I Allgemeine Erzähltheorie - Bodil Zalesky
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Erzählwerken. Obwohl er Genettes Modell auch erwähnt, ist sein Muster oder Vorbild in<br />
Lämmerts ”Bauformen des Erzählens” zu finden. Einleitend schreibt er: ”Lämmert<br />
systematisiert zwei Formen bzw. Richtungen der zeitlichen Umstellung als Bauformen des<br />
Erzählens: die Rückwendung und die Vorausdeutung.” 161 Die Vorausdeutung definiert Vogt<br />
einmal auf folgende Weise: ”Sie nimmt einen späteren Punkt innerhalb der erzählerischen<br />
Chronologie vorweg (intern) oder greift über deren Endpunkt hinaus (extern).” 162<br />
In Anlehnung an Lämmert beschreibt Vogt die zwei Haupttypen von Vorausdeutungen<br />
folgendermaßen: ”Zukunftsungewisse Vorausdeutungen nennen wir mit Lämmert alle<br />
Aussagen oder Empfindungen von Handlungsfiguren über ihre Zukunft, aber auch<br />
Erzählerbemerkungen, die den Erlebnishorizont der Figuren nicht durchbrechen.” 163<br />
”Zukunftsgewisse Vorausdeutungen richten hingegen die Aufmerksamkeit der Leser direkt auf<br />
ein angekündigtes Ereignis, eine später in die Handlung tretende Person, den Ausgang einer<br />
Erzählphase oder der Erzählung selber. Erzähllogisch handelt es sich um Elemente auktorialen<br />
Erzählens (Zukunftsgewißheit als Aspekt der ’Allwissenheit’) oder auch der Ich-Erzählung.” 164<br />
Vogt hat, wie wir sehen, keine Deutungsprobleme, wenn es um das Identifizieren des<br />
Erzählverhaltens bei zukunftsgewissen Vorausdeutungen geht.<br />
Schließlich schreibt Vogt, auch hier in Einklang mit Lämmert, etwas über die Funktion zeitlicher<br />
Umstellungen: ”Alle Formen und Varianten der Rückwendung und Vorausdeutung tragen zur<br />
epischen Integration des Erzähltextes bei, sie schaffen Korrespondenzen, Vor- und<br />
Rückverweise zwischen mehr oder weniger weit entfernten Stellen der Erzählfolge - so wie<br />
auf anderer Ebene wiederkehrende Bilder oder Symbole, etwa in Form des Leitmotivs.” 165<br />
7.6 Kommentar und weitere Überlegungen<br />
Was mich besonders an den Vorausdeutungen interessiert, ist wie man die verschiedenen<br />
Typen mit Erzählverhaltenstypen verbinden kann. Aus diesem Grund ist Lämmerts Arbeit für<br />
mich aufschlußreicher als Genettes. Lämmert stellt zwar auch keine expliziten Verbindungen<br />
zwischen Vorausdeutungstypen und Erzählverhalten her, aber es ist möglich, die<br />
zukunftsgewissen unter Umständen als auktorial und die zukunftsungewissen als personal<br />
einzustufen. Martinez und Scheffel tun das und auch Vogt. Eine solche Deutung enthält aber<br />
auch Problematisches. Gehen wir kurz zu Lämmert zurück. Bei einem Vergleich zwischen<br />
seinen zwei Haupttypen von Vorausdeutungen schreibt er einmal: ”Grundverschieden von<br />
diesen Vorausdeutungsmöglichkeiten des Erzählers sind diejenigen Zukunftsweisungen, die<br />
von den Personen der Handlung oder dem mit-gehenden Erzähler ausgesprochen werden.<br />
Bei ihnen herrscht jene echte Zukunftsungewißheit, die ihrer Lebenswirklichkeit entspricht.” 166<br />
Das Problematische liegt für mich in dem Wort ”ausgesprochen” - hätte Lämmert stattdessen<br />
gesagt, daß die zukunftsungewissen Vorausdeutungen von den Figuren und dem ”mit-<br />
161 Vogt 1998 S. 118<br />
162 Vogt 1998 S. 123<br />
163 Vogt 1998 S. 123<br />
164 Vogt 1998 S. 123-124<br />
165 Vogt 1998 S. 125<br />
166 Lämmert 1955 S. 143