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Taxis als Konzept der systemisch funktionalen Linguistik (SFL)

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Abstract<br />

Alexandra Holsting<br />

<strong>Taxis</strong> <strong>als</strong> <strong>Konzept</strong> <strong>der</strong> <strong>systemisch</strong> <strong>funktionalen</strong> <strong>Linguistik</strong> (<strong>SFL</strong>)<br />

Der Beitrag diskutiert zwei Annahmen <strong>der</strong> <strong>systemisch</strong> <strong>funktionalen</strong> <strong>Linguistik</strong>: einerseits dass Adverbialia<br />

(Adjunkte/Zirkumstantiale) nicht von Sätzen realisiert werden können, an<strong>der</strong>erseits dass das System <strong>der</strong> <strong>Taxis</strong><br />

(die Wahl zwischen Parataxe und Hypotaxe) eine Ressource <strong>der</strong> ideationellen Metafunktion <strong>der</strong> Sprache ist. Der<br />

Beitrag schlägt auf Grund des verschiedenen grammatischen Potenti<strong>als</strong> <strong>der</strong> Nebensätze vor, die Adverbi<strong>als</strong>ätze<br />

von <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> hypotaktischen Expansionssätze auszugrenzen und die <strong>Taxis</strong> <strong>als</strong> eine Ressource <strong>der</strong><br />

interpersonellen Metafunktion zu betrachten.<br />

0 Einleitung<br />

Thema dieses Beitrags ist die Beschreibung <strong>der</strong> deutschen Satzkomplexität innerhalb des<br />

theoretischen Rahmens <strong>der</strong> <strong>systemisch</strong> <strong>funktionalen</strong> <strong>Linguistik</strong> (<strong>SFL</strong>), insbeson<strong>der</strong>e in Bezug<br />

auf <strong>der</strong>en <strong>Konzept</strong> <strong>der</strong> <strong>Taxis</strong> (<strong>als</strong> Hyperonym für Parataxe und Hypotaxe).<br />

Als Theorie und Deskriptionsmodell ist die <strong>SFL</strong> im Laufe <strong>der</strong> 60er Jahre vor allem von dem<br />

englischen Grammatiker M. HALLIDAY konzipiert worden. Primärer Fokus sind – wie <strong>der</strong><br />

Name andeutet – die <strong>funktionalen</strong> Aspekte <strong>der</strong> Sprache (d.h. wie Bedeutungen geschaffen und<br />

ausgedrückt werden) sowie die <strong>systemisch</strong>en Aspekte (d.h. wie Bedeutungen durch den Akt<br />

des Wählens geschaffen werden). Obwohl ursprünglich für die Beschreibung des Englischen<br />

(und einiger ostasiatischen Sprachen) entwickelt, wird <strong>SFL</strong> heutzutage zur Beschreibung<br />

vieler verschiedener Sprachen angewendet.<br />

<strong>SFL</strong> ist jedoch eine in Deutschland nicht beson<strong>der</strong>s verbreitete Theorie und ist in Bezug auf<br />

die deutsche Sprache bisher nur selten angewendet worden. STEINER/TEICH (2004) liefern<br />

eine sehr übergeordnete Darstellung des Deutschen bezüglich <strong>der</strong> <strong>SFL</strong>-<strong>Konzept</strong>e und HELM<br />

PETERSEN (i.E.) eine umfassen<strong>der</strong>e, aber ebenfalls übergeordnete und dazu didaktisch<br />

orientierte Darstellung.<br />

Eine Auseinan<strong>der</strong>setzung mit <strong>SFL</strong>-Beiträgen, die sich spezifisch mit <strong>der</strong> deutschen Satzkomplexität<br />

beschäftigen, ist demzufolge nicht möglich, und ich werde mich in diesem<br />

Beitrag deshalb hauptsächlich auf die Literatur zur englischen und dänischen Satzkomplexität<br />

(z.B. MATTHIESSEN (1995), HALLIDAY/MATTHIESSEN (2004), ANDERSEN et al. (2001))<br />

beziehen. Die hier zu findenden Analysen dienen im Folgenden <strong>als</strong> exemplarisch, obwohl sie<br />

natürlich nicht ohne weiteres auf deutsche Beispiele übertragen werden können. 1<br />

1 Zentrale Begriffe <strong>der</strong> <strong>SFL</strong><br />

Zunächst sollen zwei zentrale theoretische <strong>Konzept</strong>e <strong>der</strong> <strong>SFL</strong> vorgestellt werden, und zwar<br />

Stratifikation und Metafunktion.<br />

1.1 Stratifikation<br />

Die <strong>SFL</strong> ist eine holistische Theorie, <strong>der</strong>en Ziel eine Beschreibung <strong>der</strong> Realisationsverhältnisse<br />

einerseits zwischen <strong>der</strong> Sprache und <strong>der</strong> extralinguistischen Welt (Kontext),<br />

an<strong>der</strong>erseits zwischen den verschiedenen Ebenen <strong>der</strong> Sprache (Semantik, Lexikogrammatik,<br />

Phonologie) ist.<br />

Das zugrunde liegende Prinzip ist, dass außersprachliche Phänomene auf dem semantischen<br />

Stratum <strong>als</strong> Bedeutungen (meanings) ausgelegt werden, die dann auf dem grammatischen<br />

Stratum <strong>als</strong> grammatische und lexikalische Strukturen (wordings) realisiert werden.<br />

Schließlich bekommen diese Strukturen auf dem phonologischen Stratum einen Ausdruck.<br />

Die <strong>systemisch</strong>e Dimension <strong>der</strong> Theorie wird dadurch berücksichtigt, dass jedes von diesen<br />

Straten paradigmatisch <strong>als</strong> verschiedene, auf Wahlprozesse beruhende Systeme organisiert ist.<br />

1 Die von HELM PETERSEN angebotenen Analysen <strong>der</strong> deutschen Satzkomplexität (HELM PETERSEN, i.E., Kapitel<br />

4) sind im Großen und Ganzen in Bezug auf die Expansion mit denen <strong>der</strong> englischen und dänischen<br />

Satzkomplexität identisch. Wesentliche Unterschiede gibt es jedoch in Verbindung mit <strong>der</strong> Projektion.


Die jeweiligen semantischen und lexikogrammatischen Systeme sind dann durch ein<br />

Verhältnis <strong>der</strong> Präselektion miteinan<strong>der</strong> verbunden. So präselektiert z.B. die Wahl <strong>der</strong><br />

Äußerungsfunktion Aussage auf <strong>der</strong> semantischen Ebene einen V2-Satz auf <strong>der</strong><br />

grammatischen Ebene, während die Wahl Frage einen V1-Satz bzw. einen V2-Satz mit einem<br />

w-Wort präselektiert.<br />

1.2 Metafunktion<br />

Zu den essentiellen <strong>Konzept</strong>en <strong>der</strong> <strong>SFL</strong> gehören die Metafunktionen, d.h. die Idee, dass die<br />

Bedeutungen <strong>der</strong> Sprache von verschiedener Art sind. Durch die Grammatik werden<br />

Bedeutungen ideationeller, interpersoneller und textueller Art realisiert, was heißt, dass die<br />

grammatischen Ressourcen danach eingeteilt werden können, ob sie ideationelle (bzw.<br />

repräsentationelle), interpersonelle (bzw. interaktionelle) o<strong>der</strong> textuelle (bzw. organisierende)<br />

Bedeutung ausdrücken. So werden die ideationellen Bedeutungen im Satz durch die Wahl von<br />

Prozesstyp, Partizipanten und Zirkumstantialen realisiert, die interpersonellen durch die Wahl<br />

des Subjektes, die Spezifikationen des Finitums, das Vorhandensein von Modusadjunkten und<br />

die Satzform, und die textuellen durch die Organisation des Satzes in einen Thema- und einen<br />

Rhemateil. Diese Verteilung wird durch eine dreigeschichtete Analyse illustriert:<br />

Peter ist wahrscheinlich gekommen<br />

Ideationel Aktor Prozess>Materiell<br />

Interpersonell Subjekt Finitum Adjunkt>Modus<br />

Textuel Thema Rhema<br />

Modell 1: Dreigeschichtete Analyse<br />

Die drei grundlegenden Arten von Bedeutungen werden <strong>als</strong>o an verschiedenen Stellen in <strong>der</strong><br />

Grammatik realisiert, d.h. durch verschiedene grammatische Systeme.<br />

2 Die logische Metafunktion und <strong>der</strong> Satzkomplex<br />

Die ideationelle Metafunktion, die die Repräsentation <strong>der</strong> äußeren und inneren Welt betrifft,<br />

wird in <strong>der</strong> <strong>SFL</strong> <strong>als</strong> zweiseitig betrachtet. Einerseits werden kontextuelle Vorgänge <strong>als</strong><br />

semantische Figuren ausgelegt, die dann grammatisch <strong>als</strong> (Simplex-)Sätze geformt werden.<br />

Eine Figur besteht demnach aus einem Prozess, einem o<strong>der</strong> mehreren Partizipanten und<br />

eventuell aus einem o<strong>der</strong> mehreren Zirkumstantialen, die jeweils <strong>als</strong> Satzglie<strong>der</strong> geformt<br />

werden. An<strong>der</strong>erseits werden Figuren miteinan<strong>der</strong> verbunden, was auch durch die ideationelle<br />

Metafunktion zu Stande kommt. Die zwei ideationellen Teilfunktionen werden experientielle<br />

Metafunktion bzw. logische Metafunktion genannt. Im Folgenden wird es hauptsächlich um<br />

die logische Funktion gehen.<br />

Es werden jeweils auf dem grammatischen und dem semantischen Stratum zwei logische<br />

Systeme behauptet, die einerseits die Art <strong>der</strong> Verbindung zwischen den Figuren/Sätzen,<br />

an<strong>der</strong>erseits die Gewichtung dieser betreffen (vgl. Modell 2).<br />

Alexandra Holsting – Deutsche Grammatik im europäischen Dialog (Krakau 2006) - 2


Semantisches Stratum<br />

Sequenz<br />

Grammatisches Stratum<br />

Satzkomplex<br />

Logiko-<br />

Semantik<br />

Gewichtung<br />

Logiko-<br />

Semantik<br />

<strong>Taxis</strong><br />

verschiedene Realitätsebene<br />

dieselbe Realitätsebene<br />

Gleichheit<br />

Ungleichheit<br />

Projektion<br />

Expansion<br />

Parataxe<br />

Hypotaxe<br />

Modell 2: Logische Systeme auf dem semantischen und dem grammatischen Stratum<br />

Die Expansion und die Projektion realisieren jeweils die Bedeutungen ‚zur selben<br />

Realitätsebene gehörend’ bzw. ‚zu verschiedenen Realitätsebenen gehörend’. Projektion heißt<br />

ungefähr dasselbe wie Rede- und Gedankenwie<strong>der</strong>gabe und kann dann auch weiter differenziert<br />

werden, je nach dem ob <strong>der</strong> projizierte Satz eine Rede o<strong>der</strong> einen Gedanken darstellt. In<br />

<strong>der</strong> Expansion gibt es eine weitere Wahl zwischen Elaboration, Extension und Enhancement.<br />

Elaboration heißt, dass ein Satz einen an<strong>der</strong>en Satz expandiert, indem er den ganzen<br />

Satzinhalt o<strong>der</strong> Teile davon exemplifiziert, erläutert o<strong>der</strong> kommentiert. Bei <strong>der</strong> Extension<br />

wird neue Information dem ersten Satz hinzugefügt, in <strong>der</strong> Form von Addition, Alternation<br />

etc. Enhancement heißt, dass dem Inhalt eines Satzes Information in Bezug auf Umstände wie<br />

z.B. Kausalität, Temporalität und Finalität hinzugefügt wird.<br />

Das grammatische <strong>Taxis</strong>system realisiert dann die semantische Gewichtung. Sind die Figuren<br />

semantisch gleichgewichtet, wird ein parataktischer Satzkomplex präselektiert, sind sie<br />

ungleich gewichtet, bietet sich ein hypotaktischer Satzkomplex an. Eine Erläuterung dieser<br />

semantischen Opposition (Gleichheit/Ungleichheit) ist in <strong>der</strong> <strong>SFL</strong>-Literatur nicht vorhanden.<br />

Selbst HALLIDAY/MATTHIESSEN (1999), die sich spezifisch mit <strong>der</strong> ideationellen Semantik<br />

beschäftigen, erklären diese nur <strong>als</strong> ‚das, was durch Parataxe bzw. Hypotaxe realisiert wird’,<br />

wobei ‚gleich’ und ‚ungleich’ <strong>als</strong> semantische Begriffe ziemlich leer bleiben. Unerklärt bleibt<br />

deshalb auch, warum diese Opposition mit einer ideationellen Bedeutung verbunden ist.<br />

Im Folgenden geht es ausschließlich um die Expansionssätze, die in Modell 3 exemplifiziert<br />

sind:<br />

Alexandra Holsting – Deutsche Grammatik im europäischen Dialog (Krakau 2006) - 3


Parataxe Hypotaxe<br />

Elaboration Sie versteht mich nicht:<br />

das ist ein Problem.<br />

Extension Montag war ich im<br />

Kino, und Dienstag habe<br />

ich geschlafen.<br />

Enhancement Er hat nicht mitgemacht,<br />

denn er war sauer.<br />

Sie versteht mich nicht,<br />

was ein Problem ist.<br />

Während ich Montag im<br />

Kino war, habe ich<br />

Dienstag geschlafen.<br />

Er hat nicht mitgemacht,<br />

weil er sauer war.<br />

Modell 3: Beispiele <strong>der</strong> Kombinationen von <strong>Taxis</strong> und Expansion<br />

Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass innerhalb <strong>der</strong> <strong>SFL</strong> ein Satzkomplex eben <strong>als</strong> ein<br />

Komplex von an sich vollständigen Sätzen aufgefasst wird. Es geht <strong>als</strong>o in den hypotaktischen<br />

Fällen nicht um eine Konstituensrelation, son<strong>der</strong>n um eine Dependenzrelation, und <strong>der</strong><br />

untergeordnete Satz ist daher nicht <strong>als</strong> Gliedsatz zu verstehen. Er ist nicht in den übergeordneten<br />

Satz eingebettet, son<strong>der</strong>n ihm nur angeglie<strong>der</strong>t. Dies bedeutet u.a., dass innerhalb dieser<br />

Beschreibung Kausal-, Temporal- und Konditionalnebensätze nicht <strong>als</strong> Adverbiale (in <strong>der</strong><br />

<strong>SFL</strong>-Terminologie: Zirkumstantiale) betrachtet werden, son<strong>der</strong>n <strong>als</strong> hypotaktisch angeglie<strong>der</strong>te<br />

Sätze zirkumstantieller Art. Dazu schreiben MATTHIESSEN/THOMPSON (1988):<br />

„In many traditional grammars, we only have two categories at our disposal, embedding and clause<br />

combining by coordination [...]. They are usually simply called subordination and coordination. Given<br />

that only ‚subordination’ and ‚coordination’ have been available as analytic tools to many grammarians, it<br />

is perhaps not surprising that they have tried to force examples [of hypotactic enhancement] into the<br />

subordination model by calling them adverbi<strong>als</strong>.” [MATTHIESSEN/THOMPSON (1988: 282)]<br />

Die <strong>SFL</strong>-Theoretiker opponieren dagegen, dass alle Nebensätze automatisch <strong>als</strong> Gliedsätze<br />

eingestuft werden. Als Alternative schlagen sie vor, nur von Gliedsätzen zu reden, wenn es<br />

um Sätze geht, die Partizipantfunktionen realisieren (d.h. Subjektsätze und Objektsätze und<br />

darüber hinaus restriktive Relativsätze). Während Partizipanten <strong>als</strong>o Satzform, Gruppenform<br />

o<strong>der</strong> Wortform haben können, können Zirkumstantiale (d.h. Adverbiale) per Definition nur<br />

Gruppen- o<strong>der</strong> Wortform haben.<br />

Dieser Analysevorgang kommt mir problematisch vor, zum Ersten weil die Form allein<br />

bestimmt, um welche Funktion es geht, was mir nicht beson<strong>der</strong>s funktional erscheint. Zum<br />

an<strong>der</strong>en werden dadurch grammatische Unterschiede innerhalb <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> hypotaktischen<br />

Enhancementsätze vernachlässigt.<br />

Unterschiede zwischen hypotaktischen Enhancementsätzen bezüglich des grammatischen<br />

Potenti<strong>als</strong> gibt es schon im Englischen. So führt z.B. MATTHIESSEN (1995: 197) an, Partizipanten<br />

und Zirkumstantiale könnten wegen ihres Status <strong>als</strong> experientielle Elemente <strong>als</strong><br />

fokussierte Glie<strong>der</strong> in einer Satzspaltung auftreten:<br />

(1) Waldo was missing yesterday.<br />

(1’) It was Waldo who was missing yesterday.<br />

(1’’) It was yesterday that Waldo was missing.<br />

Hypotaktische Enhancementsätze haben nicht ein solches experientielles Status;<br />

MATTHIESSEN (1995) bemerkt jedoch, dass auch einige hypotaktische Enhancementsätze auf<br />

diese Weise fokussiert werden könnten (MATTHIESSEN (1995: 157f)), z.B.:<br />

(2) When we were about to leave, we discovered that Waldo was missing.<br />

(2’) It was when we were about to leave that we discovered that Waldo was missing.<br />

Die Schlussfolgerung scheint jedoch hier zu sein, dass diese Möglichkeit ohne Bedeutung ist,<br />

weil sie nicht für alle Expansionssätze gilt. Anstatt <strong>als</strong>o eine Differenzierung <strong>der</strong> Enhance-<br />

Alexandra Holsting – Deutsche Grammatik im europäischen Dialog (Krakau 2006) - 4


mentsätze auf Grund von Verschiedenheiten im grammatischen Potential zu überlegen, wählt<br />

man hier eine Vernachlässigung <strong>der</strong> grammatischen Verschiedenheiten. Damit geraten die<br />

<strong>SFL</strong>-Theoretiker jedoch in dieselbe Problematik wie die traditionelle Grammatik: Während<br />

dieser nur die Möglichkeit zur Verfügung steht, alle untergeordneten Sätze <strong>als</strong> eingebettet zu<br />

betrachten, müssen jene alle untergeordneten Sätze (mit Ausnahme <strong>der</strong> Partizipanten) <strong>als</strong><br />

nicht-eingebettet einstufen. Grammatische Unterschiede zwischen den jeweiligen Enhancementsätzen,<br />

z.B. in Bezug auf die Satzspaltungsmöglichkeit, müssen daher vernachlässigt<br />

werden.<br />

3 Hypotaktische Enhancementsätze im Deutschen<br />

Auch im Deutschen erweisen sich die hypotaktischen Enhancementsätze <strong>als</strong> eine grammatisch<br />

heterogene Gruppe. Dies kann am Beispiel von den kausalen weil- und da-Sätzen illustriert<br />

werden.<br />

Da und weil sind beide kausale unterordnende Konjunktionen, und von ihnen eingeleitete<br />

Sätze würden deshalb in <strong>der</strong> <strong>SFL</strong>-Analyse gemeinsam <strong>als</strong> hypotaktische Enhancement-Sätze<br />

behandelt werden. Z.B.:<br />

(3) Er fuhr nach Hause, da er krank war.<br />

(4) Er fuhr nach Hause, weil er krank war.<br />

Wie manchmal in <strong>der</strong> Forschung festgestellt, können sich solche Sätze jedoch sehr unterschiedlich<br />

benehmen:<br />

a) In Bezug auf Korrelate: so genannte propositionelle weil-Sätze erlauben ein Korrelat im<br />

Matrixsatz; dies tun die da-Sätze nicht:<br />

(5) Er fuhr deshalb nach Hause, weil er krank war.<br />

(6) *Er fuhr deshalb nach Hause, da er krank war.<br />

b) In Bezug auf die Funktion <strong>als</strong> Antwort auf eine Frage mit warum:<br />

(7) Warum fuhr er nach Hause? Weil er krank war.<br />

(8) Warum fuhr er nach Hause? *Da er krank war.<br />

c) In Bezug auf den Skopus einer Negation o<strong>der</strong> Gradpartikel im Matrixsatz. Weil-Sätze<br />

können auf diese Weise negiert werden, da-Sätze nicht:<br />

(9) Er fuhr nicht nach Hause, weil er krank war ( son<strong>der</strong>n weil er müde war)<br />

(10) Er fuhr nicht nach Hause, da er krank war ( *son<strong>der</strong>n da er müde war)<br />

Die Negation kann den da-Satz nicht negieren, und ein dem Satzkomplex angeknüpfter<br />

son<strong>der</strong>n-Satz wird sich deshalb auf den Matrixsatz-Inhalt beziehen. D.h. möglich wäre hier:<br />

(10’) Er fuhr nicht nach Hause, da er krank war, son<strong>der</strong>n er blieb bei den Eltern.<br />

Diese Unterschiede deuten darauf hin, dass es um verschiedene Grade syntaktischer<br />

Integration in den Matrixsatz geht. Der weil-Satz benimmt sich tatsächlich wie ein Satzglied,<br />

<strong>der</strong> da-Satz eher wie eine Hinzufügung zu einem an sich vollständigen Satz.<br />

Nicht überraschend benimmt ein parataktischer Enhancementsatz mit denn sich in Bezug auf<br />

diese Kriterien wie ein da-Satz, nicht wie ein weil-Satz:<br />

Ein denn-Satz kann kein Korrelat haben:<br />

(11) *Er fuhr deshalb nach Hause, denn er war krank.<br />

Ein denn-Satz kann nicht eine warum-Frage beantworten:<br />

(12) Warum fuhr er nach Hause? *Denn er war krank.<br />

Ein denn-Satz kann nicht im Skopus einer Negation o<strong>der</strong> Gradpartikel stehen:<br />

Alexandra Holsting – Deutsche Grammatik im europäischen Dialog (Krakau 2006) - 5


(13) Er fuhr nicht nach Hause, denn er war krank. ( *son<strong>der</strong>n denn er war müde)<br />

Den da- und denn-Sätzen scheint <strong>als</strong>o eine Nicht-Integration in den an<strong>der</strong>en Satz gemeinsam<br />

zu sein. So behauptet u.a. M. BRANDT (1996), dass nur <strong>der</strong> da-Satz in einen denn-Satz (o<strong>der</strong><br />

in einen selbständigen Satz) transformiert werden könne, ohne dass es Konsequenzen für den<br />

an<strong>der</strong>en Satz habe (BRANDT (1996: 217)). Dies sei für den weil-Satz nicht möglich. BRANDT<br />

zufolge hängt das damit zusammen, dass in den weil-Satzverbindungen nur eine<br />

Informationseinheit vorhanden ist, während in den da- und denn-Sätzen jeweils zwei Informationseinheiten<br />

vorhanden sind. Die Wahl zwischen dem hypotaktischen da-Satz und dem<br />

parataktischen denn-Satz hängt mit einer pragmatischen Gewichtung zusammen: <strong>der</strong> da-Satz<br />

stellt seine Informationseinheit <strong>als</strong> nicht-negotiable Hintergrundinformation dar; <strong>der</strong> denn-<br />

Satz hingegen stellt seine Informationseinheit <strong>als</strong> negotiable, mit <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Informationseinheit<br />

gleichgewichtete, Information dar.<br />

In Bezug auf diesen pragmatischen Bedeutungsunterschied kann ein Paradigma aufgestellt<br />

werden, in dem die Wahl zwischen parataktischen und hypotaktischen Satzkomplexen mit<br />

einer Opposition zwischen negotiabler und nicht-negotiabler Information zu tun hat. Wenn<br />

dagegen die Gruppe <strong>der</strong> hypotaktischen Sätze auch die oben erwähnten weil-Sätze (und mit<br />

ihnen verwandte untergeordnete Sätze) umfassen soll, dann wird es meines Erachtens fast<br />

unmöglich, die semantische Opposition ‚gleich/ungleich’ funktional zu erklären. Darüber<br />

hinaus bedeutet eine Ausgrenzung <strong>der</strong> Adverbi<strong>als</strong>ätze auch, dass es nicht notwendig wird,<br />

grammatische Unterschiede zu vernachlässigen.<br />

Pragmatische Aspekte in diesem Sinne werden in <strong>der</strong> <strong>SFL</strong> gewöhnlicherweise <strong>als</strong><br />

interpersonelle, nicht ideationelle, Bedeutungen behandelt. Die Wahl zwischen Parataxe und<br />

Hypotaxe in dem hier vorgeschlagenen engeren Sinne hängt dann mit dem interaktionellen<br />

Status des Satzes zusammen, d.h. ob er <strong>als</strong> negotiabel bzw. nicht-negotiabel dargestellt<br />

werden soll, o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s ausgedrückt, ob er einen Zug <strong>der</strong> Interaktion konstituiert o<strong>der</strong> nicht.<br />

Diese Wahl ist für die eingebetteten Adverbi<strong>als</strong>ätze nicht relevant, denn sie treten <strong>als</strong> Teil<br />

eines an<strong>der</strong>en Satzes auf und sind mit ihm gemeinsam negotiabel o<strong>der</strong> stellen mit ihm<br />

gemeinsam einen interaktionellen Zug dar.<br />

4 Zusammenfassung<br />

Die <strong>SFL</strong>-Beschreibung behauptet, eine <strong>systemisch</strong>e und funktionale Beschreibung <strong>der</strong><br />

Sprache zu sein. Bezüglich <strong>der</strong> Satzkomplexität werden jedoch beide Aspekte nur mangelhaft<br />

behandelt. Einerseits bietet die <strong>SFL</strong> keine befriedigende Erklärung des Bedeutungsunterschiedes<br />

zwischen Parataxe und Hypotaxe, da diese nur mit den fast leeren Bezeichnungen<br />

<strong>der</strong> ideationellen Gleichheit bzw. Ungleichheit gleichgestellt werden. An<strong>der</strong>erseits<br />

kann meines Erachtens keine tatsächliche Wahl zwischen Parataxe und Hypotaxe aufgestellt<br />

werden, solange die Hypotaxe keine einheitliche Kategorie darstellt.<br />

Durch die im Beitrag vorgeschlagene Ausgrenzung <strong>der</strong> syntaktisch integrierten ‚Adverbi<strong>als</strong>ätze’<br />

stellen die hypotaktischen Expansionssätze eine homogenere Gruppe dar und sind, was<br />

das grammatische Potential betrifft, in größerem Maße mit den parataktischen Sätzen<br />

vergleichbar.<br />

Der funktionale Unterschied zwischen Parataxe und Hypotaxe in diesem engeren Sinne ist<br />

jedoch eher von interpersoneller <strong>als</strong> von ideationeller Art, und die <strong>Taxis</strong> muss demzufolge <strong>als</strong><br />

eine Ressource zum Ausdruck von Negotiabilität des neben- bzw. untergeordneten Satzes<br />

betrachtet werden.<br />

Alexandra Holsting – Deutsche Grammatik im europäischen Dialog (Krakau 2006) - 6


Literatur<br />

ANDERSEN, T. / HELM PETERSEN, U. / SMEDEGAARD F. (2001): Sproget som ressource. Dansk<br />

systemisk funktionel lingvistik i teori og praksis. Odense.<br />

BRANDT, M. (1996): Subordination und Parenthese <strong>als</strong> Mittel <strong>der</strong> Informationsstrukturierung in<br />

Texten. In: MOTSCH, W. (Hrsg.): Ebenen <strong>der</strong> Textstruktur. Sprachliche und kommunikative<br />

Prinzipien. Tübingen. S. 211-240.<br />

HALLIDAY, M. A. K. / MATTHIESSEN, C. (1999): Construing Experience Through Meaning. A<br />

Language-based Approach to Cognition. London.<br />

HALLIDAY, M. A. K. / MATTHIESSEN, C. (2004): An Introduction to Functional Grammar.<br />

London/New York/Sydney/Auckland.<br />

HELM PETERSEN, U. (i.E.): Bedeutung, Funktion und Form.<br />

MATTHIESSEN, C. / THOMPSON, S. A. (1988): The Structure of Discourse and ’Subordination’. In:<br />

HAIMAN, J. / THOMPSON, S. A. (Hrsg.): Clause Combining in Grammar and Discourse. Amsterdam/<br />

Philadelphia. S. 275-329.<br />

MATTHIESSEN, C. (1995): Lexicogrammatical Cartography: English Systems. Tokyo/Taipei/ Dallas.<br />

STEINER, E. / TEICH, E. (2004): German: a Metafunctional Profile. In: CAFFAREL, A. / MARTIN, J. /<br />

MATTHIESSEN C. (Hrsg.): Language Typology: a Functional Perspective. Berlin/New York. S. 139-<br />

184<br />

Alexandra Holsting<br />

Universität Kopenhagen, Kopenhagen, Dänemark<br />

alexandrah@hum.ku.dk<br />

http://engerom.ku.dk/<br />

Alexandra Holsting – Deutsche Grammatik im europäischen Dialog (Krakau 2006) - 7

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