I Allgemeine Erzähltheorie - Bodil Zalesky
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integriert sind.<br />
Wenn man die Rolle der Dialoge in Erzählwerken unter einem weiteren Gesichtswinkel<br />
betrachtet, kann zusammenfassend gesagt werden, daß die Personenrede, d.h. hier alle<br />
Äußerungen, die nach Vogts Definition ”einer Handlungsfigur zugeordnet sind” 131 , genauso<br />
wie die Erzählerrede und in enger Kollaboration mit dieser, die zu erzählende Geschichte an<br />
den Leser vermittelt.<br />
Ein Problem, das hier ungelöst bleibt, ist, daß man die Gegenwart des Erzählers bei längeren<br />
Dialogstellen ohne Inquitformeln oder andere ersichtliche Erzählereingriffe und ohne<br />
kommentierenden Erzählerrahmen eigentlich nicht beweisen kann - es gibt keine direkten<br />
Indizien für seine Anwesenheit. Andererseits gibt es auch nichts, was das Gegenteil beweist.<br />
Ich gehe davon aus, daß der Erzähler auch dann anwesend ist, wenn dieses nicht sichtbar ist,<br />
weil er immer wieder und auf vielfältige Weise seine Gegenwart in den Gesprächen und um<br />
diese herum zeigt. Die Dialoge haben meiner Meinung nach weiterhin auch ein Recht auf ein<br />
gewisses Minimum an ”Lebensraum”, um ihre Eigenart nicht zu verlieren und von der<br />
Erzählerstimme total übertönt zu werden.<br />
6.3 Narrative und dramatische Texte - ein Vergleich<br />
Um den Horizont etwas zu erweitern, möchte ich hier einen vergleichenden Blick auf die<br />
dramatische Gattung werfen. In seiner dramentheoretischen Abhandlung ”Das Drama” stellt<br />
Manfred Pfister in einer Passage im ersten Kapitel Vergleiche zwischen epischen und<br />
dramatischen Texten an. Er spricht von einem kategorialen Unterschied der Sprech- und<br />
Empfangssituation zwischen den beiden Texttypen: ”sieht sich der Rezipient eines<br />
dramatischen Textes unmittelbar mit den dargestellten Figuren konfrontiert, so werden sie ihm<br />
in narrativen Texten durch eine mehr oder weniger stark konkretisierte Erzählerfigur<br />
vermittelt.” 132 Das bedeutet wohl im Prinzip das Gleiche wie Stanzels Worte zum Thema im<br />
Anfangskapitel in ”Theorie des Erzählens”: ”Wo eine Nachricht übermittelt, wo berichtet oder<br />
erzählt wird, begegnen wir einem Mittler, wird die Stimme eines Erzählers hörbar. Das hat<br />
bereits die ältere Romantheorie als Gattungsmerkmal, das erzählende Dichtung vor allem von<br />
dramatischer unterscheidet, erkannt.” 133 Wenn es um die Unterscheidung der zwei Gattungen<br />
Drama und Epik geht, sind sich Pfister und Stanzel also recht einig. Wie beurteilt nun Pfister<br />
die Stellung der Dialoge in narrativen Texten, verglichen mit dramatischen Dialogen?<br />
”Überlagern sich in narrativen Texten die Rede des Erzählers und die Rede der fiktiven<br />
Figuren, die vom Erzähler zitierend eingeführt wird, so reduzieren sich die sprachlichen<br />
Äußerungen im plurimedial inszenierten dramatischen Text auf die monologischen oder<br />
dialogischen Repliken der Dramenfiguren.” 134 Ich kann diese Formulierung nicht anders deuten<br />
als, daß Pfister die Dialogpartien in Erzählwerken als vom Erzähler vermittelt betrachtet. Er<br />
sieht, soviel ich verstehe, diese nicht als ”Eigentum” der dramatischen Gattung, das als<br />
Fremdkörper im epischen Raum ”gastiert”.<br />
131 Vogt 1998 S. 148<br />
132 Pfister 1977 S. 20<br />
133 Stanzel 2001 S. 15<br />
134 Pfister 1977 S. 23