FRANKREICH HEUTE Land-Art Saype, Sie wurden 1989 im Departement Territoire de Belfort, genauer gesagt in der Stadt Belfort, geboren. Was verbindet Sie mit diesem Departement? Diese Gegend ist für mich sehr wichtig. Hier habe ich meine ersten Lebenserfahrungen gemacht. Abgesehen von einem zweijährigen Aufenthalt in Straßburg – im Alter von 21 Jahren im Rahmen meiner Ausbildung zum Krankenpfleger – lebte ich hier, bis ich 27 Jahre alt war. Dadurch habe ich eine sehr starke Beziehung zu diesem Departement. Inzwischen lebe ich zwar mit meiner Frau, einer gebürtigen Schweizerin, in deren Heimatland, wir wohnen aber nur rund eine Autostunde von Belfort entfernt. Insofern kann ich regelmäßig hierherkommen und meine Eltern und Großeltern besuchen, die nach wie vor hier leben. Es ist essenziell für mich, diese Verbindung aufrechtzuerhalten. Nachdem ich heute im Rahmen meiner Kunstprojekte kreuz und quer über den Erdball reise, brauche ich eine verlässliche Beziehung zu einem ruhigen Ort, der mir Stabilität verleiht, wo ich zur Ruhe kommen und Menschen treffen kann, die mir etwas bedeuten. Das Territoire de Belfort bietet mir genau das, es bietet mir Halt, ist Balsam für die Seele. Wie kam es, dass Guillaume Legros, ein Sohn der Stadt Belfort, sich für Kunst interessierte, sodass aus ihm Saype wurde, einer der bekanntesten Land-Art-Künstler auf weltweiter Ebene? Ich gestehe, dass mich mein Werdegang selbst erstaunt. Aber genau das ist ja das Tolle. Es zeigt, dass im Leben alles möglich ist! Im Grunde hatte ich überhaupt keinen Bezug zur Kunst: Mein Vater ist Informatiker, meine Mutter Radiologieassistentin im Krankenhaus. Man kann sagen, dass Kunst bei uns zu Hause keine Rolle spielte, dass sich niemand besonders dafür interessierte. Und doch hat sie sich allmählich in mein Denken eingeschlichen. Ich glaube, wie bei vielen Jungs hat das bei mir begonnen, als ich mit Kumpels Graffiti an Wände sprühte. Damals war ich 14 Jahre alt. Wir dachten nicht weiter darüber nach, sprühten meistens unter freiem Himmel, an mehr oder weniger verlassenen Orten, wo es gestattet war, beispielsweise in ehemaligen Lagerhallen. Das war alles sehr harmlos, machte uns aber viel Spaß. Abgesehen vom Spaß, gemeinsam mit Kumpels etwas zu kreieren, wurde mir vermutlich damals bewusst, dass ich mit diesen Graffiti einen geheimen Wunsch umsetzen konnte, nämlich ein sichtbares Zeichen meiner Existenz zu hinterlassen. Ich erinnere mich, dass ich dieses Gefühl genial fand. Ab diesem Zeitpunkt begeisterte ich mich für Kunst, informierte mich, las viel, besuchte wann immer es möglich war Museen und Ausstellungen. Und dann habe ich den Schritt gewagt und mir Utensilien zum Malen gekauft … Haben Sie immer im Freien gemalt? Nein, als ich nach der Graffiti-Phase begann, mir das notwendige Material zuzulegen, arbeitete ich zunächst sehr viel im Atelier. Ich glaube, ich musste mich zunächst mit der Kunst wirklich auseinandersetzen, vielleicht in gewisser Weise mit ihr « alleine sein », um zu lernen und herauszufinden, was mir liegt, um meinen Weg zu finden. Das war eine sehr introspektive, nahezu zwanghafte Arbeit. Ich schloss mich ein und probierte verschiedene 56 · Frankreich erleben · <strong>Frühling</strong> <strong>2022</strong>
Vorherige Doppelseite: « Les contrebandiers de l’amitié », Val d’Illiez (Schweiz) 2019. Linke Seite: « Present by Future », Belfort (Frankreich) 2018. Diese Seite: Saype bei der Arbeit; auf dem Eiffelturm, oberhalb seines Werks « Beyond Walls, Step 1: Paris », (Frankreich) 2019; « Rock the grass », Belfort, Lac de Malsaucy (Frankreich) 2020; « World in Progress II », New York, zu Füßen des UNO-Sitzes (USA) 2021. Frankreich erleben · <strong>Frühling</strong> <strong>2022</strong> · 57