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Nr. 82 - Frühling 2022

Land-Art XXL: Saype, von Belfort in die weite Welt Château des Milandes: "Mein Leben, das ist Joséphine!" Brouage: die Zitadelle der geplatzten Träume Rezept: La Madeleine de Proust

Land-Art XXL: Saype, von Belfort in die weite Welt
Château des Milandes: "Mein Leben, das ist Joséphine!"
Brouage: die Zitadelle der geplatzten Träume
Rezept: La Madeleine de Proust

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Die Vorgabe: ein Dialog<br />

zwischen den Beteiligten<br />

Zunächst einige grundlegende Fakten: Die Gestaltung<br />

des Innenraums, vor allem die liturgische Gestaltung von<br />

Notre-Dame, fällt zwar in den Zuständigkeitsbereich der<br />

Diözese Paris, allerdings muss der Staat als Eigentümer<br />

des Gebäudes konsultiert werden und sein Einverständnis<br />

dazu geben. Das öffentliche Verfahren für die anstehenden<br />

Arbeiten, in das die Diözese als « Bewohnerin » der<br />

Kathedrale einbezogen werden muss, ist klar definiert und<br />

zielt vor allem auf einen Dialog zwischen den verschiedenen<br />

Akteuren ab. Grosso modo ist der Ablauf wie folgt:<br />

Die Diözese muss das Projekt für die Neugestaltung des<br />

Innenraums zunächst mit dem leitenden Architekten der<br />

Monuments historiques abstimmen. Letzterer ist wiederum<br />

dem Kulturministerium zugeordnet. Anschließend<br />

wird darüber in der Commission nationale du patrimoine et<br />

de l’architecture beraten, die 26 Mitglieder hat: Politiker,<br />

Vertreter des Staates und der Denkmalschutzverbände sowie<br />

Spezialisten aus den jeweiligen Handwerksbereichen.<br />

Diese « Kommission für Kulturerbe und Architektur » gibt<br />

nach erfolgter Abstimmung eine Stellungnahme ab, die<br />

beratenden Charakter hat und durch Empfehlungen oder<br />

Bitten um Präzisierungen ergänzt werden kann. In der<br />

Praxis kommt es nur selten vor, dass der Staat, in Person<br />

des Kulturministers, dem Standpunkt der Kommission<br />

nicht folgt.<br />

Aufmerksamkeit erregen<br />

Die Verfasser des eingangs erwähnten Textes, schreckten<br />

nicht vor drastischen Formulierungen zurück, die darauf<br />

abzielten, Aufmerksamkeit zu erregen. Sie sprachen<br />

von einem Konzept der Diözese, welches « das Dekor<br />

und den liturgischen Raum völlig entstellt », von « herausnehmbaren<br />

Sitzbänken, einer je nach Jahreszeit wechselnden<br />

Beleuchtung, Videoprojektionen an den Wänden,<br />

anders ausgedrückt, von den gleichen modischen ‹ Vermittlungsmaßnahmen<br />

›, die man bei allen ‹ immersiven ›<br />

kulturellen Projekten findet, wo Einfalt oft im Widerstreit<br />

mit Kitsch steht ». Immerhin! Als regelrechten Todesstoß<br />

für das Vorhaben der Diözese rufen die Unterzeichner<br />

dazu auf, sich an die Restaurierungsarbeiten der Kathedrale<br />

durch den Architekten Eugène Viollet-le-Duc (1814-<br />

1879) im 19. Jahrhundert zu erinnern und sich von diesen<br />

inspirieren zu lassen: « Halten wir das Werk von Violletle-Duc<br />

in Ehren, die Arbeit der Künstler und Handwerker,<br />

die sich dafür eingesetzt haben, uns dieses Juwel zu<br />

schenken, respektieren wir ganz einfach die Grundsätze<br />

eines historischen Bauwerks als Kulturgut. » Seien wir<br />

ehrlich: Bei einer solchen Darstellung der Dinge fragt<br />

man sich doch unweigerlich, ob die Diözese von Paris mit<br />

ihren Vorstellungen von der Neugestaltung nicht den Verstand<br />

verloren hat … Und man beginnt zu hoffen, dass die<br />

Commission nationale du patrimoine et de l’architecture dieses<br />

« verrückte » Projekt ablehnt, zumal Notre-Dame nach wie<br />

vor noch bis hoch ins Gewölbe von Gerüsten abgestützt<br />

werden muss …<br />

Viel Lärm um nichts<br />

Liest man jedoch den Bericht über die Zusammenkunft<br />

der CNPA vom 9. Dezember – also zwei Tage nach<br />

der Veröffentlichung der Stellungnahme, dann wirkt das<br />

Ganze fast wie eine Komödie. Denn man stellt fest, dass<br />

die Kommission das präsentierte Vorhaben weitgehend<br />

abgesegnet hat und dass dieses eine solche Polemik bei<br />

Weitem nicht rechtfertigt. « Es gab nicht den Hauch von<br />

Feindseligkeit. Wir haben uns höflich über eine intensive,<br />

seriöse und wohl durchdachte Arbeit ausgetauscht », unterstreicht<br />

Constance le Grip, Abgeordnete und Mitglied<br />

der Kommission. Man stellt weiterhin fest, dass die « lebhaftesten<br />

» Diskussionen Details betrafen, beispielsweise<br />

die vorgesehenen « beleuchteten Bänke », die von den Autoren<br />

der Stellungnahme besonders verunglimpft worden<br />

waren. Dem Bericht über die Zusammenkunft kann man<br />

entnehmen, dass bisher nur « Zeichnungen » der Bänke<br />

existierten und dass diese überarbeitet werden, da « das<br />

vorgeschlagene Bankmodell zu schwer und die Intensität<br />

des Lichts zu stark ist ». Abgesehen davon wurde die von<br />

der Diözese für die Kathedrale unbedingt gewünschte<br />

neue Beleuchtung prinzipiell akzeptiert. Auch in diesem<br />

Punkt scheint man sich also schnell einig geworden sein.<br />

Gleiches gilt für die generelle Ausgestaltung von Notre-<br />

Dame: Die Mitglieder der Kommission und die Vertreter<br />

der Diözese einigten sich darauf, dass alle Kunstwerke,<br />

die sich vor dem Brand in der Kathedrale befunden haben,<br />

wieder gezeigt werden sollen, wenngleich nicht unbedingt<br />

immer am ursprünglichen Ort. Die Beichtstühle sollen<br />

beispielsweise anders positioniert und einige Wandteppiche<br />

nicht mehr in einer der Kapellen, sondern durch andere<br />

Platzierungen besser zu Geltung gebracht werden. Der<br />

einzige Punkt des Vorhabens, den die Kommission kategorisch<br />

ablehnte, betrifft einen Lastenaufzug, durch den<br />

das Verstauen der Bänke in der Krypta erleichtert werden<br />

sollte. Dessen Konstruktion hätte « die Struktur aus dem<br />

18. Jahrhundert und die Gewölbe der Krypta beschädigt<br />

», weshalb der Aufzug abgelehnt wurde. Ein letzter<br />

Punkt, der die Erregung der Unterzeichner hervorgerufen<br />

hatte: die Lenkung des Besucherstroms und Bibelzitate,<br />

die nach dem Zufallsprinzip in mehreren Sprachen an<br />

die Wände der Kathedrale projiziert werden sollen. Zu<br />

diesem Punkt wollte sich die Kommission nicht äußern,<br />

da eines der Mitglieder daran erinnerte, dass « dies in den<br />

Kompetenzbereich des Nutznießers (die Diözese) fällt ».<br />

Alles lief also ruhig und regelkonform ab. Die Diözese<br />

wird nun logischerweise in den kommenden Monaten<br />

ihr Projekt weiter präzisieren und die Kommission wird<br />

erneut zusammenkommen. Wir werden sehen, ob sich<br />

dann die Gemüter erneut erhitzen, noch bevor es zu einer<br />

Diskussion über die Maßnahmen gekommen ist.<br />

Frankreich erleben · <strong>Frühling</strong> <strong>2022</strong> · 79

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