webseite www.hinzundkunzt.de und<br />

suchen dort nach „Leichte Sprache“.<br />

7


Immer in Bewegung<br />

Wer im Winternotprogramm übernachtet, muss morgens<br />

die Unterkunft verlassen und darf erst abends wiederkommen –<br />

ein Grund dafür, dass viele Obdachlose das Angebot nicht nutzen.<br />

TEXT: ULRICH JONAS<br />

FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK<br />

8


Stadtgespräch<br />

in der „Markthalle“, seit Corona Tagesaufenthaltsstätte<br />

für Obdachlose. Und<br />

sind ziellos durch die Stadt gelaufen,<br />

um sich warm zu halten. Manchmal<br />

fahre sie ein paar Stationen S-Bahn,<br />

erzählt Conny. Ohne Ticket, wenn das<br />

Geld nicht reicht, das sie mit dem<br />

Sammeln von Pfandflaschen verdient.<br />

„Risiko“, sagt die 43-Jährige trocken.<br />

„An Ruhe ist<br />

im Dreibettzimmer<br />

nicht<br />

zu denken.“<br />

CONNY UND RONNY<br />

A<br />

n diesem Donnerstagnachmittag<br />

im Dezember haben Conny<br />

und Ronny es mal wieder beinahe<br />

geschafft. Es dämmert bereits, als<br />

sie den Container in der Norderstraße<br />

verlassen, in dem die Caritas ärztliche<br />

Sprechstunden für Obdachlose anbietet.<br />

Kälte schlägt den beiden entgegen.<br />

Mit großen Schritten gehen sie Richtung<br />

Hauptbahnhof, „nach ein paar<br />

Freunden gucken“, wie Conny sagt.<br />

Eine knappe Stunde müssen sie noch<br />

totschlagen, bevor das Winternotprogramm<br />

seine Türen öffnet, bald sieben<br />

Stunden sind sie schon unterwegs.<br />

Haben morgens gegen halb zehn die<br />

Unterkunft verlassen, Post abgeholt im<br />

„Herz As“ und etwas Warmes gegessen<br />

9<br />

800 zusätzliche Betten für Obdachlose<br />

stellt die Stadt diesen Winter zur Verfügung,<br />

bei Bedarf können es noch mehr<br />

werden. 100 Plätze bieten die begehrten<br />

Wohncontainer. Bis zu 400 Betten<br />

stehen wie in den vergangenen Jahren<br />

in einem ehemaligen Bürogebäude in<br />

der Friesenstraße in Hammerbrook.<br />

Hinzu kommen 300 Plätze in einem<br />

ehe maligen Hotel in der Halskestraße<br />

in Billbrook. Obdachlose, die dort untergekommen<br />

sind, sparen nicht mit<br />

Lob. „Viel besser als die Friesenstraße!“,<br />

sagt etwa Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer<br />

Daniel, der den Vergleich aus eigener<br />

Erfahrung ziehen kann. Doppelzimmer<br />

mit eigener Dusche und Toilette, Fernsehen,<br />

Internet und gutes Essen: Mit<br />

dem Haus in der Halskestraße hat die<br />

Stadt zweifellos einen neuen Standard<br />

geschaffen. Sogar Einzelzimmer gibt es<br />

hier für besonders belastete Menschen.<br />

Nur wenige müssen<br />

nicht raus<br />

Das klingt beinahe wie ein Leben in einem<br />

richtigen Hotel. Doch gibt es einen<br />

entscheidenden Unterschied: Auch hier<br />

müssen die Menschen wie in der


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>347</strong>/JANUAR <strong>2022</strong><br />

Conny (links) und Ronny schlagen<br />

die Zeit tot, bis das Winternotprogramm<br />

um 17 Uhr öffnet. Unten: Robert vor<br />

seinem Wohncontainer<br />

nicht zu denken. Duschen und Toiletten<br />

seien manchmal so dreckig, dass sie sie<br />

nicht benutzen mögen. Und Hilfe von<br />

den Sozialarbeiter:innen zu bekommen<br />

sei nicht einfach, weil die nicht immer<br />

zu sprechen seien und morgens die<br />

Wachleute drängen würden, die Unterkunft<br />

zu verlassen. Eine Tagesöffnung<br />

wünschen sich beide, „gerade bei dieser<br />

Kälte“, sagt Conny.<br />

Friesenstraße die Unterkunft verlassen<br />

und werden erst ab 17 Uhr wieder reingelassen.<br />

Nur für sehr kranke Obdachlose<br />

gibt es Ausnahmen. Nach welchen<br />

Gesetzen die wohl gemacht werden?<br />

Wer sich morgens vor die Friesenstraße<br />

stellt, sieht jedenfalls Menschen, die<br />

sich nur mithilfe von Rollatoren oder<br />

Krücken durch die Kälte schleppen,<br />

mit viel zu dünnen Kleidern am Leib.<br />

Viele husten bemitleidenswert. Und<br />

nur wenige erwecken den Eindruck, sie<br />

könnten ihr Schicksal wieder selbst in<br />

die Hand nehmen.<br />

Seit Jahren streiten Wohlfahrtsverbände<br />

und Hinz&<strong>Kunzt</strong> für eine Tagesöffnung<br />

des Winternotprogramms – vergeblich.<br />

Die Stadt verweist darauf, dass die<br />

Unterkünfte gesäubert werden müssten.<br />

Und dass die Obdachlosen „ihre Tagesstruktur<br />

aufrechterhalten“ sollen. Laut<br />

Sozialsenatorin Melanie Leonhard<br />

(SPD) geht es für sie darum, „zur Ruhe<br />

zu kommen und bei Bedarf mit fremder<br />

Hilfe die eigenen Optionen durchzugehen“.<br />

Für Conny und Ronny dürften<br />

die schönen Worte wie Hohn klingen:<br />

An Ruhe sei in einem Dreibettzimmer<br />

10<br />

Ein Wohncontainer<br />

bedeutet Ruhe<br />

Einige Kilometer weiter, auf dem Gelände<br />

der Stiftung Rauhes Haus in<br />

Horn, kümmern sich Student:innen<br />

ehrenamtlich um Obdachlose. Robert<br />

gehört zu den rund 100 Menschen, die<br />

den Winter in einem eigenen Wohncontainer<br />

verbringen können – nachts<br />

und wenn er möchte auch tagsüber.<br />

„Ich habe Glück gehabt“, sagt der<br />

49-Jährige. „Hier habe ich meine Ruhe.“<br />

Auch wenn Robert gerne und viel<br />

lacht: Er durchlebt eine Zeit der Trauer.<br />

Zwei Monate ist es her, dass sein älterer<br />

Bruder Andrzej gestorben ist, auf der<br />

Straße mitten in Hamburg. Am Morgen<br />

des 14. Oktober findet eine Passantin<br />

den Bruder leblos vor einem Geschäftshaus<br />

in der Osterstraße auf. Ein<br />

Rettungswagen bringt ihn ins Krankenhaus.<br />

Dort können Ärzte nur noch den<br />

Tod feststellen. Andrzej ist einer von<br />

mindestens 29 Menschen, die vergangenes<br />

Jahr in Hamburg auf der Straße<br />

verstorben sind – so viele wie nie zuvor.<br />

Laut letzter offizieller Zählung<br />

leben rund 2000 Obdachlose auf<br />

Hamburgs Straßen. Selbst der Senat<br />

geht avon aus, dass die Zahl seitdem<br />

gewachsen ist. Mehr als 3000 unterschiedliche<br />

Menschen nutzten in vergangenen<br />

Wintern das Notprogramm<br />

der Stadt – manche sporadisch, manche<br />

jeden Tag. Warum diesen Winter<br />

bislang vergleichsweise wenige Obdachlose<br />

die Unterkünfte aufsuchten,<br />

will der städtische Unterkunftsbetreiber<br />

Fördern&Wohnen erst im Frühjahr erklären,<br />

wenn das Programm ausgewertet<br />

wird (siehe Info-Kasten). Fest steht:


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Stadtgespräch<br />

Bei Redaktionsschluss Mitte Dezember<br />

verbrachten im Schnitt nicht einmal<br />

500 Obdachlose die Nacht in einer der<br />

der Großunterkünfte. Mit anderen<br />

Worten: Die Mehrzahl der Menschen<br />

schläft weiterhin draußen.<br />

Wie Viktor<br />

draußen überlebt<br />

Viktor sitzt auf einer dünnen, zerschlissenen<br />

Wolldecke vor einer Bankfiliale in<br />

Winterhude. In einer Plastiktüte trägt er<br />

Kleidungsstücke mit sich, im Rucksack<br />

eine Handvoll „Hinz&<strong>Kunzt</strong>“-Magazine.<br />

Wenn er Glück hat, erzählt der<br />

„Im Wohncontainer<br />

habe<br />

ich meine Ruhe.“<br />

ROBERT<br />

45-Jährige, kann er ein paar Stunden<br />

ungestört im beheizten Vorraum der<br />

Bank schlafen. Hat er Pech und der<br />

Sicherheitsdienst kommt auf Kontrolltour<br />

vorbei, verbringt er die Nacht<br />

draußen unter dem Vordach. Einmal<br />

habe er im Winternotprogramm<br />

geschlafen, erzählt Viktor, wenige Tage<br />

sei das her. Da hatte eine Passantin den<br />

Kältebus gerufen, und der fuhr ihn in<br />

die Friesenstraße. Doch die erste Nacht<br />

in der Notunterkunft war auch die<br />

letzte: Zu voll war es ihm dort. „Zu dritt<br />

in einem Zimmer kann ich nicht zur<br />

Ruhe kommen“, sagt Viktor. „Alleine<br />

wäre besser.“ Weil er Angst hatte, dass<br />

er bestohlen wird, habe er nicht mal die<br />

Gelegenheit genutzt und geduscht.<br />

Von der neuen Unterkunft in der<br />

Halskestraße, die so gut sein soll, hat Viktor<br />

noch nichts gehört. Vielleicht werde<br />

er mal hinfahren und versuchen, dort einen<br />

Schlafplatz zu ergattern, sagt er. Der<br />

zweifelnde Ton in seiner Stimme verrät:<br />

Ob er das schaffen wird, ist ungewiss.<br />

Ronnys Kampf um<br />

eine Zukunft<br />

Zwei Tage später, ein Samstagmorgen.<br />

Ronny kommt an diesem Tag ohne<br />

Conny aus der Unterkunft in der Friesenstraße.<br />

„Sie ist seit gestern Abend<br />

in Quarantäne.“ Corona-Verdacht.<br />

Ronnys Gedanken drehen sich aber<br />

vor allem um seine Lebenspartnerin:<br />

Schweren Herzens habe er sie nach<br />

dem Verlust der gemeinsamen Wohnung<br />

in einem Pflegeheim zurückgelassen,<br />

in Bremerhaven, der Stadt, aus der<br />

er kommt. Wie kann er sie nach Hamburg<br />

holen? Wo könnten sie leben? Die<br />

Friesenstraße sei kein Ort für sie, sagt<br />

er. Doch wie soll er an eine Wohnung<br />

kommen? Ronny will sich zunächst<br />

offiziell obdachlos melden. Ohne<br />

Papiere könne er keinen Hartz-IV-Antrag<br />

stellen, habe ihm ein Sozialarbeiter<br />

in der Friesenstraße gesagt. Im ersten<br />

Anlauf ist der Obdachlose gescheitert:<br />

Ein Security-Mitarbeiter habe ihn<br />

schon an der Tür des Bezirksamts ab gewiesen,<br />

erzählt Ronny. Montag will er<br />

es erneut versuchen. •<br />

ulrich.jonas@hinzundkunzt.de<br />

Bewertung erst im Frühjahr<br />

„Die Auslastung des Winternotprogramms<br />

werden wir erst nach dessen<br />

Abschluss bewerten.“ Das sagt<br />

der städtische Unterkunftsbetreiber<br />

Fördern&Wohnen auf Nachfragen von<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Eine Erklärung für die im<br />

Vergleich zum Vorjahr geringe Auslastung<br />

des Programms ist somit erst in<br />

einigen Monaten zu erwarten. Bemerkenswert:<br />

Sogar im ehemaligen Hotel in<br />

der Halskestraße waren Mitte Dezember<br />

laut F&W sowohl Doppel- als auch Einzelzimmer<br />

frei – und das bei nächtlichen<br />

Temperaturen um den Gefrierpunkt.<br />

Auch zur Zahl der Beratungsgespräche<br />

will sich F&W erst im Frühjahr äußern.<br />

Laut Betreiber gibt es in den beiden<br />

Großunterkünften des Notprogramms<br />

je acht Sozialarbeiter:innen, außerdem<br />

17 (Friesenstraße) bzw. 14 (Halskestraße)<br />

Wachleute. UJO<br />

Kommt von der Elbe.<br />

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Zahlen des Monats<br />

Arbeitsmarkt<br />

Minijobs verdrängen<br />

reguläre Arbeit<br />

500.000<br />

sozialversicherungspflichtige Jobs könnten bundesweit allein in Kleinbetrieben entstehen,<br />

wenn es keine Minijobs gäbe. Das ist das Ergebnis einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und<br />

Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB). Nach Angaben der Forschenden ersetzt<br />

ein Minijob im Schnitt eine halbe reguläre Stelle. Eine Brücke in eine sozialversicherungspflichtige<br />

Beschäftigung biete das prekäre Arbeitsmodell selten, so IAB-Forscher Matthias Collischon:<br />

„Beschäftigte verbleiben oft im Niedriglohnsegment und arbeiten in vielen Fällen<br />

unterhalb ihres Qualifikationsniveaus.“<br />

Bundesweit gingen im September gut 6,5 Millionen Menschen in Deutschland einem<br />

Minijob nach (aktuellere Zahlen liegen nicht vor, Red.). Das sind nahezu so viele wie vor der<br />

Coronakrise (gut 7 Millionen). Unter der neuen Ampel-Regierung dürfte die Zahl der geringfügig<br />

Beschäftigten sogar noch steigen: Mit der Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro soll die<br />

Einkommensgrenze für Geringverdienende von 450 auf 520 Euro erhöht werden.<br />

Minijobs sind bei Unternehmen aus mehreren Gründen beliebt: Sie müssen für geringfügig<br />

Beschäftigte wenig Sozialabgaben zahlen. Zudem lässt sich das Recht auf Urlaub und Lohnfortzahlung<br />

bei Krankheit leicht unterlaufen. Auch manche Minijobbende halten es für einen Vorteil,<br />

dass sie nicht in die Rentenversicherung einzahlen müssen. Die Nachteile erfahren sie später,<br />

etwa beim Blick auf den Rentenbescheid. Dazu der Münchner Volkswirtschaftler Andreas Peichl:<br />

„Wer nicht auf andere Art vorgesorgt hat, dem droht im Alter die Armut.“<br />

Wie unsicher Minijobs sind, zeigt die Coronakrise. In deren Verlauf haben viele geringfügig<br />

Beschäftigte ihre Arbeit verloren. Dass ihr Status mit dem von regulär Angestellten nicht vergleichbar<br />

ist, hat jüngst das Bundesarbeitsgericht in einem Urteil bestätigt: Es entschied, dass einer<br />

Minijobberin kein Lohn zusteht, wenn ihr Arbeitgeber plötzlich keine Verwendung mehr für sie<br />

hat. Im konkreten Fall hatte die Beschäftigte eines Nähladens geklagt, der aufgrund der Coronapandemie<br />

vorübergehend hatte schließen müssen. Da geringfügig Beschäftigte auch keinen<br />

Anspruch auf Kurzarbeitergeld haben, beklagten nun auch die höchsten deutschen<br />

Arbeitsrichter:innen „Lücken in dem sozialversicherungspflichtigen Regelungssystem“. •<br />

TEXT: ULRICH JONAS<br />

ILLUSTRATION: ESTHER CZAYA<br />

Mehr Infos unter: www.minijob-zentrale.de<br />

13


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>347</strong>/JANUAR <strong>2022</strong><br />

Sarah-Lee Heinrich<br />

wuchs bei ihrer alleinerziehenden<br />

Mutter auf,<br />

die Hartz IV bekam.<br />

Fridays for Future<br />

fürs Soziale<br />

Hartz-IV-Reform, Kindergrundsicherung, Sozialwohnungen:<br />

Die Ampel-Koalition hat sich Verbesserungen für arme Menschen<br />

vorgenommen. Warum das der Grünen Jugend nicht reicht und wieso<br />

sie dem Koalitionsvertrag trotzdem zugestimmt hat, erklärt<br />

Bundessprecherin Sarah-Lee Heinrich (20) im Interview.<br />

INTERVIEW: BENJAMIN LAUFER<br />

14


Stadtgespräch<br />

WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

FOTO: BERND ARNOLD/VISUM<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Die Grüne Jugend hat den<br />

Koalitionsvertrag vor allem im Bereich<br />

Sozialpolitik als unzureichend kritisiert.<br />

Dabei wird etwa der Mindestlohn<br />

auf 12 Euro erhöht und der soziale<br />

Wohnungsbau soll massiv ausgebaut<br />

werden. Das sind zwei handfeste<br />

sozialpolitische Fortschritte, die die<br />

SPD reinverhandelt hat. Nörgeln Sie<br />

da nicht auf hohem Niveau?<br />

Sarah-Lee Heinrich: Es ist total wichtig,<br />

dass der Mindestlohn angehoben wird,<br />

aber es gehört mehr dazu, wenn man<br />

verhindern will, dass Menschen in den<br />

Niedriglohnsektor abrutschen. Die<br />

Mietpreisbremse wird leicht verschärft,<br />

aber das wird der Situation in den Ballungszentren<br />

nicht gerecht. Und ja, es<br />

gibt Fortschritte bei Hartz IV, aber die<br />

Menschen werden weiterhin unterhalb<br />

des Existenzminimums leben müssen,<br />

weil die Regelsätze nicht angehoben<br />

werden. Ich finde, es ist kein Meckern<br />

auf hohem Niveau, wenn man den Anspruch<br />

hat, dass alle Menschen frei von<br />

Armut gut leben können sollen.<br />

Immerhin sollen Hartz-IV-Sanktionen<br />

zunächst für ein Jahr ausgesetzt und<br />

Zahlungen für die Miete gar nicht mehr<br />

gekürzt werden. Das macht vielen das<br />

Leben leichter.<br />

Ja, auf jeden Fall! Es soll sich auch die<br />

Art und Weise der Arbeitsvermittlung<br />

ändern. Wenn Menschen in einer Weiterbildung<br />

sind, sollen sie da nicht<br />

mehr rausgezwungen werden, um einen<br />

schlechten Job anzunehmen. Es<br />

scheint darauf hinauszulaufen, dass<br />

man nicht mehr dafür sanktioniert<br />

wird, wenn man einen Minijob nicht<br />

annehmen möchte. Bislang ist Hartz<br />

IV wie eine Pipeline in den Niedriglohnsektor,<br />

das würde natürlich eine<br />

Menge ändern. Aber ich versuche, unsere<br />

Grundsicherung nicht daran zu<br />

messen, wie sie war, sondern wie sie<br />

sein müsste.<br />

„Alle Menschen<br />

sollen frei von<br />

Armut gut leben<br />

können.“<br />

Dass der Hartz-IV-Regelsatz nicht<br />

erhöht werden soll, breche Ihnen persönlich<br />

das Herz, haben Sie getwittert.<br />

Das sei „menschenunwürdig“. Und<br />

trotzdem konnten Sie ihren Mitgliedern<br />

die Zustimmung zum Koalitionsvertrag<br />

guten Gewissens empfehlen?<br />

Ehrlich gesagt haben wir sehr gehadert.<br />

Man muss für sich klären, was es bedeutet,<br />

einem Koalitionsvertrag zuzustimmen.<br />

Bedeutet es, die Inhalte zu teilen<br />

oder bedeutet es, okay damit zu sein,<br />

dass die Koalition ihre Arbeit aufnimmt?<br />

Wir haben uns natürlich auch<br />

gefragt, ob eine Neuverhandlung realistisch<br />

ist oder es sogar Neuwahlen geben<br />

könnte. Aber in Zeiten einer neuen<br />

Coronawelle, in der sich zudem an den<br />

Mehrheiten nichts geändert hat, haben<br />

wir die Bedingungen für eine Ablehnung<br />

nicht gesehen. Und uns zu<br />

enthalten, hätten wir feige gefunden.<br />

Sie sind selbst bei Ihrer alleinerziehenden<br />

Mutter aufgewachsen, die Hartz IV<br />

bekam. Was hätte die Sarah-Lee von<br />

vor fünf Jahren zu dieser strategischen<br />

Entscheidung gesagt?<br />

Die Sarah-Lee von vor fünf Jahren war<br />

noch nicht verantwortlich für einen<br />

Verband mit über 18.000 Mitgliedern<br />

und musste damit noch keine Entscheidungen<br />

mit derartigen Konsequenzen<br />

treffen. Ich will mich aber nicht rausreden.<br />

Politische Verantwortung zu<br />

tragen, bedeutet für mich, sich zu fragen,<br />

wie wir in die Situation gekommen<br />

sind, dass wir uns nicht durchsetzen<br />

konnten. Es ist jetzt die Aufgabe der politischen<br />

Linken, dafür zu sorgen, dass<br />

wir das nächste Mal besser aufgestellt<br />

sind, um das Ganze durchkämpfen zu<br />

können. Natürlich ist das eine politische<br />

Niederlage und ich kann auch nicht sagen,<br />

dass mich das kaltlässt. Ich habe<br />

auch mit meiner Mutter darüber geredet,<br />

das war total schwierig für mich.<br />

Und was sagt sie dazu?<br />

Dass sie es versteht. Sie freut sich über<br />

die Veränderungen, die kommen<br />

sollen. Sie weiß, dass es mir ernst ist<br />

und ich keine Karriereambitionen bei<br />

den Grünen habe, die mich zu einer<br />

Zustimmung bringen würden, sondern<br />

dass ich alles dafür tun werde, damit in<br />

Zukunft niemand mehr in Hartz IV<br />

leben muss.<br />

Wie haben Sie es erlebt, mit Hartz IV<br />

aufzuwachsen?<br />

Wenn ich zurückdenke, fällt mir als<br />

Erstes die Unsicherheit ein. Nicht zu<br />

wissen, wie der nächste Monat aussieht,<br />

was passiert, wenn die Waschmaschine<br />

kaputtgeht oder ob ich mir überhaupt<br />

einen Winterpulli leisten kann. Sich zu<br />

fragen: Werde ich als Erwachsene auch<br />

in Armut leben müssen? Kann ich<br />

überhaupt so große Träume haben wie<br />

andere junge Menschen? Ich erinnere<br />

mich an sehr viel Scham und Angst<br />

davor, dass andere es herausfinden und<br />

mich für eine Sozialschmarotzerin<br />

halten. Es heißt ja: „Jeder ist seines<br />

eigenen Glückes Schmied.“ Umgekehrt<br />

bedeutet das, dass man es selbst<br />

verkackt hat, wenn man es nicht<br />

geschafft hat. Deswegen habe ich oft<br />

gedacht, dass Mama und ich schuld<br />

sind und auch mit ihr darüber gestritten.<br />

Das war sehr schlecht für mein<br />

eigenes Selbstwertgefühl.<br />

15


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>347</strong>/JANUAR <strong>2022</strong><br />

Zusammen mit<br />

Timon Dzienus vertritt<br />

Sarah-Lee Heinrich<br />

die Positionen der<br />

Grünen Jugend in der<br />

Öffentlichkeit.<br />

Wann haben Sie verstanden, dass<br />

Armut kein individuelles Problem ist?<br />

Das erste Mal gedämmert hat es mir im<br />

Politikunterricht, als wir über die Agendareform<br />

gesprochen haben. Da ist mir<br />

klar geworden, dass Hartz IV mal von<br />

jemandem eingeführt wurde und auch<br />

wieder abgeschafft werden könnte. Damals<br />

habe ich verstanden, dass man<br />

auch eine andere politische Entscheidung<br />

treffen könnte, wenn man genug<br />

Menschen findet, die sich dafür einsetzen.<br />

Dann habe ich von den Hartz-IV-<br />

Protesten gehört. Dadurch ist in mir<br />

sehr stark das Bedürfnis hochgekommen,<br />

dafür zu kämpfen, dass Hartz IV<br />

abgeschafft wird.<br />

Immerhin wird es jetzt reformiert.<br />

Außerdem will die Ampel eine Kindergrundsicherung<br />

einführen. Das fordern<br />

Sozialverbände und Gewerkschaften<br />

schon lange, um Kinder aus der Armut<br />

zu holen. Sie fordern auch, dass diese<br />

Grundsicherung deutlich über den<br />

bisherigen Hartz-IV-Sätzen für Kinder<br />

liegen muss. Das steht allerdings nicht<br />

im Koalitionsvertrag.<br />

Die drei Koalitionspartner haben sehr<br />

unterschiedliche Vorstellungen davon,<br />

wie hoch das Existenzminimum ist.<br />

Wenn sich andere Parteien dagegen<br />

sperren, die Kindergrundsicherung<br />

existenzsichernd auszurichten, sollen<br />

die sich dafür öffentlich rechtfertigen.<br />

Die Finanzierungsfrage ist auch noch<br />

ungeklärt. Man hat sich dazu entschieden,<br />

sehr wohlhabende Menschen nicht<br />

stärker am Gemeinwohl zu beteiligen<br />

und klar kommt jetzt die Frage auf:<br />

Wer soll das denn bezahlen?<br />

16<br />

Es wird auch ein „Nationaler Aktionsplan“<br />

zur Überwindung der Obdachlosigkeit<br />

bis 2030 versprochen, den die<br />

Grünen im Wahlprogramm gefordert<br />

hatten. Das klingt toll. Wie das allerdings<br />

geschafft werden soll, dazu steht<br />

nicht viel im Vertrag …<br />

Auch Obdachlosigkeit ist eine materielle<br />

Frage. Wie soll man das ohne finanzielle<br />

Mittel lösen? Es wäre fatal zu sagen:<br />

Dafür haben wir jetzt kein Geld. Aber<br />

auch bei dieser Frage mache ich mir<br />

Sorgen.<br />

FOTOS: PICTURE ALLIANCE/DPA/DPA-ZENTRALBILD/BODO SCHACKOW


Stadtgespräch<br />

Kanzler Scholz hat die unkonkreten Formulierungen<br />

im Koalitionsvertrag verteidigt und einen diskursiven<br />

Führungsstil angekündigt. Er möchte also, dass<br />

über die Umsetzung des Vertrags viel diskutiert wird.<br />

Sehen Sie das als Chance für die Grüne Jugend,<br />

Einfluss zu nehmen?<br />

Ja! Das ist unsere Rolle als Grüne Jugend! Wir<br />

Bundessprecher:innen sind bewusst nicht ins Parlament<br />

gegangen, weil wir glauben, dass es Druck von<br />

unten braucht, um etwas zu verändern. Es ist zentral,<br />

dass wir starke soziale Bewegungen aufbauen,<br />

die diesen Druck ausüben können, wenn es so weit<br />

ist. Fridays for Future hat es vorgemacht. In den<br />

sozialen Fragen sind wir da noch nicht so stark.<br />

Warum nicht?<br />

Den Menschen, die in Armut leben, wurde ganz<br />

lange gesagt, dass sie an ihrem Problem selbst schuld<br />

sind. Gegen ein Problem, dass ich selbst verschuldet<br />

habe, melde ich natürlich keine Demo an.<br />

„Wir müssen starke<br />

soziale Bewegungen<br />

aufbauen, die Druck<br />

ausüben können.“<br />

CLOSE-UP<br />

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Selbst an den Protesten gegen die Einführung<br />

von Hartz IV haben sich damals überwiegend<br />

gutsituierte und gebildete Menschen beteiligt.<br />

Die Menschen sind auch krass enttäuscht, weil die<br />

letzte „linke“ Regierung ihnen Hartz IV eingebrockt<br />

hat. Ich weiß das aus meinem eigenen Haushalt. Sie<br />

haben das Vertrauen verloren, dass Politik ihr Leben<br />

positiv verändern kann. Sie zu mobilisieren schafft<br />

man nur durch vertrauensbildende, jahrelange<br />

Arbeit von unten. Auf der anderen Seite verstehen<br />

viele Menschen nicht, dass sie nicht nur protestieren<br />

sollten, weil ihnen die Menschen im Niedriglohnsektor<br />

leidtun, sondern weil sie nur eine Kündigung<br />

davon entfernt sind, selbst dort zu landen. Erst, wenn<br />

genügend Menschen sich selbst betroffen davon<br />

fühlen, wird es eine starke Bewegung geben. Das ist<br />

Handarbeit und jetzt unsere Aufgabe. •<br />

Benjamin Laufer hat schon in der Uni<br />

erforscht, wieso vor allem Priviligierte sich<br />

für ihre Interessen einsetzen und dafür<br />

protestieren. Gut, wenn sich das ändert.<br />

benjamin.laufer@hinzundkunzt.de<br />

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17


Verbrannte Landschaften: Unter Jharia<br />

(Indien) lagern viele Millionen Tonnen<br />

Kohle. Die Tagebaugebiete sind dicht<br />

besiedelt. Viele Menschen leben in<br />

dem brennenden Gebiet. Land flächen<br />

sinken ab, Häuser stürzen ein.


„Wie eine<br />

Suchtgemeinschaft“<br />

Der Fotograf Robin Hinsch dokumentiert die Förderung fossiler<br />

Brennstoffe. In schockierender Schönheit offenbaren seine Bilder,<br />

wie der weltweite Energiehunger Lebensgrundlagen zerstört.<br />

TEXT: ANNETTE WOYWODE


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Fotoreportage<br />

Ein großer Teil der Nigerianer:innen hat keinen Zugang zur Stromversorgung. Währenddessen werden<br />

im Nigerdelta jährlich Milliarden Kubikmeter kostbares „Ölbegleitgas“ abgefackelt (links und ganz oben).<br />

Was enorme Luftverschmutzung und sauren Regen verursacht, könnte ebensogut Brennstoff<br />

für Kraftwerke sein. Ese Awolowo (links) nutzt die Gasflamme, um aus geraspeltem Maniok Chips<br />

zu backen, die sie dann auf dem Markt verkauft. Unten: Durch die vielen Ölunfälle sind die Böden im<br />

Nigerdelta unfruchtbar geworden, die Gewässer sind verunreinigt, das Grundwasser ist vergiftet.<br />

21


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Fotoreportage<br />

Suhani Kumari (oben) lebt im indischen Jharia zusammen mit ihrer Familie. Pausenlos steigt dort<br />

giftiger Rauch aus den Erdspalten, die der Tagebau aufreißt. Viele Kinder müssen in den Kohleminen<br />

arbeiten, da Armut und Perspektivlosigkeit keine andere Wahl lassen. Auch die 14-Jährige.<br />

Die Kohlenfeuer von Jharia gelten mittlerweile als weltweite ökologische Katastrophe.<br />

Die gesundheit lichen Schäden sind enorm. Lungen- und Hauterkrankungen, Krebs und Magenbeschwerden<br />

sind nur einige der Krankheiten, mit denen Mensch und Tier dort zu kämpfen haben.<br />

N<br />

o wahala“ – in der westafrikanischen Sprache<br />

Yoruba ist das ein geflügeltes Wort. Es bedeutet<br />

so viel wie „Kein Problem“, „Keine Sorge“ oder<br />

„Das schaffen wir schon“. Als Robin Hinsch im<br />

Juni 2019 in Nigeria ankommt, um an einem Fotoprojekt zu<br />

arbeiten, hört er die Redewendung zunächst überall. Je weiter<br />

er ins Nigerdelta reist, um so mehr ändert sich das. In dem<br />

Mangroven labyrinth mit seinen wenigen Straßen, aber vielen<br />

Wasser armen, ist das Fortkommen zunehmend kompliziert<br />

und gefährlich. Vor allem eines wird immer sichtbarer: die<br />

Umweltkatastrophe, entstanden durch die Ölförderung<br />

einheimischer und internationaler Ölkonzerne wie Shell.<br />

Die Menschen, die der Fotograf im Nigerdelta trifft, sagen<br />

viel seltener „No wahala“. „In ihren Erzählungen hieß es<br />

immer öfter nur noch ,wahala‘“, sagt Robin Hinsch. Sprich:<br />

Es gibt ein Problem.<br />

Wahala – so lautet heute der Titel der Fotostrecke, an der<br />

Robin Hinsch damals zu arbeiten begann. Für seine Bilder<br />

reiste er nicht nur nach Nigeria, sondern im selben Jahr auch<br />

in Kohleabbaugebiete in Indien und Deutschland. Das<br />

Ziel des 34-Jährigen: den Produktionsbedingungen der<br />

weltweiten Förderung fossiler Brennstoffe nachspüren.<br />

Entstanden sind eindrucksvolle Bilder, die die ungehemmte<br />

Ausbeutung dieser Rohstoffe zeigen – und die verdeutlichen,<br />

wie sie den Menschen vor Ort schadet.<br />

Zurück nach Nigeria: Schon seit den 1950er-Jahren wird<br />

im Nigerdelta Öl gefördert. Seitdem gehören schwere Unfälle<br />

dort zum Alltag. Zuletzt berichteten Medien im November<br />

2021 über ein großes Ölleck. Auf seiner Reise sah Robin<br />

Hinsch verunreinigte Böden und verseuchte Flussläufe. Er<br />

sah Öllecks an Pipelines, die als Folge von Missmanagement<br />

entstanden waren. Oder weil Menschen die Leitungen ange-<br />

23


Im Frühjahr 2020 stimmte die damalige Regierung der Bundesrepublik Deutschland für den<br />

sogenannten „Kohleausstieg“ bis 2038. Die neue Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP<br />

erwägt, den Ausstieg um acht Jahre vorzuziehen. Deutsche Kohlekraftwerke wie das Kraftwerk<br />

„Schwarze Pumpe“ in der Lausitz gehören zu den größten CO 2<br />

-Produzenten Europas.<br />

zapft haben, um vom privaten Verkauf des Rohstoffs zu<br />

leben. Er fotografierte auch Menschen, die dieses Risiko<br />

eingehen. „Zum Teil sind das Hochdruckleitungen, weshalb<br />

immer wieder schwere Unfälle passieren“, erzählt Hinsch.<br />

Aber nur so, sagten ihm die Menschen, könnten sie überleben.<br />

Andere Verdienstmöglichkeiten gebe es nicht.<br />

Das wiederum rufe auch Banden auf den Plan, die im<br />

großen Stil illegal Leitungen anzapfen. Oder politische<br />

Gruppierungen, die Bohrlöcher sabotieren, um die Ölförderung<br />

für ausländische Konzerne unwirtschaftlich zu machen.<br />

Denn: „Das meiste nigerianische Öl geht nach Europa und<br />

sichert hier den Wohlstand“, sagt Hinsch. „Den Menschen<br />

vor Ort bleibt nichts, außer der zerstörten Natur.“<br />

Auch in Indien erlebte Robin Hinsch eine ungeheure<br />

Umweltvernichtung. Für sein Fotoprojekt reiste er nach<br />

Jharia im ostindischen Bundesstaat Jharkhand. Die Kohle-<br />

Tagebaugebiete dort nennt er „gigantisch“. Mit enormer Geschwindigkeit<br />

fressen sich die Bagger durch die Landschaft.<br />

Siedlungen werden zerstört und Menschen vertrieben. Denn<br />

Indiens Wirtschaft will wachsen. Die Regierung setzt auch<br />

und gerade seit Corona weiter auf diesen Energieträger.<br />

Das Hauptproblem: Überall in Jharia brennen umweltschädliche<br />

Kohlefeuer und das seit mehr als 100 Jahren. Ende<br />

des 19. Jahrhunderts hatte in Indien unter den britischen Kolonialherren<br />

der Kohleabbau begonnen. Vermutlich wurden<br />

schon damals Gruben nicht richtig verschlossen. Kommt Kohle<br />

aber mit Sauerstoff in Berührung, kann sie sich entzünden.<br />

In Jharia brennt und schwelt es überall: unter- und überirdisch.<br />

Rauch und giftige Gase verpesten die Luft und lassen<br />

die Vegetation absterben. Wo es aussieht wie auf einem qualmend-glühenden<br />

Mond, arbeiten aber Menschen. Manche<br />

leben direkt neben den Abbruchkanten. „Weil sie nichts<br />

24


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Fotoreportage<br />

anderes kennen“, sagt Robin Hinsch. Sie hätten auch keine<br />

Wahl. „Man will eigentlich weg, aber muss bleiben und in<br />

einer riesigen heißen Smogwolke leben.“ So wie die Familie<br />

von Suhani Kumari (siehe Foto S. 23). Die 14-Jährige sammelt<br />

morgens vor der Schule gezwungenermaßen „illegal“ Kohle<br />

aus der Grube. Damit hilft sie, den Lebensunterhalt ihrer<br />

Familie zu sichern.<br />

Ewiges Wachstum ist<br />

ein nicht einzuhaltendes<br />

Versprechen.<br />

Was haben solche Szenen mit Deutschland zu tun? Robin<br />

Hinsch sieht Parallelen: Auch in Deutschland gehe der<br />

Kohleabbau weiter, obwohl die klimaschädigenden Auswirkungen<br />

der Kohleverstromung längst bewiesen sind.<br />

„Es ist wie bei einer Suchtgemeinschaft. Alle wissen, es ist<br />

schädlich, und trotzdem rauchen wir gemeinsam weiter“,<br />

sagt er. Hinsch besuchte Tagebaugebiete in der Lausitz<br />

und Orte wie Lützerath und das Hambacher Loch im<br />

rheinischen Braunkohlerevier. Seine Bilder zeigen verlassene<br />

Häuser und weite zerstörte Landstriche.<br />

Im Gegensatz zu Nigeria und größtenteils Indien werden<br />

die Menschen in Deutschland nicht ohne Entschädigung vertrieben.<br />

Sie werden umgesiedelt und erhalten einen finanziellen<br />

Ausgleich für ihre Häuser. Es muss in Deutschland – wie<br />

Robin Hinsch es formuliert – „niemand bis zum Hals in Öl<br />

leben“. Trotzdem zieht der Fotograf mit „Wahala“ ein<br />

länderübergreifendes Fazit: Die Zerstörung der Umwelt mit<br />

der Förderung fossiler Brennstoffe sei immer mit Gewalt<br />

gegen Mensch und Natur verbunden. Die Folgen unseres<br />

Energiehungers zeigten, dass ewiges Wachstum ein nicht<br />

einzulösendes Versprechen sei. „Würden alle Inder:innen<br />

so leben wollen wie Europäer:innen, wir bräuchten drei<br />

Welten, um die Energienachfrage zu decken“, sagt Hinsch.<br />

Alle zum Verzicht zu drängen, während Europa weiter<br />

seinen verschwenderischen Lebensstil pflegt: „Das ist unfair.<br />

Es muss eine gemeinsame Lösung her.“ •<br />

annette.woywode@hinzundkunzt.de<br />

Ausstellung „Wahala“<br />

Fotos von Robin Hinsch aus der Strecke<br />

„Wahala“ sind vom 11. Februar bis 1. Mai <strong>2022</strong><br />

in der Ausstellung „Gute Aussichten –<br />

Junge Deutsche Foto grafie“ zu sehen.<br />

PHOXXI – Haus der Photographie,<br />

Deichtor hallen Hamburg, Deichtorstraße 1–2,<br />

Di–So, 11–18 Uhr, 4–13 Euro, unter 18 Jahren frei.<br />

Mehr Infos über Robin Hinsch unter www.robinhinsch.com<br />

Norbert Winzen (oben) kämpft seit langem gegen den Kohletagebau<br />

in Nordrhein-Westfalen. Trotz des beschlossenen<br />

Ausstieges aus der Kohleenergie hält der Konzern RWE eine<br />

Erweiterung der Tagebaue im rheinischen Revier für zulässig. Für<br />

diese Erweiterungen werden noch immer Dörfer niedergerissen<br />

– das Foto entstand 2020 in Manheim – und Wälder abgeholzt.<br />

25


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>347</strong>/JANUAR <strong>2022</strong><br />

Meldungen<br />

Politik & Soziales<br />

Bezirk Mitte<br />

905 Ausweise für Obdachlose<br />

Von Mai bis Anfang Dezember 2021<br />

haben Obdachlose 905 mal das Angebot<br />

des Bezirks Mitte angenommen,<br />

sich kostenlos einen Personalausweis<br />

ausstellen zu lassen. Im Rahmen<br />

eines Modellprojekts übernimmt<br />

die Bezirksversammlung die Kosten.<br />

Eine wichtige Hilfe, da Obdachlose<br />

oft ihre Unterlagen verlieren. BELA<br />

•<br />

Berlin<br />

Wohnungslose besetzen Haus<br />

In Berlin-Mitte haben Wohnungslose<br />

gemeinsam mit Aktivist:innen ein seit<br />

Jahren leer stehendes Haus kurzzeitig<br />

besetzt. Gegenüber dem RBB stellte<br />

Bezirksbürgermeister Dassel (Grüne)<br />

im Anschluss in Aussicht, dass noch<br />

vor Weihnachten Obdachlose legal in<br />

das Gebäude einziehen dürfen. LG<br />

•<br />

Düsseldorf<br />

Kältetod am Rhein<br />

Düsseldorf hat die wohl ersten Kältetoten<br />

dieses Winters zu beklagen.<br />

Wie das Straßenmagazin „fifty fifty“<br />

berichtet, wurden Horst und Rudolf<br />

Anfang Dezember mit Unterkühlungen<br />

ins Krankenhaus eingeliefert<br />

und sind dort gestorben. Fifty fifty<br />

weist darauf hin, dass für Obdach -<br />

lose bereits bei Temperaturen unter<br />

zehn Grad draußen Lebensgefahr<br />

bestehe: „Uns machen diese Tode<br />

auch deshalb so fassungslos, weil sie<br />

vermeidbar gewesen wären.“ BELA<br />

•<br />

Klimabeirat<br />

Weniger Wohnungsbau trotz Mieten-GAU<br />

Der Klimabeirat der Stadt Hamburg empfiehlt dem Senat, weniger Wohnungen<br />

als geplant zu bauen, um Emissionen einzusparen – obwohl die Mieten so stark<br />

steigen, wie lange nicht mehr. Es seien jährlich nur 5000 statt wie anvisiert 10.000<br />

neue Wohnungen nötig, wenn man von der aktuellen Bevölkerungsprognose<br />

ausgehe. Der tatsächliche Bedarf an Wohnungen gerade für arme Menschen<br />

falle dabei unter den Tisch, kritisiert die Diakonie. Auch die Behörde für Stadtent<br />

wicklung meint, die Prognose entspreche nicht dem Neubaubedarf, der zur<br />

Bedarfs deckung und Entspannung des Wohnungsmarktes erforderlich sei. Den<br />

„weiterhin hohen Nachfragedruck“ sieht sie als eine Ursache für den dramatisch<br />

angestiegenen Mietenspiegel, der im Dezember vorgelegt wurde. Um 7,3 Prozent<br />

sind die Mieten demnach seit der letzten Erhebung im Jahr 2019 gestiegen – so<br />

stark wie seit 20 Jahren nicht mehr, beklagt der Mieterverein zu Hamburg. BELA<br />

•<br />

St. Pauli und Osdorf<br />

Keine Bußgelder trotz Wohnungsleerstand<br />

Gegen den jahrelangen Leerstand eines Hauses in der Detlev-Bremer-Straße auf<br />

St. Pauli haben Anfang Dezember mehrere Initativen unter dem Motto „Wohnzimmer<br />

statt Hotelzimmer“ protestiert. Sie befürchten den Abriss der Wohnungen<br />

und einen Hotelneubau. Das Bezirksamt Mitte bestätigte, dass das Haus seit 2015<br />

leer stehe. Da es saniert werde, sei bislang kein Bußgeld verhängt worden. Der<br />

Eigentümer plane eine Aufstockung des Gebäudes, bei der zusätzliche Hotelzimmer,<br />

aber auch 32 Wohnungen enstehen sollen. Auch die Bundesanstalt für<br />

Immobilienaufgaben (Bima) lässt in Hamburg mehrere Wohnungen leer stehen,<br />

ohne dafür belangt zu werden. Wie das „Hamburger Abendblatt“ berichtet, sind<br />

in der Osdorfer Landstraße und am Grotefendweg vier Wohnungen teilweise seit<br />

2018 leer. Laut Bima sollen sie „grundsaniert“ werden. Das Bezirksamt Altona<br />

bestätigte gegenüber Hinz&<strong>Kunzt</strong>, dass die Bima den Leerstand dort im Sommer<br />

2020 angezeigt habe. Ein Bußgeld sei jedoch nicht verhängt worden. BELA<br />

•<br />

Paritätischer Gesamtverband<br />

Armut trotz Coronahilfen auf neuem Höchststand<br />

In der Coronapandemie ist die Armutsquote in Hamburg auf einen neuen<br />

Höchststand angestiegen. 17,8 Prozent der Menschen in Hamburg zählt der<br />

Paritätische Gesamtverband in seinem Armutsbericht für das Jahr 2020 als arm.<br />

Im Jahr zuvor waren es noch 15 Prozent gewesen. Deutschlandweit stieg die<br />

Armutsquote von 15,9 auf 16,1 Prozent. Die höchste Armutsquote hat das Land<br />

Bremen mit 28,4 Prozent. „Die allgemeinen Folgen der Pandemie trafen Arme<br />

ungleich härter“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes,<br />

Ulrich Schneider. Insbesondere selbstständige Erwerbstätige seien die<br />

Einkommensverlierer:innen der Coronakrise. Hamburgs Paritätischer Wohlfahrtsverband<br />

weist daraufhin, dass Maßnahmen wie das Kurzarbeitergeld<br />

bei Menschen, die bereits in Armut leben, kaum helfen würden. „Ihre Not ist<br />

gewachsen, zum Beispiel durch das Verschwinden von Pfandflaschen aus dem<br />

öffentlichen Raum“, sagt Geschäftsführerin Kristin Alheit. BELA<br />

•<br />

FOTO: DMITRIJ LELTSCHUK<br />

26


Neustart<br />

Anastasia Umrik hat schon viele Krisen gemeistert.<br />

Wie sie aus diesen immer wieder gestärkt hervorging,<br />

erzählt sie ab Seite 28. Mit Krisen beruflicher<br />

Natur kennt sich Andrea Landschof aus. Wann sich<br />

ein echter Neustart lohnt, erklärt die Jobcoachin<br />

im Interview (S. 32). Derweil starten in Wien ehemals<br />

Wohnungslose durch: als Lebensbegleiter:innen<br />

für Menschen in ähnlicher Lage (S. 36).


Kennt sich mit<br />

Krisen aus:<br />

Anastasia Umrik


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Neustart<br />

Von jetzt an radikal<br />

Anastasia Umrik hat ein Buch über Krisen geschrieben<br />

und über Neuanfänge. Davon hat sie selbst einige erlebt.<br />

Wie gelingt es, sein Leben zu ändern?<br />

TEXT: ANNA-ELISA JAKOB<br />

FOTOS: ANDREAS HORNOFF<br />

Die erste Krise, an die sie sich<br />

erinnern kann, erlebte sie mit<br />

sieben Jahren. 1994, ein deutsches<br />

Krankenhaus, ein deutscher Arzt<br />

und sie, das Mädchen, das seine ganze<br />

Kindheit in Kasachstan verbracht hatte<br />

und hier kein Wort verstand. Stattdessen<br />

spürte sie: den wochenlangen<br />

Schmerz, nachdem man sie an der Wirbelsäule<br />

operiert hatte. Um aus ihr ein<br />

„normales Mädchen zu machen“, wie<br />

sie Jahre später zynisch die Hoffnung<br />

ihrer Eltern in jene Operation beschrieb.<br />

Als sie sieben Jahre alt war,<br />

sagte man ihr auch, dass sie mit einer<br />

Krankheit leben werde, die man<br />

„Spinale Muskelatrophie“ nennt und<br />

die ihr im Verlauf ihres Lebens zunehmend<br />

ihre Muskeln nehmen würde.<br />

Damals ließen Schmerz und Unverständnis<br />

sie nur durch das Krankenhaus<br />

brüllen: „Mama, warum hast du mich<br />

nicht vorher umgebracht?“<br />

Nun, kurz vor dem Jahreswechsel<br />

2021/22, empfängt Anastasia Umrik in<br />

ihrem Wohnzimmer. Aus dem Mädchen<br />

ist eine Frau geworden, 34 Jahre<br />

alt, Autorin, Rednerin und Coachin.<br />

Vor dem Fenster liegt das graue Hamburg,<br />

wohingegen drinnen alles strahlt:<br />

die bunten Bilder an den Wänden, die<br />

zwei Blumensträuße, einer auf dem<br />

Tisch und einer in einer Vase auf dem<br />

Parkett. In der Mitte das gelbe Sofa,<br />

auf dem eine Katze thront. Gerade hat<br />

Umrik ein Buch veröffentlicht, das die<br />

Krise feiert – ausgerechnet jetzt, in einer<br />

Zeit, in der Krisen allgegenwärtig<br />

sind (Klima und Corona, nur mal als<br />

Beispiel). „Du bist in einer Krise. Herzlichen<br />

Glückwunsch, jetzt wird alles<br />

besser!“, heißt es. Und dieser Optimismus<br />

bedarf vielleicht doch erstmal<br />

einer Erklärung.<br />

„Eine Krise ist<br />

das Gefühl, sich<br />

gegen den Wandel<br />

zu sträuben.“<br />

ANASTASIA UMRIK<br />

Deshalb die Frage: Sind viele Krisen<br />

nicht einfach nur … Umrik vervollständigt<br />

schnell selbst den Satz: „scheiße?“<br />

Sie lacht. Der Gedanke ist auch ihr<br />

nicht fremd.<br />

Kurz vor dem Interview hatte Umrik<br />

noch auf Twitter gepostet, dass es<br />

manche Tage gebe, die sie am liebsten<br />

„Einfach scheiße!“ nennen würde. Sie<br />

nennt sie dann aber „Immerhin-Tage“.<br />

Immerhin ist noch Kaffee im Schrank,<br />

immerhin regnet es heute mal nicht.<br />

29<br />

Klingt erstmal nach altbekannter Ratgeberliteratur:<br />

positives Mindset, besseres<br />

Leben? Ihr eigenes Buch, sagt<br />

Umrik, habe sie jedenfalls für ihr<br />

jüngeres Ich geschrieben. Und das ist<br />

weniger ein Ratgeber für ein besseres<br />

Leben geworden, sondern eine Analyse<br />

dessen in drei Schritten: Krise, Wandel,<br />

Neubeginn.<br />

Eine Krise beginnt bereits, sagt<br />

Umrik, wenn man abends nicht mehr<br />

wisse, was man am Morgen gefrühstückt<br />

habe. Wenn es sich anfühle, als<br />

lebe man „in einem Nebel, in dem<br />

man sich selbst nicht mehr so richtig<br />

spürt“. Natürlich kann es vorher einschneidende<br />

Momente gegeben haben:<br />

eine Trennung, einen Jobverlust oder<br />

gar den Tod eines nahestehenden Menschen.<br />

Doch die Krise selbst, so sieht<br />

das Umrik, entsteht vor allem aus dem<br />

Umgang mit dem Erlebten. Sie sagt:<br />

„Eine Krise ist das Gefühl, sich gegen<br />

den Wandel zu sträuben.“<br />

Vor ein paar Jahren wachte Umrik<br />

morgens auf und der kleine Finger<br />

ihrer rechten Hand hing schlaff nach<br />

unten. Erst dachte sie, vielleicht würde<br />

sich der Finger noch erholen, doch an<br />

diesem Tag verlor sie diesen Muskel für<br />

immer. Eigentlich, schreibt sie in ihrem<br />

Buch, sollte das für sie „keine große<br />

Überraschung sein“, weil es zu ihrer<br />

Erkrankung gehört. Und mit der ging


Neustart<br />

Radikal zu sein bedeutet für<br />

Umrik: Strikt zu hinterfragen,<br />

mit welchen Dingen sie sich<br />

auseinandersetzen möchte.<br />

besonders sichtbar, weil sie körperlich<br />

ist. Das macht es einfacher, darüber zu<br />

sprechen.“<br />

Die Tür zum Wohnzimmer ist<br />

leicht geöffnet, im Hintergrund hört<br />

man das Klappern von Geschirr. Umrik<br />

ist nicht allein in der Wohnung, eine<br />

Assistentin ist bei ihr, die sie bei alltäglichen<br />

Dingen unterstützt. Wenn es<br />

an der Tür klingelt zum Beispiel, oder<br />

wenn sie ein Glas Wasser trinken möchte.<br />

Umrik wurde im Laufe der Jahre gut<br />

darin, zu organisieren, Personal einzustellen,<br />

Schichten zu planen. Der<br />

nächsten Krise vorzubeugen, heißt für<br />

sie auch, sich jeden Tag aktiv mit der<br />

eigenen Abhängigkeit auseinanderzusetzen.<br />

Jeden Tag entscheidet sie neu,<br />

mit welchem Gefühl sie die Unterstützung<br />

ihrer Assistenz annimmt: „Nehme<br />

ich sie an als jemand, der sich nicht bewegen<br />

kann? Oder nehme ich sie an als<br />

Führungskraft, die nun mal mehrere<br />

Menschen beschäftigt?“ Im Grunde ist<br />

es dieselbe Situation, sagt sie, aber die<br />

Wirkung auf sie und andere ist es nicht.<br />

„Die Behinderung<br />

war mein bester<br />

Lehrmeister.“<br />

ANASTASIA UMRIK<br />

es ihr gut: „Nicht das Laufen, nicht das<br />

Sich-selbst-hinlegen-Können, nicht<br />

einmal mich am Hinterkopf kratzen<br />

wollte ich jemals selbst können.“ Doch<br />

der Verlust des kleinen Fingers nahm<br />

sie mit. Sie wurde wütend ob dieser<br />

Ungerechtigkeit: „Warum ich?“<br />

Heute sagt sie: „Meine Behinderung<br />

war mein bester Lehrmeister.“<br />

Eine Art Guru, der ihr half, Wandel<br />

anzunehmen und Grenzen zu setzen.<br />

Denn nicht allein bei sich, auch bei all<br />

den Menschen, die sich mittlerweile<br />

von ihr beraten lassen, beobachtet sie,<br />

dass Krisen meist mit dem Gefühl der<br />

Abhängigkeit verknüpft sind. Sie sagt:<br />

„Bei mir ist diese Abhängigkeit nur<br />

30<br />

In ihrem Buch steht an einer Stelle der<br />

Satz: „Wir identifizieren uns viel zu<br />

sehr mit der Machtlosigkeit, die wir als<br />

Kinder erfahren.“ Und dieser: „Ich war<br />

die Krise meiner Eltern.“<br />

Umrik beschreibt einen jahrelangen<br />

Kampf um Schuld und Anerkennung.<br />

„Wir alle haben uns ein anderes<br />

Leben vorgestellt“, schreibt sie.<br />

Die Eltern eines mit einem „gesunden,<br />

fröhlichen Kind“ und sie eines mit<br />

Eltern, die sie „akzeptieren und unabhängig<br />

von allem stolz auf mich sind“.<br />

Ihre erste Krise, im Krankenhaus,<br />

entstand vor allem aus dem Gefühl zu<br />

merken, „wie wenig es genügt, einfach<br />

nur da zu sein“.<br />

Ihre Eltern leben heute ein Stockwerk<br />

über ihr. Sie sind eine Familie, sie<br />

sehen sich immer wieder, kommen an<br />

Feiertagen zusammen. Es ist einfacher<br />

geworden, sagt Umrik, seit sie ausgezogen<br />

ist, sich abgegrenzt hat.<br />

Menschen, die in einem Wandel<br />

stecken, rät Umrik, dass sie sich dabei<br />

nicht von Freunden und Familie beraten<br />

lassen sollen. Weil diese häufig Teil<br />

des eigenen Systems sind, und damit<br />

auch oft Teil des Problems. Umrik sagt,


Peeerssssönnliicheee<br />

Assssssssiissssteeennz<br />

Neustart<br />

DEEEIINN NNEEEUEEERR<br />

sie setze am liebsten auf Leute, die „noch einen<br />

Ticken verrückter sind als ich“. Denn man müsse<br />

sich immer die Frage stellen: Stärken Menschen<br />

meine Macht oder meine Ohnmacht?<br />

Vor ein paar Jahren nannte die taz sie mal<br />

„Expertin für Neuanfänge“. Das war kurz nach<br />

e inem Ted-Talk (Anm. der Red.: eine Online- Vortragsreihe),<br />

mit dem die Hamburgerin viral gegangen war. Hier<br />

erzählte Umrik von einer Nah toderfahrung: Sie war<br />

beim Essen beinahe erstickt, an einem simplen Fischstäbchen.<br />

Diese Erfahrung, sagt sie, habe sie radikal<br />

gemacht.<br />

Diese Radikalität bedeutet für sie vor allem:<br />

Strikt zu hinterfragen, mit welchen Dingen sie sich<br />

auseinandersetzen möchte und mit welchen nicht.<br />

Heute ist sie weniger aktivistisch als früher, heute<br />

geht sie weniger feiern und wird um 17 Uhr müde;<br />

heute spricht sie zwar immer noch gerne auf Bühnen<br />

und manchmal vor ein paar 100 Menschen, wie<br />

vor kurzem auf Kampnagel. Und doch will sie auch<br />

mal nur: in Ruhe leben. Vielleicht raus aus ihrer<br />

Wohnung in Rothenburgsort und aufs Land ziehen,<br />

nur sie und ihre Katze.<br />

Das mit der Katze war eine Krise für sich, wenn<br />

auch minimalen Ausmaßes. Aufgrund ihrer Abstammung<br />

(„Britisch-Kurzhaar“) sollte sie nach einem<br />

britischem Vorbild benannt werden: Churchill, nach<br />

Winston Churchill, dem ehemaligen Premier. Weil<br />

dann aber alle dachten, sie sei ein Kater, wurde sie<br />

kurzerhand zu Mrs. Churchill. Und weil das wiederum<br />

im Alltag zu lang war, zu Churchi.<br />

Churchi scheint dieses Gezerre zwischen dem,<br />

was sie ist (eine graue Katzendame edler Abstammung)<br />

und dem, was all die anderen in ihr sehen<br />

(einen alten, englischen Kater), gut überwunden zu<br />

haben. An diesem Nachmittag wirkt sie jedenfalls<br />

sehr mit sich im Reinen. Manchmal schmiegt sie sich<br />

ins Sofa, manchmal streicht sie über den Teppich<br />

oder springt auf den Tisch.<br />

Ein Zitat ihres Namensgebers Churchill, immerhin<br />

auch ein bekannter Krisenmanager, lautet: „Never<br />

waste a good crisis.“ Könnte auch von Umrik sein. •<br />

Anna Elisa Jacob (eigentlich Hunde mensch)<br />

war erst skeptisch, als Anastasia Umrik<br />

sagte, ihre Katze habe Starpotenzial. Nur eine<br />

Stunde später war sie davon überzeugt.<br />

redaktion@hinzundkunzt.de<br />

31<br />

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Coachin Andrea Landschof hilft<br />

bei der Entscheidungsfindung.<br />

„Dinge entstehen<br />

beim Gehen“<br />

Coachin Andrea Landschof berät Menschen, die sich<br />

beruflich neu orientieren wollen. Im Interview verrät sie,<br />

warum radikale Richtungswechsel selten nötig sind und<br />

welche Fragen man sich stattdessen stellen sollte.<br />

INTERVIEW: SIMONE DECKNER<br />

FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Frau Landschof, was<br />

werden Sie am häufigsten gefragt?<br />

Andrea Landschof: Der Klassiker ist:<br />

Was soll ich tun? Was ist richtig? Manche<br />

kommen nur mit einem diffusen<br />

Gefühl. Andere haben zwar Vorstellungen,<br />

wissen aber nicht, wie sie sich entscheiden<br />

sollen.<br />

Wie beginnen Sie eine Beratung<br />

üblicherweise?<br />

Ich bitte die Klient:innen vorab um eine<br />

kurze Vita – ungeschönt. Gerade die<br />

Verbiegungen und Lücken finde ich toll,<br />

genau wie die Nebenschauplätze privater<br />

Art: Kinderlos oder viele Kinder?<br />

Verheiratet oder geschieden? Viel gereist<br />

32<br />

oder immer an einem Ort geblieben?<br />

Da lese ich zwischen den Zeilen.<br />

Und dann? Fragen Sie: Wie kann<br />

ich Ihnen helfen?<br />

Wie kann ich Ihnen helfen, frage ich<br />

nie, um nicht in eine Rettersituation zu<br />

kommen. Es geht ja darum, dass die


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Neustart<br />

Menschen an ihren Themen arbeiten.<br />

Sie wissen tatsächlich am besten, was<br />

gut für sie ist. Als Coach begleite ich sie<br />

und versuche, die Dinge hervorzuheben,<br />

die ich „latente Talente“ nenne.<br />

Das muss nichts sein, worin man besser<br />

ist als die anderen, das können auch<br />

ganz leise Dinge sein. Es geht um verborgene<br />

Fähigkeiten des Denkens, Fühlens<br />

und Handelns.<br />

… auch darum, eigene Stärken<br />

zu benennen?<br />

Ja, daran verzweifeln hier tatsächlich<br />

fast alle. Aber wann werden wir im Leben<br />

auch schon so explizit gefragt: Was<br />

kannst du denn toll? „Eigenlob stinkt!“,<br />

ist das Credo. Ich stelle auch oft die Frage:<br />

Welche Idee von einem gelingenden<br />

Leben haben Sie? Da kann es helfen,<br />

Visualisierungsübungen zu machen.<br />

Man stellt sich vor, wie es einem mit 80<br />

ergeht. Was würden sie ihrem heutigen<br />

Alter Ego sagen, damit Sie kluge<br />

Entscheidungen treffen? Ob jemand<br />

zugänglich für so etwas ist, muss ich<br />

testen. Manche winken gleich ab, wenn<br />

ich mit solchen „Spielchen“ komme.<br />

Worauf sollte man generell achten,<br />

wenn man etwas verändern will?<br />

Ich nenne das die äußeren und inneren<br />

Faktoren. Jeder Mensch ist biografisch<br />

geprägt, aber es gibt auch immer Rahmenbedingungen,<br />

also Grenzen und<br />

Begrenzungen. Ich frage immer: Was<br />

ist Ihnen denn möglich? Ist das die<br />

alleinerziehende Frau mit einem Kind,<br />

die vor mir sitzt, oder ist es die Frau aus<br />

dem Vorort, die bestimmte Elemente<br />

zur Verfügung hat? Erkrankungen spielen<br />

auch eine Rolle. Ich würde nicht so<br />

ganz simpel sagen: „Alles ist möglich!“,<br />

es geht eher darum, das Mögliche im<br />

Unmöglichen zu finden.<br />

ist 17 Jahre alt, der älteste ist 68. Das<br />

Gros der Leute ist 40+.<br />

Sind junge Menschen durch die<br />

vielen Berufsmöglichkeiten heute<br />

auch überfordert?<br />

Absolut! Mir sitzen oft Menschen gegenüber,<br />

die sagen: „Das könnte ich<br />

noch machen, und das und das!“ Ja,<br />

könntest du, aber was willst du? Ich<br />

habe das in meinem Buch beschrieben<br />

als „Anything Goes“, alles ist möglich.<br />

Das macht Menschen, vor allem die<br />

jungen, ganz kirre. „Ich muss jetzt<br />

Yogalehrerin auf Bali werden!“ Der<br />

Druck zur Selbst optimierung ist enorm.<br />

Haben Sie in den 20 Jahren Ihrer<br />

Tätigkeit radikale Jobwechsel erlebt?<br />

Es gab da mal eine Friseurmeisterin,<br />

die in ihrem Job unglücklich war, und<br />

die hat immer von der Weite des Meeres<br />

geschwärmt. Irgendwann habe ich<br />

von ihr eine Postkarte bekommen von<br />

der Ostsee, wo sie einen Hundesalon<br />

eröffnet hatte. Häufiger als das sind<br />

Menschen, die mutiger werden. Die<br />

Frau, die sich nicht traute, etwas zu wagen,<br />

weil ihre Mutter ihr gesagt hat:<br />

„Du bist sowieso zu blöd!“ etwa. Sie<br />

muss sich dann das Selbstbewusstsein<br />

erarbeiten, doch nicht blöd zu sein.<br />

Wenn diese Frau sich dann traut, endlich<br />

ihr Studium fortzusetzen, finde ich<br />

das sehr berührend. Das ist auch ein<br />

sehr großer Motor für meine Arbeit.<br />

Sie kommen aus einer 8-köpfigen<br />

Arbeiterfamilie, haben das Abitur auf<br />

dem zweiten Bildungsweg nachgeholt.<br />

Was wollten Sie früher werden?<br />

In dem kleinen Dorf, in dem ich groß<br />

geworden bin, gab es wenige Möglichkeiten:<br />

Ich konnte zwischen Fleischereifachverkäuferin,<br />

Bäckerin und Erzieherin<br />

wählen, Letzteres wurde es dann.<br />

Bei uns ging es ums Überleben, nicht<br />

um eine möglichst gute Bildung. Ich bin<br />

zwar nicht obdach- oder wohnungslos<br />

gewesen, aber ich kenne sehr, sehr große<br />

Not, und ich kenne Hunger und<br />

auch dauerhafte Kälte. Das hilft mir<br />

auch heute in meinem Job als Coach.<br />

Ich weiß, woher ich komme, ich kann<br />

Menschen ermutigen: Dinge sind<br />

möglich. Ich bin weit weg von dieser<br />

Kommen mehr Frauen als Männer?<br />

Ja.<br />

In welchem Alter?<br />

Tendenziell sind meine Klient:innen in<br />

den vergangenen fünf Jahren immer<br />

jünger geworden. Meine jüngste Klientin<br />

Andrea Landschof<br />

stammt aus einer<br />

8-köpfigen Arbeiterfamilie,<br />

hat ihr Abitur<br />

nachgeholt. Diese<br />

Erfahrung hilft ihr bei<br />

ihrer heutigen Arbeit.<br />

33


Neustart<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>347</strong>/JANUAR <strong>2022</strong><br />

In ihrem Buch „Das bin ich?“ gibt<br />

Andrea Landschof Ratschläge.<br />

„Tschakka! Du schaffst es!“-Lehre, aber<br />

ich gucke, was jemand trotz widrigster<br />

Umstände im innen und außen für<br />

Möglichkeiten hat.<br />

Was hat Ihnen damals Mut gemacht?<br />

Ich erinnere mich heute noch genau an<br />

eine Lehrerin. Die hat eigentlich etwas<br />

ganz Profanes gemacht: Sie hat an mich<br />

geglaubt und mich bestärkt, den Realschulabschluss<br />

nachzuholen. Es gab immer<br />

wieder Menschen, die Anlagen in<br />

mir gesehen haben, verborgene Talente,<br />

die ich mich damals gar nicht getraut<br />

habe, zu zeigen.<br />

„Große<br />

Veränderungen<br />

können nur<br />

innerlich<br />

stattfinden.“<br />

Angenommen, ein:e Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />

Verkäufer:in säße hier, wie würden<br />

Sie ins Gespräch kommen?<br />

Natürlich spielt da die individuelle<br />

Situa tion eine ganz große Rolle. In der<br />

Transaktionsanalyse redet man von drei<br />

existenziellen Grundbedürfnissen, die<br />

über das Fundament Essen, Schlafen<br />

und ein Dach über dem Kopf hinausgehen.<br />

Es geht um Struktur im Leben,<br />

Stimulanz im Sinne von körperlicher<br />

und geistiger Anregung und um Anerkennung.<br />

Letzteres erscheint mir bei<br />

den Hinz&Künztler:innen besonders<br />

wichtig. Dabei geht es um menschliche<br />

Anerkennung, um Gesehenwerden, um<br />

eine Art von Wertschätzung, verbal<br />

oder nonverbal, einfach darum, wahrgenommen<br />

zu werden als Mensch.<br />

Wenn wir das nicht erfüllt bekommen,<br />

können wir emotional austrocknen.<br />

34<br />

Ist man irgendwann zu alt für einen<br />

neuen Job?<br />

Nein. Ich habe ja selber mit 50 Jahren<br />

noch einmal einen kompletten Neustart<br />

hingelegt, hier, mit diesem Institut. Eine<br />

74-jährige Frau hat bei mir eine Ausbildung<br />

zur Beraterin gemacht. Sollte<br />

ich zu ihr sagen: Du bist zu alt zum<br />

Lernen! Zu alt um dich weiterzuentwickeln?<br />

Ich finde: Dinge entstehen<br />

beim Gehen, also während wir sie tun.<br />

Es heißt ja immer, man solle „das Alte<br />

zurücklassen“. Kann es auch hilfreich<br />

sein, eine Situation neu zu bewerten?<br />

Ja, es gibt eine innere und eine äußere<br />

Neuorientierung. Das Äußere kann mit<br />

gravierenden Umwälzungen zu tun haben,<br />

wie einem Umzug, einer neuen<br />

Partnerin, einem neuen Job. Das andere<br />

ist die innere Neuorientierung, die<br />

hat tatsächlich mit einer neuen inneren<br />

Bewertung zu tun. Ich bin jetzt nicht<br />

diejenige, die sagt: Rede es dir schön.<br />

Aber durchaus: Guck mal, ob es nicht<br />

eine andere Facette gibt! Wie wir auf<br />

die Dinge schauen, ist geprägt durch<br />

unsere biografischen Erfahrungen.<br />

Große Veränderungen können auch<br />

nur innerlich stattfinden. Eine Klientin<br />

hat lange an einem ungeliebten Medizinstudium<br />

festgehalten, weil ihre<br />

Eltern Ärzte waren und es von ihr erwarteten.<br />

Sie hat sich durch die Neubewertung<br />

die Erlaubnis gegeben, das<br />

Studium abzubrechen. Das war auch<br />

eine berufliche Neuorientierung.<br />

Kann jeder Mensch sein Leben ändern?<br />

Per se ist es jedem Menschen möglich,<br />

etwas zu verändern. Es gibt dann eben<br />

bestimmte Rahmenbedingungen. Ich<br />

finde auch wichtig, sich zu fragen: Ist<br />

diese Veränderung klug, ist sie sinnvoll?<br />

Für wen mache ich das? Auch wenn<br />

alles möglich ist, heißt das nicht, dass<br />

ich das auch tun muss. Hier saß mal<br />

eine Frau, die irgendwann zu mir<br />

sagte: „Also, dann brauche ich gar<br />

nichts ändern?“ Sie hat sich die Frage<br />

im Grunde selbst schon bejaht. Da<br />

habe ich mich selbst arbeitslos gemacht,<br />

aber das ist im Grunde ja der Sinn der<br />

Sache (lacht). •<br />

simone.deckner@hinzundkunzt.de


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Geschafft:<br />

Absolvent:innen des<br />

Peers-Kurses feiern<br />

ihren Abschluss.<br />

Pionierprojekt:<br />

Die kennen sich aus<br />

In einem Kurs lernen ehemals Wohnungslose, wie sie<br />

mit ihren Erfahrungen Menschen in einer ähnlichen Lage<br />

unterstützen können: als Peers in Wien.<br />

TEXT: SIMONE DECKNER<br />

FOTOS: CHRISTOPH LIEBENTRITT<br />

36


Neustart<br />

Zahlen, Daten, Fakten<br />

Bisher haben 47 Absolvent:innen die Ausbildung zum Peer<br />

der Wiener Wohnungslosenhilfe erfolgreich abgeschlossen.<br />

Der 4. Kurs endet Ende März <strong>2022</strong>. Für Herbst <strong>2022</strong> ist<br />

der Start eines 5. Kurses geplant. Bisher konnten 28 Stellen<br />

für Peer-Mitarbeiter:innen bei Sozialorganisationen geschaffen<br />

werden. Darunter sind Wohneinrichtungen, Angebote der<br />

Mobilen Betreuung in der eigenen Wohnung sowie unterschiedliche<br />

Unterstützungsangebote in der Beratung und<br />

Gesundheitsförderung. Einige Absolvent:innen fanden in<br />

anderen Bereichen Anstellungen.<br />

2019 übernahm der Hauptverband der österreichischen<br />

Sozialversicherungs träger die Kosten für den 1. Peers-Kurs.<br />

2020/2021 gab es eine Projekt förderung in Höhe von<br />

rund 412.000 Euro für die Ausbildung, Begleitung,<br />

Qualitätssicherung sowie den Wissenstransfer durch den<br />

Neunerhaus Peer Campus. Die Etablierung von Peers ist eine<br />

der wesentlichen Maßnahmen der Wiener Wohnungslosenhilfe-<br />

Strategie <strong>2022</strong>. Ziel dabei ist es, die Betreuungsteams durch<br />

ausgebildete Peer-Mitarbeiter:innen interdisziplinär zu erweitern.<br />

Auch Berlin setzt auf Peer-to-Peer-Arbeit zur Überwindung<br />

von Wohnungs- und Obdachlosigkeit bis zum Jahr 2030.<br />

Im Berliner Masterplan wird als positives Beispiel die<br />

„Taskforce Obdachlosigkeit“ genannt, bei der zwölf ehemals<br />

obdachlose Menschen als sogenannte Obdachlosenlotsen<br />

auf der Straße unterwegs sind. Sie unterstützen mit praktischen<br />

Hilfen und sollen Betroffenen helfen, den Weg aus der<br />

Obdachlosigkeit zu finden.<br />

I<br />

ch hätte damals so jemanden wie mich gebraucht.<br />

Jemanden, der einfach nur dasitzt und mir zuhört“, sagt<br />

Esma. Wenn sie aus dem Fenster ihrer gemütlichen<br />

Wohnung in Wien schaut, kann sie sehen, wie das<br />

Wasser im Donaukanal vorbeizieht. Nicht mehr lange, dann<br />

kommen ihre Kinder aus der Schule. Ein ganz normaler,<br />

geregelter Tag. Esma kennt aber auch andere Tage, in denen<br />

gar nichts geregelt war. „Damals habe ich mich wie eine<br />

Versagerin gefühlt“, sagt sie. Sie meint die Zeit, in der<br />

sie wohnungslos war, abwechselnd bei Freund:innen und<br />

Bekannten schlief.<br />

Vorausgegangen war eine akute Krise: Die gelernte Einzelhandelskauffrau<br />

erkrankte an einer bipolaren Störung,<br />

wird in der Folge berufsunfähig und muss zu Hause bleiben.<br />

Nur, dass dieses Zuhause von einem auf den anderen Tag<br />

wegbricht. Ausgerechnet jetzt kündigt der Vermieter ihr die<br />

Wohnung, droht mit Zwangsräumung und Polizei. „Ich war<br />

ganz tief unten mit der Psyche, sodass ich einfach keine Kraft<br />

gehabt habe, um um die Wohnung zu kämpfen. Ich bin da<br />

gestanden und habe mich gefragt: ‚Okay, was mache ich<br />

jetzt? Wohin?‘“<br />

Esma und ihr Sohn kommen auf der Couch bei<br />

Freund:innen unter. Leben aus dem Koffer. Ohne Intimsphäre.<br />

Immer mit dem Gefühl, zu stören. In ihrer Verzweiflung<br />

schreibt sie Briefe an alle Stellen, die ihr einfallen. Hilfe<br />

bekommt sie schließlich bei der zuständigen Beratungsstelle<br />

Wohnungslosenhilfe, kurz bzWO: „Ich wusste gar nicht, was<br />

das ist. Ich habe mich da einfach gemeldet“, sagt Esma.<br />

Sie hat Glück, weil sie auf eine engagierte Mitarbeiterin trifft:<br />

Nur drei Wochen später haben Esma und ihr Sohn wieder<br />

ein Dach über dem Kopf, erst vorläufig, dann mit einem unbefristeten<br />

Mietvertrag. Die Wohnungslosigkeit liegt hinter ihr.<br />

Trotzdem verbringt Esma heute wieder jeden Tag mit<br />

Menschen, die keine Wohnung haben oder auf der Straße<br />

leben. Esma arbeitet als Peer der Wohnungslosenhilfe in<br />

Wien und ist damit eine Pionierin. Erst seit 2019 werden<br />

37


Esma: „Wir Peers sind<br />

das Bindeglied zwischen<br />

den Sozialarbeiter:innen<br />

und den Nutzer:innen.“<br />

Robert (links) hat als Peer-Mitarbeiter in einem<br />

Wiener Wohnhaus für alle Fragen der Bewoh ner:innen<br />

ein offenes Ohr. Esma (in der Mitte) im Austausch<br />

mit Peers-Kurskolleg:innen<br />

ehemals von Obdach- und Wohnungslosigkeit betroffene<br />

Menschen von der Sozialorganisation Neunerhaus zu Peers<br />

aus gebildet. Der Begriff kommt aus dem Englischen und<br />

bedeutet so viel wie „Ebenbürtige:r“.<br />

Die Idee ist so simpel wie einleuchtend: Ehemals betroffene<br />

Menschen geben ihr Erfahrungswissen an andere<br />

weiter, die obdachlos oder wohnungslos sind. Sie sind<br />

Ansprechpartner:innen auf Augenhöhe, denn wer könnte<br />

sich in die schwierige Lage der Betroffenen besser hineinversetzen<br />

als jemand, der Ähnliches erlebt hat? „Meine<br />

Aufgabe ist, mich mit den Menschen zu unterhalten, quasi<br />

ihnen mein Vertrauen entgegenzubringen, damit sie mir<br />

vertrauen“, sagt Esma über ihre Arbeit in einem Tageszentrum<br />

für Wohnungslose. „Wir sind das Bindeglied<br />

zwischen den Sozialarbeiter:innen und den Gästen, sind für<br />

alle Fragen offen.“<br />

In einem sieben Monate dauernden Kurs lernen die Peers,<br />

wie es gelingen kann, andere mit ihren Erfahrungen zu<br />

unterstützen: von aktivem Zuhören über den Umgang mit<br />

Menschen mit psychischen und Suchterkrankungen. Die<br />

Kursteilnehmer:innen reflektieren im Austausch, was sie<br />

selbst erlebt haben, absolvieren Praktika in Wohnungsloseneinrichtungen,<br />

arbeiten in Lerngruppen und schreiben eine<br />

Abschlussarbeit.<br />

Esma hat ihre Arbeit darüber geschrieben, wie man den<br />

Alltag der Besucher:innen eines Tageszentrums bunter gestalten<br />

könnte. „Ich habe ein Beautyprojekt gemacht und die<br />

Frauen ein bisschen verschönert“, sagt sie. Es sei für sie ein<br />

„Wow-Erlebnis“ gewesen, dass man mit kleinen Dingen wie<br />

frisch lackierten Nägeln für große Freude sorgen kann. „Sich<br />

einfach mal verwöhnen lassen. Das war etwas, was in dem<br />

Haus wirklich gefehlt hat“, sagt sie.<br />

38


„Peers sind für uns Mutmacher:innen, Hoffnungs träger:innen,<br />

aber auch kritische Wegbegleiter:innen; hinterfragen<br />

sie mit ihrer Erfahrung doch auch das System der<br />

Wohnungslosenhilfe“, sagt Neunerhaus-Geschäftsführerin<br />

Daniela Unterholzner. Esma hat als Peer-Mitarbeiterin<br />

bislang gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit den<br />

etablierten Kolleg:innen gemacht: „Die finden das wirklich<br />

entlastend und merken ja, wie wir mit den Nutzer:innen<br />

umgehen: ohne Scheu.“<br />

Jürgen Hölbling leitet ein Neunerhaus-Wohnhaus in<br />

Wien, in dem Menschen übergangsweise ein Zuhause<br />

finden. Er möchte seinen Peer-Mitarbeiter nicht mehr<br />

missen: „Was Robert mitbringt, ist einzigartig“, sagt er.<br />

„Er hat einfach ganz ähnliche Erfahrungen gemacht, das<br />

ist gelebte Hilfe auf Augenhöhe.“ Hölbling sieht in<br />

dem Peer eine wertvolle Ergänzung zu seinen anderen<br />

Mitarbeiter:innen. „Gerade bei neuen Klient:innen<br />

erleichtert Robert den Vertrauensaufbau. Das kann man<br />

sich für sein Team nur wünschen.“<br />

Robert Helmstreit kennt das Haus, in dem er arbeitet,<br />

bestens. Der 62-Jährige hat früher selbst hier gelebt, nachdem<br />

er seine Wohnung verloren hatte. „Ich kenne die<br />

Abläufe, das hilft mir schon sehr“, sagt er. Nun ist er auf<br />

der anderen Seite, als Teil des Teams. „Ich bin für jede<br />

Frage der Bewohner:innen offen, von A bis Z: ob die<br />

Menschen ihren Stress loswerden wollen oder Hilfe<br />

brauchen, wenn Briefe beantwortet werden müssen bis hin<br />

zu ganz persönlichen Fragen. Ich bin da sehr flexibel und<br />

das wissen die Leute auch“, sagt er.<br />

Pandemiebedingt konnten viele Angebote nur eingeschränkt<br />

stattfinden. Vor Corona begleitete Robert etwa<br />

einzelne Bewohner:innen regelmäßig bei Wohnungsbesichtigungen:<br />

„Vier Augen sehen mehr als zwei. Weil viele<br />

Besichtigungen nur noch online stattgefunden haben, habe<br />

ich ein Informationsblatt zusammengestellt, wo drin steht,<br />

worauf man achten soll“, sagt er.<br />

Auch Esma ist eine Macherin: „Ich bin so ein Mensch,<br />

der immer sofort losrennt, wenn er hört, dass ein anderer<br />

ein Problem hat und das dann sofort lösen will“, sagt sie<br />

und lacht. Als Peer habe sie jedoch gelernt, dass es nicht darum<br />

geht, die Probleme anderer zu regeln: „Es geht stattdessen<br />

darum, ihnen den Weg aufzuzeigen, wie sie es selber<br />

machen können.“ Der erste Schritt ist dabei ganz oft:<br />

einfach zuhören. „Ein Mann hat neulich zu mir gesagt: ‚Du<br />

bist die Einzige, die hier mit mir redet‘“, sagt Esma. •<br />

Simone Deckner lebte 18 Monate in<br />

ihrer Sehnsuchtsstadt Wien. Dort lernte<br />

sie bei ihrer Arbeit für Neunerhaus auch<br />

die Peers kennen: „Ein absolut nachahmenswertes<br />

Projekt!“<br />

ILLUSTRATION: ESTHER CZAYA<br />

Unser Rat<br />

zählt.<br />

879 79-0<br />

Beim Strohhause 20<br />

Wie klingt<br />

Hamburg?<br />

Schüler:innenwettbewerb von<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> und AUDIYOU<br />

Wie klingt für euch Hamburg?<br />

Welche Menschen und Orte gehören dazu?<br />

Wir sind gespannt darauf, was für Persönlichkeiten,<br />

Geschichten oder auch Klänge ihr findet.<br />

Macht unsere Stadt hörbar!<br />

Gestaltet aus den Ideen einen Hörbeitrag, egal in<br />

welcher Form. Das kann eine kleine Geschichte,<br />

eine Reportage, ein Hörspiel, ein Song, ein Interview<br />

oder etwas anderes sein. Hauptsache, er ist hörbar<br />

und nicht länger als vier Minuten.<br />

Wir sind gespannt darauf! Aus allen Einsendungen<br />

wählt eine Expert:innen-Jury ihre Favoriten und stellt<br />

diese bei einer großen Abschlussveranstaltung<br />

für alle Teilnehmer:innen im Juni <strong>2022</strong> vor.<br />

Dabei gibt es viele Preise zu gewinnen.<br />

Für Lehrer:innen gibt es am 15. Februar <strong>2022</strong><br />

einen Workshop, bei dem die einfachen<br />

Grundlagen der Technik vermittelt und<br />

Fragen beantwortet werden.<br />

Mieterverein zu Hamburg<br />

im Deutschen Mieterbund<br />

20097 Hamburg<br />

Einsendeschluss:<br />

2. Juni <strong>2022</strong><br />

Mehr Informationen, Teilnahmebedingungen<br />

und das Anmeldeformular gibt es<br />

unter hinzundkunzt@audiyou.de oder<br />

bei Stephanie Landa: 040 – 46 07 15 38.<br />

Fan werden<br />

mieterverein-hamburg.de<br />

Wie lebendig<br />

möchten Sie begraben werden?<br />

Mehr Infos: www.huklink.de/peers<br />

Zur Strategie der Wiener Wohnungslosenhilfe <strong>2022</strong>:<br />

www.huklink.de/wiener-wohnungslosenhilfe<br />

39<br />

andere bestattungen<br />

040 43 27 44 11<br />

• trostwerk.de


Freunde<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>347</strong>/JANUAR <strong>2022</strong><br />

Wettfahrtleiter Hans-Christian Neumann<br />

(in der gelben Weste) mit dem Team „Kinderachter“<br />

vom Ruder-Club Favorite Hammonia<br />

„Alles vorwärts – los!“<br />

Für Hinz&<strong>Kunzt</strong> legten sich 360 Ruderer und Ruderinnen<br />

in die Riemen. Die Alster Achter Challenge des Ruderclubs<br />

Favorite Hammonia hat rund 6000 Euro eingebracht.<br />

TEXT: SIMONE RICKERT<br />

FOTOS: MIGUEL FERRAZ<br />

Sieger-Team „Schwedenachter“ vom Mölndals Roddklubb<br />

Es ging um die Ehre, um’s Gewinnen und um einen kräftigen<br />

Spendenbetrag, den der austragende Hamburger „Ruderclub<br />

Favorite Hammonia“ Ende 2021 zugunsten von<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> gesammelt hat. Die Organisatoren Christian<br />

Heim und Hans-Christian Neumann haben den üblichen Teilnahmebeitrag,<br />

der von allen für diesen Zweck großzügig aufgerundet wurde,<br />

in eine Spende umgewidmet. Unter kontaktbeschränkten Bedingungen<br />

waren keine Siegerehrung und kein Landprogramm mit gemeinsamem<br />

Essen am Steg möglich, also suchten sie einen anderen Verwendungszweck<br />

für das Startgeld.<br />

„Wir wollten unbedingt diejenigen mit ins Boot nehmen, denen es<br />

nicht so gut geht wie uns“, sagt Hans-Christian Neumann. „Wenn wir<br />

trainieren, sehen wir die Zelte der Obdachlosen unter der Kennedybrücke,<br />

und das den ganzen Winter über.“ Neumann ist Leser von<br />

40


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Freunde<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>, seit das Magazin vor<br />

mehr als 28 Jahren gegründet wurde.<br />

Das Einzige, was er am Regattatag bedauerte,<br />

war, dass er als Organisator<br />

nicht mit „seinem“ Achter auf dem<br />

Wasser sein konnte.<br />

Am 6. November war es schon<br />

recht kühl an der Alster, Wind kam<br />

auch auf – aber immerhin regnete es<br />

nicht. Es war das erste große Rennen<br />

seit Beginn der Pandemie: Vereine<br />

aus Hamburg waren vertreten, auch<br />

aus Berlin, Osnabrück, Bonn, Braunschweig,<br />

Neumünster, Kiel und sogar<br />

Schweden. Einfach nur, um dabei zu<br />

sein, denn coronabedingt war das Format<br />

sehr auf den Sport reduziert: einfach<br />

nur Rudern.<br />

Die Sportler:innen waren trotzdem<br />

heiß auf dieses Rennen, das den traditionsreichen<br />

„Fari-Cup“ unter der<br />

Schirmherrschaft von Sportsenator<br />

Andy Grote (SPD) ersetzte – endlich<br />

wieder im Wettkampfmodus! Am Ende<br />

gewann das weit angereiste Team<br />

„Schwedenachter“ vom Mölndals<br />

Roddklub. Der Achter der „Fari“, wie<br />

die Mitglieder ihren Club liebevoll<br />

nennen, belegte den sechsten Platz und<br />

das Seniorenteam „Wildbrands Gedenken<br />

8+“ mit einem Durchschnittsalter (!)<br />

von 85 Jahren einen sensationellen<br />

29. Platz. Und weil die Regatta allen<br />

so viel Freude bereitet hat, können sich<br />

die Sportler:innen gut vorstellen, das<br />

Startkommando „Alles vorwärts – los!“<br />

<strong>2022</strong> wieder für einen guten Zweck<br />

auszu rufen. •<br />

redaktion@hinzundkunzt.de<br />

JA,<br />

ICH WERDE MITGLIED<br />

IM HINZ&KUNZT-<br />

FREUNDESKREIS.<br />

Damit unterstütze ich die<br />

Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

Meine Jahresspende beträgt:<br />

60 Euro (Mindestbeitrag für<br />

Schüler:innen/Student:innen/<br />

Senior:innen)<br />

100 Euro<br />

Euro<br />

Datum, Unterschrift<br />

Ich möchte eine Bestätigung<br />

für meine Jahresspende erhalten.<br />

(Sie wird im Februar des Folgejahres zugeschickt.)<br />

Meine Adresse:<br />

Name, Vorname<br />

Straße, Nr.<br />

PLZ, Ort<br />

Dankeschön<br />

Telefon<br />

E-Mail<br />

Wir danken allen, die uns im Dezember<br />

unterstützt haben, sowie allen Mitgliedern im<br />

Freundeskreis von Hinz&<strong>Kunzt</strong>! Wir freuen<br />

uns gleichermaßen über kleine und große<br />

Beträge. Auch unseren Unterstützer:innen<br />

auf Facebook: ein großes Dankeschön!<br />

DANKE EBENFALLS AN:<br />

• wk it services • die Hamburger Tafel<br />

• Obstmonster GmbH • Hanseatic Help<br />

• Axel Ruepp Rätselservice<br />

• die Hamburger Kunsthalle<br />

• eine Nachbarin für die<br />

vielen Adventspäckchen<br />

• Art Invest • Tchibo und Peter Hagemann<br />

• Park Hyatt und Andreas Metzler<br />

• die Grafikdeerns<br />

• Schokoladenseite<br />

• FiN Frauen in Verantwortung<br />

• Studierende der Macromedia-Hochschule<br />

• die Hauptkirche St. Jacobi<br />

und Gerhard Löffler<br />

• die Hauptkirche St. Petri<br />

und Thomas Dahl<br />

• Tesa SE HAM<br />

• die Graduates und Kolleg:innen<br />

von Shell Deutschland<br />

• Ole Mader • AMP<br />

• isn immobilien service norderstedt gmbh<br />

Medizinische Masken werden permanent für<br />

die Hinz&Künztler:innen benötigt.<br />

NEUE FREUNDE:<br />

• Sabine Blume<br />

• Anna-Kathrin Fehrmann<br />

• Angela Gänsdorfer<br />

• Ursula Guggenmos • Angelika Hillmer<br />

• Theo Höing • Tobias Kabacinski<br />

• Michael Kalin<br />

• Elke Lethi<br />

• Irmgard Mucha und Wilhelm Lubosch<br />

• Petra Malek • Birgit Miesch<br />

• Armin Peter • Rainer Pillmann-Wesche<br />

• Felix Riechert<br />

• Roland Rist<br />

• Jan Schleu • Gesche Schnee<br />

• Lise Seidler • Hanne Skrodzki-Gutschow<br />

• Anja Thiemann<br />

Einzugsermächtigung:<br />

Ich erteile eine Ermächtigung zum<br />

Bankeinzug meiner Jahresspende.<br />

Ich zahle: halbjährlich jährlich<br />

IBAN<br />

BIC<br />

Bankinstitut<br />

Ich bin damit einverstanden, dass mein Name in<br />

der Rubrik „Dankeschön“ in einer Ausgabe des<br />

Hamburger Straßenmagazins veröffentlicht wird:<br />

Ja<br />

Nein<br />

Wir garantieren einen absolut vertraulichen<br />

Umgang mit den von Ihnen gemachten Angaben.<br />

Die übermittelten Daten werden nur zu internen<br />

Zwecken im Rahmen der Spendenverwaltung<br />

genutzt. Die Mitgliedschaft im Freundeskreis ist<br />

jederzeit kündbar. Wenn Sie keine Informationen<br />

mehr von uns bekommen möchten, können<br />

Sie jederzeit bei uns der Verwendung Ihrer<br />

personenbezogenen Daten widersprechen.<br />

Unsere Datenschutzerklärung können Sie<br />

einsehen unter www.huklink.de/datenschutz<br />

Bitte Coupon ausschneiden und senden an:<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreis<br />

Minenstraße 9, 20099 Hamburg<br />

Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk<br />

41<br />

HK <strong>347</strong>


Buh&Beifall<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>347</strong>/JANUAR <strong>2022</strong><br />

Was unsere Leser:innen meinen<br />

„Es gibt viele tolle Graffitis“<br />

Ausgleichsabgabe erhöhen<br />

H&K 346: „Ausgeschlossen“<br />

So lange die Ausgleichsabgabe nicht<br />

auf 2000 Euro pro Monat und nicht<br />

besetzten Platz erhöht wird, werden<br />

keine Personen mit Handicap eingestellt.<br />

Die Beträge sollten dann an Einrichtungen<br />

wie die Elbe-Werkstätten<br />

weitergeleitet werden. So können auch<br />

andere Löhne bezahlt werden. K. OLSSON<br />

Gute und schlechte Graffitis<br />

H&K 346: „Eine Stadt wird bunt“<br />

Es gibt viele tolle Graffitis. Was mich<br />

aber ärgert und stört sind die einfallslosen<br />

und handwerklich schlechten<br />

Graffitis und Tags. Zum Foto auf Seite<br />

54/55: Es mag Bahnhof Hasselbrook<br />

sein, eine S-Bahn ist es nicht. Eher ein<br />

alter D-Zug-Wagen der Strecke<br />

Ahrensburg-Hauptbahnhof. THOMAS OHRT<br />

Als langjähriger Leser<br />

bin ich bestürzt über das riesige<br />

Auf macherbild eines mit Graffiti<br />

bemalten Eisenbahnwagens.<br />

Das Bild und in Teilen der Bericht<br />

verniedlichen Graffitis und ermun -<br />

tern unter Umständen zum Nacheifern.<br />

<br />

BERNHARD-MICHAEL DOMBERG<br />

Danke Lothar!<br />

H&K allgemein<br />

Ich halte hier eine unglaublich liebevolle<br />

Karte von meinem Stammverkäufer<br />

Lothar in der Hand. Ich<br />

war heute so gehetzt, und er hat sie<br />

mir einfach mit einem Lächeln in<br />

die Hand gedrückt. Diese Aufmerksamkeit<br />

hat mich wieder runterkommen<br />

lassen und mir viel Freude<br />

bereitet! Danke Lothar!<br />

<br />

JOHANNA LIEBERMANN<br />

Leser:innenbriefe geben die Meinung der<br />

Verfasser:innen wieder, nicht die der Redaktion.<br />

Wir behalten uns vor, Briefe zu kürzen. Über Post<br />

an briefe@hinzundkunzt.de freuen wir uns.<br />

Wir trauern um<br />

Andrzej Fudro<br />

13. Februar 1966 – 14. Oktober 2021<br />

Andrzej verstarb nach einem<br />

Reanimationsversuch auf der Osterstraße.<br />

Die Verkäufer:innen und das Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Team<br />

Wir trauern um<br />

Werner Martin<br />

9. September 1957 – 28. November 2021<br />

Werner verstarb nach langer und schwerer Krankheit.<br />

Die Verkäufer:innen und das Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Team<br />

HAMBURGER NEBENSCHAUPLÄTZE<br />

DER ETWAS ANDERE<br />

STADTRUNDGANG<br />

Wollen Sie<br />

Hamburgs City<br />

einmal mit<br />

anderen Augen<br />

sehen? Abseits<br />

der glänzenden<br />

Fassaden zeigen wir<br />

Orte, die in keinem<br />

Reiseführer stehen:<br />

Bahnhofsmission<br />

statt Rathaus und<br />

Tagesaufenthaltsstätte<br />

statt Alster.<br />

Sie können mit<br />

unserem Stadtführer<br />

Chris zu Fuß auf<br />

Tour gehen, einzeln<br />

oder als Gruppe<br />

bis 25 Personen.<br />

Auch ein digitaler<br />

Rundgang ist<br />

möglich. Das ist fast<br />

genauso spannend.<br />

Offener Rundgang am Sonntag, 16.1. und 30.1.22, jeweils 15 Uhr<br />

Reguläre Rundgänge bequem selbst buchen unter:<br />

www.hinzundkunzt.de/stadtrundgang<br />

Digitale Rundgänge bei friederike.steiffert@hinzundkunzt.de oder<br />

Telefon: 040/32 10 84 04<br />

Kostenbeitrag: 5 Euro/10 Euro<br />

pro Person<br />

100Jahre<br />

Wenn die Welt<br />

auf einmal<br />

stillsteht.<br />

Zuverlässige und<br />

persönliche Hilfe im<br />

Trauerfall – jederzeit.<br />

Immer für Sie da.<br />

040 - 24 84 00<br />

www.gbi-hamburg.de


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Unerwartet: Der Stadtteil Billbrook verrät viel über Hamburgs bewegte Industriegeschichte (S. 44).<br />

Unkonventionell: Der Radiosender ByteFM bietet ein Programm abseits des Mainstreams (S. 50).<br />

Unbeugsam: Nach zahlreichen Schicksalsschlägen geht es bei Boguslawa bergauf (S. 58).<br />

Mit „Die Welterlöserin“ zeigt<br />

das Thalia Theater bei den<br />

Lessingtagen eine „feministischöko-faschistische<br />

Show“.<br />

Infos unter: www.thalia-theater.de<br />

FOTO: EMILIE THERESE


Rubrik<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>347</strong>/JANUAR <strong>2022</strong><br />

Idylle entlang der Bille<br />

Wer in Billbrook spazieren geht, taucht unerwartet ein in die Industriegeschichte<br />

Hamburgs. Autor Frank Keil hat sich den Stadtteil von Historiker<br />

Ralph Ziegenbalg von der Geschichtswerkstatt Billstedt zeigen lassen.<br />

FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

L<br />

aut ist es. Ziemlich laut. Also,<br />

das ist jetzt untertrieben: Es ist<br />

höllisch laut, man versteht sein<br />

eigenes Wort nicht! Sattelschlepper,<br />

Lkws mit Anhängern und Zugmaschinen<br />

donnern im Minutentakt vorbei,<br />

nehmen kaum das Gas weg, lassen die<br />

Bremsen quietschen. Drumherum kein<br />

Baum, kein Strauch, kein Wohnhaus<br />

und niemand ist unterwegs. Zugleich<br />

44<br />

ist es hochspannend, man will wissen,<br />

was an der nächsten Ecke kommt!<br />

Doch von vorn, da schlendern wir<br />

noch entspannt durch das Quarree rund<br />

um die Straße Am Bökelbarg, nahe der


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Rubrik<br />

Panoramablick<br />

von der Moorfleeter<br />

Brücke<br />

U-Bahnstation Billstedt. Hier und da fallen<br />

Stadthäuser auf, ein bisschen über<br />

die Jahre verbaut vielleicht, aber hübsch<br />

und heimelig anzusehen. „Hier wohnten<br />

die Kaufmännischen Angestellten und<br />

die Werkmeister der damaligen Zinkfabrik“,<br />

erzählt Historiker Ralph Ziegenbalk,<br />

der in der Nachbarschaft wohnt.<br />

Er ist Vorsitzender der Geschichtswerkstatt<br />

Billstedt. Gerade ist dort sein Buch<br />

erschienen: „Die Billbrook-Tour“. Auf<br />

die gehen wir nun gemeinsam.<br />

Denn hier im ungeliebten Osten<br />

Hamburgs, wo sich hinter der Geestkante<br />

das Elbursprungstal erstreckt,<br />

lässt sich Industriegeschichte erzählen:<br />

Die Villen der Hamburger Kaufleute,<br />

die hier die Sommerfrische genossen,<br />

mussten Ende des 19. Jahrhunderts weichen.<br />

Das Gebiet wurde aufgeschüttet,<br />

anschließend durchzog man es mit<br />

schnurgeraden Kanälen und Straßen.<br />

Eine Farbholzmühle nahm den Betrieb<br />

auf, eine Jute-Spinnerei, eine Nährmittelfabrik,<br />

mehrere chemische Fabriken.<br />

Eine Asphaltfabrik siedelte sich an, Seifenfabriken<br />

kamen hinzu und die Zinkhütte.<br />

Für die Arbeitskräfte, die man<br />

brauchte, entstand der Arbeiterortsteil<br />

Schiffbek. Detail am Rande: Es wurde<br />

eigens ein Haus für einen Kindergarten<br />

erbaut. Man wollte auch auf die Arbeiterfrauen<br />

zurückgreifen, nur die bürgerlichen<br />

Frauen sollten daheim bleiben.<br />

45<br />

Auch eine Fußgängerbrücke über die<br />

Bille, die Schiffbek und Billbrook trennt,<br />

wurde gebaut. Über die gehen wir jetzt,<br />

nachdem wir die Billstedter Hauptstraße<br />

überquert haben. Damals haben<br />

die Arbeiter:innen sie zu Hunderten<br />

jeden Tag genutzt. Heute wird sie von<br />

Jogger:innen in quietschbunter Funktionskleidung<br />

frequentiert. Drüben dann<br />

überqueren wir Bahngleise: „Hier fuhr<br />

die ‚Südstormarnsche Kreisbahn‘“, erzählt<br />

Ziegenbalk, ab 1907. Sie hatte<br />

das Ziel, Billbrook an das holsteinische<br />

Hinterland anzubinden. Später setzte<br />

sich der Lkw als Transportmittel durch:<br />

Stadtgeschichte ist immer auch Verkehrsgeschichte.<br />

Heute endet das kaum


Einst waren hier Wiesen, Knicks und Wald.<br />

Dann hat man das Gelände aufgeschüttet<br />

und mit Kanälen durchzogen, um Platz für<br />

Industrie und Gewerbe zu schaffen.


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Die einstige Verwaltung<br />

der Zinnhütte (oben),<br />

Billbrook-Experte: Histo riker<br />

Ralph Ziegenbalk<br />

noch genutzte Gleis in Glinde, aus der<br />

weiterführenden Trasse wurde ein Radwanderweg.<br />

In Billbrook selbst fuhr die<br />

„Billwerder Industriebahn“, das Bahnhofsgebäude<br />

steht noch.<br />

Wir biegen in die Berzeliusstraße<br />

ein, die eine ganz besondere Geschichte<br />

hat, denn nach dem Krieg brachte man<br />

hier in Notunterkünften und Aufnahmelagern<br />

Menschen unter, die man in<br />

der Stadt nicht recht haben wollte:<br />

Kriegstraumatisierte und Ausgebombte,<br />

Staatenlose und Geflüchtete, dazu<br />

Arbeitsmigrant:innen und immer wieder<br />

Wohnungslose. Heute unterhält<br />

hier der städtische Betreiber „Fördern<br />

& Wohnen“ eine Wohnunterkunft. Die<br />

kopfsteinerne Straße selbst ist gesäumt<br />

mit Speditionen, mit Gebrauchtwagenhändlern,<br />

mit Spezialfirmen wie einem<br />

Handel für Drucklufttechnik oder<br />

einem Betrieb, der sich der Reinigung<br />

von Tanks und Containern widmet.<br />

Fast jedes Unternehmen habe seinen<br />

eigenen Kran, sagt Ralph Ziegenbalk.<br />

Er bleibt kurz stehen und gibt<br />

uns eine Einordnung: „Weite Teile<br />

Billbrooks sind nach wie vor ‚Industriegebiet‘,<br />

obwohl es so gut wie keine<br />

Industrie mehr gibt“, sagt er. Denn die<br />

meisten Fabriken seien nach dem Krieg<br />

geschlossen, die letzten spätestens in<br />

den 1960er-Jahren abgebrochen worden.<br />

Stattdessen wurden die Flächen<br />

mit Lagerhallen bebaut, so entstanden<br />

Umschlagplätze, also Logistik; plus<br />

Weiterverarbeitung sowie – Umweltschutz<br />

ist eine boomende Branche –<br />

zunehmend Betriebe, die sich mit<br />

Recycling beschäftigen. Der Vorteil<br />

eines ausgewiesenen Industriegebietes:<br />

Es gelten weit niedrigere Werte für<br />

Emissionen, Bodenbelastung oder auch<br />

für Lärm als in einem Gewerbegebiet.<br />

Niemand will daran rütteln. Bisher.<br />

Wir sind die Berzeliusstraße weitergegangen,<br />

bis sie die Moorfleeter Straße<br />

kreuzt. Genau an der Ecke steht ein<br />

Backsteinbau wie aus dem Bilderbuch:<br />

roter Ziegel, Sprossenfenster, die Fassade<br />

der oberen Etagen kunstvoll verziert,<br />

erbaut 1923. „Das Haus spielt in einer<br />

Liga mit den Kurt-Schumacher-Bauten<br />

wie dem Chile-Haus“, sagt Ziegenbalk<br />

knapp. Hier war einst die Verwaltung<br />

der Zinnhütte untergebracht, später saß<br />

hier die Polizeirevierwache 92. Nun befinden<br />

sich in dem denkmalgeschützten<br />

Bau überwiegend Proberäume für<br />

Musiker:innen und Bands. Als sei es so<br />

abgesprochen, stoßen wir auf vier<br />

Männer, die aus einem Kombi Gitarrenkoffer<br />

und Lautsprecherboxen wuchten.<br />

„Wir sind ältere Herren, dazu zwei<br />

junge Frauen, die toll singen können,<br />

spezialisiert auf Blues und Rock“,<br />

stellen sie sich vor. Sie richten ihren<br />

Raum gerade ein, wir könnten gerne<br />

mit anpacken, aber wir wollen ja weiter.<br />

Wechseln die Straßenseite, gehen<br />

ein Stück die Moorfleeter hoch, biegen<br />

gleich die nächste links in den Billbrookdeich,<br />

gehen auf ein eindrucksvolles,<br />

massiges Gebäude zu: leuchtender Backstein<br />

auch hier, scheinbar frisch saniert.<br />

Ralph Ziegenbalk bleibt plötzlich stehen.<br />

Er weist auf drei quadratische und<br />

matte Würfel hin, die in den Gehweg<br />

eingelassen sind: Stolpersteine. „Manchmal<br />

parken die Autos darauf“, sagt er.<br />

Einer ist für Clara Tuch verlegt worden,<br />

der zweite für Theodor Tuch – deren<br />

Leben ebenso von der Geschichte<br />

Billbrooks erzählt. Denn die Tuchs übernahmen<br />

hier eine 1889 gegründete, gut<br />

eingeführte Großwäscherei, Reinigung<br />

und Färberei mit 200 Mitarbeiter:innen.<br />

Sie belieferten von hier aus nicht nur<br />

47<br />

20 Filialen in der ganzen Stadt, sondern<br />

auch die Schifffahrts-Linien im Hamburger<br />

Hafen und die Hamburger Theater.<br />

Bis sie 1939 als sogenannte „Nicht-<br />

Arier“ gezwungen wurden, ihre Firma<br />

zu verkaufen, wobei die Hamburger<br />

Finanzdirektion einen erheblichen<br />

„Entjudungsgewinn“ einstrich. Eine<br />

Zeitlang duldete man die Tuchs noch<br />

auf dem Gelände. Dann wurden sie im<br />

Sommer 1942 nach Theresienstadt deportiert.<br />

Der dritte Stolperstein ist für<br />

die sow jetische Zwangsarbeiterin Ljuba<br />

Androssowa, die hier arbeiten musste,<br />

als die Tuchs schon nicht mehr lebten.<br />

Zwangsarbeiter:innen- und auch Kriegsgefangenenlager<br />

gab es in Billbrook einige;<br />

bauliche Relikte und damit Erinnerungsspuren<br />

sind nicht mehr vorhanden.


Jede Menge Brücken<br />

und verwunschene<br />

Orte: Billbrook<br />

hat einen ganz eigenen,<br />

spröden Charme.


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Nur wenige<br />

Backsteinbauten<br />

sind<br />

noch erhalten.<br />

Nach dem Krieg<br />

wurde aus dem<br />

Industrie- ein<br />

Gewerbegebiet.<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

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Dann stehen wir vor dem streng gesicherten<br />

backsteinernen Lagergebäude<br />

der „Firma Commentz“ mit seinem markanten<br />

Uhrenturm: 1922 als Terpentin-<br />

Destillationsbetrieb gestartet, ist es heute<br />

ein Abfüllbetrieb für Lösemittel und zugleich<br />

ein Gefahrenstofflager. Würden<br />

wir jetzt weiter geradeaus gehen, kämen<br />

wir zum Bullenhuser Kanal, zum Billekanal,<br />

schlussendlich zum Billehafen.<br />

Aber es fängt langsam an zu dämmern<br />

und wir wollen wieder zurück. Drehen<br />

also um, schleichen uns kurz auf ein offen<br />

liegendes Firmengelände, ein aufgebocktes<br />

Holzboot hat uns an gelockt und<br />

ein Stuhl, den sich vielleicht einer der<br />

Arbeiter für die Mittags- und Raucherpausen<br />

zurechtgestellt hat. Wir blicken<br />

plötzlich auf die idyllisch da liegende Bille,<br />

auf deren Wasseroberfläche sich die<br />

Wolken und die gegenüberliegenden<br />

Bäume sachte spiegeln und in der Sportboote<br />

vertäut liegen. „Wohnen am Wasser“,<br />

wem würde das jetzt nicht einfallen!<br />

Dazu ein Kanu-Verleih, ein nettes<br />

Café mit Bille-Blick, das hätte was.<br />

Zurück auf der Moorfleeter umbraust<br />

uns wieder der Verkehr. Wir<br />

überqueren schnell die hier vierspurige<br />

Brücke über die Bille und die Bundesstraße<br />

5. Am Ende nehmen wir die<br />

Fußgängertreppe, die, von Brombeersträuchern<br />

ziemlich zugewachsen, hinunterführt.<br />

Landen nun auf dem begrünten<br />

Billewanderweg, akkurat steht<br />

alle paar Meter eine Straßenlaterne.<br />

Wir treffen auf Radfahrende, die mit<br />

hohem Tempo stadtauswärts unterwegs<br />

sind. Drüben, durch den Fluss getrennt,<br />

erstreckt sich ein riesiges Logistikzentrum.<br />

Bis vor kurzem standen hier die<br />

Hallen des einstigen Metallwalzwerkes.<br />

Lange Reihen kleinerer Lkws belegen<br />

nun den Siegeszug des Onlinehandels.<br />

Nun zeigt Ziegenbalk nach links,<br />

wo man durch Büsche und Bäume auf<br />

die B 5 schaut und es wird klar, warum<br />

es hier so schön ruhig ist: der spätnachmittägliche<br />

Stau! Stoßstange an Stoßstange<br />

stehen die Autos, Sprinter und<br />

Lkws und kommen nur schrittweise voran,<br />

auf dem Weg zur Abfahrt „HH-<br />

Billstedt“, dann Richtung der Lübecker<br />

oder Berliner Autobahn, nach Bergedorf<br />

oder weiter ins Lauenburgische.<br />

„Überdeckeln“, sagt Ziegenbalk<br />

knapp. Die B 5 hier einfach unter einem<br />

Tunnel verschwinden lassen, so wie<br />

man es in Hamburgs Westen mit der<br />

A 7 auch gemacht habe. Diese Idee hätte<br />

schon vor zehn Jahren ein städteplanerischer<br />

Workshop entwickelt, um<br />

Flächen für die dringend gebrauchten<br />

neuen Wohngebiete zu schaffen. Nach<br />

so vielen Jahrzehnten alleinigem<br />

In dustrie- und Gewerbedasein könnte<br />

Billbrook dann immerhin an seinem<br />

nördlichen Rand ein echtes Wohnviertel<br />

bieten. •<br />

redaktion@hinzundkunzt.de<br />

Das Buch zur Tour<br />

„Die Billbrook-Tour. Viel mehr als eine<br />

Rundfahrt durch Hamburgs Industriegeschichte“:<br />

Darin führt Historiker Ralph<br />

Ziegenbalk zu 30 Stationen, zu Fuß oder<br />

per Fahrrad. Geschichtswerkstatt Billstedt<br />

(Hrsg.), 148 Abbildungen, 20 Euro.<br />

www.geschichtswerkstatt-billstedt.de<br />

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49


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Gegen den<br />

Trend<br />

Das Hamburger Onlineradio ByteFM liefert seit 13 Jahren<br />

handverlesene Musik – und dem ein oder anderen<br />

öffentlich-rechtlichen Urgestein ein neues Zuhause.<br />

Nun geht der Sender auf UKW – und erhofft sich viel.<br />

TEXT: LUKAS GILBERT<br />

FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK<br />

D<br />

ie Freiheit! Die ist, was<br />

Moderator und Journalist<br />

Klaus Walter am meisten<br />

schätzt beim Hamburger<br />

Radiosender ByteFm. Noch nie sei es<br />

vorgekommen, dass ihm jemand habe<br />

Vorgaben machen wollen, sagt Walter.<br />

Wohl auch aus diesem Grund entsteht<br />

im vierten Stock des ehemaligen Flakbunkers<br />

an der Feldstraße ein Programm,<br />

das so nirgendwo sonst zu<br />

hören ist.<br />

Gründer Ruben Jonas Schnell beschreibt<br />

den Anspruch von ByteFM<br />

so: „Ein musikjournalistisches Radio,<br />

das sich den ganzen Tag mit Popmusik<br />

beschäftigt. Und zwar auf so professionelle<br />

Art wie wir finden, dass es richtig<br />

ist.“ Der Sender bietet Musik abseits<br />

der Charts oder der immer gleichen<br />

Hits der 1980er- und 1990er-Jahre.<br />

Stattdessen: von Autor:innen zusammengestellte<br />

Sendungen aller erdenklichen<br />

Genres und eine intensive Auseinandersetzung<br />

mit der Musik. Rund um<br />

die Uhr, nicht nur in wenigen Programmfenstern<br />

am Rande des Tages.<br />

Für den Sender arbeiten insge samt<br />

etwa 100 Menschen. Neun fest an gestellt<br />

in der Hamburger Redaktion,<br />

zwölf als freie Mitarbeiter:innen und<br />

etwa 80 als ehrenamtliche Moderator:innen.<br />

Unter ihnen sind auch einige,<br />

die in der Vergangenheit Sendungen<br />

bei öffentlich-rechtlichen Radiosendern<br />

hatten oder noch heute haben.<br />

Bei ByteFM können sie ihr Programm<br />

komplett frei gestalten. Klaus Walter,<br />

der von Beginn an dabei ist, sagt:<br />

ByteFM sei wie eine Insel zwischen den<br />

immer gleichförmigeren Programmen<br />

vieler Radiosender.<br />

Das hört man. Die Musik ist oft<br />

nischig und bricht mit Hörgewohnheiten.<br />

Die Sendungen vermitteln aber<br />

immer den Eindruck: Hier sind Liebhaber:innen<br />

am Werk. Die Bandbreite<br />

der Musik reicht von Soul und Funk<br />

über Techno und Hamburger Schule<br />

bis zu Deutschrap, Afrobeats oder<br />

Klassik. Eine solche Vielfalt an Musikstilen<br />

ist in der deutschen Radiolandschaft<br />

die absolute Ausnahme. Ye im<br />

Duman, die als Teil des feministischen<br />

Kollektivs female:pressure in ihrer<br />

50


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

gleichnamigen Sendung einmal im<br />

Monat Musik von weiblichen DJs<br />

präsentiert, sieht es ähnlich: „Ich bin<br />

einfach froh, hier meine Sendung<br />

spielen zu können.“<br />

Möglich macht all das ein Förderverein,<br />

dem mehr als 7000 Mitglieder<br />

angehören, die im Schnitt 60 Euro<br />

im Jahr zahlen. Auf Werbespots zur<br />

Finanzierung verzichtet der Sender –<br />

auch das ein auffälliger Unterschied zu<br />

anderen Privatradios.<br />

„ByteFM ist ein<br />

verwirklichter<br />

Traum.“<br />

GRÜNDER RUBEN JONAS SCHNELL<br />

Bislang war das Programm lediglich<br />

online zu hören und seit einigen Jahren<br />

auch in einem täglichen Programmfenster<br />

im Radiosender 917XFM. Das ändert<br />

sich nun: ByteFM geht auf UKW.<br />

Welche Rolle spielt es für ein Internetradio,<br />

auch über Antenne empfangbar<br />

zu sein? Einerseits sei es super,<br />

um die Marke bekannter zu machen,<br />

sagt Gründer Schnell – etwa bei Autofahrer:innen,<br />

die nur zufällig einschalten<br />

und den Sender im Internet nie finden<br />

würden. UKW – das bedeutet aber<br />

auch Anerkennung. Wer in Deutschland<br />

eine UKW-Frequenz bekommt, ist<br />

Entscheidung der Landesmedienanstalten.<br />

Sender bewerben sich auf die wenigen<br />

freien Frequenzen, und die Mitglieder<br />

eines Medienrates entscheiden<br />

darüber, wer die Radiolandschaft bereichern<br />

darf. Sendelizenzen werden dann<br />

für viele Jahre vergeben. In Hamburg<br />

wurde gerade zum ersten Mal seit 1991<br />

ein Großteil der UKW-Lizenzen neu<br />

verteilt.<br />

ByteFM konnte sich durchsetzen<br />

und sendet ab 1. <strong>Januar</strong> auf 91,7 und<br />

104,0. Die etwas sperrige Begründung<br />

lautet: Das Programm habe am ehesten<br />

erwarten lassen, „die Meinungs- und<br />

Angebotsvielfalt zu fördern, das öffentliche<br />

Geschehen und die politischen<br />

Ereignisse sowie das kulturelle Leben<br />

in Hamburg darzustellen und auch<br />

bedeutsame politische, weltanschauliche<br />

und gesellschaftliche Gruppen zu<br />

Wort kommen zu lassen.“<br />

ByteFM-Gründer Schnell sagt:<br />

„Für das ganze Team ist diese Zuweisung<br />

durch die Medienanstalt einfach<br />

ein Ritterschlag. Das fühlt sich super<br />

an!“ Für zehn Jahre, mit Option auf<br />

weitere zehn Jahre, hat ByteFM die<br />

Frequenz nun sicher. Zum UKW-Start<br />

soll das Angebot des Senders noch<br />

mal erweitert werden und dann neben<br />

Musikjournalismus auch stärker kulturelle<br />

Themen der Stadt abbilden.<br />

Besonders freuen sich auch jene<br />

Moderator:innen, die selbst lange auf<br />

UKW gesendet haben. Volker Rebell<br />

ByteFM-Chef<br />

Ruben Jonas<br />

Schnell im<br />

Studio<br />

Unten: Die<br />

Redaktion bei<br />

der Arbeit.<br />

51<br />

zum Beispiel, der 40 Jahre lang Radio<br />

im Hessischen Rundfunk gemacht hat,<br />

bis sein Vertrag 2010 nicht verlängert<br />

wurde. Dass seine zweiwöchentliche<br />

ByteFM-Sendung „Kramladen“ nun<br />

auch klassisch über Antenne und Radiogerät<br />

empfangbar ist, sei ein „wunderbares<br />

UKW-Comeback“, sagt er.<br />

Sorge davor, dass sein Radiosender<br />

mit dem UKW-Start und einer hoffentlich<br />

steigenden Bekanntheit in den<br />

Mainstream abdriftet, hat Gründer<br />

Schnell nicht. Schließlich gebe es<br />

auch in Zukunft keinen Druck von<br />

außen. „ByteFM ist ein verwirklichter<br />

Traum. Diesen Traum zu verwässern?<br />

Ich wüsste nicht warum.“ •<br />

lukas.gilbert@hinzundkunzt.de


Kult<br />

Tipps für den<br />

Monat <strong>Januar</strong>:<br />

Mit viel Schwung<br />

ins neue Jahr!<br />

Ausstellung<br />

Klasse Gesellschaft<br />

Die Hamburger Kunsthalle besitzt eine<br />

umfangreiche Sammlung von Genremalerei<br />

niederländischer und flämischer<br />

Meister des 17. Jahrhunderts. Wie setzt<br />

man diese zeitgemäß in Szene? Was ist<br />

daran aktuell? Die Kuratorin Sandra<br />

Pisot konzentriert sich geschickt auf die<br />

überspitzten, ironischen Darstellungen<br />

des Alltags, wie ihn die Alten Meister in<br />

ihren Gemälden festhielten. Sie werden<br />

den höchst aktuellen Fotoarbeiten von<br />

Lars Eidinger gegenübergestellt, der<br />

nicht nur ein begnadeter Schauspieler<br />

ist, sondern auch mit scharfem Blick seine<br />

Nicht wegschauen! Lars Eidinger hat fotografiert.<br />

Umgebung dokumentiert – normalerweise<br />

auf Instagram. Kommentiert wird<br />

die Ausstellung mit Typographien von<br />

Stefan Marx: „I’ll be your Mirror“! •<br />

Hamburger Kunsthalle, Glockengießerwall<br />

5, bis 27.3., Mo geschlossen, Eintritt 16/8<br />

Euro, www.hamburger-kunsthalle.de<br />

52


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Kino<br />

Prosit Neujahr<br />

Jeff Bridges<br />

ist der „Dude“,<br />

hier in misslicher<br />

Lage.<br />

Im B-Movie startet das frische Jahr mit einem geradezu festivalartigen<br />

Programm von Kult filmen, die den Film „Der Rausch“ (von 2020, mit Mads<br />

Mikkelsen) nicht auf die leichte Schulter nehmen, auch „Einen Schluck für die<br />

Engel“ (2015, von Altmeister Ken Loach) bereithalten oder „Das süße Leben“<br />

(1960, Federico Fellinis Klassiker in restaurierter Fassung) feiern. Als die Coen-<br />

Brüder 1998 „The Big Lebowski“ ins Kino brachten, wurde der Bademantel<br />

über Nacht salonfähig: Den können Sie also ruhig anbehalten, falls Sie am<br />

Neujahrsabend ins Kino möchten. Der Dude (Jeff Bridges) taugt allerdings<br />

nicht in jeder Hinsicht als Vorbild. •<br />

B-Movie, Brigittenstraße 5, Sa, 1.1., 19.30 Uhr, und Sa, 15.1., 22 Uhr, „The Big Lebowski“,<br />

Eintritt 7/3,50 Euro, das komplette <strong>Januar</strong>-Programm: www.b-movie.de<br />

Lesebühne<br />

Poet:innen vor!<br />

Alle, die eigene, deutschsprachige<br />

Texte vor einem Publikum vortragen<br />

mögen, sind in Eidelstedt richtig!<br />

Ob blutige Anfänger, Selfpublisher<br />

oder gestandene Buchautorinnen:<br />

Hier sind alle gleich, in ruhiger und<br />

wohlwollender Atmosphäre. Die<br />

Teilnehmerzahl ist auf 14 begrenzt.<br />

Zehn davon können einen Text von<br />

maximal acht Minuten vortragen.<br />

Anmeldung: poeten@ekulturell.de •<br />

Eidelstedter KulturContainer, Erkenknick<br />

18, Mi, 12.1., 19 Uhr, Eintritt gegen<br />

Spende, www.ekulturell.de<br />

Neujahrskonzert<br />

Festliche Klänge<br />

Die Musiker:innen der Musikhochschule<br />

Lübeck läuten das Jahr<br />

mit den strahlenden Klängen der<br />

Blechbläser im Rahmen eines breit<br />

gefächerten Klassikprogramms ein.<br />

Frischer Wind für Kopf und Herz. •<br />

Sasel Haus, Saseler Parkweg 3,<br />

So, 16.1., 18 Uhr, Eintritt frei (Anmeldung<br />

erforderlich), www.sasel-haus.de<br />

FOTOS: LARS EIDINGER (S. 52), GERT JAN VAN ROOIJ (UNTEN); FILMSTILL: PICTURE ALLIANCE/I<br />

Ausstellung<br />

Abdriften<br />

Die Natur ist voll poetischer Schönheit<br />

und auch ausgereifter Technik. Das<br />

niederländische Künstler-Duo Lonneke<br />

Gordijn und Ralph Nauta, zusammen<br />

nennen sie sich „Drift“, lenkt mit seinen<br />

faszinierenden Installationen den Blick<br />

auf die Evolution der Natur. Das<br />

Museum für Kunst und Gewerbe mit<br />

seinen großen hohen Räumen ist wie<br />

gemacht für ihre erste große Einzelausstellung<br />

in Deutschland. Dort wird unter<br />

anderem das Werk „Fragile Future III“<br />

gezeigt, bestehend aus LEDs verziert mit<br />

echten Löwenzahnsamen. Zum fünften<br />

Geburtstag der Elbphilharmonie<br />

am 11.1. wird „Drift“ eine Open-Air-<br />

Performance zum Programm der<br />

Festwoche (9.–17.1.) beitragen. •<br />

Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz,<br />

7.1. bis 8.5., Mo geschlossen,<br />

Eintritt 12/8 Euro, www.mkg-hamburg.de<br />

„Fragile Future III“, Kunst mit<br />

LED und Löwenzahn<br />

Theater<br />

De ole Mann un de See<br />

Ernest Hemingways Klassiker aus<br />

dem Jahre 1952 ist ein zeitloses Stück<br />

Literatur. Der Mensch mit all seinen<br />

Hoffnungen und Sehnsüchten in den<br />

Naturgewalten – das funktioniert auch<br />

auf Platt ganz hervorragend. •<br />

Ohnsorg Theater, Heidi-Kabel-Platz 1, Do,<br />

20.1., 19 Uhr, ab 24,64 Euro, ohnsorg.de<br />

Klassik<br />

Matthias Kirschnereit<br />

Anlässlich seines 60. Geburtstages<br />

konzertiert der Pianist in seiner<br />

Heimatstadt Hamburg im Kleinen<br />

Saal der Elbphilharmonie: Brahms,<br />

Rachmaninow, Debussy und Chopin.<br />

Kirschnereit wurde 2021 zum<br />

Präsidenten der Johannes-Brahms-<br />

Gesellschaft Hamburg gewählt. •<br />

Elbphilharmonie, Platz der Deutschen<br />

Einheit 4, So, 23.1., 18 Uhr, Eintritt 49/<br />

19 Euro, www.elbphilharmonie.de<br />

53


Vortrag<br />

Sichtbarmachung<br />

„Nicht länger unsichtbar – Dekoloniale<br />

Perspektiven auf Trans und Non_<br />

Binary Identitäten“ lautet der Titel des<br />

Online-Vortrags von Shiv miri und<br />

Cuso Ehrich. Klingt sperrig, dahinter<br />

verbirgt sich aber eine spannende<br />

Analyse unseres Umgangs mit der<br />

LGBTIQA+-Community. Immer noch<br />

hält sich hartnäckig das Bild, dass<br />

Queerness, aber vor allem Trans und<br />

Non-Binary Identitäten ganz neue<br />

Phänomene seien und zu einer Art<br />

Trend geworden sind. Dabei haben<br />

der Kolonialismus und die weiße Vorherrschaft<br />

vielen Teilen der Welt eine<br />

Zweigeschlechtlichkeit aufgezwungen.<br />

Die Folge: die Unsichtbarmachung<br />

von Menschen jenseits von Mann und<br />

Frau. Jetzt tauchen in den Medien aber<br />

Regenbögen und bunte Einhörner auf,<br />

54<br />

„You belong“, ein Gemälde aus der Serie<br />

„Women of Colour“ von Joséphine Sagna<br />

Firmen rufen eine diverse Unternehmenskultur<br />

aus. Wie nachhaltig ist<br />

das Ganze? Ist das schon Solidarität?<br />

Im Anschluss gibt es einen Space ausschließlich<br />

für queere Personen mit<br />

Rassismuserfahrungen mit dem Ziel der<br />

Vernetzung und des Austausches. •<br />

W3, Online-Veranstaltung, Do, 20.1.,<br />

19–21 Uhr, Anmeldung erforderlich,<br />

Spende erwünscht, www.w3-hamburg.de


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Kinofilm des Monats<br />

Vorurteile<br />

des Alltags<br />

FOTOS: JOSÉPHINE SAGNA (S. 54), HYPE FILM-KINOVISTA (OBEN), PRIVAT<br />

Film<br />

Rock’n’Roll Revolution!<br />

Theater<br />

Smarte Kämpferinnen<br />

Sie kämpfen für die Vision einer<br />

besseren und gerechteren Welt:<br />

Protestbewegungen wie Black Lives<br />

Matter, Fridays for Future und Ni<br />

una menos kämpfen weltweit gegen<br />

Rassismus, Klimawandel und Gewalt<br />

gegen Frauen. Die Glitch AG widmet<br />

sich in einem Hybrid aus Installation<br />

und Performance Bewegungen mit<br />

Fokus auf weibliche Protestkulturen<br />

und ihre Digitalität. Raha Emami<br />

Khansari, Eva-Maria Glitsch und<br />

Christine Kristmann proben auf der<br />

Bühne den Aufstand, lassen Sitzblockaden<br />

mit choreographischen<br />

Elementen verschmelzen, verwandeln<br />

Brandbriefe in Synthiepop, Sturmhauben<br />

in gestrickte Brüste und<br />

Polsterlandschaften in Barrikaden.<br />

Let’s start the revolution! •<br />

Lichthof Theater, Mendelssohnstraße 15, Fr,<br />

28.1., Sa, 29.1., 20.15 Uhr, So, 30.1., 12 Uhr,<br />

Eintritt 24/8 Euro, www.lichthof-theater.de<br />

Theater macht Kino: Kirill<br />

Serebrennikovs Film „Leto“<br />

Das Thalia Theater feiert mit den Lessingtagen das Leben und holt Gastspiele<br />

aus Russland, Italien, Dänemark, Belgien, Litauen und Berlin nach Hamburg.<br />

Zum Spitzenprogramm zählt auch die Vorführung von Kirill Serebrennikovs<br />

Film „Leto“, der uns in das Leningrad der 1980er-Jahre entführt. Mike<br />

und Natascha lernen den Musiker Viktor kennen; zusammen werden die drei<br />

das Schicksal des Rock’n’Roll in der Sowjetunion verändern. •<br />

Thalia Theater, Alstertor, Di, 25.1., 20 Uhr, Eintritt 11/9 Euro, www.thalia-theater.de<br />

Comedy<br />

Gute-Laune-Challenge<br />

20 Jahre wird der Hamburger Comedy<br />

Pokal alt. Zum Jubiläum lassen die<br />

Macher:innen es krachen und gleich<br />

20 Comedians in 17 Shows auftreten,<br />

um den Witzigsten oder die Witzigste<br />

unter ihnen zu küren. Die einzelnen<br />

Shows finden an unterschiedlichen<br />

Orten statt, das Finale am Montag,<br />

31. <strong>Januar</strong> ab 19.30 Uhr, im Schmidts<br />

Tivoli. Sebastian Schnoy führt, natürlich<br />

in bester Moderatorenlaune,<br />

durch den Abend. •<br />

Schmidts Tivoli (u.a.), Spielbudenplatz 27-<br />

28 und verschiedene Stadtteilzentren, Fr,<br />

28.1., bis Mo, 31.1., Eintritt ab 15 Euro, alle<br />

Termine: www.hamburgercomedypokal.de<br />

Über Tipps für Februar freuen sich<br />

Simone Rickert und Regine Marxen.<br />

Bitte bis zum 10.1. schicken an:<br />

kult@hinzundkunzt.de<br />

Der <strong>Januar</strong> ist so etwas wie<br />

der kleine Küchengruß auf<br />

dem Jahresmenü. Er schürt<br />

große Erwartungen, sorgt<br />

meist für eine Überraschung<br />

und macht dennoch nicht<br />

satt. Was wird <strong>2022</strong> wohl auf<br />

uns zukommen? Dürfen wir<br />

ins Kino gehen? Wenn ja,<br />

sollten wir? Bei anspruchsvollen<br />

deutschen Filmen wie<br />

„Égalité“ hat man es leichter.<br />

Wenn man die nicht im Kino<br />

sehen darf, laufen sie kurze<br />

Zeit später auf den wenigen<br />

Qualitätssendern.<br />

Worum geht es? Alles beginnt<br />

mit einer Routineoperation.<br />

Bei der 14-jährigen<br />

Leila müssen die Mandeln<br />

raus. Doch nach dem kurzen<br />

Eingriff ist sie blind. Die Familie,<br />

vor allem Vater Attila,<br />

ist verzweifelt. Die Ärzte<br />

mauern und kanzeln ihn ab.<br />

Das Oberhaupt einer arabisch<br />

geprägten Familie gerät<br />

in eine Abwärtsspirale, in der<br />

er einen folgenschweren Plan<br />

in die Tat umsetzt.<br />

„Warum behandelt ihr<br />

mich immer wie ein Asi?“<br />

Die Frage, die Attila im Wartezimmer<br />

des Krankenhauses<br />

stellt, ist wohl das Leitmotiv<br />

von Égalité. So wird der<br />

Zuschauer Zeuge, mit welcher<br />

Härte die Klischees und<br />

Vorurteile des Alltags Menschen<br />

tatsächlich in eine Ecke<br />

treiben können, aus der sie<br />

nicht mehr herauskommen.<br />

Wer sich frei macht von<br />

Klischees und offen ist für<br />

Kino, das teils mehr Haltung<br />

als Unterhaltung ist, erlebt<br />

ein tiefgründiges Drama. •<br />

André Schmidt<br />

geht seit<br />

Jahren für uns<br />

ins Kino.<br />

Er arbeitet in der<br />

PR-Branche.<br />

55


Leselounge<br />

#3<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>347</strong>/JANUAR <strong>2022</strong><br />

Nefeli Kavouras<br />

(rechts) auf Tour<br />

mit Tanja Schwarz<br />

Auf ein Getränk mit …<br />

Tanja Schwarz<br />

Die Autorin geht mit unserer Kolumnistin Nefeli Kavouras<br />

in St. Georg spazieren. Dabei erzählt sie, was das<br />

Leben im Stadtteil mit ihrem neuen Erzählband zu tun hat.<br />

Tanja Schwarz überrascht mich mit ihrer<br />

Ortsauswahl und ihrem Wunschgetränk:<br />

Piccolo vom Kiosk unweit des<br />

Hauptbahnhofs. Wir befinden uns also<br />

in der Kälte, beide umhüllt von Schal<br />

und Jacke, während wir den Inhalt der<br />

grünen Fläschchen in Kaffeepappbecher<br />

füllen. Ich umklammere den<br />

Becher, nippe am spritzigen Getränk<br />

und lasse mir die Gegend von der<br />

Autorin zeigen.<br />

Tanja Schwarz veröffentlichte in<br />

diesem Jahr beim Hanser Verlag den<br />

Erzählband „In neuem Licht“. Ihre<br />

Miniaturen wurden inspiriert von ihrer<br />

Arbeit als Lehrerin für Deutsch als<br />

Fremdsprache. Dort begegneten ihr<br />

FOTOS: IMKE LASS<br />

Schicksale vieler Geflüchteter, und sie<br />

begann auf literarischer Ebene einen<br />

glaubhaften Anknüpfungspunkt zu erschaffen.<br />

„Schließlich kann ich ja nicht<br />

so tun, als hätte ich die Erfahrung gemacht,<br />

selbst in einem Schlauchboot zu<br />

sitzen. Aber ich wollte die Irritation<br />

erzählen, die ausgelöst wird, wenn<br />

unsereins einem anderen Menschen begegnet<br />

und interagiert. Das sind doch<br />

die spannenden Erfahrungen, wenn die<br />

Welt von außen reinkommt“, erzählt<br />

mir die Autorin, und zeigt mir daraufhin<br />

die Welt in der Langen Reihe, in<br />

der wir uns nun befinden.<br />

Man läuft vorbei an Bruno’s, einem<br />

Kaufhaus für den schwulen Lebensstil,<br />

am Caritasverband, am Biosupermarkt,<br />

und am geist+reich, einem Geschäft<br />

mit einer, laut Tanja Schwarz,<br />

erstaunlichen Auswahl an Opferkerzen.<br />

Wir bleiben an einer Mauer unweit<br />

einer Schule stehen, trinken weiter<br />

den wirklich kalten Piccolo, man hört<br />

die Autos vorbeifahren, das Kindergelächter<br />

im Hintergrund. Tanja wollte<br />

sich hier in der Gegend treffen, denn:<br />

„Ich finde oft, dass der Kosmos zerrissen<br />

sein könnte, aber wenn man hier<br />

so entlangläuft, merkt man, das ist<br />

er nicht. Man kann friedlich nebeneinander<br />

existieren.“<br />

Der Wunsch ihrer Figuren in „In<br />

neuem Licht“ ist aber nicht nur ein<br />

friedliches Nebeneinander- sondern ein<br />

Zusammenleben. Tanja Schwarz erzählt<br />

in den Geschichten auch von der<br />

Komplexität des Mutterseins. Für die<br />

Autorin, die selbst auch Mutter ist, geht<br />

es allerdings nicht darum, das Muttersein<br />

zu bereuen, wie es unter anderem<br />

medial auf Twitter durch #regrettingmotherhood<br />

weltweit diskutiert wurde.<br />

Sie erzählt mir stattdessen: „Ich wäre<br />

selbst lieber ein Vater gewesen. Als<br />

Mutter steht man in einem harten Verhältnis<br />

von totaler Abhängigkeit und<br />

Hingabe. Ein Vater kann die Nähe<br />

meist besser regulieren, kann besser<br />

Beruf und Vatersein vereinbaren.“<br />

Tanja Schwarz kommt daher auf den<br />

Begriff #envyingfatherhood. Was allerdings<br />

passiert, wenn diese Vaterstimme<br />

fehlt, untersucht Tanja Schwarz in<br />

ihrem nächsten Buch. Man kann jetzt<br />

schon gespannt sein. •<br />

redaktion@hinzundkunzt.de<br />

Buchtipp:<br />

„Was man sät“ und<br />

„Mein kleines Prachttier“,<br />

jeweils von<br />

Marieke Lucas<br />

Rijneveld (Suhrkamp).<br />

Beide Bücher findet<br />

Tanja Schwarz so<br />

sprachgewaltig, dass sie selbst dafür<br />

kaum die richtigen Worte findet.<br />

56


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Rätsel<br />

männliche<br />

Geschwister<br />

(Firma)<br />

Stelle,<br />

wo etwas<br />

aufhört<br />

kaufen,<br />

besorgen<br />

Speiseabrupte,<br />

kurze<br />

Bewegung,<br />

Stoß<br />

Währung<br />

in Südamerika<br />

u. Mexiko<br />

Trinken<br />

in der<br />

Runde<br />

6<br />

9<br />

1<br />

1<br />

1<br />

5<br />

4<br />

kleine<br />

Engels-<br />

2<br />

6<br />

8<br />

chinesisches<br />

Segelschiff<br />

Anfängerin<br />

auf<br />

einem<br />

Gebiet<br />

generell,<br />

universell<br />

3<br />

3<br />

7<br />

1<br />

5<br />

7<br />

Geldbehälter<br />

Schmuckstein<br />

Gipsornamentik<br />

4<br />

8<br />

4<br />

3<br />

9<br />

7<br />

2<br />

1<br />

6<br />

Bogen<br />

auf zwei<br />

Pfeilern<br />

5<br />

4<br />

4<br />

2<br />

Bauer<br />

in „Max<br />

und<br />

höherer<br />

türkischer<br />

Titel<br />

mehrmals,<br />

wiederholt<br />

norwegischer<br />

Schriftsteller<br />

†<br />

Insel<br />

in Norddalmatien<br />

Gebirge<br />

zwischen Wüstenrastort<br />

Asien und<br />

Europa<br />

8<br />

6<br />

5<br />

AR0909-1219_11sudoku<br />

Pariser<br />

Flughafen<br />

an einem<br />

hoch<br />

gelegenen<br />

Ort<br />

Stadt in<br />

Vietnam<br />

Tierfuß<br />

Adliger<br />

im alten<br />

Peru<br />

Telefongespräch<br />

Segelkommando:<br />

wendet!<br />

Notlösung,<br />

Provisorium<br />

Anstrengung<br />

französisch:<br />

See<br />

Geliebte<br />

Tristans<br />

Moritz“<br />

getrocknetes<br />

Kokosnuss-<br />

Stadt im<br />

Rhônedelta<br />

Kunststil<br />

des<br />

18. Jahrhunderts<br />

Fenstervorhang<br />

identisch<br />

keitsformel<br />

kanadischer<br />

Wapitihirsch<br />

nagetierähnlicher<br />

Säuger<br />

Kindeskind<br />

krampfartiges<br />

Muskelzucken<br />

kostspielig<br />

Währungseinheit<br />

in Japan<br />

Füllen Sie das Gitter<br />

so aus, dass die Zahlen<br />

von 1 bis 9 nur je einmal<br />

in jeder Reihe, in jeder<br />

Spalte und in jedem<br />

Neun-Kästchen-Block<br />

vorkommen.<br />

Als Lösung schicken<br />

Sie uns bitte die farbig<br />

gerahmte, unterste<br />

Zahlenreihe.<br />

Lösungen an: Hinz&<strong>Kunzt</strong>, Minenstraße 9, 20099 Hamburg,<br />

per Fax an 040 32 10 83 50 oder per E-Mail an info@hinzundkunzt.de.<br />

Einsendeschluss: 28. <strong>Januar</strong> <strong>2022</strong>. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.<br />

Wer die korrekte Lösung für eines der beiden Rätsel einsendet, kann<br />

zwei Karten für die Hamburger Kunsthalle gewinnen oder eines von drei<br />

Büchern „Wie Kater Zorbas der kleinen Möwe das Fliegen beibrachte“<br />

(S. Fischer Verlag).<br />

Das Lösungswort des Dezember-Kreuzwort rätsels war: Honigbiene.<br />

Die Sudoku-Zahlenreihe lautete: 153 279 684.<br />

6<br />

5<br />

5<br />

4<br />

1<br />

10<br />

7<br />

8<br />

8<br />

9<br />

6<br />

1<br />

10<br />

2<br />

121911 – raetselservice.de<br />

Impressum<br />

Redaktion und Verlag<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH<br />

Minenstraße 9, 20099 Hamburg<br />

Tel. 040 32 10 83 11, Fax 040 32 10 83 50<br />

Anzeigenleitung Tel. 040 32 10 84 01<br />

E-Mail info@hinzundkunzt.de, www.hinzundkunzt.de<br />

Herausgeber<br />

Landespastor Dirk Ahrens, Diakonisches Werk Hamburg<br />

Externer Beirat<br />

Prof. Dr. Harald Ansen (Armutsexperte HAW-Hamburg),<br />

Mathias Bach (Kaufmann), Dr. Marius Hoßbach (Korten Rechtsanwälte AG),<br />

Olaf Köhnke (Ringdrei Media Network),<br />

Karin Schmalriede (ehemals Lawaetz-Stiftung, i.R.),<br />

Dr. Bernd-Georg Spies (Spies PPP),<br />

Alexander Unverzagt (Medienanwalt), Oliver Wurm (Medienberater)<br />

Geschäftsführung Jörn Sturm<br />

Redaktion Annette Woywode (abi, CvD; V.i.S.d.P. für Gut&Schön,<br />

Schwerpunkt Neustart, Fotoreportage, Freunde, <strong>Kunzt</strong>&Kult),<br />

Lukas Gilbert (lg, V.i.S.d.P. für die Zahlen des Monats,<br />

Buh&Beifall, die Momentaufnahme)<br />

Benjamin Laufer (bela, V.i.S.d.P für das Stadtgespräch),<br />

Jonas Füllner (jof), Ulrich Jonas (ujo)<br />

Simone Deckner (sim), Kirsten Haake (haa),<br />

Jochen Harberg (joc), Anna-Elisa Jakob (aej), Nefeli Kavouras (mnk),<br />

Frank Keil (fk), Regine Marxen (rem), Simone Rickert (sr)<br />

Online-Redaktion Benjamin Laufer (CvD), Jonas Füllner, Lukas Gilbert<br />

Korrektorat Christine Mildner<br />

Redaktionsassistenz Cedric Horbach,<br />

Sonja Conrad, Anja Steinfurth<br />

Artdirektion grafikdeerns.de<br />

Öffentlichkeitsarbeit Sybille Arendt, Friederike Steiffert<br />

Anzeigenleitung Sybille Arendt<br />

Anzeigenvertretung Gerald Müller,<br />

Wahring & Company, Tel. 040 284 09 418, g.mueller@wahring.de<br />

Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 27 vom 1. <strong>Januar</strong> <strong>2022</strong><br />

Vertrieb Christian Hagen (Leitung), Gabor Domokos,<br />

Meike Lehmann, Sergej Machov, Frank Nawatzki,<br />

Sigi Pachan, Elena Pacuraru, Reiner Rümke, Marcel Stein,<br />

Eugenia Streche, Cornelia Tanase, Silvia Zahn<br />

Spendenmarketing Gabriele Koch<br />

Spendenverwaltung/Rechnungswesen Susanne Wehde<br />

Sozialarbeit Stephan Karrenbauer (Leitung), Jonas Gengnagel,<br />

Isabel Kohler, Irina Mortoiu<br />

Das Stadtrundgang-Team Stephan Karrenbauer (Leitung),<br />

Chris Schlapp<br />

Das BrotRetter-Team Stephan Karrenbauer (Leitung),<br />

Stefan Calin, Fred Houschka, Mandy Schulz<br />

Das Team von Spende Dein Pfand am Airport Hamburg<br />

Stephan Karrenbauer (Leitung), Uwe Tröger,<br />

Klaus Peterstorfer, Herbert Kosecki<br />

Litho PX2 Hamburg GmbH & Co. KG<br />

Produktion Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />

Druck und Verarbeitung A. Beig Druckerei und Verlag,<br />

Damm 9–15, 25421 Pinneberg<br />

QR Code ist ein eingetragenes Warenzeichen von Denso Wave Incorporated<br />

Leichte Sprache capito Hamburg, www.capito-hamburg.de<br />

Spendenkonto Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

IBAN: DE56 2005 0550 1280 1678 73<br />

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Die Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH mit Sitz in Hamburg ist durch den aktuellen<br />

Freistellungsbescheid bzw. nach der Anlage zum Körperschaftssteuerbescheid<br />

des Finanzamts Hamburg-Nord, Steuernummer 17/414/00797,<br />

vom 15.3.2021 für das Jahr 2019 nach § 5 Abs.1 Nr. 9 des Körperschaftssteuergesetzes<br />

von der Körperschaftssteuer und nach<br />

§ 3 Nr. 6 des Gewerbesteuergesetzes von der Gewerbesteuer befreit.<br />

Geldspenden sind steuerlich nach §10 EStG abzugsfähig. Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist als<br />

gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH im Handelsregister beim<br />

Amtsgericht Hamburg HRB 59669 eingetragen.<br />

Wir bestätigen, dass wir Spenden nur für die Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

einsetzen. Adressen werden nur intern verwendet und nicht an Dritte<br />

weitergegeben. Beachten Sie unsere Datenschutzerklärung, abrufbar auf<br />

www.hinzundkunzt.de. Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist ein unabhängiges soziales Projekt, das<br />

obdachlosen und ehemals obdachlosen Menschen Hilfe zur Selbsthilfe bietet.<br />

Das Magazin wird von Journalist:innen geschrieben, Wohnungslose und<br />

ehemals Wohnungslose verkaufen es auf der Straße. Sozialarbeiter*innen<br />

unterstützen die Verkäufer:innen.<br />

Das Projekt versteht sich als Lobby für Arme.<br />

Gesellschafter<br />

Durchschnittliche monatliche<br />

Druckauflage 4. Quartal 2021:<br />

72.333 Exemplare<br />

57


Momentaufnahme<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>347</strong>/JANUAR <strong>2022</strong><br />

„Halleluja – die Straße<br />

war schlimm“<br />

Boguslawa, 50, verkauft bei Lidl am Niendorfer Markt.<br />

TEXT: LUKAS GILBERT; FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

Vorläufig: Mit 19 Jahren folgt für Boguslawa<br />

Schicksalsschlag auf Schicksalsschlag.<br />

Erst erhängt sich ihr Bruder.<br />

Wieso, das weiß sie bis heute nicht. Drei<br />

Monate später stirbt ihr Vater an einem<br />

Herzinfarkt. „Katastroph. Das war Katastroph“,<br />

sagt die 50-Jährige, heute<br />

noch immer sichtlich bewegt, in gebrochenem<br />

Deutsch. Bis dahin lebte sie unbeschwert<br />

mit ihren Eltern und den beiden<br />

Geschwistern auf einem Hof nahe<br />

der Stadt Krosno im polnischen Karpatenvorland.<br />

Doch nun war alles anders.<br />

Boguslawas Schwester heiratete und<br />

zog mit ihrem Mann zusammen. Ihre<br />

Mutter war ihr Leben lang Hausfrau<br />

und schon im Rentenalter. Sich zu zweit<br />

ohne das Einkommen des Vaters durchzuschlagen,<br />

war hart. Doch immerhin:<br />

Weil sie auf ihrem Hof Tiere hielten und<br />

Gemüse anbauen konnten, kamen sie<br />

auch ohne viel Geld über die Runden.<br />

Drei Jahre später zog Boguslawa<br />

mit Arthur zusammen. Ihn hatte sie zuvor<br />

kennen- und lieben gelernt und<br />

schließlich geheiratet. Die beiden bekamen<br />

drei Kinder, doch Arthur stellte<br />

sich schnell als „Arschloch“ heraus, wie<br />

Boguslawa heute unumwunden sagt. Er<br />

trank viel und schlug seine Frau – doch<br />

die ertrug die Ehe. Der Kinder wegen.<br />

Neben Erziehung und Haushalt, putzte<br />

sie in einem Krankenhaus und half bei<br />

Hochzeitsfeiern in der Umgebung in<br />

der Küche aus. Wie sie das alles aushalten<br />

konnte? „Musste ja“, sagt sie pragmatisch.<br />

Als die Kinder alt genug waren,<br />

musste aber nichts mehr. Sie reichte<br />

die Scheidung ein und verabschiedete<br />

sich in Richtung Hamburg, wo ihr<br />

entfernte Bekannte einen Platz zum<br />

Schlafen und eine Arbeit versprachen.<br />

Vor etwa zehn Jahren war das.<br />

Doch bei der Arbeit in einem Pinneberger<br />

Imbiss bekam sie nur wenige<br />

100 Euro, obwohl sie den ganzen Tag<br />

schuftete. Bei ihren Bekannten konnte sie<br />

zwar schlafen, allerdings auf dem Fußboden.<br />

Nach einigen Monaten packte sie<br />

ihre Sachen. Auf sich allein gestellt<br />

machte sie Platte und besorgte sich Essen<br />

bei Suppenküchen. „Halleluja – die<br />

Straße war schlimm“, sagt sie und fasst<br />

sich mit beiden Händen an den Kopf.<br />

Noch schlimmer wurde es, als die Temperaturen<br />

sanken und der Winter einbrach.<br />

Den verbrachte sie im Winternotprogramm,<br />

das damals noch in<br />

abrissreifen Hochhäusern in der Spaldingstraße<br />

untergebracht war. Schrecklich<br />

sei das gewesen. Voll, kalt und laut –<br />

an Erholung nicht zu denken.<br />

Doch nach einigen Monaten auf der<br />

Straße und im Winternotprogramm verbesserte<br />

sich ihre Situation zumindest<br />

etwas. Schlafen kann sie bei echten<br />

Freunden. Nicht auf dem Boden, sondern<br />

in einem Bett. Außerdem verkauft<br />

sie Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Das bringt ein kleines<br />

Einkommen und vor allem Kontakte.<br />

„Super“ seien ihre Kund:innen, sagt sie<br />

und fasst sich dabei mit großer Geste ans<br />

Herz. Regelmäßig bringen die ihr etwa<br />

auch warme Sachen für die kalten Wintermonate<br />

vorbei, erkundigen sich, wie<br />

es ihr geht. Ihr größter Wunsch? Gesundheit.<br />

Für sich, aber vor allem für die<br />

Kinder, mit denen sie den Kontakt hält –<br />

regelmäßig schreiben sie sich und schicken<br />

Fotos hin und her. Und falls es noch<br />

etwas sein dürfte: einen kleinen Hund. •<br />

lukas.gilbert@hinzundkunzt.de<br />

Boguslawa und alle anderen<br />

Hinz&Künztler:innen erkennt man<br />

am Verkaufsausweis.<br />

6154<br />

58


Vorsatz <strong>2022</strong>:<br />

Mehr<br />

zuhören!<br />

In unserer Podcastserie »Gesellschaft besser machen« treffen wir auch im<br />

neuen Jahr wieder jede Woche auf Menschen, die sich mit dem Status quo<br />

nicht zufriedengeben.<br />

Egal ob Köch:innen, Musiker:innen, Autor:innen, Forscher:innen oder<br />

Politiker:innen.<br />

Jetzt reinhören!

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