Hinz&Kunzt 347 Januar 2022
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Das Hamburger<br />
Straßenmagazin<br />
Seit 1993<br />
N O <strong>347</strong><br />
Jan. 22<br />
2,20 Euro<br />
Davon 1,10 Euro für<br />
unsere Verkäufer:innen<br />
Auf zu<br />
neuen Ufern!<br />
Schwerpunkt: Neustart
Editorial<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>347</strong>/JANUAR <strong>2022</strong><br />
Für unseren<br />
Schwerpunkt zum<br />
Thema „Neustart“<br />
hat sich Autorin<br />
Simone Deckner mit<br />
Job coachin Andrea<br />
Landschof getroffen.<br />
Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“ So poetisch hat der Dichter<br />
Hermann Hesse ein Gefühl beschrieben, das Sie sicherlich kennen: das des<br />
Aufbruchs. Wenn ein neues Jahr beginnt, denken wir öfter als gewöhnlich<br />
darüber nach, was wir anders, besser machen könnten. In unserem Privatleben,<br />
im Job, grundsätzlich. Mit unserem Schwerpunkt wollen wir Ihnen<br />
Ideen an die Hand geben, wie ein Neustart gelingen kann.<br />
Dafür haben wir eine ausgewiesene Expertin besucht: Anastasia<br />
Umrik. Die 34-Jährige hat eine Krankheit, die ihr im Verlauf ihres Lebens<br />
immer mehr Muskeln nehmen wird – und damit auch immer mehr Freiheit.<br />
Uns hat sie erzählt, wie die Behinderung ihre Lehrmeisterin wurde. Und wie<br />
wir alle Krisen in einen Neubeginn verwandeln können.<br />
Die Chance auf einen Neustart haben auch die Obdachlosen ergriffen,<br />
die in Wien am sogenannten Peers-Projekt teilnehmen. Sie kümmern<br />
sich um das Wohl von Schicksalsgenoss:innen und werden so zu erfahrenen<br />
Lebensbegleiter:innen für andere.<br />
Einen bemerkenswerten Wandel erleben wir derzeit in der Obdachlosenpolitik:<br />
Nach der Europäischen Union haben nun fast alle Bundesländer<br />
kürzlich erklärt, dass es bis spätestens 2030 keine Menschen mehr<br />
geben soll, die auf der Straße leben müssen – auch Hamburg.<br />
Die Ampel-Koalition im Bund stellt ebenfalls einen politischen Neuanfang<br />
in Aussicht. Doch was ist von den Versprechungen der selbst ernannten<br />
„Zukunftskoalition“ zu halten? Das haben wir die Bundessprecherin der<br />
Grünen Jugend Sarah-Lee Heinrich im Interview gefragt.<br />
Übrigens wage auch ich einen Neustart: Nach 24 Jahren als freier<br />
Journalist arbeite ich ab diesem Monat als festangestellter Redakteur bei<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Die Arbeit im Team macht großen Spaß. Oft denke ich<br />
deshalb in diesen Tagen: Besser kann ein Jahr kaum beginnen.<br />
<br />
Ihnen allen ein frohes neues Jahr!<br />
Ihr Ulrich Jonas<br />
Schreiben Sie uns an: briefe@hinzundkunzt.de<br />
FOTOS SEITE 2: DMITRIJ LELTSCHUK<br />
TITELFOTO: GETTYIMAGES/SHUNLI ZHAO<br />
2
Inhalt <strong>Januar</strong> <strong>2022</strong><br />
14<br />
Grüne-Jugend-<br />
Sprecherin Sarah-Lee<br />
Heinrich im Interview<br />
08<br />
Rastlos: Unterwegs<br />
mit Hamburger<br />
Obdachlosen<br />
18<br />
Wie der Energiehunger<br />
Lebensgrundlagen<br />
zerstört<br />
Stadtgespräch<br />
06 „Endlich haben unsere Appelle Gehör gefunden“<br />
Bis 2030 soll es keine Obdachlosigkeit mehr geben.<br />
08 Immer in Bewegung<br />
Obdachlose müssen ihre Unterkünfte tagsüber verlassen.<br />
14 Fridays for Future fürs Soziale<br />
Grüne-Jugend-Sprecherin Sarah-Lee Heinrich im Interview<br />
Fotostrecke<br />
18 „Wie eine Suchtgemeinschaft“<br />
Robin Hinsch zeigt die Folgen des globalen Energiehungers.<br />
Neustart<br />
28 Von jetzt an radikal<br />
Anastasia Umrik weiß, wie man Kraft aus Krisen schöpft.<br />
32 „Dinge entstehen beim Gehen“<br />
Jobcoachin Andrea Landschof im Interview<br />
36 Pionierprojekt: Die kennen sich aus<br />
In Wien werden ehemals Wohnungslose zu „Peers“ ausgebildet.<br />
Freunde<br />
40 „Alles vorwärts – los!“<br />
Ruder:innen sammeln Spenden für Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
44 Idylle entlang der Bille<br />
Rundgang durch Hamburgs Industriegeschichte<br />
50 Gegen den Trend<br />
Das Hamburger Internetradio ByteFM geht auf UKW.<br />
52 Tipps für den <strong>Januar</strong><br />
56 Kolumne: Auf ein Getränk mit Tanja Schwarz<br />
58 Momentaufnahme: Hinz&Künztlerin Boguslawa<br />
50<br />
ByteFM:<br />
Internetradio<br />
goes UKW<br />
Rubriken<br />
04 Gut&Schön<br />
12 Zahlen des Monats<br />
26 Meldungen<br />
42 Buh&Beifall<br />
57 Rätsel, Impressum<br />
Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk
Kunst-Retoure<br />
26 Objekte afrikanischer Kunst will<br />
die Lübecker Völkerkundesammlung<br />
jetzt freiwillig nach Namibia und<br />
Äquatorialguinea zurückgeben –<br />
obwohl nicht klar ist, ob es sich bei<br />
den Exponaten aus dem frühen<br />
20. Jahrhundert (siehe Foto)<br />
tatsächlich um Raubkunst<br />
handelt. „Wir müssen aber<br />
den unermess lichen Wert<br />
berücksichtigen, den diese<br />
Stücke für die Menschen in<br />
Afrika haben“, sagt Sammlungs<br />
leiter Lars Frühsorge. Auch<br />
das Hamburger Museum am<br />
Rothenbaum gibt noch in diesem<br />
Jahr 179 Objekte an Nigeria<br />
zurück. Die Benin-Bronzen sind<br />
allerdings „klar koloniales Raubgut“, so<br />
Direktorin Barbara Plankensteiner gegenüber<br />
der „Zeit“. Bevor die Kunstschätze verschifft<br />
werden, sind sie noch einmal in der Ausstellung<br />
„Benin. Geraubte Geschichte“ zu sehen. JOC/ABI<br />
Geraubte Geschichte:<br />
MARKK – Museum am Rothenbaum,<br />
Rothenbaumchaussee 64, Di–So, 10–18 Uhr,<br />
Do bis 21 Uhr, 8,50/4,50 Euro,<br />
www.markk-hamburg.de<br />
JOC/ABI<br />
•
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Gut&Schön<br />
Engagementpreis<br />
Schwarze Vorbilder<br />
Eine überzeugende<br />
Verbindung „von Mentoring<br />
und rassismussensiblem<br />
Empowerment“:<br />
So lobt die Jury<br />
des „Deutschen Engagementpreis<br />
2021“ das<br />
Projekt „Vorbilder“.<br />
Der Hamburger Verein<br />
„Future of Ghana Germany“<br />
verbindet seit<br />
2016 Schwarze Mentor:innen<br />
mit Jugendlichen,<br />
um letztere zu<br />
unterstützen und zwischen<br />
Kind, Eltern und<br />
Schule zu vermitteln. JOC<br />
•<br />
Weitere Infos: www.fog-germany.de<br />
FOTOS: VÖLKERKUNDESAMMLUNG HL (S. 4), DARON BANDEIRA (OBEN),<br />
DMITRIJ LELTSCHUK (UNTEN LINKS), CARLOS KELLA (MITTE), DAK-GESUNDHEIT (UNTEN RECHTS)<br />
Natur-Refugium in Heimfeld<br />
Sichere Heimat für 37 Brutvogel-,<br />
11 Fledermaus- und sage und<br />
schreibe 440 Käferarten, von denen<br />
122 auf der „Roten Liste“ stehen:<br />
Das „Heimfelder Holz“ ist offiziell<br />
zum Naturschutzgebiet deklariert<br />
worden. Das 88 Hektar große Waldgebiet<br />
mit altem Mischwald und<br />
zwei sogenannten „Urwaldrelikt-<br />
Arten“ ist nun das 37. Naturschutzgebiet<br />
Hamburgs und darf damit<br />
nicht mehr forstwirtschaftlich bearbeitet<br />
werden. Knapp zehn Prozent<br />
der Stadtfläche sind jetzt streng<br />
naturgeschützt – so viel wie in<br />
keinem anderen Bundesland! JOC<br />
•<br />
Weihnachtsessen „To-Go“<br />
Bereits zum zweiten Mal unter<br />
Corona-Bedingungen, aber trotzdem<br />
beliebt und begehrt bei der<br />
„Kundschaft“: Mehr als 400 gut<br />
verpackte Weihnachtsmenüs konnte<br />
der „Friends Cup Fördervein“ an<br />
seinem Eventtag an Hamburger<br />
Bedürftige ausgeben. Unser Foto<br />
zeigt das Orga-Team um den<br />
1. Vereinsvorsitzenden, den früheren<br />
St. Pauli-Fußballprofi Jan-Philipp<br />
Kalla (Mitte), und Sven Flohr (rechts).<br />
Über 100 Helfer:innen im Ehrenamt<br />
machten das Angebot möglich –<br />
auch viele Hinz&Künztler:innen<br />
nahmen es gerne an und wahr. JOC<br />
•<br />
Komasuff?<br />
Nein, danke!<br />
Lieber im<br />
Rausch der<br />
Farben als im<br />
Vollrausch:<br />
Zwei 17-jährige<br />
Schülerinnen<br />
der Sophie-<br />
Barat-Schule<br />
haben mit ihrem<br />
Plakat den DAK-<br />
Landeswettbewerb „bunt statt blau“<br />
gegen Komasaufen gewonnen.<br />
Petra Ludewig Martins und Krisha<br />
Dalig setzten sich mit ihrer Arbeit<br />
gegen 150 Konkurrent:innen durch<br />
und dürfen sich jetzt über die<br />
Siegerprämie von 300 Euro freuen.<br />
Ebenfalls erfreulich: Der Alkoholmissbrauch<br />
junger Menschen in<br />
Hamburg ist zumindest rückläufig.<br />
Nach den aktuellsten Zahlen aus<br />
2019 kamen 161 Zehn- bis 20-jährige<br />
volltrunken in eine Klinik –<br />
das ist ein Rückgang um knapp<br />
20 Prozent. JOC<br />
•<br />
5
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>347</strong>/JANUAR <strong>2022</strong><br />
Die neue Bundesregierung und<br />
der Hamburger Senat legen sich fest:<br />
Bis zum Jahr 2030 soll es<br />
keine Obdachlosigkeit mehr geben.<br />
TEXT: BENJAMIN LAUFER<br />
6
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Acht Jahre noch, dann soll es in Deutschland keine<br />
Obdachlosen mehr geben. Mit diesem Versprechen geht<br />
die neue Bundesregierung an den Start. Im Koalitionsvertrag<br />
hat die Ampel festgelegt: „Wir setzen uns zum<br />
Ziel, bis 2030 Obdach- und Wohnungslosigkeit zu überwinden<br />
und legen einen Nationalen Aktionsplan dafür<br />
auf.“ Wenig später hat sich auch der Hamburger Senat<br />
zu diesem Ziel bekannt.<br />
Das wurde auch Zeit! Schon seit 2015 steht in der<br />
Agenda 2030 der Vereinten Nationen, dass alle Menschen<br />
Zugang zu angemessenem Wohnraum haben sollen.<br />
Auch Deutschland verpflichtete sich damals dazu.<br />
Doch die Umsetzung hat die große Koalition jahrelang<br />
verschleppt: Ein angekündigtes Maßnahmenpaket<br />
wurde nie vorgelegt. Auch die Hamburger Regierungsparteien<br />
wollten sich bislang nicht auf konkrete Ziele in<br />
der Bekämpfung von Obdachlosigkeit festlegen.<br />
„Es geht darum,<br />
Obdachlosigkeit zu<br />
beseitigen.“<br />
SPD-VIZE KEVIN KÜHNERT<br />
Doch langsam kommt Bewegung in die Sache, angestoßen<br />
durch einen Appell des Europaparlaments. Vergangenen<br />
Sommer unterzeichnete Deutschland die Erklärung<br />
von Lissabon. Danach soll 2030 niemand in der<br />
EU mehr auf der Straße leben müssen – und auch nicht<br />
länger als nötig in Notunterkünften. Nun greift die<br />
Ampel den Plan auf, nachdem sich im Wahlkampf vor<br />
allem die Grünen dafür stark gemacht hatten.<br />
Ist es dieses Mal mehr als ein Lippenbekenntnis?<br />
SPD-Vize Kevin Kühnert sagte Anfang Dezember im<br />
ZDF: „Es geht nicht darum, ein paar Menschen aus der<br />
Obdachlosigkeit herauszuholen. Es muss darum gehen,<br />
sie zu beseitigen.“ Dieses Ziel dürfe nicht mehr zur<br />
Diskussion stehen, sondern nur noch der Weg dorthin,<br />
erklärte Kühnert. Wo dieser entlangführen wird, ist nun<br />
die spannende Frage. Der 177 Seiten lange Koalitionsvertrag<br />
bleibt recht unkonkret.<br />
Das Bekenntnis zur Agenda 2030 und der Erklärung<br />
von Lissabon macht Expert:innen dennoch<br />
Hoffnung. „Wir sind hocherfreut!“, kommentierte<br />
die Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft<br />
Wohnungslosenhilfe, Werena Rosenke, den Koalitionsvertrag.<br />
„Endlich haben unsere Appelle Gehör gefunden.“<br />
Hamburgs Diakonie-Chef und Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />
Herausgeber Dirk Ahrens sieht im Vorhaben der Ampel<br />
auch einen Auftrag für die Hansestadt – schließlich ist<br />
die Bekämpfung der Obdachlosigkeit vor allem Ländersache:<br />
„Unsere Erwartung ist, dass der Hamburger<br />
Senat diesen Impuls aufgreift, für Hamburg das gleiche<br />
Ziel formuliert und die dafür notwendigen wohnungsund<br />
sozialpolitischen Maßnahmen schnell auf den Weg<br />
bringt“, sagte er Ende November.<br />
Nur wenige Tage später legte sich Hamburgs Sozialsenatorin<br />
Melanie Leonhard (SPD) in der Konferenz<br />
der Sozialminister:innen fest: Auch in der Hansestadt<br />
soll es bis 2030 keine Obdachlosen mehr geben. Fast alle<br />
Bundesländer hatten dem Antrag von Berlins scheidender<br />
Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) zugestimmt,<br />
nur NRW hatte Bedenken. Anders als die Bundesregierung<br />
haben die Länder auch schon genauere<br />
Vorstellungen davon, wie Obdachlosigkeit beseitigt<br />
werden kann: mit „Housing First“. Nach diesem Ansatz<br />
bekommen obdachlose Menschen ohne viele Vorbedingungen<br />
eine eigene Wohnung. Derzeit laufen dazu<br />
verschiedene Modellprojekte, bald auch in Hamburg.<br />
Sie sollen nach dem Willen der Minister:innen als Regelangebot<br />
etabliert werden.<br />
Damit bleiben Hamburg acht Jahre, um den mindestens<br />
2000 Menschen auf den Straßen der Hansestadt<br />
eine Wohnung zu verschaffen. Wie soll das gehen? Woher<br />
sollen die Wohnungen dafür kommen? Senatorin Leonhard<br />
wollte Hinz&<strong>Kunzt</strong> dazu nichts sagen. Strategien<br />
und Konzepte müssten erst länderübergreifend entwickelt<br />
werden, hieß es dazu aus ihrer Behörde. Derzeit<br />
geht der Trend noch in eine andere Richtung: Alleine in<br />
den ersten drei Quartalen im vergangenen Jahr meldeten<br />
sich in Hamburg 2475 Haushalte obdachlos. •<br />
benjamin.laufer@hinzundkunzt.de<br />
Leichte Sprache:<br />
Es gibt den Text auch in Leichter Sprache.<br />
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7
Immer in Bewegung<br />
Wer im Winternotprogramm übernachtet, muss morgens<br />
die Unterkunft verlassen und darf erst abends wiederkommen –<br />
ein Grund dafür, dass viele Obdachlose das Angebot nicht nutzen.<br />
TEXT: ULRICH JONAS<br />
FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK<br />
8
Stadtgespräch<br />
in der „Markthalle“, seit Corona Tagesaufenthaltsstätte<br />
für Obdachlose. Und<br />
sind ziellos durch die Stadt gelaufen,<br />
um sich warm zu halten. Manchmal<br />
fahre sie ein paar Stationen S-Bahn,<br />
erzählt Conny. Ohne Ticket, wenn das<br />
Geld nicht reicht, das sie mit dem<br />
Sammeln von Pfandflaschen verdient.<br />
„Risiko“, sagt die 43-Jährige trocken.<br />
„An Ruhe ist<br />
im Dreibettzimmer<br />
nicht<br />
zu denken.“<br />
CONNY UND RONNY<br />
A<br />
n diesem Donnerstagnachmittag<br />
im Dezember haben Conny<br />
und Ronny es mal wieder beinahe<br />
geschafft. Es dämmert bereits, als<br />
sie den Container in der Norderstraße<br />
verlassen, in dem die Caritas ärztliche<br />
Sprechstunden für Obdachlose anbietet.<br />
Kälte schlägt den beiden entgegen.<br />
Mit großen Schritten gehen sie Richtung<br />
Hauptbahnhof, „nach ein paar<br />
Freunden gucken“, wie Conny sagt.<br />
Eine knappe Stunde müssen sie noch<br />
totschlagen, bevor das Winternotprogramm<br />
seine Türen öffnet, bald sieben<br />
Stunden sind sie schon unterwegs.<br />
Haben morgens gegen halb zehn die<br />
Unterkunft verlassen, Post abgeholt im<br />
„Herz As“ und etwas Warmes gegessen<br />
9<br />
800 zusätzliche Betten für Obdachlose<br />
stellt die Stadt diesen Winter zur Verfügung,<br />
bei Bedarf können es noch mehr<br />
werden. 100 Plätze bieten die begehrten<br />
Wohncontainer. Bis zu 400 Betten<br />
stehen wie in den vergangenen Jahren<br />
in einem ehemaligen Bürogebäude in<br />
der Friesenstraße in Hammerbrook.<br />
Hinzu kommen 300 Plätze in einem<br />
ehe maligen Hotel in der Halskestraße<br />
in Billbrook. Obdachlose, die dort untergekommen<br />
sind, sparen nicht mit<br />
Lob. „Viel besser als die Friesenstraße!“,<br />
sagt etwa Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer<br />
Daniel, der den Vergleich aus eigener<br />
Erfahrung ziehen kann. Doppelzimmer<br />
mit eigener Dusche und Toilette, Fernsehen,<br />
Internet und gutes Essen: Mit<br />
dem Haus in der Halskestraße hat die<br />
Stadt zweifellos einen neuen Standard<br />
geschaffen. Sogar Einzelzimmer gibt es<br />
hier für besonders belastete Menschen.<br />
Nur wenige müssen<br />
nicht raus<br />
Das klingt beinahe wie ein Leben in einem<br />
richtigen Hotel. Doch gibt es einen<br />
entscheidenden Unterschied: Auch hier<br />
müssen die Menschen wie in der
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>347</strong>/JANUAR <strong>2022</strong><br />
Conny (links) und Ronny schlagen<br />
die Zeit tot, bis das Winternotprogramm<br />
um 17 Uhr öffnet. Unten: Robert vor<br />
seinem Wohncontainer<br />
nicht zu denken. Duschen und Toiletten<br />
seien manchmal so dreckig, dass sie sie<br />
nicht benutzen mögen. Und Hilfe von<br />
den Sozialarbeiter:innen zu bekommen<br />
sei nicht einfach, weil die nicht immer<br />
zu sprechen seien und morgens die<br />
Wachleute drängen würden, die Unterkunft<br />
zu verlassen. Eine Tagesöffnung<br />
wünschen sich beide, „gerade bei dieser<br />
Kälte“, sagt Conny.<br />
Friesenstraße die Unterkunft verlassen<br />
und werden erst ab 17 Uhr wieder reingelassen.<br />
Nur für sehr kranke Obdachlose<br />
gibt es Ausnahmen. Nach welchen<br />
Gesetzen die wohl gemacht werden?<br />
Wer sich morgens vor die Friesenstraße<br />
stellt, sieht jedenfalls Menschen, die<br />
sich nur mithilfe von Rollatoren oder<br />
Krücken durch die Kälte schleppen,<br />
mit viel zu dünnen Kleidern am Leib.<br />
Viele husten bemitleidenswert. Und<br />
nur wenige erwecken den Eindruck, sie<br />
könnten ihr Schicksal wieder selbst in<br />
die Hand nehmen.<br />
Seit Jahren streiten Wohlfahrtsverbände<br />
und Hinz&<strong>Kunzt</strong> für eine Tagesöffnung<br />
des Winternotprogramms – vergeblich.<br />
Die Stadt verweist darauf, dass die<br />
Unterkünfte gesäubert werden müssten.<br />
Und dass die Obdachlosen „ihre Tagesstruktur<br />
aufrechterhalten“ sollen. Laut<br />
Sozialsenatorin Melanie Leonhard<br />
(SPD) geht es für sie darum, „zur Ruhe<br />
zu kommen und bei Bedarf mit fremder<br />
Hilfe die eigenen Optionen durchzugehen“.<br />
Für Conny und Ronny dürften<br />
die schönen Worte wie Hohn klingen:<br />
An Ruhe sei in einem Dreibettzimmer<br />
10<br />
Ein Wohncontainer<br />
bedeutet Ruhe<br />
Einige Kilometer weiter, auf dem Gelände<br />
der Stiftung Rauhes Haus in<br />
Horn, kümmern sich Student:innen<br />
ehrenamtlich um Obdachlose. Robert<br />
gehört zu den rund 100 Menschen, die<br />
den Winter in einem eigenen Wohncontainer<br />
verbringen können – nachts<br />
und wenn er möchte auch tagsüber.<br />
„Ich habe Glück gehabt“, sagt der<br />
49-Jährige. „Hier habe ich meine Ruhe.“<br />
Auch wenn Robert gerne und viel<br />
lacht: Er durchlebt eine Zeit der Trauer.<br />
Zwei Monate ist es her, dass sein älterer<br />
Bruder Andrzej gestorben ist, auf der<br />
Straße mitten in Hamburg. Am Morgen<br />
des 14. Oktober findet eine Passantin<br />
den Bruder leblos vor einem Geschäftshaus<br />
in der Osterstraße auf. Ein<br />
Rettungswagen bringt ihn ins Krankenhaus.<br />
Dort können Ärzte nur noch den<br />
Tod feststellen. Andrzej ist einer von<br />
mindestens 29 Menschen, die vergangenes<br />
Jahr in Hamburg auf der Straße<br />
verstorben sind – so viele wie nie zuvor.<br />
Laut letzter offizieller Zählung<br />
leben rund 2000 Obdachlose auf<br />
Hamburgs Straßen. Selbst der Senat<br />
geht avon aus, dass die Zahl seitdem<br />
gewachsen ist. Mehr als 3000 unterschiedliche<br />
Menschen nutzten in vergangenen<br />
Wintern das Notprogramm<br />
der Stadt – manche sporadisch, manche<br />
jeden Tag. Warum diesen Winter<br />
bislang vergleichsweise wenige Obdachlose<br />
die Unterkünfte aufsuchten,<br />
will der städtische Unterkunftsbetreiber<br />
Fördern&Wohnen erst im Frühjahr erklären,<br />
wenn das Programm ausgewertet<br />
wird (siehe Info-Kasten). Fest steht:
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Bei Redaktionsschluss Mitte Dezember<br />
verbrachten im Schnitt nicht einmal<br />
500 Obdachlose die Nacht in einer der<br />
der Großunterkünfte. Mit anderen<br />
Worten: Die Mehrzahl der Menschen<br />
schläft weiterhin draußen.<br />
Wie Viktor<br />
draußen überlebt<br />
Viktor sitzt auf einer dünnen, zerschlissenen<br />
Wolldecke vor einer Bankfiliale in<br />
Winterhude. In einer Plastiktüte trägt er<br />
Kleidungsstücke mit sich, im Rucksack<br />
eine Handvoll „Hinz&<strong>Kunzt</strong>“-Magazine.<br />
Wenn er Glück hat, erzählt der<br />
„Im Wohncontainer<br />
habe<br />
ich meine Ruhe.“<br />
ROBERT<br />
45-Jährige, kann er ein paar Stunden<br />
ungestört im beheizten Vorraum der<br />
Bank schlafen. Hat er Pech und der<br />
Sicherheitsdienst kommt auf Kontrolltour<br />
vorbei, verbringt er die Nacht<br />
draußen unter dem Vordach. Einmal<br />
habe er im Winternotprogramm<br />
geschlafen, erzählt Viktor, wenige Tage<br />
sei das her. Da hatte eine Passantin den<br />
Kältebus gerufen, und der fuhr ihn in<br />
die Friesenstraße. Doch die erste Nacht<br />
in der Notunterkunft war auch die<br />
letzte: Zu voll war es ihm dort. „Zu dritt<br />
in einem Zimmer kann ich nicht zur<br />
Ruhe kommen“, sagt Viktor. „Alleine<br />
wäre besser.“ Weil er Angst hatte, dass<br />
er bestohlen wird, habe er nicht mal die<br />
Gelegenheit genutzt und geduscht.<br />
Von der neuen Unterkunft in der<br />
Halskestraße, die so gut sein soll, hat Viktor<br />
noch nichts gehört. Vielleicht werde<br />
er mal hinfahren und versuchen, dort einen<br />
Schlafplatz zu ergattern, sagt er. Der<br />
zweifelnde Ton in seiner Stimme verrät:<br />
Ob er das schaffen wird, ist ungewiss.<br />
Ronnys Kampf um<br />
eine Zukunft<br />
Zwei Tage später, ein Samstagmorgen.<br />
Ronny kommt an diesem Tag ohne<br />
Conny aus der Unterkunft in der Friesenstraße.<br />
„Sie ist seit gestern Abend<br />
in Quarantäne.“ Corona-Verdacht.<br />
Ronnys Gedanken drehen sich aber<br />
vor allem um seine Lebenspartnerin:<br />
Schweren Herzens habe er sie nach<br />
dem Verlust der gemeinsamen Wohnung<br />
in einem Pflegeheim zurückgelassen,<br />
in Bremerhaven, der Stadt, aus der<br />
er kommt. Wie kann er sie nach Hamburg<br />
holen? Wo könnten sie leben? Die<br />
Friesenstraße sei kein Ort für sie, sagt<br />
er. Doch wie soll er an eine Wohnung<br />
kommen? Ronny will sich zunächst<br />
offiziell obdachlos melden. Ohne<br />
Papiere könne er keinen Hartz-IV-Antrag<br />
stellen, habe ihm ein Sozialarbeiter<br />
in der Friesenstraße gesagt. Im ersten<br />
Anlauf ist der Obdachlose gescheitert:<br />
Ein Security-Mitarbeiter habe ihn<br />
schon an der Tür des Bezirksamts ab gewiesen,<br />
erzählt Ronny. Montag will er<br />
es erneut versuchen. •<br />
ulrich.jonas@hinzundkunzt.de<br />
Bewertung erst im Frühjahr<br />
„Die Auslastung des Winternotprogramms<br />
werden wir erst nach dessen<br />
Abschluss bewerten.“ Das sagt<br />
der städtische Unterkunftsbetreiber<br />
Fördern&Wohnen auf Nachfragen von<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Eine Erklärung für die im<br />
Vergleich zum Vorjahr geringe Auslastung<br />
des Programms ist somit erst in<br />
einigen Monaten zu erwarten. Bemerkenswert:<br />
Sogar im ehemaligen Hotel in<br />
der Halskestraße waren Mitte Dezember<br />
laut F&W sowohl Doppel- als auch Einzelzimmer<br />
frei – und das bei nächtlichen<br />
Temperaturen um den Gefrierpunkt.<br />
Auch zur Zahl der Beratungsgespräche<br />
will sich F&W erst im Frühjahr äußern.<br />
Laut Betreiber gibt es in den beiden<br />
Großunterkünften des Notprogramms<br />
je acht Sozialarbeiter:innen, außerdem<br />
17 (Friesenstraße) bzw. 14 (Halskestraße)<br />
Wachleute. UJO<br />
Kommt von der Elbe.<br />
Passt.<br />
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Zahlen des Monats<br />
Arbeitsmarkt<br />
Minijobs verdrängen<br />
reguläre Arbeit<br />
500.000<br />
sozialversicherungspflichtige Jobs könnten bundesweit allein in Kleinbetrieben entstehen,<br />
wenn es keine Minijobs gäbe. Das ist das Ergebnis einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und<br />
Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB). Nach Angaben der Forschenden ersetzt<br />
ein Minijob im Schnitt eine halbe reguläre Stelle. Eine Brücke in eine sozialversicherungspflichtige<br />
Beschäftigung biete das prekäre Arbeitsmodell selten, so IAB-Forscher Matthias Collischon:<br />
„Beschäftigte verbleiben oft im Niedriglohnsegment und arbeiten in vielen Fällen<br />
unterhalb ihres Qualifikationsniveaus.“<br />
Bundesweit gingen im September gut 6,5 Millionen Menschen in Deutschland einem<br />
Minijob nach (aktuellere Zahlen liegen nicht vor, Red.). Das sind nahezu so viele wie vor der<br />
Coronakrise (gut 7 Millionen). Unter der neuen Ampel-Regierung dürfte die Zahl der geringfügig<br />
Beschäftigten sogar noch steigen: Mit der Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro soll die<br />
Einkommensgrenze für Geringverdienende von 450 auf 520 Euro erhöht werden.<br />
Minijobs sind bei Unternehmen aus mehreren Gründen beliebt: Sie müssen für geringfügig<br />
Beschäftigte wenig Sozialabgaben zahlen. Zudem lässt sich das Recht auf Urlaub und Lohnfortzahlung<br />
bei Krankheit leicht unterlaufen. Auch manche Minijobbende halten es für einen Vorteil,<br />
dass sie nicht in die Rentenversicherung einzahlen müssen. Die Nachteile erfahren sie später,<br />
etwa beim Blick auf den Rentenbescheid. Dazu der Münchner Volkswirtschaftler Andreas Peichl:<br />
„Wer nicht auf andere Art vorgesorgt hat, dem droht im Alter die Armut.“<br />
Wie unsicher Minijobs sind, zeigt die Coronakrise. In deren Verlauf haben viele geringfügig<br />
Beschäftigte ihre Arbeit verloren. Dass ihr Status mit dem von regulär Angestellten nicht vergleichbar<br />
ist, hat jüngst das Bundesarbeitsgericht in einem Urteil bestätigt: Es entschied, dass einer<br />
Minijobberin kein Lohn zusteht, wenn ihr Arbeitgeber plötzlich keine Verwendung mehr für sie<br />
hat. Im konkreten Fall hatte die Beschäftigte eines Nähladens geklagt, der aufgrund der Coronapandemie<br />
vorübergehend hatte schließen müssen. Da geringfügig Beschäftigte auch keinen<br />
Anspruch auf Kurzarbeitergeld haben, beklagten nun auch die höchsten deutschen<br />
Arbeitsrichter:innen „Lücken in dem sozialversicherungspflichtigen Regelungssystem“. •<br />
TEXT: ULRICH JONAS<br />
ILLUSTRATION: ESTHER CZAYA<br />
Mehr Infos unter: www.minijob-zentrale.de<br />
13
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>347</strong>/JANUAR <strong>2022</strong><br />
Sarah-Lee Heinrich<br />
wuchs bei ihrer alleinerziehenden<br />
Mutter auf,<br />
die Hartz IV bekam.<br />
Fridays for Future<br />
fürs Soziale<br />
Hartz-IV-Reform, Kindergrundsicherung, Sozialwohnungen:<br />
Die Ampel-Koalition hat sich Verbesserungen für arme Menschen<br />
vorgenommen. Warum das der Grünen Jugend nicht reicht und wieso<br />
sie dem Koalitionsvertrag trotzdem zugestimmt hat, erklärt<br />
Bundessprecherin Sarah-Lee Heinrich (20) im Interview.<br />
INTERVIEW: BENJAMIN LAUFER<br />
14
Stadtgespräch<br />
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
FOTO: BERND ARNOLD/VISUM<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Die Grüne Jugend hat den<br />
Koalitionsvertrag vor allem im Bereich<br />
Sozialpolitik als unzureichend kritisiert.<br />
Dabei wird etwa der Mindestlohn<br />
auf 12 Euro erhöht und der soziale<br />
Wohnungsbau soll massiv ausgebaut<br />
werden. Das sind zwei handfeste<br />
sozialpolitische Fortschritte, die die<br />
SPD reinverhandelt hat. Nörgeln Sie<br />
da nicht auf hohem Niveau?<br />
Sarah-Lee Heinrich: Es ist total wichtig,<br />
dass der Mindestlohn angehoben wird,<br />
aber es gehört mehr dazu, wenn man<br />
verhindern will, dass Menschen in den<br />
Niedriglohnsektor abrutschen. Die<br />
Mietpreisbremse wird leicht verschärft,<br />
aber das wird der Situation in den Ballungszentren<br />
nicht gerecht. Und ja, es<br />
gibt Fortschritte bei Hartz IV, aber die<br />
Menschen werden weiterhin unterhalb<br />
des Existenzminimums leben müssen,<br />
weil die Regelsätze nicht angehoben<br />
werden. Ich finde, es ist kein Meckern<br />
auf hohem Niveau, wenn man den Anspruch<br />
hat, dass alle Menschen frei von<br />
Armut gut leben können sollen.<br />
Immerhin sollen Hartz-IV-Sanktionen<br />
zunächst für ein Jahr ausgesetzt und<br />
Zahlungen für die Miete gar nicht mehr<br />
gekürzt werden. Das macht vielen das<br />
Leben leichter.<br />
Ja, auf jeden Fall! Es soll sich auch die<br />
Art und Weise der Arbeitsvermittlung<br />
ändern. Wenn Menschen in einer Weiterbildung<br />
sind, sollen sie da nicht<br />
mehr rausgezwungen werden, um einen<br />
schlechten Job anzunehmen. Es<br />
scheint darauf hinauszulaufen, dass<br />
man nicht mehr dafür sanktioniert<br />
wird, wenn man einen Minijob nicht<br />
annehmen möchte. Bislang ist Hartz<br />
IV wie eine Pipeline in den Niedriglohnsektor,<br />
das würde natürlich eine<br />
Menge ändern. Aber ich versuche, unsere<br />
Grundsicherung nicht daran zu<br />
messen, wie sie war, sondern wie sie<br />
sein müsste.<br />
„Alle Menschen<br />
sollen frei von<br />
Armut gut leben<br />
können.“<br />
Dass der Hartz-IV-Regelsatz nicht<br />
erhöht werden soll, breche Ihnen persönlich<br />
das Herz, haben Sie getwittert.<br />
Das sei „menschenunwürdig“. Und<br />
trotzdem konnten Sie ihren Mitgliedern<br />
die Zustimmung zum Koalitionsvertrag<br />
guten Gewissens empfehlen?<br />
Ehrlich gesagt haben wir sehr gehadert.<br />
Man muss für sich klären, was es bedeutet,<br />
einem Koalitionsvertrag zuzustimmen.<br />
Bedeutet es, die Inhalte zu teilen<br />
oder bedeutet es, okay damit zu sein,<br />
dass die Koalition ihre Arbeit aufnimmt?<br />
Wir haben uns natürlich auch<br />
gefragt, ob eine Neuverhandlung realistisch<br />
ist oder es sogar Neuwahlen geben<br />
könnte. Aber in Zeiten einer neuen<br />
Coronawelle, in der sich zudem an den<br />
Mehrheiten nichts geändert hat, haben<br />
wir die Bedingungen für eine Ablehnung<br />
nicht gesehen. Und uns zu<br />
enthalten, hätten wir feige gefunden.<br />
Sie sind selbst bei Ihrer alleinerziehenden<br />
Mutter aufgewachsen, die Hartz IV<br />
bekam. Was hätte die Sarah-Lee von<br />
vor fünf Jahren zu dieser strategischen<br />
Entscheidung gesagt?<br />
Die Sarah-Lee von vor fünf Jahren war<br />
noch nicht verantwortlich für einen<br />
Verband mit über 18.000 Mitgliedern<br />
und musste damit noch keine Entscheidungen<br />
mit derartigen Konsequenzen<br />
treffen. Ich will mich aber nicht rausreden.<br />
Politische Verantwortung zu<br />
tragen, bedeutet für mich, sich zu fragen,<br />
wie wir in die Situation gekommen<br />
sind, dass wir uns nicht durchsetzen<br />
konnten. Es ist jetzt die Aufgabe der politischen<br />
Linken, dafür zu sorgen, dass<br />
wir das nächste Mal besser aufgestellt<br />
sind, um das Ganze durchkämpfen zu<br />
können. Natürlich ist das eine politische<br />
Niederlage und ich kann auch nicht sagen,<br />
dass mich das kaltlässt. Ich habe<br />
auch mit meiner Mutter darüber geredet,<br />
das war total schwierig für mich.<br />
Und was sagt sie dazu?<br />
Dass sie es versteht. Sie freut sich über<br />
die Veränderungen, die kommen<br />
sollen. Sie weiß, dass es mir ernst ist<br />
und ich keine Karriereambitionen bei<br />
den Grünen habe, die mich zu einer<br />
Zustimmung bringen würden, sondern<br />
dass ich alles dafür tun werde, damit in<br />
Zukunft niemand mehr in Hartz IV<br />
leben muss.<br />
Wie haben Sie es erlebt, mit Hartz IV<br />
aufzuwachsen?<br />
Wenn ich zurückdenke, fällt mir als<br />
Erstes die Unsicherheit ein. Nicht zu<br />
wissen, wie der nächste Monat aussieht,<br />
was passiert, wenn die Waschmaschine<br />
kaputtgeht oder ob ich mir überhaupt<br />
einen Winterpulli leisten kann. Sich zu<br />
fragen: Werde ich als Erwachsene auch<br />
in Armut leben müssen? Kann ich<br />
überhaupt so große Träume haben wie<br />
andere junge Menschen? Ich erinnere<br />
mich an sehr viel Scham und Angst<br />
davor, dass andere es herausfinden und<br />
mich für eine Sozialschmarotzerin<br />
halten. Es heißt ja: „Jeder ist seines<br />
eigenen Glückes Schmied.“ Umgekehrt<br />
bedeutet das, dass man es selbst<br />
verkackt hat, wenn man es nicht<br />
geschafft hat. Deswegen habe ich oft<br />
gedacht, dass Mama und ich schuld<br />
sind und auch mit ihr darüber gestritten.<br />
Das war sehr schlecht für mein<br />
eigenes Selbstwertgefühl.<br />
15
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>347</strong>/JANUAR <strong>2022</strong><br />
Zusammen mit<br />
Timon Dzienus vertritt<br />
Sarah-Lee Heinrich<br />
die Positionen der<br />
Grünen Jugend in der<br />
Öffentlichkeit.<br />
Wann haben Sie verstanden, dass<br />
Armut kein individuelles Problem ist?<br />
Das erste Mal gedämmert hat es mir im<br />
Politikunterricht, als wir über die Agendareform<br />
gesprochen haben. Da ist mir<br />
klar geworden, dass Hartz IV mal von<br />
jemandem eingeführt wurde und auch<br />
wieder abgeschafft werden könnte. Damals<br />
habe ich verstanden, dass man<br />
auch eine andere politische Entscheidung<br />
treffen könnte, wenn man genug<br />
Menschen findet, die sich dafür einsetzen.<br />
Dann habe ich von den Hartz-IV-<br />
Protesten gehört. Dadurch ist in mir<br />
sehr stark das Bedürfnis hochgekommen,<br />
dafür zu kämpfen, dass Hartz IV<br />
abgeschafft wird.<br />
Immerhin wird es jetzt reformiert.<br />
Außerdem will die Ampel eine Kindergrundsicherung<br />
einführen. Das fordern<br />
Sozialverbände und Gewerkschaften<br />
schon lange, um Kinder aus der Armut<br />
zu holen. Sie fordern auch, dass diese<br />
Grundsicherung deutlich über den<br />
bisherigen Hartz-IV-Sätzen für Kinder<br />
liegen muss. Das steht allerdings nicht<br />
im Koalitionsvertrag.<br />
Die drei Koalitionspartner haben sehr<br />
unterschiedliche Vorstellungen davon,<br />
wie hoch das Existenzminimum ist.<br />
Wenn sich andere Parteien dagegen<br />
sperren, die Kindergrundsicherung<br />
existenzsichernd auszurichten, sollen<br />
die sich dafür öffentlich rechtfertigen.<br />
Die Finanzierungsfrage ist auch noch<br />
ungeklärt. Man hat sich dazu entschieden,<br />
sehr wohlhabende Menschen nicht<br />
stärker am Gemeinwohl zu beteiligen<br />
und klar kommt jetzt die Frage auf:<br />
Wer soll das denn bezahlen?<br />
16<br />
Es wird auch ein „Nationaler Aktionsplan“<br />
zur Überwindung der Obdachlosigkeit<br />
bis 2030 versprochen, den die<br />
Grünen im Wahlprogramm gefordert<br />
hatten. Das klingt toll. Wie das allerdings<br />
geschafft werden soll, dazu steht<br />
nicht viel im Vertrag …<br />
Auch Obdachlosigkeit ist eine materielle<br />
Frage. Wie soll man das ohne finanzielle<br />
Mittel lösen? Es wäre fatal zu sagen:<br />
Dafür haben wir jetzt kein Geld. Aber<br />
auch bei dieser Frage mache ich mir<br />
Sorgen.<br />
FOTOS: PICTURE ALLIANCE/DPA/DPA-ZENTRALBILD/BODO SCHACKOW
Stadtgespräch<br />
Kanzler Scholz hat die unkonkreten Formulierungen<br />
im Koalitionsvertrag verteidigt und einen diskursiven<br />
Führungsstil angekündigt. Er möchte also, dass<br />
über die Umsetzung des Vertrags viel diskutiert wird.<br />
Sehen Sie das als Chance für die Grüne Jugend,<br />
Einfluss zu nehmen?<br />
Ja! Das ist unsere Rolle als Grüne Jugend! Wir<br />
Bundessprecher:innen sind bewusst nicht ins Parlament<br />
gegangen, weil wir glauben, dass es Druck von<br />
unten braucht, um etwas zu verändern. Es ist zentral,<br />
dass wir starke soziale Bewegungen aufbauen,<br />
die diesen Druck ausüben können, wenn es so weit<br />
ist. Fridays for Future hat es vorgemacht. In den<br />
sozialen Fragen sind wir da noch nicht so stark.<br />
Warum nicht?<br />
Den Menschen, die in Armut leben, wurde ganz<br />
lange gesagt, dass sie an ihrem Problem selbst schuld<br />
sind. Gegen ein Problem, dass ich selbst verschuldet<br />
habe, melde ich natürlich keine Demo an.<br />
„Wir müssen starke<br />
soziale Bewegungen<br />
aufbauen, die Druck<br />
ausüben können.“<br />
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Selbst an den Protesten gegen die Einführung<br />
von Hartz IV haben sich damals überwiegend<br />
gutsituierte und gebildete Menschen beteiligt.<br />
Die Menschen sind auch krass enttäuscht, weil die<br />
letzte „linke“ Regierung ihnen Hartz IV eingebrockt<br />
hat. Ich weiß das aus meinem eigenen Haushalt. Sie<br />
haben das Vertrauen verloren, dass Politik ihr Leben<br />
positiv verändern kann. Sie zu mobilisieren schafft<br />
man nur durch vertrauensbildende, jahrelange<br />
Arbeit von unten. Auf der anderen Seite verstehen<br />
viele Menschen nicht, dass sie nicht nur protestieren<br />
sollten, weil ihnen die Menschen im Niedriglohnsektor<br />
leidtun, sondern weil sie nur eine Kündigung<br />
davon entfernt sind, selbst dort zu landen. Erst, wenn<br />
genügend Menschen sich selbst betroffen davon<br />
fühlen, wird es eine starke Bewegung geben. Das ist<br />
Handarbeit und jetzt unsere Aufgabe. •<br />
Benjamin Laufer hat schon in der Uni<br />
erforscht, wieso vor allem Priviligierte sich<br />
für ihre Interessen einsetzen und dafür<br />
protestieren. Gut, wenn sich das ändert.<br />
benjamin.laufer@hinzundkunzt.de<br />
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17
Verbrannte Landschaften: Unter Jharia<br />
(Indien) lagern viele Millionen Tonnen<br />
Kohle. Die Tagebaugebiete sind dicht<br />
besiedelt. Viele Menschen leben in<br />
dem brennenden Gebiet. Land flächen<br />
sinken ab, Häuser stürzen ein.
„Wie eine<br />
Suchtgemeinschaft“<br />
Der Fotograf Robin Hinsch dokumentiert die Förderung fossiler<br />
Brennstoffe. In schockierender Schönheit offenbaren seine Bilder,<br />
wie der weltweite Energiehunger Lebensgrundlagen zerstört.<br />
TEXT: ANNETTE WOYWODE
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Fotoreportage<br />
Ein großer Teil der Nigerianer:innen hat keinen Zugang zur Stromversorgung. Währenddessen werden<br />
im Nigerdelta jährlich Milliarden Kubikmeter kostbares „Ölbegleitgas“ abgefackelt (links und ganz oben).<br />
Was enorme Luftverschmutzung und sauren Regen verursacht, könnte ebensogut Brennstoff<br />
für Kraftwerke sein. Ese Awolowo (links) nutzt die Gasflamme, um aus geraspeltem Maniok Chips<br />
zu backen, die sie dann auf dem Markt verkauft. Unten: Durch die vielen Ölunfälle sind die Böden im<br />
Nigerdelta unfruchtbar geworden, die Gewässer sind verunreinigt, das Grundwasser ist vergiftet.<br />
21
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Fotoreportage<br />
Suhani Kumari (oben) lebt im indischen Jharia zusammen mit ihrer Familie. Pausenlos steigt dort<br />
giftiger Rauch aus den Erdspalten, die der Tagebau aufreißt. Viele Kinder müssen in den Kohleminen<br />
arbeiten, da Armut und Perspektivlosigkeit keine andere Wahl lassen. Auch die 14-Jährige.<br />
Die Kohlenfeuer von Jharia gelten mittlerweile als weltweite ökologische Katastrophe.<br />
Die gesundheit lichen Schäden sind enorm. Lungen- und Hauterkrankungen, Krebs und Magenbeschwerden<br />
sind nur einige der Krankheiten, mit denen Mensch und Tier dort zu kämpfen haben.<br />
N<br />
o wahala“ – in der westafrikanischen Sprache<br />
Yoruba ist das ein geflügeltes Wort. Es bedeutet<br />
so viel wie „Kein Problem“, „Keine Sorge“ oder<br />
„Das schaffen wir schon“. Als Robin Hinsch im<br />
Juni 2019 in Nigeria ankommt, um an einem Fotoprojekt zu<br />
arbeiten, hört er die Redewendung zunächst überall. Je weiter<br />
er ins Nigerdelta reist, um so mehr ändert sich das. In dem<br />
Mangroven labyrinth mit seinen wenigen Straßen, aber vielen<br />
Wasser armen, ist das Fortkommen zunehmend kompliziert<br />
und gefährlich. Vor allem eines wird immer sichtbarer: die<br />
Umweltkatastrophe, entstanden durch die Ölförderung<br />
einheimischer und internationaler Ölkonzerne wie Shell.<br />
Die Menschen, die der Fotograf im Nigerdelta trifft, sagen<br />
viel seltener „No wahala“. „In ihren Erzählungen hieß es<br />
immer öfter nur noch ,wahala‘“, sagt Robin Hinsch. Sprich:<br />
Es gibt ein Problem.<br />
Wahala – so lautet heute der Titel der Fotostrecke, an der<br />
Robin Hinsch damals zu arbeiten begann. Für seine Bilder<br />
reiste er nicht nur nach Nigeria, sondern im selben Jahr auch<br />
in Kohleabbaugebiete in Indien und Deutschland. Das<br />
Ziel des 34-Jährigen: den Produktionsbedingungen der<br />
weltweiten Förderung fossiler Brennstoffe nachspüren.<br />
Entstanden sind eindrucksvolle Bilder, die die ungehemmte<br />
Ausbeutung dieser Rohstoffe zeigen – und die verdeutlichen,<br />
wie sie den Menschen vor Ort schadet.<br />
Zurück nach Nigeria: Schon seit den 1950er-Jahren wird<br />
im Nigerdelta Öl gefördert. Seitdem gehören schwere Unfälle<br />
dort zum Alltag. Zuletzt berichteten Medien im November<br />
2021 über ein großes Ölleck. Auf seiner Reise sah Robin<br />
Hinsch verunreinigte Böden und verseuchte Flussläufe. Er<br />
sah Öllecks an Pipelines, die als Folge von Missmanagement<br />
entstanden waren. Oder weil Menschen die Leitungen ange-<br />
23
Im Frühjahr 2020 stimmte die damalige Regierung der Bundesrepublik Deutschland für den<br />
sogenannten „Kohleausstieg“ bis 2038. Die neue Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP<br />
erwägt, den Ausstieg um acht Jahre vorzuziehen. Deutsche Kohlekraftwerke wie das Kraftwerk<br />
„Schwarze Pumpe“ in der Lausitz gehören zu den größten CO 2<br />
-Produzenten Europas.<br />
zapft haben, um vom privaten Verkauf des Rohstoffs zu<br />
leben. Er fotografierte auch Menschen, die dieses Risiko<br />
eingehen. „Zum Teil sind das Hochdruckleitungen, weshalb<br />
immer wieder schwere Unfälle passieren“, erzählt Hinsch.<br />
Aber nur so, sagten ihm die Menschen, könnten sie überleben.<br />
Andere Verdienstmöglichkeiten gebe es nicht.<br />
Das wiederum rufe auch Banden auf den Plan, die im<br />
großen Stil illegal Leitungen anzapfen. Oder politische<br />
Gruppierungen, die Bohrlöcher sabotieren, um die Ölförderung<br />
für ausländische Konzerne unwirtschaftlich zu machen.<br />
Denn: „Das meiste nigerianische Öl geht nach Europa und<br />
sichert hier den Wohlstand“, sagt Hinsch. „Den Menschen<br />
vor Ort bleibt nichts, außer der zerstörten Natur.“<br />
Auch in Indien erlebte Robin Hinsch eine ungeheure<br />
Umweltvernichtung. Für sein Fotoprojekt reiste er nach<br />
Jharia im ostindischen Bundesstaat Jharkhand. Die Kohle-<br />
Tagebaugebiete dort nennt er „gigantisch“. Mit enormer Geschwindigkeit<br />
fressen sich die Bagger durch die Landschaft.<br />
Siedlungen werden zerstört und Menschen vertrieben. Denn<br />
Indiens Wirtschaft will wachsen. Die Regierung setzt auch<br />
und gerade seit Corona weiter auf diesen Energieträger.<br />
Das Hauptproblem: Überall in Jharia brennen umweltschädliche<br />
Kohlefeuer und das seit mehr als 100 Jahren. Ende<br />
des 19. Jahrhunderts hatte in Indien unter den britischen Kolonialherren<br />
der Kohleabbau begonnen. Vermutlich wurden<br />
schon damals Gruben nicht richtig verschlossen. Kommt Kohle<br />
aber mit Sauerstoff in Berührung, kann sie sich entzünden.<br />
In Jharia brennt und schwelt es überall: unter- und überirdisch.<br />
Rauch und giftige Gase verpesten die Luft und lassen<br />
die Vegetation absterben. Wo es aussieht wie auf einem qualmend-glühenden<br />
Mond, arbeiten aber Menschen. Manche<br />
leben direkt neben den Abbruchkanten. „Weil sie nichts<br />
24
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Fotoreportage<br />
anderes kennen“, sagt Robin Hinsch. Sie hätten auch keine<br />
Wahl. „Man will eigentlich weg, aber muss bleiben und in<br />
einer riesigen heißen Smogwolke leben.“ So wie die Familie<br />
von Suhani Kumari (siehe Foto S. 23). Die 14-Jährige sammelt<br />
morgens vor der Schule gezwungenermaßen „illegal“ Kohle<br />
aus der Grube. Damit hilft sie, den Lebensunterhalt ihrer<br />
Familie zu sichern.<br />
Ewiges Wachstum ist<br />
ein nicht einzuhaltendes<br />
Versprechen.<br />
Was haben solche Szenen mit Deutschland zu tun? Robin<br />
Hinsch sieht Parallelen: Auch in Deutschland gehe der<br />
Kohleabbau weiter, obwohl die klimaschädigenden Auswirkungen<br />
der Kohleverstromung längst bewiesen sind.<br />
„Es ist wie bei einer Suchtgemeinschaft. Alle wissen, es ist<br />
schädlich, und trotzdem rauchen wir gemeinsam weiter“,<br />
sagt er. Hinsch besuchte Tagebaugebiete in der Lausitz<br />
und Orte wie Lützerath und das Hambacher Loch im<br />
rheinischen Braunkohlerevier. Seine Bilder zeigen verlassene<br />
Häuser und weite zerstörte Landstriche.<br />
Im Gegensatz zu Nigeria und größtenteils Indien werden<br />
die Menschen in Deutschland nicht ohne Entschädigung vertrieben.<br />
Sie werden umgesiedelt und erhalten einen finanziellen<br />
Ausgleich für ihre Häuser. Es muss in Deutschland – wie<br />
Robin Hinsch es formuliert – „niemand bis zum Hals in Öl<br />
leben“. Trotzdem zieht der Fotograf mit „Wahala“ ein<br />
länderübergreifendes Fazit: Die Zerstörung der Umwelt mit<br />
der Förderung fossiler Brennstoffe sei immer mit Gewalt<br />
gegen Mensch und Natur verbunden. Die Folgen unseres<br />
Energiehungers zeigten, dass ewiges Wachstum ein nicht<br />
einzulösendes Versprechen sei. „Würden alle Inder:innen<br />
so leben wollen wie Europäer:innen, wir bräuchten drei<br />
Welten, um die Energienachfrage zu decken“, sagt Hinsch.<br />
Alle zum Verzicht zu drängen, während Europa weiter<br />
seinen verschwenderischen Lebensstil pflegt: „Das ist unfair.<br />
Es muss eine gemeinsame Lösung her.“ •<br />
annette.woywode@hinzundkunzt.de<br />
Ausstellung „Wahala“<br />
Fotos von Robin Hinsch aus der Strecke<br />
„Wahala“ sind vom 11. Februar bis 1. Mai <strong>2022</strong><br />
in der Ausstellung „Gute Aussichten –<br />
Junge Deutsche Foto grafie“ zu sehen.<br />
PHOXXI – Haus der Photographie,<br />
Deichtor hallen Hamburg, Deichtorstraße 1–2,<br />
Di–So, 11–18 Uhr, 4–13 Euro, unter 18 Jahren frei.<br />
Mehr Infos über Robin Hinsch unter www.robinhinsch.com<br />
Norbert Winzen (oben) kämpft seit langem gegen den Kohletagebau<br />
in Nordrhein-Westfalen. Trotz des beschlossenen<br />
Ausstieges aus der Kohleenergie hält der Konzern RWE eine<br />
Erweiterung der Tagebaue im rheinischen Revier für zulässig. Für<br />
diese Erweiterungen werden noch immer Dörfer niedergerissen<br />
– das Foto entstand 2020 in Manheim – und Wälder abgeholzt.<br />
25
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>347</strong>/JANUAR <strong>2022</strong><br />
Meldungen<br />
Politik & Soziales<br />
Bezirk Mitte<br />
905 Ausweise für Obdachlose<br />
Von Mai bis Anfang Dezember 2021<br />
haben Obdachlose 905 mal das Angebot<br />
des Bezirks Mitte angenommen,<br />
sich kostenlos einen Personalausweis<br />
ausstellen zu lassen. Im Rahmen<br />
eines Modellprojekts übernimmt<br />
die Bezirksversammlung die Kosten.<br />
Eine wichtige Hilfe, da Obdachlose<br />
oft ihre Unterlagen verlieren. BELA<br />
•<br />
Berlin<br />
Wohnungslose besetzen Haus<br />
In Berlin-Mitte haben Wohnungslose<br />
gemeinsam mit Aktivist:innen ein seit<br />
Jahren leer stehendes Haus kurzzeitig<br />
besetzt. Gegenüber dem RBB stellte<br />
Bezirksbürgermeister Dassel (Grüne)<br />
im Anschluss in Aussicht, dass noch<br />
vor Weihnachten Obdachlose legal in<br />
das Gebäude einziehen dürfen. LG<br />
•<br />
Düsseldorf<br />
Kältetod am Rhein<br />
Düsseldorf hat die wohl ersten Kältetoten<br />
dieses Winters zu beklagen.<br />
Wie das Straßenmagazin „fifty fifty“<br />
berichtet, wurden Horst und Rudolf<br />
Anfang Dezember mit Unterkühlungen<br />
ins Krankenhaus eingeliefert<br />
und sind dort gestorben. Fifty fifty<br />
weist darauf hin, dass für Obdach -<br />
lose bereits bei Temperaturen unter<br />
zehn Grad draußen Lebensgefahr<br />
bestehe: „Uns machen diese Tode<br />
auch deshalb so fassungslos, weil sie<br />
vermeidbar gewesen wären.“ BELA<br />
•<br />
Klimabeirat<br />
Weniger Wohnungsbau trotz Mieten-GAU<br />
Der Klimabeirat der Stadt Hamburg empfiehlt dem Senat, weniger Wohnungen<br />
als geplant zu bauen, um Emissionen einzusparen – obwohl die Mieten so stark<br />
steigen, wie lange nicht mehr. Es seien jährlich nur 5000 statt wie anvisiert 10.000<br />
neue Wohnungen nötig, wenn man von der aktuellen Bevölkerungsprognose<br />
ausgehe. Der tatsächliche Bedarf an Wohnungen gerade für arme Menschen<br />
falle dabei unter den Tisch, kritisiert die Diakonie. Auch die Behörde für Stadtent<br />
wicklung meint, die Prognose entspreche nicht dem Neubaubedarf, der zur<br />
Bedarfs deckung und Entspannung des Wohnungsmarktes erforderlich sei. Den<br />
„weiterhin hohen Nachfragedruck“ sieht sie als eine Ursache für den dramatisch<br />
angestiegenen Mietenspiegel, der im Dezember vorgelegt wurde. Um 7,3 Prozent<br />
sind die Mieten demnach seit der letzten Erhebung im Jahr 2019 gestiegen – so<br />
stark wie seit 20 Jahren nicht mehr, beklagt der Mieterverein zu Hamburg. BELA<br />
•<br />
St. Pauli und Osdorf<br />
Keine Bußgelder trotz Wohnungsleerstand<br />
Gegen den jahrelangen Leerstand eines Hauses in der Detlev-Bremer-Straße auf<br />
St. Pauli haben Anfang Dezember mehrere Initativen unter dem Motto „Wohnzimmer<br />
statt Hotelzimmer“ protestiert. Sie befürchten den Abriss der Wohnungen<br />
und einen Hotelneubau. Das Bezirksamt Mitte bestätigte, dass das Haus seit 2015<br />
leer stehe. Da es saniert werde, sei bislang kein Bußgeld verhängt worden. Der<br />
Eigentümer plane eine Aufstockung des Gebäudes, bei der zusätzliche Hotelzimmer,<br />
aber auch 32 Wohnungen enstehen sollen. Auch die Bundesanstalt für<br />
Immobilienaufgaben (Bima) lässt in Hamburg mehrere Wohnungen leer stehen,<br />
ohne dafür belangt zu werden. Wie das „Hamburger Abendblatt“ berichtet, sind<br />
in der Osdorfer Landstraße und am Grotefendweg vier Wohnungen teilweise seit<br />
2018 leer. Laut Bima sollen sie „grundsaniert“ werden. Das Bezirksamt Altona<br />
bestätigte gegenüber Hinz&<strong>Kunzt</strong>, dass die Bima den Leerstand dort im Sommer<br />
2020 angezeigt habe. Ein Bußgeld sei jedoch nicht verhängt worden. BELA<br />
•<br />
Paritätischer Gesamtverband<br />
Armut trotz Coronahilfen auf neuem Höchststand<br />
In der Coronapandemie ist die Armutsquote in Hamburg auf einen neuen<br />
Höchststand angestiegen. 17,8 Prozent der Menschen in Hamburg zählt der<br />
Paritätische Gesamtverband in seinem Armutsbericht für das Jahr 2020 als arm.<br />
Im Jahr zuvor waren es noch 15 Prozent gewesen. Deutschlandweit stieg die<br />
Armutsquote von 15,9 auf 16,1 Prozent. Die höchste Armutsquote hat das Land<br />
Bremen mit 28,4 Prozent. „Die allgemeinen Folgen der Pandemie trafen Arme<br />
ungleich härter“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes,<br />
Ulrich Schneider. Insbesondere selbstständige Erwerbstätige seien die<br />
Einkommensverlierer:innen der Coronakrise. Hamburgs Paritätischer Wohlfahrtsverband<br />
weist daraufhin, dass Maßnahmen wie das Kurzarbeitergeld<br />
bei Menschen, die bereits in Armut leben, kaum helfen würden. „Ihre Not ist<br />
gewachsen, zum Beispiel durch das Verschwinden von Pfandflaschen aus dem<br />
öffentlichen Raum“, sagt Geschäftsführerin Kristin Alheit. BELA<br />
•<br />
FOTO: DMITRIJ LELTSCHUK<br />
26
Neustart<br />
Anastasia Umrik hat schon viele Krisen gemeistert.<br />
Wie sie aus diesen immer wieder gestärkt hervorging,<br />
erzählt sie ab Seite 28. Mit Krisen beruflicher<br />
Natur kennt sich Andrea Landschof aus. Wann sich<br />
ein echter Neustart lohnt, erklärt die Jobcoachin<br />
im Interview (S. 32). Derweil starten in Wien ehemals<br />
Wohnungslose durch: als Lebensbegleiter:innen<br />
für Menschen in ähnlicher Lage (S. 36).
Kennt sich mit<br />
Krisen aus:<br />
Anastasia Umrik
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Neustart<br />
Von jetzt an radikal<br />
Anastasia Umrik hat ein Buch über Krisen geschrieben<br />
und über Neuanfänge. Davon hat sie selbst einige erlebt.<br />
Wie gelingt es, sein Leben zu ändern?<br />
TEXT: ANNA-ELISA JAKOB<br />
FOTOS: ANDREAS HORNOFF<br />
Die erste Krise, an die sie sich<br />
erinnern kann, erlebte sie mit<br />
sieben Jahren. 1994, ein deutsches<br />
Krankenhaus, ein deutscher Arzt<br />
und sie, das Mädchen, das seine ganze<br />
Kindheit in Kasachstan verbracht hatte<br />
und hier kein Wort verstand. Stattdessen<br />
spürte sie: den wochenlangen<br />
Schmerz, nachdem man sie an der Wirbelsäule<br />
operiert hatte. Um aus ihr ein<br />
„normales Mädchen zu machen“, wie<br />
sie Jahre später zynisch die Hoffnung<br />
ihrer Eltern in jene Operation beschrieb.<br />
Als sie sieben Jahre alt war,<br />
sagte man ihr auch, dass sie mit einer<br />
Krankheit leben werde, die man<br />
„Spinale Muskelatrophie“ nennt und<br />
die ihr im Verlauf ihres Lebens zunehmend<br />
ihre Muskeln nehmen würde.<br />
Damals ließen Schmerz und Unverständnis<br />
sie nur durch das Krankenhaus<br />
brüllen: „Mama, warum hast du mich<br />
nicht vorher umgebracht?“<br />
Nun, kurz vor dem Jahreswechsel<br />
2021/22, empfängt Anastasia Umrik in<br />
ihrem Wohnzimmer. Aus dem Mädchen<br />
ist eine Frau geworden, 34 Jahre<br />
alt, Autorin, Rednerin und Coachin.<br />
Vor dem Fenster liegt das graue Hamburg,<br />
wohingegen drinnen alles strahlt:<br />
die bunten Bilder an den Wänden, die<br />
zwei Blumensträuße, einer auf dem<br />
Tisch und einer in einer Vase auf dem<br />
Parkett. In der Mitte das gelbe Sofa,<br />
auf dem eine Katze thront. Gerade hat<br />
Umrik ein Buch veröffentlicht, das die<br />
Krise feiert – ausgerechnet jetzt, in einer<br />
Zeit, in der Krisen allgegenwärtig<br />
sind (Klima und Corona, nur mal als<br />
Beispiel). „Du bist in einer Krise. Herzlichen<br />
Glückwunsch, jetzt wird alles<br />
besser!“, heißt es. Und dieser Optimismus<br />
bedarf vielleicht doch erstmal<br />
einer Erklärung.<br />
„Eine Krise ist<br />
das Gefühl, sich<br />
gegen den Wandel<br />
zu sträuben.“<br />
ANASTASIA UMRIK<br />
Deshalb die Frage: Sind viele Krisen<br />
nicht einfach nur … Umrik vervollständigt<br />
schnell selbst den Satz: „scheiße?“<br />
Sie lacht. Der Gedanke ist auch ihr<br />
nicht fremd.<br />
Kurz vor dem Interview hatte Umrik<br />
noch auf Twitter gepostet, dass es<br />
manche Tage gebe, die sie am liebsten<br />
„Einfach scheiße!“ nennen würde. Sie<br />
nennt sie dann aber „Immerhin-Tage“.<br />
Immerhin ist noch Kaffee im Schrank,<br />
immerhin regnet es heute mal nicht.<br />
29<br />
Klingt erstmal nach altbekannter Ratgeberliteratur:<br />
positives Mindset, besseres<br />
Leben? Ihr eigenes Buch, sagt<br />
Umrik, habe sie jedenfalls für ihr<br />
jüngeres Ich geschrieben. Und das ist<br />
weniger ein Ratgeber für ein besseres<br />
Leben geworden, sondern eine Analyse<br />
dessen in drei Schritten: Krise, Wandel,<br />
Neubeginn.<br />
Eine Krise beginnt bereits, sagt<br />
Umrik, wenn man abends nicht mehr<br />
wisse, was man am Morgen gefrühstückt<br />
habe. Wenn es sich anfühle, als<br />
lebe man „in einem Nebel, in dem<br />
man sich selbst nicht mehr so richtig<br />
spürt“. Natürlich kann es vorher einschneidende<br />
Momente gegeben haben:<br />
eine Trennung, einen Jobverlust oder<br />
gar den Tod eines nahestehenden Menschen.<br />
Doch die Krise selbst, so sieht<br />
das Umrik, entsteht vor allem aus dem<br />
Umgang mit dem Erlebten. Sie sagt:<br />
„Eine Krise ist das Gefühl, sich gegen<br />
den Wandel zu sträuben.“<br />
Vor ein paar Jahren wachte Umrik<br />
morgens auf und der kleine Finger<br />
ihrer rechten Hand hing schlaff nach<br />
unten. Erst dachte sie, vielleicht würde<br />
sich der Finger noch erholen, doch an<br />
diesem Tag verlor sie diesen Muskel für<br />
immer. Eigentlich, schreibt sie in ihrem<br />
Buch, sollte das für sie „keine große<br />
Überraschung sein“, weil es zu ihrer<br />
Erkrankung gehört. Und mit der ging
Neustart<br />
Radikal zu sein bedeutet für<br />
Umrik: Strikt zu hinterfragen,<br />
mit welchen Dingen sie sich<br />
auseinandersetzen möchte.<br />
besonders sichtbar, weil sie körperlich<br />
ist. Das macht es einfacher, darüber zu<br />
sprechen.“<br />
Die Tür zum Wohnzimmer ist<br />
leicht geöffnet, im Hintergrund hört<br />
man das Klappern von Geschirr. Umrik<br />
ist nicht allein in der Wohnung, eine<br />
Assistentin ist bei ihr, die sie bei alltäglichen<br />
Dingen unterstützt. Wenn es<br />
an der Tür klingelt zum Beispiel, oder<br />
wenn sie ein Glas Wasser trinken möchte.<br />
Umrik wurde im Laufe der Jahre gut<br />
darin, zu organisieren, Personal einzustellen,<br />
Schichten zu planen. Der<br />
nächsten Krise vorzubeugen, heißt für<br />
sie auch, sich jeden Tag aktiv mit der<br />
eigenen Abhängigkeit auseinanderzusetzen.<br />
Jeden Tag entscheidet sie neu,<br />
mit welchem Gefühl sie die Unterstützung<br />
ihrer Assistenz annimmt: „Nehme<br />
ich sie an als jemand, der sich nicht bewegen<br />
kann? Oder nehme ich sie an als<br />
Führungskraft, die nun mal mehrere<br />
Menschen beschäftigt?“ Im Grunde ist<br />
es dieselbe Situation, sagt sie, aber die<br />
Wirkung auf sie und andere ist es nicht.<br />
„Die Behinderung<br />
war mein bester<br />
Lehrmeister.“<br />
ANASTASIA UMRIK<br />
es ihr gut: „Nicht das Laufen, nicht das<br />
Sich-selbst-hinlegen-Können, nicht<br />
einmal mich am Hinterkopf kratzen<br />
wollte ich jemals selbst können.“ Doch<br />
der Verlust des kleinen Fingers nahm<br />
sie mit. Sie wurde wütend ob dieser<br />
Ungerechtigkeit: „Warum ich?“<br />
Heute sagt sie: „Meine Behinderung<br />
war mein bester Lehrmeister.“<br />
Eine Art Guru, der ihr half, Wandel<br />
anzunehmen und Grenzen zu setzen.<br />
Denn nicht allein bei sich, auch bei all<br />
den Menschen, die sich mittlerweile<br />
von ihr beraten lassen, beobachtet sie,<br />
dass Krisen meist mit dem Gefühl der<br />
Abhängigkeit verknüpft sind. Sie sagt:<br />
„Bei mir ist diese Abhängigkeit nur<br />
30<br />
In ihrem Buch steht an einer Stelle der<br />
Satz: „Wir identifizieren uns viel zu<br />
sehr mit der Machtlosigkeit, die wir als<br />
Kinder erfahren.“ Und dieser: „Ich war<br />
die Krise meiner Eltern.“<br />
Umrik beschreibt einen jahrelangen<br />
Kampf um Schuld und Anerkennung.<br />
„Wir alle haben uns ein anderes<br />
Leben vorgestellt“, schreibt sie.<br />
Die Eltern eines mit einem „gesunden,<br />
fröhlichen Kind“ und sie eines mit<br />
Eltern, die sie „akzeptieren und unabhängig<br />
von allem stolz auf mich sind“.<br />
Ihre erste Krise, im Krankenhaus,<br />
entstand vor allem aus dem Gefühl zu<br />
merken, „wie wenig es genügt, einfach<br />
nur da zu sein“.<br />
Ihre Eltern leben heute ein Stockwerk<br />
über ihr. Sie sind eine Familie, sie<br />
sehen sich immer wieder, kommen an<br />
Feiertagen zusammen. Es ist einfacher<br />
geworden, sagt Umrik, seit sie ausgezogen<br />
ist, sich abgegrenzt hat.<br />
Menschen, die in einem Wandel<br />
stecken, rät Umrik, dass sie sich dabei<br />
nicht von Freunden und Familie beraten<br />
lassen sollen. Weil diese häufig Teil<br />
des eigenen Systems sind, und damit<br />
auch oft Teil des Problems. Umrik sagt,
Peeerssssönnliicheee<br />
Assssssssiissssteeennz<br />
Neustart<br />
DEEEIINN NNEEEUEEERR<br />
sie setze am liebsten auf Leute, die „noch einen<br />
Ticken verrückter sind als ich“. Denn man müsse<br />
sich immer die Frage stellen: Stärken Menschen<br />
meine Macht oder meine Ohnmacht?<br />
Vor ein paar Jahren nannte die taz sie mal<br />
„Expertin für Neuanfänge“. Das war kurz nach<br />
e inem Ted-Talk (Anm. der Red.: eine Online- Vortragsreihe),<br />
mit dem die Hamburgerin viral gegangen war. Hier<br />
erzählte Umrik von einer Nah toderfahrung: Sie war<br />
beim Essen beinahe erstickt, an einem simplen Fischstäbchen.<br />
Diese Erfahrung, sagt sie, habe sie radikal<br />
gemacht.<br />
Diese Radikalität bedeutet für sie vor allem:<br />
Strikt zu hinterfragen, mit welchen Dingen sie sich<br />
auseinandersetzen möchte und mit welchen nicht.<br />
Heute ist sie weniger aktivistisch als früher, heute<br />
geht sie weniger feiern und wird um 17 Uhr müde;<br />
heute spricht sie zwar immer noch gerne auf Bühnen<br />
und manchmal vor ein paar 100 Menschen, wie<br />
vor kurzem auf Kampnagel. Und doch will sie auch<br />
mal nur: in Ruhe leben. Vielleicht raus aus ihrer<br />
Wohnung in Rothenburgsort und aufs Land ziehen,<br />
nur sie und ihre Katze.<br />
Das mit der Katze war eine Krise für sich, wenn<br />
auch minimalen Ausmaßes. Aufgrund ihrer Abstammung<br />
(„Britisch-Kurzhaar“) sollte sie nach einem<br />
britischem Vorbild benannt werden: Churchill, nach<br />
Winston Churchill, dem ehemaligen Premier. Weil<br />
dann aber alle dachten, sie sei ein Kater, wurde sie<br />
kurzerhand zu Mrs. Churchill. Und weil das wiederum<br />
im Alltag zu lang war, zu Churchi.<br />
Churchi scheint dieses Gezerre zwischen dem,<br />
was sie ist (eine graue Katzendame edler Abstammung)<br />
und dem, was all die anderen in ihr sehen<br />
(einen alten, englischen Kater), gut überwunden zu<br />
haben. An diesem Nachmittag wirkt sie jedenfalls<br />
sehr mit sich im Reinen. Manchmal schmiegt sie sich<br />
ins Sofa, manchmal streicht sie über den Teppich<br />
oder springt auf den Tisch.<br />
Ein Zitat ihres Namensgebers Churchill, immerhin<br />
auch ein bekannter Krisenmanager, lautet: „Never<br />
waste a good crisis.“ Könnte auch von Umrik sein. •<br />
Anna Elisa Jacob (eigentlich Hunde mensch)<br />
war erst skeptisch, als Anastasia Umrik<br />
sagte, ihre Katze habe Starpotenzial. Nur eine<br />
Stunde später war sie davon überzeugt.<br />
redaktion@hinzundkunzt.de<br />
31<br />
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beim Gehen“<br />
Coachin Andrea Landschof berät Menschen, die sich<br />
beruflich neu orientieren wollen. Im Interview verrät sie,<br />
warum radikale Richtungswechsel selten nötig sind und<br />
welche Fragen man sich stattdessen stellen sollte.<br />
INTERVIEW: SIMONE DECKNER<br />
FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Frau Landschof, was<br />
werden Sie am häufigsten gefragt?<br />
Andrea Landschof: Der Klassiker ist:<br />
Was soll ich tun? Was ist richtig? Manche<br />
kommen nur mit einem diffusen<br />
Gefühl. Andere haben zwar Vorstellungen,<br />
wissen aber nicht, wie sie sich entscheiden<br />
sollen.<br />
Wie beginnen Sie eine Beratung<br />
üblicherweise?<br />
Ich bitte die Klient:innen vorab um eine<br />
kurze Vita – ungeschönt. Gerade die<br />
Verbiegungen und Lücken finde ich toll,<br />
genau wie die Nebenschauplätze privater<br />
Art: Kinderlos oder viele Kinder?<br />
Verheiratet oder geschieden? Viel gereist<br />
32<br />
oder immer an einem Ort geblieben?<br />
Da lese ich zwischen den Zeilen.<br />
Und dann? Fragen Sie: Wie kann<br />
ich Ihnen helfen?<br />
Wie kann ich Ihnen helfen, frage ich<br />
nie, um nicht in eine Rettersituation zu<br />
kommen. Es geht ja darum, dass die
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Neustart<br />
Menschen an ihren Themen arbeiten.<br />
Sie wissen tatsächlich am besten, was<br />
gut für sie ist. Als Coach begleite ich sie<br />
und versuche, die Dinge hervorzuheben,<br />
die ich „latente Talente“ nenne.<br />
Das muss nichts sein, worin man besser<br />
ist als die anderen, das können auch<br />
ganz leise Dinge sein. Es geht um verborgene<br />
Fähigkeiten des Denkens, Fühlens<br />
und Handelns.<br />
… auch darum, eigene Stärken<br />
zu benennen?<br />
Ja, daran verzweifeln hier tatsächlich<br />
fast alle. Aber wann werden wir im Leben<br />
auch schon so explizit gefragt: Was<br />
kannst du denn toll? „Eigenlob stinkt!“,<br />
ist das Credo. Ich stelle auch oft die Frage:<br />
Welche Idee von einem gelingenden<br />
Leben haben Sie? Da kann es helfen,<br />
Visualisierungsübungen zu machen.<br />
Man stellt sich vor, wie es einem mit 80<br />
ergeht. Was würden sie ihrem heutigen<br />
Alter Ego sagen, damit Sie kluge<br />
Entscheidungen treffen? Ob jemand<br />
zugänglich für so etwas ist, muss ich<br />
testen. Manche winken gleich ab, wenn<br />
ich mit solchen „Spielchen“ komme.<br />
Worauf sollte man generell achten,<br />
wenn man etwas verändern will?<br />
Ich nenne das die äußeren und inneren<br />
Faktoren. Jeder Mensch ist biografisch<br />
geprägt, aber es gibt auch immer Rahmenbedingungen,<br />
also Grenzen und<br />
Begrenzungen. Ich frage immer: Was<br />
ist Ihnen denn möglich? Ist das die<br />
alleinerziehende Frau mit einem Kind,<br />
die vor mir sitzt, oder ist es die Frau aus<br />
dem Vorort, die bestimmte Elemente<br />
zur Verfügung hat? Erkrankungen spielen<br />
auch eine Rolle. Ich würde nicht so<br />
ganz simpel sagen: „Alles ist möglich!“,<br />
es geht eher darum, das Mögliche im<br />
Unmöglichen zu finden.<br />
ist 17 Jahre alt, der älteste ist 68. Das<br />
Gros der Leute ist 40+.<br />
Sind junge Menschen durch die<br />
vielen Berufsmöglichkeiten heute<br />
auch überfordert?<br />
Absolut! Mir sitzen oft Menschen gegenüber,<br />
die sagen: „Das könnte ich<br />
noch machen, und das und das!“ Ja,<br />
könntest du, aber was willst du? Ich<br />
habe das in meinem Buch beschrieben<br />
als „Anything Goes“, alles ist möglich.<br />
Das macht Menschen, vor allem die<br />
jungen, ganz kirre. „Ich muss jetzt<br />
Yogalehrerin auf Bali werden!“ Der<br />
Druck zur Selbst optimierung ist enorm.<br />
Haben Sie in den 20 Jahren Ihrer<br />
Tätigkeit radikale Jobwechsel erlebt?<br />
Es gab da mal eine Friseurmeisterin,<br />
die in ihrem Job unglücklich war, und<br />
die hat immer von der Weite des Meeres<br />
geschwärmt. Irgendwann habe ich<br />
von ihr eine Postkarte bekommen von<br />
der Ostsee, wo sie einen Hundesalon<br />
eröffnet hatte. Häufiger als das sind<br />
Menschen, die mutiger werden. Die<br />
Frau, die sich nicht traute, etwas zu wagen,<br />
weil ihre Mutter ihr gesagt hat:<br />
„Du bist sowieso zu blöd!“ etwa. Sie<br />
muss sich dann das Selbstbewusstsein<br />
erarbeiten, doch nicht blöd zu sein.<br />
Wenn diese Frau sich dann traut, endlich<br />
ihr Studium fortzusetzen, finde ich<br />
das sehr berührend. Das ist auch ein<br />
sehr großer Motor für meine Arbeit.<br />
Sie kommen aus einer 8-köpfigen<br />
Arbeiterfamilie, haben das Abitur auf<br />
dem zweiten Bildungsweg nachgeholt.<br />
Was wollten Sie früher werden?<br />
In dem kleinen Dorf, in dem ich groß<br />
geworden bin, gab es wenige Möglichkeiten:<br />
Ich konnte zwischen Fleischereifachverkäuferin,<br />
Bäckerin und Erzieherin<br />
wählen, Letzteres wurde es dann.<br />
Bei uns ging es ums Überleben, nicht<br />
um eine möglichst gute Bildung. Ich bin<br />
zwar nicht obdach- oder wohnungslos<br />
gewesen, aber ich kenne sehr, sehr große<br />
Not, und ich kenne Hunger und<br />
auch dauerhafte Kälte. Das hilft mir<br />
auch heute in meinem Job als Coach.<br />
Ich weiß, woher ich komme, ich kann<br />
Menschen ermutigen: Dinge sind<br />
möglich. Ich bin weit weg von dieser<br />
Kommen mehr Frauen als Männer?<br />
Ja.<br />
In welchem Alter?<br />
Tendenziell sind meine Klient:innen in<br />
den vergangenen fünf Jahren immer<br />
jünger geworden. Meine jüngste Klientin<br />
Andrea Landschof<br />
stammt aus einer<br />
8-köpfigen Arbeiterfamilie,<br />
hat ihr Abitur<br />
nachgeholt. Diese<br />
Erfahrung hilft ihr bei<br />
ihrer heutigen Arbeit.<br />
33
Neustart<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>347</strong>/JANUAR <strong>2022</strong><br />
In ihrem Buch „Das bin ich?“ gibt<br />
Andrea Landschof Ratschläge.<br />
„Tschakka! Du schaffst es!“-Lehre, aber<br />
ich gucke, was jemand trotz widrigster<br />
Umstände im innen und außen für<br />
Möglichkeiten hat.<br />
Was hat Ihnen damals Mut gemacht?<br />
Ich erinnere mich heute noch genau an<br />
eine Lehrerin. Die hat eigentlich etwas<br />
ganz Profanes gemacht: Sie hat an mich<br />
geglaubt und mich bestärkt, den Realschulabschluss<br />
nachzuholen. Es gab immer<br />
wieder Menschen, die Anlagen in<br />
mir gesehen haben, verborgene Talente,<br />
die ich mich damals gar nicht getraut<br />
habe, zu zeigen.<br />
„Große<br />
Veränderungen<br />
können nur<br />
innerlich<br />
stattfinden.“<br />
Angenommen, ein:e Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />
Verkäufer:in säße hier, wie würden<br />
Sie ins Gespräch kommen?<br />
Natürlich spielt da die individuelle<br />
Situa tion eine ganz große Rolle. In der<br />
Transaktionsanalyse redet man von drei<br />
existenziellen Grundbedürfnissen, die<br />
über das Fundament Essen, Schlafen<br />
und ein Dach über dem Kopf hinausgehen.<br />
Es geht um Struktur im Leben,<br />
Stimulanz im Sinne von körperlicher<br />
und geistiger Anregung und um Anerkennung.<br />
Letzteres erscheint mir bei<br />
den Hinz&Künztler:innen besonders<br />
wichtig. Dabei geht es um menschliche<br />
Anerkennung, um Gesehenwerden, um<br />
eine Art von Wertschätzung, verbal<br />
oder nonverbal, einfach darum, wahrgenommen<br />
zu werden als Mensch.<br />
Wenn wir das nicht erfüllt bekommen,<br />
können wir emotional austrocknen.<br />
34<br />
Ist man irgendwann zu alt für einen<br />
neuen Job?<br />
Nein. Ich habe ja selber mit 50 Jahren<br />
noch einmal einen kompletten Neustart<br />
hingelegt, hier, mit diesem Institut. Eine<br />
74-jährige Frau hat bei mir eine Ausbildung<br />
zur Beraterin gemacht. Sollte<br />
ich zu ihr sagen: Du bist zu alt zum<br />
Lernen! Zu alt um dich weiterzuentwickeln?<br />
Ich finde: Dinge entstehen<br />
beim Gehen, also während wir sie tun.<br />
Es heißt ja immer, man solle „das Alte<br />
zurücklassen“. Kann es auch hilfreich<br />
sein, eine Situation neu zu bewerten?<br />
Ja, es gibt eine innere und eine äußere<br />
Neuorientierung. Das Äußere kann mit<br />
gravierenden Umwälzungen zu tun haben,<br />
wie einem Umzug, einer neuen<br />
Partnerin, einem neuen Job. Das andere<br />
ist die innere Neuorientierung, die<br />
hat tatsächlich mit einer neuen inneren<br />
Bewertung zu tun. Ich bin jetzt nicht<br />
diejenige, die sagt: Rede es dir schön.<br />
Aber durchaus: Guck mal, ob es nicht<br />
eine andere Facette gibt! Wie wir auf<br />
die Dinge schauen, ist geprägt durch<br />
unsere biografischen Erfahrungen.<br />
Große Veränderungen können auch<br />
nur innerlich stattfinden. Eine Klientin<br />
hat lange an einem ungeliebten Medizinstudium<br />
festgehalten, weil ihre<br />
Eltern Ärzte waren und es von ihr erwarteten.<br />
Sie hat sich durch die Neubewertung<br />
die Erlaubnis gegeben, das<br />
Studium abzubrechen. Das war auch<br />
eine berufliche Neuorientierung.<br />
Kann jeder Mensch sein Leben ändern?<br />
Per se ist es jedem Menschen möglich,<br />
etwas zu verändern. Es gibt dann eben<br />
bestimmte Rahmenbedingungen. Ich<br />
finde auch wichtig, sich zu fragen: Ist<br />
diese Veränderung klug, ist sie sinnvoll?<br />
Für wen mache ich das? Auch wenn<br />
alles möglich ist, heißt das nicht, dass<br />
ich das auch tun muss. Hier saß mal<br />
eine Frau, die irgendwann zu mir<br />
sagte: „Also, dann brauche ich gar<br />
nichts ändern?“ Sie hat sich die Frage<br />
im Grunde selbst schon bejaht. Da<br />
habe ich mich selbst arbeitslos gemacht,<br />
aber das ist im Grunde ja der Sinn der<br />
Sache (lacht). •<br />
simone.deckner@hinzundkunzt.de
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Absolvent:innen des<br />
Peers-Kurses feiern<br />
ihren Abschluss.<br />
Pionierprojekt:<br />
Die kennen sich aus<br />
In einem Kurs lernen ehemals Wohnungslose, wie sie<br />
mit ihren Erfahrungen Menschen in einer ähnlichen Lage<br />
unterstützen können: als Peers in Wien.<br />
TEXT: SIMONE DECKNER<br />
FOTOS: CHRISTOPH LIEBENTRITT<br />
36
Neustart<br />
Zahlen, Daten, Fakten<br />
Bisher haben 47 Absolvent:innen die Ausbildung zum Peer<br />
der Wiener Wohnungslosenhilfe erfolgreich abgeschlossen.<br />
Der 4. Kurs endet Ende März <strong>2022</strong>. Für Herbst <strong>2022</strong> ist<br />
der Start eines 5. Kurses geplant. Bisher konnten 28 Stellen<br />
für Peer-Mitarbeiter:innen bei Sozialorganisationen geschaffen<br />
werden. Darunter sind Wohneinrichtungen, Angebote der<br />
Mobilen Betreuung in der eigenen Wohnung sowie unterschiedliche<br />
Unterstützungsangebote in der Beratung und<br />
Gesundheitsförderung. Einige Absolvent:innen fanden in<br />
anderen Bereichen Anstellungen.<br />
2019 übernahm der Hauptverband der österreichischen<br />
Sozialversicherungs träger die Kosten für den 1. Peers-Kurs.<br />
2020/2021 gab es eine Projekt förderung in Höhe von<br />
rund 412.000 Euro für die Ausbildung, Begleitung,<br />
Qualitätssicherung sowie den Wissenstransfer durch den<br />
Neunerhaus Peer Campus. Die Etablierung von Peers ist eine<br />
der wesentlichen Maßnahmen der Wiener Wohnungslosenhilfe-<br />
Strategie <strong>2022</strong>. Ziel dabei ist es, die Betreuungsteams durch<br />
ausgebildete Peer-Mitarbeiter:innen interdisziplinär zu erweitern.<br />
Auch Berlin setzt auf Peer-to-Peer-Arbeit zur Überwindung<br />
von Wohnungs- und Obdachlosigkeit bis zum Jahr 2030.<br />
Im Berliner Masterplan wird als positives Beispiel die<br />
„Taskforce Obdachlosigkeit“ genannt, bei der zwölf ehemals<br />
obdachlose Menschen als sogenannte Obdachlosenlotsen<br />
auf der Straße unterwegs sind. Sie unterstützen mit praktischen<br />
Hilfen und sollen Betroffenen helfen, den Weg aus der<br />
Obdachlosigkeit zu finden.<br />
I<br />
ch hätte damals so jemanden wie mich gebraucht.<br />
Jemanden, der einfach nur dasitzt und mir zuhört“, sagt<br />
Esma. Wenn sie aus dem Fenster ihrer gemütlichen<br />
Wohnung in Wien schaut, kann sie sehen, wie das<br />
Wasser im Donaukanal vorbeizieht. Nicht mehr lange, dann<br />
kommen ihre Kinder aus der Schule. Ein ganz normaler,<br />
geregelter Tag. Esma kennt aber auch andere Tage, in denen<br />
gar nichts geregelt war. „Damals habe ich mich wie eine<br />
Versagerin gefühlt“, sagt sie. Sie meint die Zeit, in der<br />
sie wohnungslos war, abwechselnd bei Freund:innen und<br />
Bekannten schlief.<br />
Vorausgegangen war eine akute Krise: Die gelernte Einzelhandelskauffrau<br />
erkrankte an einer bipolaren Störung,<br />
wird in der Folge berufsunfähig und muss zu Hause bleiben.<br />
Nur, dass dieses Zuhause von einem auf den anderen Tag<br />
wegbricht. Ausgerechnet jetzt kündigt der Vermieter ihr die<br />
Wohnung, droht mit Zwangsräumung und Polizei. „Ich war<br />
ganz tief unten mit der Psyche, sodass ich einfach keine Kraft<br />
gehabt habe, um um die Wohnung zu kämpfen. Ich bin da<br />
gestanden und habe mich gefragt: ‚Okay, was mache ich<br />
jetzt? Wohin?‘“<br />
Esma und ihr Sohn kommen auf der Couch bei<br />
Freund:innen unter. Leben aus dem Koffer. Ohne Intimsphäre.<br />
Immer mit dem Gefühl, zu stören. In ihrer Verzweiflung<br />
schreibt sie Briefe an alle Stellen, die ihr einfallen. Hilfe<br />
bekommt sie schließlich bei der zuständigen Beratungsstelle<br />
Wohnungslosenhilfe, kurz bzWO: „Ich wusste gar nicht, was<br />
das ist. Ich habe mich da einfach gemeldet“, sagt Esma.<br />
Sie hat Glück, weil sie auf eine engagierte Mitarbeiterin trifft:<br />
Nur drei Wochen später haben Esma und ihr Sohn wieder<br />
ein Dach über dem Kopf, erst vorläufig, dann mit einem unbefristeten<br />
Mietvertrag. Die Wohnungslosigkeit liegt hinter ihr.<br />
Trotzdem verbringt Esma heute wieder jeden Tag mit<br />
Menschen, die keine Wohnung haben oder auf der Straße<br />
leben. Esma arbeitet als Peer der Wohnungslosenhilfe in<br />
Wien und ist damit eine Pionierin. Erst seit 2019 werden<br />
37
Esma: „Wir Peers sind<br />
das Bindeglied zwischen<br />
den Sozialarbeiter:innen<br />
und den Nutzer:innen.“<br />
Robert (links) hat als Peer-Mitarbeiter in einem<br />
Wiener Wohnhaus für alle Fragen der Bewoh ner:innen<br />
ein offenes Ohr. Esma (in der Mitte) im Austausch<br />
mit Peers-Kurskolleg:innen<br />
ehemals von Obdach- und Wohnungslosigkeit betroffene<br />
Menschen von der Sozialorganisation Neunerhaus zu Peers<br />
aus gebildet. Der Begriff kommt aus dem Englischen und<br />
bedeutet so viel wie „Ebenbürtige:r“.<br />
Die Idee ist so simpel wie einleuchtend: Ehemals betroffene<br />
Menschen geben ihr Erfahrungswissen an andere<br />
weiter, die obdachlos oder wohnungslos sind. Sie sind<br />
Ansprechpartner:innen auf Augenhöhe, denn wer könnte<br />
sich in die schwierige Lage der Betroffenen besser hineinversetzen<br />
als jemand, der Ähnliches erlebt hat? „Meine<br />
Aufgabe ist, mich mit den Menschen zu unterhalten, quasi<br />
ihnen mein Vertrauen entgegenzubringen, damit sie mir<br />
vertrauen“, sagt Esma über ihre Arbeit in einem Tageszentrum<br />
für Wohnungslose. „Wir sind das Bindeglied<br />
zwischen den Sozialarbeiter:innen und den Gästen, sind für<br />
alle Fragen offen.“<br />
In einem sieben Monate dauernden Kurs lernen die Peers,<br />
wie es gelingen kann, andere mit ihren Erfahrungen zu<br />
unterstützen: von aktivem Zuhören über den Umgang mit<br />
Menschen mit psychischen und Suchterkrankungen. Die<br />
Kursteilnehmer:innen reflektieren im Austausch, was sie<br />
selbst erlebt haben, absolvieren Praktika in Wohnungsloseneinrichtungen,<br />
arbeiten in Lerngruppen und schreiben eine<br />
Abschlussarbeit.<br />
Esma hat ihre Arbeit darüber geschrieben, wie man den<br />
Alltag der Besucher:innen eines Tageszentrums bunter gestalten<br />
könnte. „Ich habe ein Beautyprojekt gemacht und die<br />
Frauen ein bisschen verschönert“, sagt sie. Es sei für sie ein<br />
„Wow-Erlebnis“ gewesen, dass man mit kleinen Dingen wie<br />
frisch lackierten Nägeln für große Freude sorgen kann. „Sich<br />
einfach mal verwöhnen lassen. Das war etwas, was in dem<br />
Haus wirklich gefehlt hat“, sagt sie.<br />
38
„Peers sind für uns Mutmacher:innen, Hoffnungs träger:innen,<br />
aber auch kritische Wegbegleiter:innen; hinterfragen<br />
sie mit ihrer Erfahrung doch auch das System der<br />
Wohnungslosenhilfe“, sagt Neunerhaus-Geschäftsführerin<br />
Daniela Unterholzner. Esma hat als Peer-Mitarbeiterin<br />
bislang gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit den<br />
etablierten Kolleg:innen gemacht: „Die finden das wirklich<br />
entlastend und merken ja, wie wir mit den Nutzer:innen<br />
umgehen: ohne Scheu.“<br />
Jürgen Hölbling leitet ein Neunerhaus-Wohnhaus in<br />
Wien, in dem Menschen übergangsweise ein Zuhause<br />
finden. Er möchte seinen Peer-Mitarbeiter nicht mehr<br />
missen: „Was Robert mitbringt, ist einzigartig“, sagt er.<br />
„Er hat einfach ganz ähnliche Erfahrungen gemacht, das<br />
ist gelebte Hilfe auf Augenhöhe.“ Hölbling sieht in<br />
dem Peer eine wertvolle Ergänzung zu seinen anderen<br />
Mitarbeiter:innen. „Gerade bei neuen Klient:innen<br />
erleichtert Robert den Vertrauensaufbau. Das kann man<br />
sich für sein Team nur wünschen.“<br />
Robert Helmstreit kennt das Haus, in dem er arbeitet,<br />
bestens. Der 62-Jährige hat früher selbst hier gelebt, nachdem<br />
er seine Wohnung verloren hatte. „Ich kenne die<br />
Abläufe, das hilft mir schon sehr“, sagt er. Nun ist er auf<br />
der anderen Seite, als Teil des Teams. „Ich bin für jede<br />
Frage der Bewohner:innen offen, von A bis Z: ob die<br />
Menschen ihren Stress loswerden wollen oder Hilfe<br />
brauchen, wenn Briefe beantwortet werden müssen bis hin<br />
zu ganz persönlichen Fragen. Ich bin da sehr flexibel und<br />
das wissen die Leute auch“, sagt er.<br />
Pandemiebedingt konnten viele Angebote nur eingeschränkt<br />
stattfinden. Vor Corona begleitete Robert etwa<br />
einzelne Bewohner:innen regelmäßig bei Wohnungsbesichtigungen:<br />
„Vier Augen sehen mehr als zwei. Weil viele<br />
Besichtigungen nur noch online stattgefunden haben, habe<br />
ich ein Informationsblatt zusammengestellt, wo drin steht,<br />
worauf man achten soll“, sagt er.<br />
Auch Esma ist eine Macherin: „Ich bin so ein Mensch,<br />
der immer sofort losrennt, wenn er hört, dass ein anderer<br />
ein Problem hat und das dann sofort lösen will“, sagt sie<br />
und lacht. Als Peer habe sie jedoch gelernt, dass es nicht darum<br />
geht, die Probleme anderer zu regeln: „Es geht stattdessen<br />
darum, ihnen den Weg aufzuzeigen, wie sie es selber<br />
machen können.“ Der erste Schritt ist dabei ganz oft:<br />
einfach zuhören. „Ein Mann hat neulich zu mir gesagt: ‚Du<br />
bist die Einzige, die hier mit mir redet‘“, sagt Esma. •<br />
Simone Deckner lebte 18 Monate in<br />
ihrer Sehnsuchtsstadt Wien. Dort lernte<br />
sie bei ihrer Arbeit für Neunerhaus auch<br />
die Peers kennen: „Ein absolut nachahmenswertes<br />
Projekt!“<br />
ILLUSTRATION: ESTHER CZAYA<br />
Unser Rat<br />
zählt.<br />
879 79-0<br />
Beim Strohhause 20<br />
Wie klingt<br />
Hamburg?<br />
Schüler:innenwettbewerb von<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> und AUDIYOU<br />
Wie klingt für euch Hamburg?<br />
Welche Menschen und Orte gehören dazu?<br />
Wir sind gespannt darauf, was für Persönlichkeiten,<br />
Geschichten oder auch Klänge ihr findet.<br />
Macht unsere Stadt hörbar!<br />
Gestaltet aus den Ideen einen Hörbeitrag, egal in<br />
welcher Form. Das kann eine kleine Geschichte,<br />
eine Reportage, ein Hörspiel, ein Song, ein Interview<br />
oder etwas anderes sein. Hauptsache, er ist hörbar<br />
und nicht länger als vier Minuten.<br />
Wir sind gespannt darauf! Aus allen Einsendungen<br />
wählt eine Expert:innen-Jury ihre Favoriten und stellt<br />
diese bei einer großen Abschlussveranstaltung<br />
für alle Teilnehmer:innen im Juni <strong>2022</strong> vor.<br />
Dabei gibt es viele Preise zu gewinnen.<br />
Für Lehrer:innen gibt es am 15. Februar <strong>2022</strong><br />
einen Workshop, bei dem die einfachen<br />
Grundlagen der Technik vermittelt und<br />
Fragen beantwortet werden.<br />
Mieterverein zu Hamburg<br />
im Deutschen Mieterbund<br />
20097 Hamburg<br />
Einsendeschluss:<br />
2. Juni <strong>2022</strong><br />
Mehr Informationen, Teilnahmebedingungen<br />
und das Anmeldeformular gibt es<br />
unter hinzundkunzt@audiyou.de oder<br />
bei Stephanie Landa: 040 – 46 07 15 38.<br />
Fan werden<br />
mieterverein-hamburg.de<br />
Wie lebendig<br />
möchten Sie begraben werden?<br />
Mehr Infos: www.huklink.de/peers<br />
Zur Strategie der Wiener Wohnungslosenhilfe <strong>2022</strong>:<br />
www.huklink.de/wiener-wohnungslosenhilfe<br />
39<br />
andere bestattungen<br />
040 43 27 44 11<br />
• trostwerk.de
Freunde<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>347</strong>/JANUAR <strong>2022</strong><br />
Wettfahrtleiter Hans-Christian Neumann<br />
(in der gelben Weste) mit dem Team „Kinderachter“<br />
vom Ruder-Club Favorite Hammonia<br />
„Alles vorwärts – los!“<br />
Für Hinz&<strong>Kunzt</strong> legten sich 360 Ruderer und Ruderinnen<br />
in die Riemen. Die Alster Achter Challenge des Ruderclubs<br />
Favorite Hammonia hat rund 6000 Euro eingebracht.<br />
TEXT: SIMONE RICKERT<br />
FOTOS: MIGUEL FERRAZ<br />
Sieger-Team „Schwedenachter“ vom Mölndals Roddklubb<br />
Es ging um die Ehre, um’s Gewinnen und um einen kräftigen<br />
Spendenbetrag, den der austragende Hamburger „Ruderclub<br />
Favorite Hammonia“ Ende 2021 zugunsten von<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> gesammelt hat. Die Organisatoren Christian<br />
Heim und Hans-Christian Neumann haben den üblichen Teilnahmebeitrag,<br />
der von allen für diesen Zweck großzügig aufgerundet wurde,<br />
in eine Spende umgewidmet. Unter kontaktbeschränkten Bedingungen<br />
waren keine Siegerehrung und kein Landprogramm mit gemeinsamem<br />
Essen am Steg möglich, also suchten sie einen anderen Verwendungszweck<br />
für das Startgeld.<br />
„Wir wollten unbedingt diejenigen mit ins Boot nehmen, denen es<br />
nicht so gut geht wie uns“, sagt Hans-Christian Neumann. „Wenn wir<br />
trainieren, sehen wir die Zelte der Obdachlosen unter der Kennedybrücke,<br />
und das den ganzen Winter über.“ Neumann ist Leser von<br />
40
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Freunde<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>, seit das Magazin vor<br />
mehr als 28 Jahren gegründet wurde.<br />
Das Einzige, was er am Regattatag bedauerte,<br />
war, dass er als Organisator<br />
nicht mit „seinem“ Achter auf dem<br />
Wasser sein konnte.<br />
Am 6. November war es schon<br />
recht kühl an der Alster, Wind kam<br />
auch auf – aber immerhin regnete es<br />
nicht. Es war das erste große Rennen<br />
seit Beginn der Pandemie: Vereine<br />
aus Hamburg waren vertreten, auch<br />
aus Berlin, Osnabrück, Bonn, Braunschweig,<br />
Neumünster, Kiel und sogar<br />
Schweden. Einfach nur, um dabei zu<br />
sein, denn coronabedingt war das Format<br />
sehr auf den Sport reduziert: einfach<br />
nur Rudern.<br />
Die Sportler:innen waren trotzdem<br />
heiß auf dieses Rennen, das den traditionsreichen<br />
„Fari-Cup“ unter der<br />
Schirmherrschaft von Sportsenator<br />
Andy Grote (SPD) ersetzte – endlich<br />
wieder im Wettkampfmodus! Am Ende<br />
gewann das weit angereiste Team<br />
„Schwedenachter“ vom Mölndals<br />
Roddklub. Der Achter der „Fari“, wie<br />
die Mitglieder ihren Club liebevoll<br />
nennen, belegte den sechsten Platz und<br />
das Seniorenteam „Wildbrands Gedenken<br />
8+“ mit einem Durchschnittsalter (!)<br />
von 85 Jahren einen sensationellen<br />
29. Platz. Und weil die Regatta allen<br />
so viel Freude bereitet hat, können sich<br />
die Sportler:innen gut vorstellen, das<br />
Startkommando „Alles vorwärts – los!“<br />
<strong>2022</strong> wieder für einen guten Zweck<br />
auszu rufen. •<br />
redaktion@hinzundkunzt.de<br />
JA,<br />
ICH WERDE MITGLIED<br />
IM HINZ&KUNZT-<br />
FREUNDESKREIS.<br />
Damit unterstütze ich die<br />
Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Meine Jahresspende beträgt:<br />
60 Euro (Mindestbeitrag für<br />
Schüler:innen/Student:innen/<br />
Senior:innen)<br />
100 Euro<br />
Euro<br />
Datum, Unterschrift<br />
Ich möchte eine Bestätigung<br />
für meine Jahresspende erhalten.<br />
(Sie wird im Februar des Folgejahres zugeschickt.)<br />
Meine Adresse:<br />
Name, Vorname<br />
Straße, Nr.<br />
PLZ, Ort<br />
Dankeschön<br />
Telefon<br />
E-Mail<br />
Wir danken allen, die uns im Dezember<br />
unterstützt haben, sowie allen Mitgliedern im<br />
Freundeskreis von Hinz&<strong>Kunzt</strong>! Wir freuen<br />
uns gleichermaßen über kleine und große<br />
Beträge. Auch unseren Unterstützer:innen<br />
auf Facebook: ein großes Dankeschön!<br />
DANKE EBENFALLS AN:<br />
• wk it services • die Hamburger Tafel<br />
• Obstmonster GmbH • Hanseatic Help<br />
• Axel Ruepp Rätselservice<br />
• die Hamburger Kunsthalle<br />
• eine Nachbarin für die<br />
vielen Adventspäckchen<br />
• Art Invest • Tchibo und Peter Hagemann<br />
• Park Hyatt und Andreas Metzler<br />
• die Grafikdeerns<br />
• Schokoladenseite<br />
• FiN Frauen in Verantwortung<br />
• Studierende der Macromedia-Hochschule<br />
• die Hauptkirche St. Jacobi<br />
und Gerhard Löffler<br />
• die Hauptkirche St. Petri<br />
und Thomas Dahl<br />
• Tesa SE HAM<br />
• die Graduates und Kolleg:innen<br />
von Shell Deutschland<br />
• Ole Mader • AMP<br />
• isn immobilien service norderstedt gmbh<br />
Medizinische Masken werden permanent für<br />
die Hinz&Künztler:innen benötigt.<br />
NEUE FREUNDE:<br />
• Sabine Blume<br />
• Anna-Kathrin Fehrmann<br />
• Angela Gänsdorfer<br />
• Ursula Guggenmos • Angelika Hillmer<br />
• Theo Höing • Tobias Kabacinski<br />
• Michael Kalin<br />
• Elke Lethi<br />
• Irmgard Mucha und Wilhelm Lubosch<br />
• Petra Malek • Birgit Miesch<br />
• Armin Peter • Rainer Pillmann-Wesche<br />
• Felix Riechert<br />
• Roland Rist<br />
• Jan Schleu • Gesche Schnee<br />
• Lise Seidler • Hanne Skrodzki-Gutschow<br />
• Anja Thiemann<br />
Einzugsermächtigung:<br />
Ich erteile eine Ermächtigung zum<br />
Bankeinzug meiner Jahresspende.<br />
Ich zahle: halbjährlich jährlich<br />
IBAN<br />
BIC<br />
Bankinstitut<br />
Ich bin damit einverstanden, dass mein Name in<br />
der Rubrik „Dankeschön“ in einer Ausgabe des<br />
Hamburger Straßenmagazins veröffentlicht wird:<br />
Ja<br />
Nein<br />
Wir garantieren einen absolut vertraulichen<br />
Umgang mit den von Ihnen gemachten Angaben.<br />
Die übermittelten Daten werden nur zu internen<br />
Zwecken im Rahmen der Spendenverwaltung<br />
genutzt. Die Mitgliedschaft im Freundeskreis ist<br />
jederzeit kündbar. Wenn Sie keine Informationen<br />
mehr von uns bekommen möchten, können<br />
Sie jederzeit bei uns der Verwendung Ihrer<br />
personenbezogenen Daten widersprechen.<br />
Unsere Datenschutzerklärung können Sie<br />
einsehen unter www.huklink.de/datenschutz<br />
Bitte Coupon ausschneiden und senden an:<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreis<br />
Minenstraße 9, 20099 Hamburg<br />
Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk<br />
41<br />
HK <strong>347</strong>
Buh&Beifall<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>347</strong>/JANUAR <strong>2022</strong><br />
Was unsere Leser:innen meinen<br />
„Es gibt viele tolle Graffitis“<br />
Ausgleichsabgabe erhöhen<br />
H&K 346: „Ausgeschlossen“<br />
So lange die Ausgleichsabgabe nicht<br />
auf 2000 Euro pro Monat und nicht<br />
besetzten Platz erhöht wird, werden<br />
keine Personen mit Handicap eingestellt.<br />
Die Beträge sollten dann an Einrichtungen<br />
wie die Elbe-Werkstätten<br />
weitergeleitet werden. So können auch<br />
andere Löhne bezahlt werden. K. OLSSON<br />
Gute und schlechte Graffitis<br />
H&K 346: „Eine Stadt wird bunt“<br />
Es gibt viele tolle Graffitis. Was mich<br />
aber ärgert und stört sind die einfallslosen<br />
und handwerklich schlechten<br />
Graffitis und Tags. Zum Foto auf Seite<br />
54/55: Es mag Bahnhof Hasselbrook<br />
sein, eine S-Bahn ist es nicht. Eher ein<br />
alter D-Zug-Wagen der Strecke<br />
Ahrensburg-Hauptbahnhof. THOMAS OHRT<br />
Als langjähriger Leser<br />
bin ich bestürzt über das riesige<br />
Auf macherbild eines mit Graffiti<br />
bemalten Eisenbahnwagens.<br />
Das Bild und in Teilen der Bericht<br />
verniedlichen Graffitis und ermun -<br />
tern unter Umständen zum Nacheifern.<br />
<br />
BERNHARD-MICHAEL DOMBERG<br />
Danke Lothar!<br />
H&K allgemein<br />
Ich halte hier eine unglaublich liebevolle<br />
Karte von meinem Stammverkäufer<br />
Lothar in der Hand. Ich<br />
war heute so gehetzt, und er hat sie<br />
mir einfach mit einem Lächeln in<br />
die Hand gedrückt. Diese Aufmerksamkeit<br />
hat mich wieder runterkommen<br />
lassen und mir viel Freude<br />
bereitet! Danke Lothar!<br />
<br />
JOHANNA LIEBERMANN<br />
Leser:innenbriefe geben die Meinung der<br />
Verfasser:innen wieder, nicht die der Redaktion.<br />
Wir behalten uns vor, Briefe zu kürzen. Über Post<br />
an briefe@hinzundkunzt.de freuen wir uns.<br />
Wir trauern um<br />
Andrzej Fudro<br />
13. Februar 1966 – 14. Oktober 2021<br />
Andrzej verstarb nach einem<br />
Reanimationsversuch auf der Osterstraße.<br />
Die Verkäufer:innen und das Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Team<br />
Wir trauern um<br />
Werner Martin<br />
9. September 1957 – 28. November 2021<br />
Werner verstarb nach langer und schwerer Krankheit.<br />
Die Verkäufer:innen und das Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Team<br />
HAMBURGER NEBENSCHAUPLÄTZE<br />
DER ETWAS ANDERE<br />
STADTRUNDGANG<br />
Wollen Sie<br />
Hamburgs City<br />
einmal mit<br />
anderen Augen<br />
sehen? Abseits<br />
der glänzenden<br />
Fassaden zeigen wir<br />
Orte, die in keinem<br />
Reiseführer stehen:<br />
Bahnhofsmission<br />
statt Rathaus und<br />
Tagesaufenthaltsstätte<br />
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Sie können mit<br />
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Tour gehen, einzeln<br />
oder als Gruppe<br />
bis 25 Personen.<br />
Auch ein digitaler<br />
Rundgang ist<br />
möglich. Das ist fast<br />
genauso spannend.<br />
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Kostenbeitrag: 5 Euro/10 Euro<br />
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<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Unerwartet: Der Stadtteil Billbrook verrät viel über Hamburgs bewegte Industriegeschichte (S. 44).<br />
Unkonventionell: Der Radiosender ByteFM bietet ein Programm abseits des Mainstreams (S. 50).<br />
Unbeugsam: Nach zahlreichen Schicksalsschlägen geht es bei Boguslawa bergauf (S. 58).<br />
Mit „Die Welterlöserin“ zeigt<br />
das Thalia Theater bei den<br />
Lessingtagen eine „feministischöko-faschistische<br />
Show“.<br />
Infos unter: www.thalia-theater.de<br />
FOTO: EMILIE THERESE
Rubrik<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>347</strong>/JANUAR <strong>2022</strong><br />
Idylle entlang der Bille<br />
Wer in Billbrook spazieren geht, taucht unerwartet ein in die Industriegeschichte<br />
Hamburgs. Autor Frank Keil hat sich den Stadtteil von Historiker<br />
Ralph Ziegenbalg von der Geschichtswerkstatt Billstedt zeigen lassen.<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
L<br />
aut ist es. Ziemlich laut. Also,<br />
das ist jetzt untertrieben: Es ist<br />
höllisch laut, man versteht sein<br />
eigenes Wort nicht! Sattelschlepper,<br />
Lkws mit Anhängern und Zugmaschinen<br />
donnern im Minutentakt vorbei,<br />
nehmen kaum das Gas weg, lassen die<br />
Bremsen quietschen. Drumherum kein<br />
Baum, kein Strauch, kein Wohnhaus<br />
und niemand ist unterwegs. Zugleich<br />
44<br />
ist es hochspannend, man will wissen,<br />
was an der nächsten Ecke kommt!<br />
Doch von vorn, da schlendern wir<br />
noch entspannt durch das Quarree rund<br />
um die Straße Am Bökelbarg, nahe der
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Rubrik<br />
Panoramablick<br />
von der Moorfleeter<br />
Brücke<br />
U-Bahnstation Billstedt. Hier und da fallen<br />
Stadthäuser auf, ein bisschen über<br />
die Jahre verbaut vielleicht, aber hübsch<br />
und heimelig anzusehen. „Hier wohnten<br />
die Kaufmännischen Angestellten und<br />
die Werkmeister der damaligen Zinkfabrik“,<br />
erzählt Historiker Ralph Ziegenbalk,<br />
der in der Nachbarschaft wohnt.<br />
Er ist Vorsitzender der Geschichtswerkstatt<br />
Billstedt. Gerade ist dort sein Buch<br />
erschienen: „Die Billbrook-Tour“. Auf<br />
die gehen wir nun gemeinsam.<br />
Denn hier im ungeliebten Osten<br />
Hamburgs, wo sich hinter der Geestkante<br />
das Elbursprungstal erstreckt,<br />
lässt sich Industriegeschichte erzählen:<br />
Die Villen der Hamburger Kaufleute,<br />
die hier die Sommerfrische genossen,<br />
mussten Ende des 19. Jahrhunderts weichen.<br />
Das Gebiet wurde aufgeschüttet,<br />
anschließend durchzog man es mit<br />
schnurgeraden Kanälen und Straßen.<br />
Eine Farbholzmühle nahm den Betrieb<br />
auf, eine Jute-Spinnerei, eine Nährmittelfabrik,<br />
mehrere chemische Fabriken.<br />
Eine Asphaltfabrik siedelte sich an, Seifenfabriken<br />
kamen hinzu und die Zinkhütte.<br />
Für die Arbeitskräfte, die man<br />
brauchte, entstand der Arbeiterortsteil<br />
Schiffbek. Detail am Rande: Es wurde<br />
eigens ein Haus für einen Kindergarten<br />
erbaut. Man wollte auch auf die Arbeiterfrauen<br />
zurückgreifen, nur die bürgerlichen<br />
Frauen sollten daheim bleiben.<br />
45<br />
Auch eine Fußgängerbrücke über die<br />
Bille, die Schiffbek und Billbrook trennt,<br />
wurde gebaut. Über die gehen wir jetzt,<br />
nachdem wir die Billstedter Hauptstraße<br />
überquert haben. Damals haben<br />
die Arbeiter:innen sie zu Hunderten<br />
jeden Tag genutzt. Heute wird sie von<br />
Jogger:innen in quietschbunter Funktionskleidung<br />
frequentiert. Drüben dann<br />
überqueren wir Bahngleise: „Hier fuhr<br />
die ‚Südstormarnsche Kreisbahn‘“, erzählt<br />
Ziegenbalk, ab 1907. Sie hatte<br />
das Ziel, Billbrook an das holsteinische<br />
Hinterland anzubinden. Später setzte<br />
sich der Lkw als Transportmittel durch:<br />
Stadtgeschichte ist immer auch Verkehrsgeschichte.<br />
Heute endet das kaum
Einst waren hier Wiesen, Knicks und Wald.<br />
Dann hat man das Gelände aufgeschüttet<br />
und mit Kanälen durchzogen, um Platz für<br />
Industrie und Gewerbe zu schaffen.
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Die einstige Verwaltung<br />
der Zinnhütte (oben),<br />
Billbrook-Experte: Histo riker<br />
Ralph Ziegenbalk<br />
noch genutzte Gleis in Glinde, aus der<br />
weiterführenden Trasse wurde ein Radwanderweg.<br />
In Billbrook selbst fuhr die<br />
„Billwerder Industriebahn“, das Bahnhofsgebäude<br />
steht noch.<br />
Wir biegen in die Berzeliusstraße<br />
ein, die eine ganz besondere Geschichte<br />
hat, denn nach dem Krieg brachte man<br />
hier in Notunterkünften und Aufnahmelagern<br />
Menschen unter, die man in<br />
der Stadt nicht recht haben wollte:<br />
Kriegstraumatisierte und Ausgebombte,<br />
Staatenlose und Geflüchtete, dazu<br />
Arbeitsmigrant:innen und immer wieder<br />
Wohnungslose. Heute unterhält<br />
hier der städtische Betreiber „Fördern<br />
& Wohnen“ eine Wohnunterkunft. Die<br />
kopfsteinerne Straße selbst ist gesäumt<br />
mit Speditionen, mit Gebrauchtwagenhändlern,<br />
mit Spezialfirmen wie einem<br />
Handel für Drucklufttechnik oder<br />
einem Betrieb, der sich der Reinigung<br />
von Tanks und Containern widmet.<br />
Fast jedes Unternehmen habe seinen<br />
eigenen Kran, sagt Ralph Ziegenbalk.<br />
Er bleibt kurz stehen und gibt<br />
uns eine Einordnung: „Weite Teile<br />
Billbrooks sind nach wie vor ‚Industriegebiet‘,<br />
obwohl es so gut wie keine<br />
Industrie mehr gibt“, sagt er. Denn die<br />
meisten Fabriken seien nach dem Krieg<br />
geschlossen, die letzten spätestens in<br />
den 1960er-Jahren abgebrochen worden.<br />
Stattdessen wurden die Flächen<br />
mit Lagerhallen bebaut, so entstanden<br />
Umschlagplätze, also Logistik; plus<br />
Weiterverarbeitung sowie – Umweltschutz<br />
ist eine boomende Branche –<br />
zunehmend Betriebe, die sich mit<br />
Recycling beschäftigen. Der Vorteil<br />
eines ausgewiesenen Industriegebietes:<br />
Es gelten weit niedrigere Werte für<br />
Emissionen, Bodenbelastung oder auch<br />
für Lärm als in einem Gewerbegebiet.<br />
Niemand will daran rütteln. Bisher.<br />
Wir sind die Berzeliusstraße weitergegangen,<br />
bis sie die Moorfleeter Straße<br />
kreuzt. Genau an der Ecke steht ein<br />
Backsteinbau wie aus dem Bilderbuch:<br />
roter Ziegel, Sprossenfenster, die Fassade<br />
der oberen Etagen kunstvoll verziert,<br />
erbaut 1923. „Das Haus spielt in einer<br />
Liga mit den Kurt-Schumacher-Bauten<br />
wie dem Chile-Haus“, sagt Ziegenbalk<br />
knapp. Hier war einst die Verwaltung<br />
der Zinnhütte untergebracht, später saß<br />
hier die Polizeirevierwache 92. Nun befinden<br />
sich in dem denkmalgeschützten<br />
Bau überwiegend Proberäume für<br />
Musiker:innen und Bands. Als sei es so<br />
abgesprochen, stoßen wir auf vier<br />
Männer, die aus einem Kombi Gitarrenkoffer<br />
und Lautsprecherboxen wuchten.<br />
„Wir sind ältere Herren, dazu zwei<br />
junge Frauen, die toll singen können,<br />
spezialisiert auf Blues und Rock“,<br />
stellen sie sich vor. Sie richten ihren<br />
Raum gerade ein, wir könnten gerne<br />
mit anpacken, aber wir wollen ja weiter.<br />
Wechseln die Straßenseite, gehen<br />
ein Stück die Moorfleeter hoch, biegen<br />
gleich die nächste links in den Billbrookdeich,<br />
gehen auf ein eindrucksvolles,<br />
massiges Gebäude zu: leuchtender Backstein<br />
auch hier, scheinbar frisch saniert.<br />
Ralph Ziegenbalk bleibt plötzlich stehen.<br />
Er weist auf drei quadratische und<br />
matte Würfel hin, die in den Gehweg<br />
eingelassen sind: Stolpersteine. „Manchmal<br />
parken die Autos darauf“, sagt er.<br />
Einer ist für Clara Tuch verlegt worden,<br />
der zweite für Theodor Tuch – deren<br />
Leben ebenso von der Geschichte<br />
Billbrooks erzählt. Denn die Tuchs übernahmen<br />
hier eine 1889 gegründete, gut<br />
eingeführte Großwäscherei, Reinigung<br />
und Färberei mit 200 Mitarbeiter:innen.<br />
Sie belieferten von hier aus nicht nur<br />
47<br />
20 Filialen in der ganzen Stadt, sondern<br />
auch die Schifffahrts-Linien im Hamburger<br />
Hafen und die Hamburger Theater.<br />
Bis sie 1939 als sogenannte „Nicht-<br />
Arier“ gezwungen wurden, ihre Firma<br />
zu verkaufen, wobei die Hamburger<br />
Finanzdirektion einen erheblichen<br />
„Entjudungsgewinn“ einstrich. Eine<br />
Zeitlang duldete man die Tuchs noch<br />
auf dem Gelände. Dann wurden sie im<br />
Sommer 1942 nach Theresienstadt deportiert.<br />
Der dritte Stolperstein ist für<br />
die sow jetische Zwangsarbeiterin Ljuba<br />
Androssowa, die hier arbeiten musste,<br />
als die Tuchs schon nicht mehr lebten.<br />
Zwangsarbeiter:innen- und auch Kriegsgefangenenlager<br />
gab es in Billbrook einige;<br />
bauliche Relikte und damit Erinnerungsspuren<br />
sind nicht mehr vorhanden.
Jede Menge Brücken<br />
und verwunschene<br />
Orte: Billbrook<br />
hat einen ganz eigenen,<br />
spröden Charme.
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Nur wenige<br />
Backsteinbauten<br />
sind<br />
noch erhalten.<br />
Nach dem Krieg<br />
wurde aus dem<br />
Industrie- ein<br />
Gewerbegebiet.<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
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Dann stehen wir vor dem streng gesicherten<br />
backsteinernen Lagergebäude<br />
der „Firma Commentz“ mit seinem markanten<br />
Uhrenturm: 1922 als Terpentin-<br />
Destillationsbetrieb gestartet, ist es heute<br />
ein Abfüllbetrieb für Lösemittel und zugleich<br />
ein Gefahrenstofflager. Würden<br />
wir jetzt weiter geradeaus gehen, kämen<br />
wir zum Bullenhuser Kanal, zum Billekanal,<br />
schlussendlich zum Billehafen.<br />
Aber es fängt langsam an zu dämmern<br />
und wir wollen wieder zurück. Drehen<br />
also um, schleichen uns kurz auf ein offen<br />
liegendes Firmengelände, ein aufgebocktes<br />
Holzboot hat uns an gelockt und<br />
ein Stuhl, den sich vielleicht einer der<br />
Arbeiter für die Mittags- und Raucherpausen<br />
zurechtgestellt hat. Wir blicken<br />
plötzlich auf die idyllisch da liegende Bille,<br />
auf deren Wasseroberfläche sich die<br />
Wolken und die gegenüberliegenden<br />
Bäume sachte spiegeln und in der Sportboote<br />
vertäut liegen. „Wohnen am Wasser“,<br />
wem würde das jetzt nicht einfallen!<br />
Dazu ein Kanu-Verleih, ein nettes<br />
Café mit Bille-Blick, das hätte was.<br />
Zurück auf der Moorfleeter umbraust<br />
uns wieder der Verkehr. Wir<br />
überqueren schnell die hier vierspurige<br />
Brücke über die Bille und die Bundesstraße<br />
5. Am Ende nehmen wir die<br />
Fußgängertreppe, die, von Brombeersträuchern<br />
ziemlich zugewachsen, hinunterführt.<br />
Landen nun auf dem begrünten<br />
Billewanderweg, akkurat steht<br />
alle paar Meter eine Straßenlaterne.<br />
Wir treffen auf Radfahrende, die mit<br />
hohem Tempo stadtauswärts unterwegs<br />
sind. Drüben, durch den Fluss getrennt,<br />
erstreckt sich ein riesiges Logistikzentrum.<br />
Bis vor kurzem standen hier die<br />
Hallen des einstigen Metallwalzwerkes.<br />
Lange Reihen kleinerer Lkws belegen<br />
nun den Siegeszug des Onlinehandels.<br />
Nun zeigt Ziegenbalk nach links,<br />
wo man durch Büsche und Bäume auf<br />
die B 5 schaut und es wird klar, warum<br />
es hier so schön ruhig ist: der spätnachmittägliche<br />
Stau! Stoßstange an Stoßstange<br />
stehen die Autos, Sprinter und<br />
Lkws und kommen nur schrittweise voran,<br />
auf dem Weg zur Abfahrt „HH-<br />
Billstedt“, dann Richtung der Lübecker<br />
oder Berliner Autobahn, nach Bergedorf<br />
oder weiter ins Lauenburgische.<br />
„Überdeckeln“, sagt Ziegenbalk<br />
knapp. Die B 5 hier einfach unter einem<br />
Tunnel verschwinden lassen, so wie<br />
man es in Hamburgs Westen mit der<br />
A 7 auch gemacht habe. Diese Idee hätte<br />
schon vor zehn Jahren ein städteplanerischer<br />
Workshop entwickelt, um<br />
Flächen für die dringend gebrauchten<br />
neuen Wohngebiete zu schaffen. Nach<br />
so vielen Jahrzehnten alleinigem<br />
In dustrie- und Gewerbedasein könnte<br />
Billbrook dann immerhin an seinem<br />
nördlichen Rand ein echtes Wohnviertel<br />
bieten. •<br />
redaktion@hinzundkunzt.de<br />
Das Buch zur Tour<br />
„Die Billbrook-Tour. Viel mehr als eine<br />
Rundfahrt durch Hamburgs Industriegeschichte“:<br />
Darin führt Historiker Ralph<br />
Ziegenbalk zu 30 Stationen, zu Fuß oder<br />
per Fahrrad. Geschichtswerkstatt Billstedt<br />
(Hrsg.), 148 Abbildungen, 20 Euro.<br />
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49
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Gegen den<br />
Trend<br />
Das Hamburger Onlineradio ByteFM liefert seit 13 Jahren<br />
handverlesene Musik – und dem ein oder anderen<br />
öffentlich-rechtlichen Urgestein ein neues Zuhause.<br />
Nun geht der Sender auf UKW – und erhofft sich viel.<br />
TEXT: LUKAS GILBERT<br />
FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK<br />
D<br />
ie Freiheit! Die ist, was<br />
Moderator und Journalist<br />
Klaus Walter am meisten<br />
schätzt beim Hamburger<br />
Radiosender ByteFm. Noch nie sei es<br />
vorgekommen, dass ihm jemand habe<br />
Vorgaben machen wollen, sagt Walter.<br />
Wohl auch aus diesem Grund entsteht<br />
im vierten Stock des ehemaligen Flakbunkers<br />
an der Feldstraße ein Programm,<br />
das so nirgendwo sonst zu<br />
hören ist.<br />
Gründer Ruben Jonas Schnell beschreibt<br />
den Anspruch von ByteFM<br />
so: „Ein musikjournalistisches Radio,<br />
das sich den ganzen Tag mit Popmusik<br />
beschäftigt. Und zwar auf so professionelle<br />
Art wie wir finden, dass es richtig<br />
ist.“ Der Sender bietet Musik abseits<br />
der Charts oder der immer gleichen<br />
Hits der 1980er- und 1990er-Jahre.<br />
Stattdessen: von Autor:innen zusammengestellte<br />
Sendungen aller erdenklichen<br />
Genres und eine intensive Auseinandersetzung<br />
mit der Musik. Rund um<br />
die Uhr, nicht nur in wenigen Programmfenstern<br />
am Rande des Tages.<br />
Für den Sender arbeiten insge samt<br />
etwa 100 Menschen. Neun fest an gestellt<br />
in der Hamburger Redaktion,<br />
zwölf als freie Mitarbeiter:innen und<br />
etwa 80 als ehrenamtliche Moderator:innen.<br />
Unter ihnen sind auch einige,<br />
die in der Vergangenheit Sendungen<br />
bei öffentlich-rechtlichen Radiosendern<br />
hatten oder noch heute haben.<br />
Bei ByteFM können sie ihr Programm<br />
komplett frei gestalten. Klaus Walter,<br />
der von Beginn an dabei ist, sagt:<br />
ByteFM sei wie eine Insel zwischen den<br />
immer gleichförmigeren Programmen<br />
vieler Radiosender.<br />
Das hört man. Die Musik ist oft<br />
nischig und bricht mit Hörgewohnheiten.<br />
Die Sendungen vermitteln aber<br />
immer den Eindruck: Hier sind Liebhaber:innen<br />
am Werk. Die Bandbreite<br />
der Musik reicht von Soul und Funk<br />
über Techno und Hamburger Schule<br />
bis zu Deutschrap, Afrobeats oder<br />
Klassik. Eine solche Vielfalt an Musikstilen<br />
ist in der deutschen Radiolandschaft<br />
die absolute Ausnahme. Ye im<br />
Duman, die als Teil des feministischen<br />
Kollektivs female:pressure in ihrer<br />
50
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
gleichnamigen Sendung einmal im<br />
Monat Musik von weiblichen DJs<br />
präsentiert, sieht es ähnlich: „Ich bin<br />
einfach froh, hier meine Sendung<br />
spielen zu können.“<br />
Möglich macht all das ein Förderverein,<br />
dem mehr als 7000 Mitglieder<br />
angehören, die im Schnitt 60 Euro<br />
im Jahr zahlen. Auf Werbespots zur<br />
Finanzierung verzichtet der Sender –<br />
auch das ein auffälliger Unterschied zu<br />
anderen Privatradios.<br />
„ByteFM ist ein<br />
verwirklichter<br />
Traum.“<br />
GRÜNDER RUBEN JONAS SCHNELL<br />
Bislang war das Programm lediglich<br />
online zu hören und seit einigen Jahren<br />
auch in einem täglichen Programmfenster<br />
im Radiosender 917XFM. Das ändert<br />
sich nun: ByteFM geht auf UKW.<br />
Welche Rolle spielt es für ein Internetradio,<br />
auch über Antenne empfangbar<br />
zu sein? Einerseits sei es super,<br />
um die Marke bekannter zu machen,<br />
sagt Gründer Schnell – etwa bei Autofahrer:innen,<br />
die nur zufällig einschalten<br />
und den Sender im Internet nie finden<br />
würden. UKW – das bedeutet aber<br />
auch Anerkennung. Wer in Deutschland<br />
eine UKW-Frequenz bekommt, ist<br />
Entscheidung der Landesmedienanstalten.<br />
Sender bewerben sich auf die wenigen<br />
freien Frequenzen, und die Mitglieder<br />
eines Medienrates entscheiden<br />
darüber, wer die Radiolandschaft bereichern<br />
darf. Sendelizenzen werden dann<br />
für viele Jahre vergeben. In Hamburg<br />
wurde gerade zum ersten Mal seit 1991<br />
ein Großteil der UKW-Lizenzen neu<br />
verteilt.<br />
ByteFM konnte sich durchsetzen<br />
und sendet ab 1. <strong>Januar</strong> auf 91,7 und<br />
104,0. Die etwas sperrige Begründung<br />
lautet: Das Programm habe am ehesten<br />
erwarten lassen, „die Meinungs- und<br />
Angebotsvielfalt zu fördern, das öffentliche<br />
Geschehen und die politischen<br />
Ereignisse sowie das kulturelle Leben<br />
in Hamburg darzustellen und auch<br />
bedeutsame politische, weltanschauliche<br />
und gesellschaftliche Gruppen zu<br />
Wort kommen zu lassen.“<br />
ByteFM-Gründer Schnell sagt:<br />
„Für das ganze Team ist diese Zuweisung<br />
durch die Medienanstalt einfach<br />
ein Ritterschlag. Das fühlt sich super<br />
an!“ Für zehn Jahre, mit Option auf<br />
weitere zehn Jahre, hat ByteFM die<br />
Frequenz nun sicher. Zum UKW-Start<br />
soll das Angebot des Senders noch<br />
mal erweitert werden und dann neben<br />
Musikjournalismus auch stärker kulturelle<br />
Themen der Stadt abbilden.<br />
Besonders freuen sich auch jene<br />
Moderator:innen, die selbst lange auf<br />
UKW gesendet haben. Volker Rebell<br />
ByteFM-Chef<br />
Ruben Jonas<br />
Schnell im<br />
Studio<br />
Unten: Die<br />
Redaktion bei<br />
der Arbeit.<br />
51<br />
zum Beispiel, der 40 Jahre lang Radio<br />
im Hessischen Rundfunk gemacht hat,<br />
bis sein Vertrag 2010 nicht verlängert<br />
wurde. Dass seine zweiwöchentliche<br />
ByteFM-Sendung „Kramladen“ nun<br />
auch klassisch über Antenne und Radiogerät<br />
empfangbar ist, sei ein „wunderbares<br />
UKW-Comeback“, sagt er.<br />
Sorge davor, dass sein Radiosender<br />
mit dem UKW-Start und einer hoffentlich<br />
steigenden Bekanntheit in den<br />
Mainstream abdriftet, hat Gründer<br />
Schnell nicht. Schließlich gebe es<br />
auch in Zukunft keinen Druck von<br />
außen. „ByteFM ist ein verwirklichter<br />
Traum. Diesen Traum zu verwässern?<br />
Ich wüsste nicht warum.“ •<br />
lukas.gilbert@hinzundkunzt.de
Kult<br />
Tipps für den<br />
Monat <strong>Januar</strong>:<br />
Mit viel Schwung<br />
ins neue Jahr!<br />
Ausstellung<br />
Klasse Gesellschaft<br />
Die Hamburger Kunsthalle besitzt eine<br />
umfangreiche Sammlung von Genremalerei<br />
niederländischer und flämischer<br />
Meister des 17. Jahrhunderts. Wie setzt<br />
man diese zeitgemäß in Szene? Was ist<br />
daran aktuell? Die Kuratorin Sandra<br />
Pisot konzentriert sich geschickt auf die<br />
überspitzten, ironischen Darstellungen<br />
des Alltags, wie ihn die Alten Meister in<br />
ihren Gemälden festhielten. Sie werden<br />
den höchst aktuellen Fotoarbeiten von<br />
Lars Eidinger gegenübergestellt, der<br />
nicht nur ein begnadeter Schauspieler<br />
ist, sondern auch mit scharfem Blick seine<br />
Nicht wegschauen! Lars Eidinger hat fotografiert.<br />
Umgebung dokumentiert – normalerweise<br />
auf Instagram. Kommentiert wird<br />
die Ausstellung mit Typographien von<br />
Stefan Marx: „I’ll be your Mirror“! •<br />
Hamburger Kunsthalle, Glockengießerwall<br />
5, bis 27.3., Mo geschlossen, Eintritt 16/8<br />
Euro, www.hamburger-kunsthalle.de<br />
52
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Kino<br />
Prosit Neujahr<br />
Jeff Bridges<br />
ist der „Dude“,<br />
hier in misslicher<br />
Lage.<br />
Im B-Movie startet das frische Jahr mit einem geradezu festivalartigen<br />
Programm von Kult filmen, die den Film „Der Rausch“ (von 2020, mit Mads<br />
Mikkelsen) nicht auf die leichte Schulter nehmen, auch „Einen Schluck für die<br />
Engel“ (2015, von Altmeister Ken Loach) bereithalten oder „Das süße Leben“<br />
(1960, Federico Fellinis Klassiker in restaurierter Fassung) feiern. Als die Coen-<br />
Brüder 1998 „The Big Lebowski“ ins Kino brachten, wurde der Bademantel<br />
über Nacht salonfähig: Den können Sie also ruhig anbehalten, falls Sie am<br />
Neujahrsabend ins Kino möchten. Der Dude (Jeff Bridges) taugt allerdings<br />
nicht in jeder Hinsicht als Vorbild. •<br />
B-Movie, Brigittenstraße 5, Sa, 1.1., 19.30 Uhr, und Sa, 15.1., 22 Uhr, „The Big Lebowski“,<br />
Eintritt 7/3,50 Euro, das komplette <strong>Januar</strong>-Programm: www.b-movie.de<br />
Lesebühne<br />
Poet:innen vor!<br />
Alle, die eigene, deutschsprachige<br />
Texte vor einem Publikum vortragen<br />
mögen, sind in Eidelstedt richtig!<br />
Ob blutige Anfänger, Selfpublisher<br />
oder gestandene Buchautorinnen:<br />
Hier sind alle gleich, in ruhiger und<br />
wohlwollender Atmosphäre. Die<br />
Teilnehmerzahl ist auf 14 begrenzt.<br />
Zehn davon können einen Text von<br />
maximal acht Minuten vortragen.<br />
Anmeldung: poeten@ekulturell.de •<br />
Eidelstedter KulturContainer, Erkenknick<br />
18, Mi, 12.1., 19 Uhr, Eintritt gegen<br />
Spende, www.ekulturell.de<br />
Neujahrskonzert<br />
Festliche Klänge<br />
Die Musiker:innen der Musikhochschule<br />
Lübeck läuten das Jahr<br />
mit den strahlenden Klängen der<br />
Blechbläser im Rahmen eines breit<br />
gefächerten Klassikprogramms ein.<br />
Frischer Wind für Kopf und Herz. •<br />
Sasel Haus, Saseler Parkweg 3,<br />
So, 16.1., 18 Uhr, Eintritt frei (Anmeldung<br />
erforderlich), www.sasel-haus.de<br />
FOTOS: LARS EIDINGER (S. 52), GERT JAN VAN ROOIJ (UNTEN); FILMSTILL: PICTURE ALLIANCE/I<br />
Ausstellung<br />
Abdriften<br />
Die Natur ist voll poetischer Schönheit<br />
und auch ausgereifter Technik. Das<br />
niederländische Künstler-Duo Lonneke<br />
Gordijn und Ralph Nauta, zusammen<br />
nennen sie sich „Drift“, lenkt mit seinen<br />
faszinierenden Installationen den Blick<br />
auf die Evolution der Natur. Das<br />
Museum für Kunst und Gewerbe mit<br />
seinen großen hohen Räumen ist wie<br />
gemacht für ihre erste große Einzelausstellung<br />
in Deutschland. Dort wird unter<br />
anderem das Werk „Fragile Future III“<br />
gezeigt, bestehend aus LEDs verziert mit<br />
echten Löwenzahnsamen. Zum fünften<br />
Geburtstag der Elbphilharmonie<br />
am 11.1. wird „Drift“ eine Open-Air-<br />
Performance zum Programm der<br />
Festwoche (9.–17.1.) beitragen. •<br />
Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz,<br />
7.1. bis 8.5., Mo geschlossen,<br />
Eintritt 12/8 Euro, www.mkg-hamburg.de<br />
„Fragile Future III“, Kunst mit<br />
LED und Löwenzahn<br />
Theater<br />
De ole Mann un de See<br />
Ernest Hemingways Klassiker aus<br />
dem Jahre 1952 ist ein zeitloses Stück<br />
Literatur. Der Mensch mit all seinen<br />
Hoffnungen und Sehnsüchten in den<br />
Naturgewalten – das funktioniert auch<br />
auf Platt ganz hervorragend. •<br />
Ohnsorg Theater, Heidi-Kabel-Platz 1, Do,<br />
20.1., 19 Uhr, ab 24,64 Euro, ohnsorg.de<br />
Klassik<br />
Matthias Kirschnereit<br />
Anlässlich seines 60. Geburtstages<br />
konzertiert der Pianist in seiner<br />
Heimatstadt Hamburg im Kleinen<br />
Saal der Elbphilharmonie: Brahms,<br />
Rachmaninow, Debussy und Chopin.<br />
Kirschnereit wurde 2021 zum<br />
Präsidenten der Johannes-Brahms-<br />
Gesellschaft Hamburg gewählt. •<br />
Elbphilharmonie, Platz der Deutschen<br />
Einheit 4, So, 23.1., 18 Uhr, Eintritt 49/<br />
19 Euro, www.elbphilharmonie.de<br />
53
Vortrag<br />
Sichtbarmachung<br />
„Nicht länger unsichtbar – Dekoloniale<br />
Perspektiven auf Trans und Non_<br />
Binary Identitäten“ lautet der Titel des<br />
Online-Vortrags von Shiv miri und<br />
Cuso Ehrich. Klingt sperrig, dahinter<br />
verbirgt sich aber eine spannende<br />
Analyse unseres Umgangs mit der<br />
LGBTIQA+-Community. Immer noch<br />
hält sich hartnäckig das Bild, dass<br />
Queerness, aber vor allem Trans und<br />
Non-Binary Identitäten ganz neue<br />
Phänomene seien und zu einer Art<br />
Trend geworden sind. Dabei haben<br />
der Kolonialismus und die weiße Vorherrschaft<br />
vielen Teilen der Welt eine<br />
Zweigeschlechtlichkeit aufgezwungen.<br />
Die Folge: die Unsichtbarmachung<br />
von Menschen jenseits von Mann und<br />
Frau. Jetzt tauchen in den Medien aber<br />
Regenbögen und bunte Einhörner auf,<br />
54<br />
„You belong“, ein Gemälde aus der Serie<br />
„Women of Colour“ von Joséphine Sagna<br />
Firmen rufen eine diverse Unternehmenskultur<br />
aus. Wie nachhaltig ist<br />
das Ganze? Ist das schon Solidarität?<br />
Im Anschluss gibt es einen Space ausschließlich<br />
für queere Personen mit<br />
Rassismuserfahrungen mit dem Ziel der<br />
Vernetzung und des Austausches. •<br />
W3, Online-Veranstaltung, Do, 20.1.,<br />
19–21 Uhr, Anmeldung erforderlich,<br />
Spende erwünscht, www.w3-hamburg.de
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Kinofilm des Monats<br />
Vorurteile<br />
des Alltags<br />
FOTOS: JOSÉPHINE SAGNA (S. 54), HYPE FILM-KINOVISTA (OBEN), PRIVAT<br />
Film<br />
Rock’n’Roll Revolution!<br />
Theater<br />
Smarte Kämpferinnen<br />
Sie kämpfen für die Vision einer<br />
besseren und gerechteren Welt:<br />
Protestbewegungen wie Black Lives<br />
Matter, Fridays for Future und Ni<br />
una menos kämpfen weltweit gegen<br />
Rassismus, Klimawandel und Gewalt<br />
gegen Frauen. Die Glitch AG widmet<br />
sich in einem Hybrid aus Installation<br />
und Performance Bewegungen mit<br />
Fokus auf weibliche Protestkulturen<br />
und ihre Digitalität. Raha Emami<br />
Khansari, Eva-Maria Glitsch und<br />
Christine Kristmann proben auf der<br />
Bühne den Aufstand, lassen Sitzblockaden<br />
mit choreographischen<br />
Elementen verschmelzen, verwandeln<br />
Brandbriefe in Synthiepop, Sturmhauben<br />
in gestrickte Brüste und<br />
Polsterlandschaften in Barrikaden.<br />
Let’s start the revolution! •<br />
Lichthof Theater, Mendelssohnstraße 15, Fr,<br />
28.1., Sa, 29.1., 20.15 Uhr, So, 30.1., 12 Uhr,<br />
Eintritt 24/8 Euro, www.lichthof-theater.de<br />
Theater macht Kino: Kirill<br />
Serebrennikovs Film „Leto“<br />
Das Thalia Theater feiert mit den Lessingtagen das Leben und holt Gastspiele<br />
aus Russland, Italien, Dänemark, Belgien, Litauen und Berlin nach Hamburg.<br />
Zum Spitzenprogramm zählt auch die Vorführung von Kirill Serebrennikovs<br />
Film „Leto“, der uns in das Leningrad der 1980er-Jahre entführt. Mike<br />
und Natascha lernen den Musiker Viktor kennen; zusammen werden die drei<br />
das Schicksal des Rock’n’Roll in der Sowjetunion verändern. •<br />
Thalia Theater, Alstertor, Di, 25.1., 20 Uhr, Eintritt 11/9 Euro, www.thalia-theater.de<br />
Comedy<br />
Gute-Laune-Challenge<br />
20 Jahre wird der Hamburger Comedy<br />
Pokal alt. Zum Jubiläum lassen die<br />
Macher:innen es krachen und gleich<br />
20 Comedians in 17 Shows auftreten,<br />
um den Witzigsten oder die Witzigste<br />
unter ihnen zu küren. Die einzelnen<br />
Shows finden an unterschiedlichen<br />
Orten statt, das Finale am Montag,<br />
31. <strong>Januar</strong> ab 19.30 Uhr, im Schmidts<br />
Tivoli. Sebastian Schnoy führt, natürlich<br />
in bester Moderatorenlaune,<br />
durch den Abend. •<br />
Schmidts Tivoli (u.a.), Spielbudenplatz 27-<br />
28 und verschiedene Stadtteilzentren, Fr,<br />
28.1., bis Mo, 31.1., Eintritt ab 15 Euro, alle<br />
Termine: www.hamburgercomedypokal.de<br />
Über Tipps für Februar freuen sich<br />
Simone Rickert und Regine Marxen.<br />
Bitte bis zum 10.1. schicken an:<br />
kult@hinzundkunzt.de<br />
Der <strong>Januar</strong> ist so etwas wie<br />
der kleine Küchengruß auf<br />
dem Jahresmenü. Er schürt<br />
große Erwartungen, sorgt<br />
meist für eine Überraschung<br />
und macht dennoch nicht<br />
satt. Was wird <strong>2022</strong> wohl auf<br />
uns zukommen? Dürfen wir<br />
ins Kino gehen? Wenn ja,<br />
sollten wir? Bei anspruchsvollen<br />
deutschen Filmen wie<br />
„Égalité“ hat man es leichter.<br />
Wenn man die nicht im Kino<br />
sehen darf, laufen sie kurze<br />
Zeit später auf den wenigen<br />
Qualitätssendern.<br />
Worum geht es? Alles beginnt<br />
mit einer Routineoperation.<br />
Bei der 14-jährigen<br />
Leila müssen die Mandeln<br />
raus. Doch nach dem kurzen<br />
Eingriff ist sie blind. Die Familie,<br />
vor allem Vater Attila,<br />
ist verzweifelt. Die Ärzte<br />
mauern und kanzeln ihn ab.<br />
Das Oberhaupt einer arabisch<br />
geprägten Familie gerät<br />
in eine Abwärtsspirale, in der<br />
er einen folgenschweren Plan<br />
in die Tat umsetzt.<br />
„Warum behandelt ihr<br />
mich immer wie ein Asi?“<br />
Die Frage, die Attila im Wartezimmer<br />
des Krankenhauses<br />
stellt, ist wohl das Leitmotiv<br />
von Égalité. So wird der<br />
Zuschauer Zeuge, mit welcher<br />
Härte die Klischees und<br />
Vorurteile des Alltags Menschen<br />
tatsächlich in eine Ecke<br />
treiben können, aus der sie<br />
nicht mehr herauskommen.<br />
Wer sich frei macht von<br />
Klischees und offen ist für<br />
Kino, das teils mehr Haltung<br />
als Unterhaltung ist, erlebt<br />
ein tiefgründiges Drama. •<br />
André Schmidt<br />
geht seit<br />
Jahren für uns<br />
ins Kino.<br />
Er arbeitet in der<br />
PR-Branche.<br />
55
Leselounge<br />
#3<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>347</strong>/JANUAR <strong>2022</strong><br />
Nefeli Kavouras<br />
(rechts) auf Tour<br />
mit Tanja Schwarz<br />
Auf ein Getränk mit …<br />
Tanja Schwarz<br />
Die Autorin geht mit unserer Kolumnistin Nefeli Kavouras<br />
in St. Georg spazieren. Dabei erzählt sie, was das<br />
Leben im Stadtteil mit ihrem neuen Erzählband zu tun hat.<br />
Tanja Schwarz überrascht mich mit ihrer<br />
Ortsauswahl und ihrem Wunschgetränk:<br />
Piccolo vom Kiosk unweit des<br />
Hauptbahnhofs. Wir befinden uns also<br />
in der Kälte, beide umhüllt von Schal<br />
und Jacke, während wir den Inhalt der<br />
grünen Fläschchen in Kaffeepappbecher<br />
füllen. Ich umklammere den<br />
Becher, nippe am spritzigen Getränk<br />
und lasse mir die Gegend von der<br />
Autorin zeigen.<br />
Tanja Schwarz veröffentlichte in<br />
diesem Jahr beim Hanser Verlag den<br />
Erzählband „In neuem Licht“. Ihre<br />
Miniaturen wurden inspiriert von ihrer<br />
Arbeit als Lehrerin für Deutsch als<br />
Fremdsprache. Dort begegneten ihr<br />
FOTOS: IMKE LASS<br />
Schicksale vieler Geflüchteter, und sie<br />
begann auf literarischer Ebene einen<br />
glaubhaften Anknüpfungspunkt zu erschaffen.<br />
„Schließlich kann ich ja nicht<br />
so tun, als hätte ich die Erfahrung gemacht,<br />
selbst in einem Schlauchboot zu<br />
sitzen. Aber ich wollte die Irritation<br />
erzählen, die ausgelöst wird, wenn<br />
unsereins einem anderen Menschen begegnet<br />
und interagiert. Das sind doch<br />
die spannenden Erfahrungen, wenn die<br />
Welt von außen reinkommt“, erzählt<br />
mir die Autorin, und zeigt mir daraufhin<br />
die Welt in der Langen Reihe, in<br />
der wir uns nun befinden.<br />
Man läuft vorbei an Bruno’s, einem<br />
Kaufhaus für den schwulen Lebensstil,<br />
am Caritasverband, am Biosupermarkt,<br />
und am geist+reich, einem Geschäft<br />
mit einer, laut Tanja Schwarz,<br />
erstaunlichen Auswahl an Opferkerzen.<br />
Wir bleiben an einer Mauer unweit<br />
einer Schule stehen, trinken weiter<br />
den wirklich kalten Piccolo, man hört<br />
die Autos vorbeifahren, das Kindergelächter<br />
im Hintergrund. Tanja wollte<br />
sich hier in der Gegend treffen, denn:<br />
„Ich finde oft, dass der Kosmos zerrissen<br />
sein könnte, aber wenn man hier<br />
so entlangläuft, merkt man, das ist<br />
er nicht. Man kann friedlich nebeneinander<br />
existieren.“<br />
Der Wunsch ihrer Figuren in „In<br />
neuem Licht“ ist aber nicht nur ein<br />
friedliches Nebeneinander- sondern ein<br />
Zusammenleben. Tanja Schwarz erzählt<br />
in den Geschichten auch von der<br />
Komplexität des Mutterseins. Für die<br />
Autorin, die selbst auch Mutter ist, geht<br />
es allerdings nicht darum, das Muttersein<br />
zu bereuen, wie es unter anderem<br />
medial auf Twitter durch #regrettingmotherhood<br />
weltweit diskutiert wurde.<br />
Sie erzählt mir stattdessen: „Ich wäre<br />
selbst lieber ein Vater gewesen. Als<br />
Mutter steht man in einem harten Verhältnis<br />
von totaler Abhängigkeit und<br />
Hingabe. Ein Vater kann die Nähe<br />
meist besser regulieren, kann besser<br />
Beruf und Vatersein vereinbaren.“<br />
Tanja Schwarz kommt daher auf den<br />
Begriff #envyingfatherhood. Was allerdings<br />
passiert, wenn diese Vaterstimme<br />
fehlt, untersucht Tanja Schwarz in<br />
ihrem nächsten Buch. Man kann jetzt<br />
schon gespannt sein. •<br />
redaktion@hinzundkunzt.de<br />
Buchtipp:<br />
„Was man sät“ und<br />
„Mein kleines Prachttier“,<br />
jeweils von<br />
Marieke Lucas<br />
Rijneveld (Suhrkamp).<br />
Beide Bücher findet<br />
Tanja Schwarz so<br />
sprachgewaltig, dass sie selbst dafür<br />
kaum die richtigen Worte findet.<br />
56
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Rätsel<br />
männliche<br />
Geschwister<br />
(Firma)<br />
Stelle,<br />
wo etwas<br />
aufhört<br />
kaufen,<br />
besorgen<br />
Speiseabrupte,<br />
kurze<br />
Bewegung,<br />
Stoß<br />
Währung<br />
in Südamerika<br />
u. Mexiko<br />
Trinken<br />
in der<br />
Runde<br />
6<br />
9<br />
1<br />
1<br />
1<br />
5<br />
4<br />
kleine<br />
Engels-<br />
2<br />
6<br />
8<br />
chinesisches<br />
Segelschiff<br />
Anfängerin<br />
auf<br />
einem<br />
Gebiet<br />
generell,<br />
universell<br />
3<br />
3<br />
7<br />
1<br />
5<br />
7<br />
Geldbehälter<br />
Schmuckstein<br />
Gipsornamentik<br />
4<br />
8<br />
4<br />
3<br />
9<br />
7<br />
2<br />
1<br />
6<br />
Bogen<br />
auf zwei<br />
Pfeilern<br />
5<br />
4<br />
4<br />
2<br />
Bauer<br />
in „Max<br />
und<br />
höherer<br />
türkischer<br />
Titel<br />
mehrmals,<br />
wiederholt<br />
norwegischer<br />
Schriftsteller<br />
†<br />
Insel<br />
in Norddalmatien<br />
Gebirge<br />
zwischen Wüstenrastort<br />
Asien und<br />
Europa<br />
8<br />
6<br />
5<br />
AR0909-1219_11sudoku<br />
Pariser<br />
Flughafen<br />
an einem<br />
hoch<br />
gelegenen<br />
Ort<br />
Stadt in<br />
Vietnam<br />
Tierfuß<br />
Adliger<br />
im alten<br />
Peru<br />
Telefongespräch<br />
Segelkommando:<br />
wendet!<br />
Notlösung,<br />
Provisorium<br />
Anstrengung<br />
französisch:<br />
See<br />
Geliebte<br />
Tristans<br />
Moritz“<br />
getrocknetes<br />
Kokosnuss-<br />
Stadt im<br />
Rhônedelta<br />
Kunststil<br />
des<br />
18. Jahrhunderts<br />
Fenstervorhang<br />
identisch<br />
keitsformel<br />
kanadischer<br />
Wapitihirsch<br />
nagetierähnlicher<br />
Säuger<br />
Kindeskind<br />
krampfartiges<br />
Muskelzucken<br />
kostspielig<br />
Währungseinheit<br />
in Japan<br />
Füllen Sie das Gitter<br />
so aus, dass die Zahlen<br />
von 1 bis 9 nur je einmal<br />
in jeder Reihe, in jeder<br />
Spalte und in jedem<br />
Neun-Kästchen-Block<br />
vorkommen.<br />
Als Lösung schicken<br />
Sie uns bitte die farbig<br />
gerahmte, unterste<br />
Zahlenreihe.<br />
Lösungen an: Hinz&<strong>Kunzt</strong>, Minenstraße 9, 20099 Hamburg,<br />
per Fax an 040 32 10 83 50 oder per E-Mail an info@hinzundkunzt.de.<br />
Einsendeschluss: 28. <strong>Januar</strong> <strong>2022</strong>. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.<br />
Wer die korrekte Lösung für eines der beiden Rätsel einsendet, kann<br />
zwei Karten für die Hamburger Kunsthalle gewinnen oder eines von drei<br />
Büchern „Wie Kater Zorbas der kleinen Möwe das Fliegen beibrachte“<br />
(S. Fischer Verlag).<br />
Das Lösungswort des Dezember-Kreuzwort rätsels war: Honigbiene.<br />
Die Sudoku-Zahlenreihe lautete: 153 279 684.<br />
6<br />
5<br />
5<br />
4<br />
1<br />
10<br />
7<br />
8<br />
8<br />
9<br />
6<br />
1<br />
10<br />
2<br />
121911 – raetselservice.de<br />
Impressum<br />
Redaktion und Verlag<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH<br />
Minenstraße 9, 20099 Hamburg<br />
Tel. 040 32 10 83 11, Fax 040 32 10 83 50<br />
Anzeigenleitung Tel. 040 32 10 84 01<br />
E-Mail info@hinzundkunzt.de, www.hinzundkunzt.de<br />
Herausgeber<br />
Landespastor Dirk Ahrens, Diakonisches Werk Hamburg<br />
Externer Beirat<br />
Prof. Dr. Harald Ansen (Armutsexperte HAW-Hamburg),<br />
Mathias Bach (Kaufmann), Dr. Marius Hoßbach (Korten Rechtsanwälte AG),<br />
Olaf Köhnke (Ringdrei Media Network),<br />
Karin Schmalriede (ehemals Lawaetz-Stiftung, i.R.),<br />
Dr. Bernd-Georg Spies (Spies PPP),<br />
Alexander Unverzagt (Medienanwalt), Oliver Wurm (Medienberater)<br />
Geschäftsführung Jörn Sturm<br />
Redaktion Annette Woywode (abi, CvD; V.i.S.d.P. für Gut&Schön,<br />
Schwerpunkt Neustart, Fotoreportage, Freunde, <strong>Kunzt</strong>&Kult),<br />
Lukas Gilbert (lg, V.i.S.d.P. für die Zahlen des Monats,<br />
Buh&Beifall, die Momentaufnahme)<br />
Benjamin Laufer (bela, V.i.S.d.P für das Stadtgespräch),<br />
Jonas Füllner (jof), Ulrich Jonas (ujo)<br />
Simone Deckner (sim), Kirsten Haake (haa),<br />
Jochen Harberg (joc), Anna-Elisa Jakob (aej), Nefeli Kavouras (mnk),<br />
Frank Keil (fk), Regine Marxen (rem), Simone Rickert (sr)<br />
Online-Redaktion Benjamin Laufer (CvD), Jonas Füllner, Lukas Gilbert<br />
Korrektorat Christine Mildner<br />
Redaktionsassistenz Cedric Horbach,<br />
Sonja Conrad, Anja Steinfurth<br />
Artdirektion grafikdeerns.de<br />
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Vertrieb Christian Hagen (Leitung), Gabor Domokos,<br />
Meike Lehmann, Sergej Machov, Frank Nawatzki,<br />
Sigi Pachan, Elena Pacuraru, Reiner Rümke, Marcel Stein,<br />
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Das Stadtrundgang-Team Stephan Karrenbauer (Leitung),<br />
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Stefan Calin, Fred Houschka, Mandy Schulz<br />
Das Team von Spende Dein Pfand am Airport Hamburg<br />
Stephan Karrenbauer (Leitung), Uwe Tröger,<br />
Klaus Peterstorfer, Herbert Kosecki<br />
Litho PX2 Hamburg GmbH & Co. KG<br />
Produktion Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />
Druck und Verarbeitung A. Beig Druckerei und Verlag,<br />
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Das Magazin wird von Journalist:innen geschrieben, Wohnungslose und<br />
ehemals Wohnungslose verkaufen es auf der Straße. Sozialarbeiter*innen<br />
unterstützen die Verkäufer:innen.<br />
Das Projekt versteht sich als Lobby für Arme.<br />
Gesellschafter<br />
Durchschnittliche monatliche<br />
Druckauflage 4. Quartal 2021:<br />
72.333 Exemplare<br />
57
Momentaufnahme<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>347</strong>/JANUAR <strong>2022</strong><br />
„Halleluja – die Straße<br />
war schlimm“<br />
Boguslawa, 50, verkauft bei Lidl am Niendorfer Markt.<br />
TEXT: LUKAS GILBERT; FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Vorläufig: Mit 19 Jahren folgt für Boguslawa<br />
Schicksalsschlag auf Schicksalsschlag.<br />
Erst erhängt sich ihr Bruder.<br />
Wieso, das weiß sie bis heute nicht. Drei<br />
Monate später stirbt ihr Vater an einem<br />
Herzinfarkt. „Katastroph. Das war Katastroph“,<br />
sagt die 50-Jährige, heute<br />
noch immer sichtlich bewegt, in gebrochenem<br />
Deutsch. Bis dahin lebte sie unbeschwert<br />
mit ihren Eltern und den beiden<br />
Geschwistern auf einem Hof nahe<br />
der Stadt Krosno im polnischen Karpatenvorland.<br />
Doch nun war alles anders.<br />
Boguslawas Schwester heiratete und<br />
zog mit ihrem Mann zusammen. Ihre<br />
Mutter war ihr Leben lang Hausfrau<br />
und schon im Rentenalter. Sich zu zweit<br />
ohne das Einkommen des Vaters durchzuschlagen,<br />
war hart. Doch immerhin:<br />
Weil sie auf ihrem Hof Tiere hielten und<br />
Gemüse anbauen konnten, kamen sie<br />
auch ohne viel Geld über die Runden.<br />
Drei Jahre später zog Boguslawa<br />
mit Arthur zusammen. Ihn hatte sie zuvor<br />
kennen- und lieben gelernt und<br />
schließlich geheiratet. Die beiden bekamen<br />
drei Kinder, doch Arthur stellte<br />
sich schnell als „Arschloch“ heraus, wie<br />
Boguslawa heute unumwunden sagt. Er<br />
trank viel und schlug seine Frau – doch<br />
die ertrug die Ehe. Der Kinder wegen.<br />
Neben Erziehung und Haushalt, putzte<br />
sie in einem Krankenhaus und half bei<br />
Hochzeitsfeiern in der Umgebung in<br />
der Küche aus. Wie sie das alles aushalten<br />
konnte? „Musste ja“, sagt sie pragmatisch.<br />
Als die Kinder alt genug waren,<br />
musste aber nichts mehr. Sie reichte<br />
die Scheidung ein und verabschiedete<br />
sich in Richtung Hamburg, wo ihr<br />
entfernte Bekannte einen Platz zum<br />
Schlafen und eine Arbeit versprachen.<br />
Vor etwa zehn Jahren war das.<br />
Doch bei der Arbeit in einem Pinneberger<br />
Imbiss bekam sie nur wenige<br />
100 Euro, obwohl sie den ganzen Tag<br />
schuftete. Bei ihren Bekannten konnte sie<br />
zwar schlafen, allerdings auf dem Fußboden.<br />
Nach einigen Monaten packte sie<br />
ihre Sachen. Auf sich allein gestellt<br />
machte sie Platte und besorgte sich Essen<br />
bei Suppenküchen. „Halleluja – die<br />
Straße war schlimm“, sagt sie und fasst<br />
sich mit beiden Händen an den Kopf.<br />
Noch schlimmer wurde es, als die Temperaturen<br />
sanken und der Winter einbrach.<br />
Den verbrachte sie im Winternotprogramm,<br />
das damals noch in<br />
abrissreifen Hochhäusern in der Spaldingstraße<br />
untergebracht war. Schrecklich<br />
sei das gewesen. Voll, kalt und laut –<br />
an Erholung nicht zu denken.<br />
Doch nach einigen Monaten auf der<br />
Straße und im Winternotprogramm verbesserte<br />
sich ihre Situation zumindest<br />
etwas. Schlafen kann sie bei echten<br />
Freunden. Nicht auf dem Boden, sondern<br />
in einem Bett. Außerdem verkauft<br />
sie Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Das bringt ein kleines<br />
Einkommen und vor allem Kontakte.<br />
„Super“ seien ihre Kund:innen, sagt sie<br />
und fasst sich dabei mit großer Geste ans<br />
Herz. Regelmäßig bringen die ihr etwa<br />
auch warme Sachen für die kalten Wintermonate<br />
vorbei, erkundigen sich, wie<br />
es ihr geht. Ihr größter Wunsch? Gesundheit.<br />
Für sich, aber vor allem für die<br />
Kinder, mit denen sie den Kontakt hält –<br />
regelmäßig schreiben sie sich und schicken<br />
Fotos hin und her. Und falls es noch<br />
etwas sein dürfte: einen kleinen Hund. •<br />
lukas.gilbert@hinzundkunzt.de<br />
Boguslawa und alle anderen<br />
Hinz&Künztler:innen erkennt man<br />
am Verkaufsausweis.<br />
6154<br />
58
Vorsatz <strong>2022</strong>:<br />
Mehr<br />
zuhören!<br />
In unserer Podcastserie »Gesellschaft besser machen« treffen wir auch im<br />
neuen Jahr wieder jede Woche auf Menschen, die sich mit dem Status quo<br />
nicht zufriedengeben.<br />
Egal ob Köch:innen, Musiker:innen, Autor:innen, Forscher:innen oder<br />
Politiker:innen.<br />
Jetzt reinhören!