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I Allgemeine Erzähltheorie - Bodil Zalesky

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”Denn der Umstand, daß auch ’ungewisse’ Vorausdeutungen dem Leser einen Blick in die<br />

Zukunft der Erzählung gewähren und ihn ’vorwissend’ an der weiteren Geschehensfolge<br />

teilhaben lassen, ist geeignet, die besondere und dem realen Leben nicht gleichermaßen<br />

innewohnende Schlüssigkeit dichterischer Gefüge von unerwarteter Seite zu beleuchten.” 152<br />

Verschiedene Mittel zur Beglaubigung zukunftsungewisser Vorausdeutungen werden von<br />

Lämmert aufgezählt. Er spricht von Beglaubigung durch die Art der Verkündung (z.B.<br />

Legende oder Märchen), durch die Umstände der Verkündung (z.B. Wiederholung der<br />

Prophezeiung eines Ereignisses) oder durch Eingriff des Erzählers.<br />

Zukunftsungewisse Vorausdeutungen können auf verschiedene Weisen ”verkleidet” werden,<br />

z.B. als Gleichnisse oder andere Arten eingeschobener Geschichten. Weiter erwähnt<br />

Lämmert die ”trügerische Vorspiegelung”, mit der der Autor den Leser absichtlich in die Irre<br />

führt oder zu führen versucht. Aber auch diese trügerischen Vorausdeutungen haben ihre<br />

erzählerische Funktion: ”Die Beziehung der Trug-Vorausdeutung zum epischen Vorgang<br />

unterscheidet sich zwar wesentlich von den gestaltbildenden Kräften der gradsinnigen<br />

Vorausdeutung und selbst von deren verkleideten Formen; nicht weniger als jene trägt sie<br />

jedoch zur Gliederung und Profilierung des Vorgangs bei” 153 .<br />

Zum Schluß noch ein paar Bemerkungen und Fragen zu Lämmerts Text: Ein Problem für<br />

meine Deutung ist, daß seine Terminologie sich ziemlich stark von der mir geläufigen<br />

unterscheidet, z.B. benutzt er nicht die Begriffe ”auktorial” und ”personal”. Ein weiteres<br />

Problem ist, daß ich nirgendwo eine vollständige Definition von den Begriffen ”zukunftsgewiß”<br />

bzw. ”zukunftsungewiß” finden kann. Bedeutet ”zukunftsgewiß” einfach auktorial und<br />

”zukunftsungewiß” personal oder bedeutet ”zukunftsgewiß” vielleicht, daß wenn man die<br />

Erzählung zu Ende gelesen hat, dann hat sich das verwirklicht, was vorausgesagt wurde?<br />

Oder verhält es sich möglicherweise so, daß ”zukunftsgewiß” als offen auktorial und<br />

”zukunftsungewiß” entweder als personal oder versteckt auktorial zu bezeichnen ist? Und wie<br />

verläuft die Grenze zwischen ”zukunftsgewiß” und ”zukunftsungewiß”? Soll man sich da eine<br />

Art Übergangszone denken, oder gibt es eine scharfe Grenze?<br />

7.3 Genette: Prolepsen<br />

Wie schon früher gesagt, interessiert sich Genette in ”Die Erzählung” ganz besonders für die<br />

zeitlichen Aspekte in Erzählwerken. Im Anfangskapitel habe ich nur ganz kurz die Frage der<br />

Grundformen des narrativen Tempos berührt; im übrigen habe ich die Zeitprobleme dort<br />

unberücksichtigt gelassen. In diesem Kapitel aber werde ich, wiederum in aller Kürze, etwas<br />

über Genettes Zeitkategorie ”Ordnung” sagen. Genette benutzt den Terminus ”Anachronie”<br />

als Oberbegriff für zeitliche Inversionen in einer Erzählung. Eine Anachronie in Richtung<br />

Vergangenheit nennt er ”Analepse” (Lämmerts ”Rückwendung”) und eine in Richtung Zukunft<br />

”Prolepse” (Lämmerts ”Vorausdeutung”).<br />

152 Lämmert 1955 S. 179<br />

153 Lämmert 1955 S. 189

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