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I Allgemeine Erzähltheorie - Bodil Zalesky

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In seinem Kapitel über die typischen Erzählsituationen in ”Aspekte erzählender Prosa”<br />

analysiert Vogt an einer Stelle den Anfang von ”Buddenbrooks” und klassifiziert die<br />

Erzählsituation dort, in Anlehnung an Stanzels Einteilung der Erzählsituationen von 1955, als<br />

neutral: ”Der übergreifende Eindruck ist der einer erzählerischen Objektivität oder Neutralität,<br />

die der ’Darstellung’ im Sinne des Dramas (oder auch des Films) fast näher scheint als der<br />

’Erzählung’. Die Erzählfunktion bleibt weitgehend auf Wiedergabe äußeren Geschehens<br />

beschränkt und trägt nicht zur Profilierung eines fiktiven Erzählers bei. Stanzel nennt diese<br />

epische Präsentationsweise die neutrale Erzählsituation, die ihrerseits als spezielle Variante<br />

der personalen Erzählsituation anzusehen sei. ’Neutral’ heißt dabei: vom Standpunkt eines<br />

unsichtbar bleibenden Beobachters (oder einer Kamera) aus, ’personal’ im engeren Sinn: aus<br />

dem Blickwinkel einer der Handlungspersonen selbst.” 117 In einer Fußnote kommentiert er<br />

dann zum einen diese zwei Stanzelschen Kategorien, zum anderen Stanzels spätere<br />

Umwertung der Kategorie ”neutral”. Diese Änderung führte zu Stanzels Entfernung der<br />

neutralen Erzählsituation aus seinem System. Vogt findet Stanzels Begründung dafür, der<br />

Begriff sei mißverständlich, wenig einleuchtend. Vogt meint auch, daß die Grenzen zwischen<br />

personaler und neutraler Erzählsituation von Anfang an unklar gezogen waren und daß dieses<br />

zu Verwirrung führe: ”Bei der Unterscheidung bzw. Anwendung dieser Kategorien entsteht<br />

erfahrungsgemäß leicht Verwirrung, die auf eine begriffliche Unentschiedenheit bei Stanzel<br />

selbst zurückgeht. In seiner Untersuchung von 1955 hatte er personale und neutrale<br />

Erzählsituationen so wie oben plausibel unterschieden (S.23), dann als ’personale bzw.<br />

neutrale’ zusammengefaßt (S.93).” 118 Ich frage mich hier, warum denn Vogt immer wieder<br />

selbst die zwei Kategorien ”personal” und ”neutral” mit einander vermengt. Als Beispiel für ein<br />

solches Vermengen kann die folgende Textstelle dienen: ”Eine weniger häufige, aber<br />

bemerkenswerte Variante - oder besser vielleicht: Radikalisierung personalen (bzw.<br />

neutralen) Erzählens ergibt sich, wenn die subjektive Bewußtseinswiedergabe weiter verengt<br />

oder völlig eliminiert wird.” 119 Ist nun neutrales Erzählen Vogt zufolge eine Radikalisierung von<br />

personalem Erzählen oder spricht er hier von einer Radikalisierung beider? Weiter nach unten<br />

auf derselben Seite schreibt Vogt: ”Noch weiter geht Ernest Hemingway in manchen seiner<br />

Kurzgeschichten: Die Erzählperspektive ist dort quasi von außen begrenzt (wie durch das<br />

Objektiv einer Kamera) und erfaßt äußere Realität nur mit Hilfe minimaler Beschreibung und<br />

ausgedehnter direkter Personenrede. Bewußtseinsprozesse werden vom Text radikal<br />

ausgeklammert und eben deshalb in der Lektüre ’rekonstruiert’: Wir füllen die ’Leerstellen’ des<br />

Textes. Die Kurzgeschichten Hügel wie weiße Elefanten und Die Killer werden<br />

verschiedentlich als exemplarische Muster dieser Erzählsituation zitiert, die neutral genannt<br />

werden darf.” 120 Vogt beendet dann das Teilkapitel mit der folgenden Behauptung: ”Es ist<br />

also, wie oben schon bemerkt, durchaus sinnvoll, die neutrale Erzählsituation zumindest als<br />

Variante der personalen gelten zu lassen.” 121<br />

Um einen Überblick zu gewinnen, rekapituliere ich zum Schluß die wichtigsten Merkmale der<br />

neutralen Erzählsituation in Vogts Fassung: ”vom Standpunkt eines unsichtbar bleibenden<br />

117 Vogt 1998 S. 50<br />

118 Vogt 1998 S. 50F<br />

119 Vogt 1998 S. 55<br />

120 Vogt 1998 S. 55-60<br />

121 Vogt 1998 S. 57

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