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I Allgemeine Erzähltheorie - Bodil Zalesky

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6.4 Das Erzählverhalten im Dialog<br />

Nehmen wir also an, daß der Dialog einen Platz im narrativen Raum beanspruchen kann. Wie<br />

ist dann das Erzählverhalten bei dieser Sprechweise einzuschätzen? Für Petersen ist das<br />

Erzählverhalten bei Dialogen neutral und seine Begründung für diese Stellungnahme ist<br />

einerseits, daß der Erzähler sich in Dialogen ”heraushalte” und den Figuren von außen<br />

”zuhöre”; andererseits behauptet er, daß der Erzähler trotzdem die Worte der Figuren<br />

vermittle und daß ihre Worte durch ihn ”hindurchgehen”, obwohl er sich dabei nicht<br />

”bemerkbar” mache. Wie man sieht, ist dieser Standpunkt etwas ambivalent oder sogar<br />

widersprüchlich. Vogt verbindet den Dialog vorwiegend mit personalem Erzählen: ”Direkte<br />

Rede [...] hat [...] starke Affinität zur personalen Erzählsituation.” 135 Er schließt aber neutrales<br />

Erzählverhalten bei Dialogen nicht aus. Es wird leider nirgendwo klar gesagt, wann der Dialog<br />

mit neutraler Erzählsituation zu verknüpfen sei. Eine weitere Komplikation besteht darin, daß<br />

die neutrale Erzählsituation von Vogt als Variante der personalen betrachtet wird. Gehen wir<br />

jetzt weiter zu Hamann. ”Bei Dialogpassagen ohne Inquit-Formeln sprechen wir von<br />

neutralem Erzählverhalten” 136 , fängt sie ihren Kommentar zum Erzählverhalten beim Dialog an.<br />

Das sieht klar und unzweideutig aus. Kurz darauf zeigt sich aber diese Klarheit als trügerisch,<br />

denn sie schreibt auf der nächstfolgenden Seite, daß der Erzähler sich im Dialog ”durch<br />

personales Verhalten hinter den Gestalten” 137 verberge. Weiter behauptet sie auch, daß die<br />

Dialoge, ”auf die verborgene höhere Bewußtheit und Subjektivität des Erzählers<br />

verweisen.” 138 Das Verwirrende besteht darin, daß sie sich zuerst auf neutrales<br />

Erzählverhalten festlegt und dann kurz danach ohne Begründung diese Position aufgibt oder<br />

wenigstens relativiert. Cohn äußert sich in ihrem Stanzelaufsatz nur sehr knapp über die<br />

Erzählsituation bei Dialogen: ”the modally neutral dialogued scene with minimal narratorial<br />

comment (as in ’The Killers’) - can now easily take its place on the open boundary between<br />

the two principal third-person narrative forms.” 139 Diese etwas rätselhafte Textstelle deute ich<br />

so, daß für sie die Erzählsituation bei Dialogen entweder personal oder auktorial sein kann,<br />

aber dieses nur in Erzählungen in der dritten Person. Was sie über Dialoge in Ich-Erzählungen<br />

denkt, geht aus dem Text nicht hervor.<br />

Am Ende des dritten Kapitels habe ich kurz meine eigenen Ideen zu den Beziehungen<br />

zwischen Sprechweise und Erzählverhalten vorgestellt. Hier werde ich noch einen Versuch<br />

machen, meine Ideen zum Erzählverhalten im Dialog zu veranschaulichen: Mein<br />

Ausgangspunkt ist, daß das Erzählverhalten bei der direkten Rede auf der Normalebene<br />

immer als personal einzustufen ist, denn im Dialog wird aus der Sicht der Figuren gesprochen.<br />

Mit der Normalebene eines Dialogs meine ich weiter, daß man jede Replik für sich und als<br />

von einer bestimmten Romanfigur ausgesprochen betrachtet, ohne daß man die<br />

Gesamtstruktur des Textes berücksichtigt. Alle Dialoge, wie alle Textelemente überhaupt,<br />

haben natürlich auch eine festgesetzte Rolle im Textganzen. Diese Rolle kann an manchen<br />

135 Vogt 1998 S. 154<br />

136 Hamann 1984 S. 445<br />

137 Hamann 1984 S. 446<br />

138 Hamann 1984 S. 446<br />

139 Cohn 1981 S. 180

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