I Allgemeine Erzähltheorie - Bodil Zalesky
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Man könnte sich hier vielleicht noch fragen, ob Genettes Nullfokalisierung nicht eine große<br />
Rarität ist, wenn jede möglicherweise auch nur angebliche Einschränkung des Erzählerwissens<br />
auf externe Fokalisierung deuten sollte (”beim Klirren des Eiswürfels im Glas schien Bond...”).<br />
Das würde wohl bedeuten, daß fast alles, was nicht als interne Fokalisierung klassifiziert<br />
werden kann, für Genette externe Fokalisierung ist.<br />
5.4 Stanzel: neutrale Erzählsituation<br />
Wie schon vorhin erwähnt worden ist, hat Stanzel in seinen späteren Werken die neutrale<br />
Erzählsituation aus seinem System eliminiert, weil er diese Kategorie mit der Zeit immer<br />
mißverständlicher gefunden hat. In seinem ersten großen erzähltheoretischen Werk ”Die<br />
typischen Erzählsituationen im Roman” ist die neutrale Erzählsituation aber vorhanden, und es<br />
könnte meiner Meinung nach von Interesse sein zu sehen, wie dort diese Begriffsklasse<br />
genau definiert wird. Die erste Definition davon, die im Buch auftritt, lautet: ”Liegt der<br />
Standpunkt der Beobachtung in keiner der Gestalten des Romans und ist trotzdem die<br />
Perspektive so eingerichtet, daß der Beobachter bzw. Leser das Gefühl hat, als imaginärer<br />
Zeuge des Geschehens anwesend zu sein, wird neutral dargestellt.” 115 In einer zweiten<br />
Definition ein paar Seiten später wird die neutrale Erzählsituation als Variante der personalen<br />
klassifiziert: ”Ein Sonderfall der personalen Darstellung, die neutrale Darstellung, tritt ein, wenn<br />
die Perspektive der Beobachtung in keiner der Gestalten fixiert ist. Diese Darstellungsweise<br />
wird selten allein in längeren Erzählwerken durchgeführt. Meistens erscheint sie in Verbindung<br />
mit personaler, manchmal auch mit auktorialer Erzählsituation. Eine in solcher<br />
Darstellungsweise gebrachte Stelle wird auch objektive Szene genannt. Längere<br />
Dialogstellen, in die nur gelegentlich Inquitformeln eingestreut sind, werden vom Leser häufig<br />
als objektive Szenen aufgenommen. Hier liegt das Orientierungszentrum des Lesers in der<br />
Szene, dem Jetzt und Hier eines Handlungsmomentes. Man könnte auch sagen, es liege im<br />
Jetzt und Hier eines imaginären Beobachters auf der Szene, dessen Platz der Leser<br />
vorstellungsweise einnimmt.” 116 Hier wird auch, wie man sieht, eine narrative Sprechweise mit<br />
neutralem Erzählen direkt verknüpft, nämlich der Dialog ohne oder mit ganz wenigen<br />
Inquitformeln. In diesem Zusammenhang erhebt sich von selbst die Frage, ob nicht Petersen<br />
diese alte Definition Stanzels von neutralem Erzählen in seiner Kombination mit der<br />
Sprechweise Dialog als Vorbild für seine eigene Kategorie neutralen Erzählverhaltens gehabt<br />
haben könnte.<br />
Stanzels Neutralbegriff ist auch deshalb interessant, weil Jochen Vogt diesen als Basis für<br />
seine Definition des Begriffs nimmt. Im folgenden Teilkapitel wird näher auf diese<br />
eingegangen.<br />
5.5 Vogt: neutrale Erzählsituation<br />
115 Stanzel 1955 S. 23<br />
116 Stanzel 1955 S. 28-29