ART DE VIVRE Kulturerbe Eine nach wie vor aktuelle Mission Der Fotograf Auguste Mestral (um 1856) und eines seiner Fotos, das im Rahmen seiner Beteiligung an der Mission héliographique (1851) in der Sainte-Chapelle (Paris) entstand. Rechte Seite: Der Fotograf Hippolyte Bayard posiert in seinem Garten (um 1847). die Lancierung einiger Arbeiten, beschränkte sich dann aber erstaunlicherweise darauf, sie einfach zu archivieren. Es gab keinerlei Veröffentlichung, wie man es angesichts der neuartigen Vorgehensweise hätte erwarten können. Für die fünf Fotografen war das eine herbe Enttäuschung. Glücklicherweise wurde man sich in Pressekreisen darüber bewusst, welche Bedeutung die Mission im Hinblick auf die Weiterentwicklung fotografischer Techniken gehabt hatte, und verbreitete die Erkenntnisse unter den eigenen Fotografen. Für Le Gray war die Mission sowieso ein Glücksfall, denn er wurde in der Folge zum offiziellen Fotografen der kaiserlichen Familie bestellt. Im Anschluss an die Mission von 1851 vergab der französische Staat regelmäßig öffentliche Aufträge an Fotografen. So auch 1983, als die Délégation à l’aménagement du territoire et à l’action régionale DATAR (eine staatliche Investitionsförderungsgesellschaft) rund dreißig Fotografen – sowohl erfahrene als auch junge – damit beauftragte, das Land zu bereisen und den Wandel der natürlichen und städtischen Landschaften auf französischem Territorium zu dokumentieren und auf diese Weise ein « Porträt » des französischen Landschaftsbilds der damaligen Zeit zu zeichnen. Zu den Auserwählten gehörten beispielsweise Raymond Depardon und Robert Doisneau (1912-1994). Zum ersten Mal seit mehreren Jahrzehnten nutzte man wieder die « menschliche Perspektive » und keine Luftbilder, um das Staatsgebiet zu präsentieren. Gleichzeitig wurde ausdrücklich ein « künstlerischer » Blickwinkel gewünscht, frei von allen « administrativen » Zwängen. Vor allem aber wurde, im Gegensatz zur Mission héliographique aus dem Jahr 1851, ein Teil der erstellten Fotografien publiziert. Es entstand ein schönes Buch 2 , das heute leider vergriffenen ist. Zu sehen sind die Werke jedoch auf einer diesem Projekt gewidmeten Website 3 . Mit der erneuten Vergabe eines umfangreichen öffentlichen Auftrags an Fotografen zum Thema Radioscopie de la France: regards sur un pays traversé par la crise sanitaire setzt die französische Regierung also die Tradition der Mission photographique fort. Die Jury besteht aus Vertretern der Französischen Nationalbibliothek (BNF) – denen die Leitung des Projekts obliegt –, Vertretern des Kulturministeriums und qualifizierten Personen aus Fotografie und Presse. Aus allen Bewerbungen wurden 200 Fotografen ausgewählt, die entweder seit 2018 einen Abschluss an einer Journalismus- oder Kunstschule gemacht haben oder eine Presseveröffentlichung aus den vergangenen vier Jahren nachweisen können, welche eine Zusammenarbeit rechtfertigt. Jeder Fotograf hat für die Fotos ein Jahr Zeit und erhält dafür eine pauschale Vergütung von 22 000 Euro. Am Ende wird die Nationalbibliothek die Werke in ihre Sammlungen aufnehmen, sie im ganzen Land im Rahmen entsprechender Aktivitäten einsetzen, eine Retrospektive organisieren und ein Buch über die Arbeiten veröffentlichen. Genug also, um die Fotografien breit zu streuen. Offensichtlich hat man aus den Fehlern der Mission héliographique von 1851 gelernt … Insofern wird die Öffentlichkeit die in diesem Rahmen realisierten Aufnahmen begutachten können. Wir halten Sie auf dem Laufenden. 1 La Mission héliographique, cinq photographes parcourent la France en 1851, Monum, Éditions du patrimoine, 2002, 320 Seiten, ISBN 978-285<strong>82</strong>26900. 2 Paysages photographies: La mission photographique de la DATAR; travaux en cours, 1984-1985, Éditions Hazan, 1985, 518 Seiten, vergriffen. 3 https://missionphoto.datar.gouv.fr 84 · Frankreich erleben · <strong>Frühling</strong> <strong>2022</strong>
Frankreich erleben · <strong>Frühling</strong> <strong>2022</strong> · 85