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I Allgemeine Erzähltheorie - Bodil Zalesky

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aut, daß sich die verschiedenen erzähltheoretischen Systeme wirklich auf diese Weise<br />

vergleichen lassen. Daher sollte ich vielleicht diese Zusammenstellung statt einen Vergleich<br />

den Versuch eines Vergleichs nennen.<br />

3.9 Meine Position in der Frage<br />

Hier am Ende des Kapitels möchte ich darlegen, wie ich selbst die zwei Kategorien<br />

”Erzählverhalten” und ”Sprechweise” miteinander verbinde. Der Klarheit wegen fange ich mit<br />

meinen Definitionen von den verschiedenen Arten des Erzählverhaltens an. Das<br />

Erzählverhalten kann einerseits als ein Kontinuum betrachtet werden, das sich zwischen den<br />

zwei Polen ”auktorial” und ”personal” erstreckt. (Im Kapitel ”Der Begriff ’neutral’/’externe<br />

Fokalisierung’ - weitere Untersuchung” erkläre ich, warum die Kategorie ”neutral” in meinem<br />

Modell nicht vorhanden ist.) An dem auktorialen Pol wird die Geschichte aus der Sicht eines<br />

allwissenden Erzählers präsentiert. Dieser Erzähler überblickt das ganze Geschehen, er weiß,<br />

was an allen Orten passiert, er kennt alle Figuren von außen und innen, sowie ihre<br />

Vorgeschichte und Zukunft. An dem entgegengesetzten Pol wird die Geschichte aus der<br />

Perspektive der Figurenebene dem Leser vermittelt. Dieses bedeutet Einschränkungen des<br />

Wahrnehmungsfeldes, denn eine Romanfigur, genau wie eine Person des wirklichen Lebens,<br />

kennt nur die eigenen Gedanken, nicht die der anderen - von den Gedanken der anderen kann<br />

sie manchmal etwas ahnen aber nichts mit Sicherheit wissen. Weiter ist die Zukunft ihr<br />

unbekannt, und sie kann auch nicht aus sich selbst heraus wissen, was an anderen Orten<br />

geschieht. Zwischen diesen beiden Extremen breitet sich ein Kontinuum unterschiedlicher<br />

Grade des Wissens oder Überblicks aus.<br />

Das Erzählverhalten kann aber auch mit anderen Kategorien als ”Überblick” oder ”Wissen” in<br />

Verbindung gebracht werden. Eine solche Kategorie ist ”Macht”. Ein auktorialer Erzähler kennt<br />

die Geschichte als Ganze, auch ihren Ausgang, bevor er sie erzählt, und deshalb hat er auch<br />

Macht über sie. Er kann sie nach Belieben organisieren, er kann sie raffen oder die<br />

Inhaltssegmente umstellen oder einen bestimmten Rhythmus erzeugen. Er inszeniert<br />

sozusagen den Ereignisfluß. Er ist stärker als die Geschichte. Ein personaler Erzähler lernt die<br />

Geschichte während des Erzählens kennen, Stück für Stück. Er kennt nur die Stelle, wo er sich<br />

gerade befindet und den zurückgelegten Weg dorthin. Weil er keinen Überblick über das<br />

ganze Geschehen hat, kann er die Geschichte nicht organisieren. Ein personaler Erzähler ist<br />

mit einem Leser vergleichbar, der eine Erzählung zum ersten Mal liest. Er wird von der<br />

Geschichte geführt.<br />

Ein auktorialer Erzähler erzählt aktiv und ist sich seiner Aufgabe wohl bewußt und bemüht sich<br />

daher um die Gestaltung der Erzählung. Ein personaler Erzähler hingegen vermittelt dem<br />

Leser die Geschichte direkt durch seine Wahrnehmungen und das auf eine eher unbewußte<br />

Weise.<br />

Weiter bedeutet personales Erzählen, daß aus der Sicht einer Romanfigur oder aus der Sicht<br />

eines Erzählers, der den Wissenshorizont der Figuren nicht durchbricht, erzählt wird. Ein<br />

auktorialer Erzähler kann wiederum auch eine Romanfigur sein, nämlich ein Ich-Erzähler mit

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