beide, fort - Felix Hutt | journalism
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■2 Deutschland<br />
„Alle b
eide, <strong>fort</strong>“<br />
im August starb der<br />
bayerische Grünen-Chef<br />
SEPP DAXEnbERGER<br />
an Krebs – drei Tage nach<br />
dem Krebstod seiner<br />
Frau GERTRAUD. Seitdem<br />
leben die drei Söhne<br />
<strong>Felix</strong>, Kilian und benedikt<br />
auf dem elterlichen Hof<br />
im Chiemgau, umsorgt von<br />
ihren Großeltern,<br />
die nun plötzlich wieder<br />
Eltern sein müssen<br />
Text FELiX HUTT Fotos REGinA RECHT<br />
im Herrgotts-<br />
winkel ein bild der<br />
Verstorbenen:<br />
<strong>Felix</strong> (l.), 20, Kilian, 17,<br />
und der 71-jährige<br />
Großvater Sepp<br />
Daxenberger in der<br />
Stube des Hofes<br />
in Waging. Das kleine<br />
bild zeigt <strong>Felix</strong> (r.)<br />
und Kilian 1996<br />
mit ihren Eltern<br />
1/2011 stern 125<br />
FOTO: AXEL SCHULZ-EPPERS/ACTiOn PRESS
■2 Deutschland<br />
D ie Großmutter, die<br />
nun wieder Mutter sein muss,<br />
sitzt in der Küche und weint. Es<br />
ist noch früh an diesem grauen<br />
Samstag Anfang Dezember, der<br />
Großvater arbeitet mit den Enkeln<br />
im Silo, sie bereiten Futter<br />
für die Kühe vor. Theresa Daxenberger,<br />
genannt Resi, hat Kaffee<br />
gekocht und Holz in den Kachelofen<br />
gesteckt. Schön gemütlich<br />
könnte es sein, wären da nicht<br />
die Gesichter der Toten, die einen<br />
von den Wänden ansehen.<br />
Im Herrgottswinkel steht ein<br />
Bild von Gertraud und Sepp Daxenberger,<br />
davor liegen Tannenzweige,<br />
darüber hängt ein Kruzifix.<br />
Am 15. August erlag Gertraud<br />
Daxenberger ihrem Krebsleiden.<br />
Drei Tage später, am Tag ihrer<br />
Beerdigung, starb ihr Mann Sepp,<br />
der bayerische Grünen-Chef,<br />
ebenfalls an Krebs. Sie hinterließen<br />
einen Bauernhof und drei<br />
Söhne: <strong>Felix</strong>, 20, Kilian, 17, und<br />
Benedikt, 13. Zwischen einem<br />
Sonntag und einem Mittwoch im<br />
August wurden aus drei Söhnen<br />
Vollwaisen, und es ist der kurz<br />
aufeinanderfolgende Tod einer<br />
49-jährigen Mutter und eines 48jährigen<br />
Vaters, der die Geschichte<br />
der Familie zu einer der traurigsten<br />
des Jahres macht.<br />
Die Daxenbergers, drei Enkel,<br />
Großvater, Großmutter, leben<br />
weiter, sie machen weiter, weil es<br />
weitergehen muss. Wenn Theresa<br />
Daxenberger von jener Woche im<br />
August spricht, versagt ihr die<br />
Stimme, dann ballt sich ihre rechte<br />
Faust um das zerknüllte Taschentuch.<br />
Sie geht an den Herd, formt<br />
aus Teig Semmelknödel, die Beilage<br />
zum Gulasch, dem Mittagessen<br />
für die Männer, die ihr<br />
geblieben sind. Sepp sen., 71, ihr<br />
Mann, der seit dem Tod seines<br />
Sohnes viel arbeitet und wenig<br />
spricht, und ihre drei Enkel.<br />
Nächstes Jahr wird Theresa Da-<br />
126 stern 1/2011<br />
xenberger 70 Jahre alt, ihren<br />
Händen sieht man an, dass sie<br />
ihr ganzes Leben lang mit ihnen<br />
gearbeitet hat. Sie wollte längst<br />
ein wenig kürzertreten, nicht<br />
mehr jeden Morgen um halb<br />
sechs in den Stall, nicht mehr<br />
jeden Tag in die Küche, sondern<br />
ein bisschen was unternehmen,<br />
ab und zu einen Kuchen backen,<br />
was man eben so macht als Oma.<br />
Aber dass es so gekommen ist,<br />
dass die Jungen ohne ihre Eltern<br />
aufwachsen, das hat ja keiner<br />
ahnen können.<br />
Nach dem Tod ihres Sohnes und<br />
seiner Frau ging für Theresa Daxenberger<br />
das Leben fast wieder<br />
von vorn los, sie schmiert Pausenbrote,<br />
füttert die Kühe, kocht,<br />
tröstet, muntert auf, hört zu, organisiert.<br />
Was wäre, wenn sie nicht<br />
mehr könnte, darüber will sie gar<br />
nicht nachdenken. Die Eltern von<br />
Gertraud können nicht helfen, sie<br />
sind zu alt. Momente wie diesen,<br />
Momente der Schwäche, gönnt sie<br />
sich nur, wenn die anderen nicht<br />
dabei sind. „Alle <strong>beide</strong>, <strong>fort</strong>“, sagt<br />
sie langsam, schüttelt den Kopf<br />
und starrt aus dem Fenster.<br />
Draußen bedeckt Schnee den<br />
Chiemgau, die nahen Berge,<br />
den Wald, die Weiden.<br />
Der Hof der Daxenbergers liegt<br />
im Ortsteil Nirnharting von Waging<br />
am See, 120 Kilometer südöstlich<br />
von München. Es ist der<br />
Hof von Sepp Daxenberger, der<br />
hier aufgewachsen ist und nie<br />
wegwollte, der mit Leib und Seele<br />
Bauer war, und noch viel<br />
mehr. Erster grüner Bürgermeister<br />
in Bayern, Landesvorsitzender<br />
der Grünen, ein Politiker,<br />
wie es ihn eigentlich gar nicht<br />
gibt, ungeschliffen, glaubwürdig,<br />
authentisch.<br />
Blutspuren im Schnee führen<br />
zum Kühlraum neben dem Stall,<br />
wo die Rehe hängen, die der Jäger<br />
eben vorbeigebracht hat. Hier auf<br />
dem Land gehen sie anders um<br />
mit dem Tod, er gehört dazu wie<br />
der Glaube an Gott. Aber vielleicht<br />
gibt es doch eine Grenze.<br />
„Ich verstehe nicht“, sagt Theresa<br />
Daxenberger, „warum gleich alle<br />
<strong>beide</strong> gehen mussten.“<br />
*<br />
Nur wenn „ihre<br />
Männer“ nicht<br />
in der Nähe sind,<br />
erlaubt sich<br />
Theresa Daxenberger,<br />
69, etwas<br />
Fassungslosigkeit<br />
Ich verstehe<br />
nicht, warum<br />
gleich alle<br />
<strong>beide</strong> gehen<br />
mussten<br />
Theresa Daxenberger,<br />
die Großmutter<br />
Anfang der 80er Jahre taucht ein<br />
Typ im Regionalbüro der Grünen<br />
in Traunstein auf, wie man<br />
ihn hier sonst nicht so oft trifft:<br />
Sepp Daxenberger trägt Latzhose<br />
und wilden Vollbart, er ist groß<br />
und spricht breites Bayerisch,<br />
ein Mannsbild, ein Ur-Bajuware<br />
mit klaren Vorstellungen: Er sei<br />
Schmied und Bauer, gegen Atomkraft,<br />
für eine nachhaltige Landwirtschaft<br />
und vor allem gegen die<br />
Alleinherrschaft der Schwarzen,<br />
der CSU. Deren Borniertheit, deren<br />
„Wir machen das so, weil wir<br />
die absolute Mehrheit haben“, die<br />
wolle er durchbrechen.<br />
Daxenberger gilt als Exot, weil<br />
er einer der ersten Bauern ist, die<br />
ihren Hof auf Bio umstellen.<br />
Seine Kühe würden nur Brennnesseln<br />
fressen, werfen ihm die<br />
Traditionalisten vor. Der gläubige<br />
Kirchgänger ist Mitglied der Freiwilligen<br />
Feuerwehr und im Trachtenverein.<br />
Damit fremdelt er zu<br />
Beginn bei den Grünen, deren<br />
Mitglieder sich eher aus dem
urbanen Milieu der Linksintellektuellen<br />
rekrutieren. Daxenberger<br />
macht dennoch Karriere, wird<br />
1990 in den bayerischen Landtag<br />
gewählt, da ist er 28 Jahre alt.<br />
Auch privat läuft es gut, er heiratet<br />
im September desselben Jahres<br />
seine Freundin Gertraud, die<br />
zu ihm und seinen Eltern auf den<br />
Hof zieht und ihm den Rücken<br />
freihält. Der erste Sohn <strong>Felix</strong> ist<br />
einige Monate zuvor auf die Welt<br />
gekommen.<br />
In München macht der Bauer<br />
aus Waging bald von sich reden.<br />
Als er vom Landtagspräsidenten<br />
einmal gerügt wird, er sehe immer<br />
so aus, als käme er gerade aus<br />
dem Kuhstall, erwidert Daxenberger:<br />
„Mir san die Leut’ lieber,<br />
die ausschauen, als kämen sie<br />
frisch aus dem Stall als frisch vom<br />
Versicherungsbetrug.“<br />
Das ehemalige Jugendmagazin<br />
„jetzt“ der „Süddeutschen Zeitung“<br />
lädt vier Politiker nacheinander<br />
in einen Biergarten zum<br />
Interview. Am Nebentisch stellen<br />
Es muss weiter-<br />
gehen: Sepp senior<br />
füttert die Kühe.<br />
Auch Sepp junior<br />
war von ganzem<br />
Herzen Landwirt<br />
Schauspieler eine fremdenfeindliche<br />
Szene nach: Ein blonder Hüne<br />
bepöbelt eine dunkelhäutige Frau,<br />
so laut, so widerlich, dass man es<br />
nicht überhören kann. Die Journalisten<br />
wollen wissen, wie sich<br />
die Politiker bei rassistischen Übergriffen<br />
verhalten. Die Herren von<br />
CSU, SPD und FDP tun so, als<br />
würden sie die Szene nicht bemerken,<br />
oder reagieren kaum.<br />
Daxenberger steht so<strong>fort</strong> auf, ruft:<br />
„Hey! Hallo, Sie! Lassen Sie die<br />
Frau in Ruh’!“ und bittet die Frau<br />
zu sich an den Tisch. Die Schauspielerin<br />
muss den aufgebrachten<br />
Sepp erst mal beruhigen.<br />
Daxenberger wird bekannt in<br />
München, in Bayern, die Medien<br />
finden Gefallen an dem Unorthodoxen,<br />
der immer für eine Schlagzeile<br />
gut ist, der sich trotz aller<br />
Schmeicheleien aber treu bleibt.<br />
Nach sechs Jahren in München<br />
hat Daxenberger genug<br />
von den Krawattenträgern<br />
und Theoretikern in der<br />
Landeshauptstadt. Er will zurück<br />
nach Hause, lieber im Kleinen etwas<br />
verändern als im Landtag<br />
fruchtlose Opposition betreiben.<br />
Mittlerweile ist sein zweiter Sohn<br />
Kilian geboren, 1998 kommt der<br />
dritte, Benedikt.<br />
Der Grüne kandidiert im tiefschwarzen<br />
Waging für das Bürgermeisteramt.<br />
Und gewinnt. Fragt<br />
man die, die mit ihm zusammengearbeitet<br />
haben, nach seinem Erfolgsrezept,<br />
antworten alle, dass er<br />
keins gehabt habe. „Der Sepp hat<br />
einfach gesagt, was ihm am Herzen<br />
lag. Er hat sich nie verstellt,<br />
das konnte er gar nicht“, sagt<br />
Heinrich Thaler, ein enger Freund.<br />
„Was ist der Unterschied zwischen<br />
einer Krawatte und einem Kuhschwanz?<br />
Der Kuhschwanz verdeckt<br />
das ganze Arschloch.“ Thaler<br />
muss lachen. Das sei so einer dieser<br />
derben Witze, die der Sepp<br />
gern erzählt habe. Allerdings nur,<br />
fügt er hinzu, wenn keine Frauen<br />
in der Nähe gewesen sind.<br />
Daxenberger wird 2002 als Bürgermeister<br />
wiedergewählt, die<br />
Grünen machen ihn zu ihrem<br />
Landesvorsitzenden. Sie haben<br />
längst erkannt, dass sie mit dem<br />
volksnahen Sepp bei den Wählern<br />
punkten können. Nach sechs Jahren<br />
Kommunalpolitik reizt es<br />
Daxenberger nun, <strong>beide</strong> Bühnen<br />
bespielen zu können. Die kleine<br />
in Waging, die große in München.<br />
Sein Leben lässt sich gut an, bis er<br />
im Sommer 2003 zum Arzt muss.<br />
Immer diese Erschöpfung. Er<br />
glaubt, er habe eine verschleppte<br />
Grippe. Der Arzt stellt „besorgniserregende<br />
Blutwerte“ fest, wenig<br />
später kommt die Diagnose: ein<br />
Plasmozytom, eine bisher unheilbare<br />
Form von Knochenmarkkrebs.<br />
Für die Ärzte wäre es ein<br />
Erfolg, würde er noch vier Jahre<br />
leben.<br />
Der Krebs frisst Löcher in seine<br />
Knochen, einmal bricht Daxenberger<br />
sich eine Rippe, als er sich<br />
im Badezimmer streckt und einen<br />
Duschvorhang aufhängen will. Er<br />
unterzieht sich einer Therapie mit<br />
eigenen Stammzellen, der Heilungsverlauf<br />
scheint zuerst gut,<br />
dann bricht die Krankheit wieder<br />
aus. Nach einer zweiten Therapie<br />
mit fremden Stammzellen ist er<br />
monatelang außer Gefecht. Sein<br />
Körper wehrt sich gegen die fremden<br />
Zellen. Daxenberger magert<br />
ab, muss erneut zur Chemo und<br />
sich bestrahlen lassen.<br />
Er verheimlicht die Krankheit<br />
weder seiner Partei noch der Öffentlichkeit,<br />
zeigt sich mit Glatze,<br />
sein unerschrockener Umgang<br />
mit dem Krebs steigert seine<br />
Popularität.<br />
Er sucht Ablenkung und findet<br />
sie in seiner Arbeit, zerreißt<br />
sich zwischen dem<br />
Leben in der Politik und dem auf<br />
dem Hof. Jede Woche pendelt er<br />
zwischen der Parteizentrale in<br />
München und dem Rathaus in<br />
Waging. Daxenberger will nicht<br />
auswärts übernachten, abends<br />
wird es oft spät. Gertraud hat immer<br />
weniger Verständnis für seine<br />
Rastlosigkeit. Eine andere Frau<br />
ist bereits in sein Leben getreten.<br />
„Der Sepp hat einen Sprachfehler:<br />
Er kann einfach nicht Nein<br />
sagen“, sagt Gertraud damals zu<br />
Bekannten. Sie zieht mit den Söhnen<br />
in ein Nebenhaus auf dem<br />
Hof, den ihr Mann für einige Zeit<br />
verlässt. Er kommt nur noch zum<br />
Arbeiten her.<br />
➔<br />
1 / 2 0 1 1 stern 127<br />
FOTO: SebaSTian Widmann/ddp
■2 Deutschland<br />
Im März 2008 gibt Daxenberger<br />
sein Amt als Bürgermeister auf,<br />
konzentriert sich ganz auf seinen<br />
großen Traum: der CSU die absolute<br />
Mehrheit in Bayern zu entreißen.<br />
Und der Traum geht in Erfüllung.<br />
Bei der Landtagswahl 2008<br />
verliert die CSU ihre Mehrheit,<br />
seine Grünen kommen auf fast<br />
zehn Prozent. Sehr lange ist ihm<br />
jedoch nicht zum Feiern zumute.<br />
Bei Gertraud finden die Ärzte<br />
Anfang 2009 einen Tumor, Brustkrebs.<br />
Daxenberger trennt sich<br />
von seiner Freundin, kehrt zurück<br />
auf den Hof. Mit seinem<br />
eigenen Krebs kommt er klar,<br />
aber die Vorstellung, dass seine<br />
Söhne ohne ihre Mutter aufwachsen<br />
könnten, lässt ihm<br />
keine Ruhe. Durch die Krankheit<br />
kommen sich die <strong>beide</strong>n wieder<br />
näher, sie gehen spazieren, reden<br />
viel. Vor den Söhnen versuchen<br />
sie, optimistisch zu wirken. „Die<br />
sollen nicht das Gefühl haben,<br />
hier ist eine halbe Leichenhalle.<br />
Sie sollen ganz normal aufwachsen“,<br />
sagt Daxenberger in einem<br />
Interview.<br />
Am 6. Juli 2010 wandert die Belegschaft<br />
des Waginger Rathauses<br />
auf die Haar-Alm bei Ruhpolding.<br />
Daxenberger, der begeisterte<br />
Wanderer, ist natürlich dabei und<br />
wird in einem Jeep nach oben<br />
gebracht, zum Gehen fehlt ihm<br />
längst die Kraft. Er trinkt kein<br />
Bier mehr, die Sennerin bringt<br />
128 stern 1 / 2 0 1 1<br />
ihm Tee. Er hat Schüttelfrost, mitten<br />
im Sommer, ihm ist übel.<br />
„Heini, ich bin so schlecht beieinander,<br />
wann wird das endlich<br />
besser?“, fragt er seinen Freund<br />
Heinrich Thaler. Es ist sein letzter<br />
Ausflug in die Berge.<br />
Gertraud und Sepp Daxenberger<br />
geht es danach immer schlechter.<br />
Er liegt im Klinikum rechts<br />
der Isar in München, sie auf der<br />
Palliativstation des Krankenhauses<br />
in Traunstein. Als es das erste<br />
Mal heißt, seine Frau könnte sterben,<br />
lässt sich Daxenberger von<br />
München im Taxi nach Traunstein<br />
fahren, bleibt die Nacht<br />
über an ihrem Bett. Die Ärzte eröffnen<br />
der Familie ein paar Tage<br />
später, dass man bei ihr nichts<br />
mehr machen könne, dass sie<br />
austherapiert sei. Sie wird nach<br />
Hause gebracht, möchte auf dem<br />
Hof sterben.<br />
Nach dem Tod seiner Frau<br />
am Sonntagvormittag des<br />
15. August resigniert Sepp<br />
Daxenberger. Er habe einfach<br />
keine Kraft mehr, sagt er. Aber er<br />
wolle unbedingt noch auf ihre<br />
Beerdigung, und wenn sie ihn<br />
im Krankenbett hinführen! Am<br />
Dienstag lässt er den Notar und<br />
seine Söhne ins Krankenhaus<br />
nach Traunstein bringen und regelt<br />
das Testament.<br />
Doch zur Beerdigung seiner<br />
Frau schafft er es nicht mehr.<br />
Anpacken: Kilian<br />
und <strong>Felix</strong> (vorn)<br />
bereiten das Futter<br />
für die Kühe vor<br />
Er machte kein<br />
Geheimnis aus<br />
seiner Krankheit:<br />
Sepp Daxenberger<br />
2003 und ein Jahr<br />
später während der<br />
Chemotherapie<br />
Sepp Daxenberger stirbt in der<br />
Nacht von Dienstag auf Mittwoch,<br />
eine halbe Stunde nach Mitternacht.<br />
Bei ihm sind seine Mutter<br />
und seine Schwester, sein Vater<br />
ist zuvor nach Hause gefahren. Er<br />
hielt es nicht aus.<br />
*<br />
Großvater Sepp, <strong>Felix</strong> und<br />
Kilian sind fertig im Stall<br />
und kommen ins Haus. Sie<br />
waschen sich die Hände, setzen<br />
sich an den Tisch, an dem Resi<br />
Daxenberger gleich das Mittagessen<br />
serviert. Der Opa und seine<br />
zwei Enkel reden nicht über<br />
die, die fehlen. Was passiert ist,<br />
schwebt im Raum wie trauriger<br />
Nebel. Sie sprechen über das, was<br />
als Nächstes ansteht, heute, nicht<br />
morgen. Über die Zukunft nachzudenken,<br />
haben sie aufgegeben.<br />
Wer weiß schon, was da wieder<br />
alles kommt? Der Opa möchte<br />
nach Waging fahren, die Couch<br />
braucht einen neuen Bezug. Kilian<br />
will am Computer spielen, und<br />
<strong>Felix</strong> wird ins Holz gehen, einen<br />
Baum fällen, für den Ofen.<br />
Die Frage „Wie macht man weiter,<br />
wenn auf einmal <strong>beide</strong> Eltern<br />
fehlen?“ beantwortet <strong>Felix</strong> später<br />
sehr pragmatisch: Man habe nicht<br />
lange Zeit, darüber nachzudenken,<br />
vom Grübeln würden die<br />
Kühe im Stall nicht satt. Einen<br />
Tag nach der Beerdigung seines<br />
Vaters sei er wieder in den Stall.<br />
Es müsse weitergehen, so einfach<br />
sei das.<br />
Heinrich Thaler, der alte Freund,<br />
und Theresa Schopper, die Vorsitzende<br />
der bayerischen Grünen, sowie<br />
ein paar andere Freunde und<br />
Bekannte fragen regelmäßig nach<br />
auf dem Hof, wie es geht, und packen<br />
an, wenn sie helfen können.<br />
Theresa Schopper sagt: „Die Jungen<br />
haben seit August eine Turboreifung<br />
durchgemacht.“<br />
<strong>Felix</strong> gehört jetzt der Hof, er<br />
trägt die Verantwortung, mit 20<br />
Jahren, einem Alter, in dem man<br />
sonst die Nächte auf Partys durchmacht.<br />
Seit dem Tod seiner Eltern<br />
läuft vieles bei ihm zusammen.<br />
Der Papierkram, die finanziellen<br />
Angelegenheiten. Gerade wurden<br />
die Lebensversicherungen ausgezahlt,<br />
von denen muss er Hypo- ➔<br />
FOTOS: KlauS Brenninger/SZ PhOTO; FranK leOnhardT/dPa
theken abbezahlen, seine Großeltern,<br />
die Brüder und sich selbst<br />
durchbringen. Niemals und niemanden<br />
will er um finanzielle<br />
Hilfe bitten, das sei nicht seine<br />
Art, sagt er.<br />
Unter der Woche müssen sich<br />
die Großeltern und Kilian allein<br />
um den Hof kümmern, dann studiert<br />
<strong>Felix</strong> Wald- und Forstwirtschaft<br />
in Weihenstephan bei Freising.<br />
Er ist im ersten Semester,<br />
das Studium lenkt ihn ab und<br />
bringt Spaß. <strong>Felix</strong> kann sich gut<br />
vorstellen, den Hof eines Tages<br />
zu übernehmen. „Wenn er bloß<br />
eine Frau findet, die dieses Leben<br />
mitmacht“, sorgt sich Oma Resi.<br />
Von denen gebe es nicht mehr<br />
viele.<br />
Die Brüder gehen sehr unterschiedlich<br />
mit der Situation um.<br />
Während <strong>Felix</strong> stark und erwachsen<br />
auftreten muss, kann Kilian<br />
noch ein wenig Teenager sein. Er<br />
hat einen Grungebart und einen<br />
roten Discostempel auf der Hand,<br />
letzte Nacht war er feiern. Er<br />
Stütze im Alltag:<br />
Sepp Daxenbergers<br />
Schwester Theresa<br />
hilft, wo sie kann.<br />
Sie ist der Vormund<br />
ihrer nicht voll-<br />
jährigen Neffen<br />
und kümmert<br />
sich vor allem um<br />
Benedikt, 13<br />
lacht viel, ihm merkt man den<br />
Schicksalsschlag nicht an, aber<br />
seine Großmutter sagt, er mache<br />
alles mit sich selbst aus, wie<br />
sein Opa. Im Februar wird er 18,<br />
eigentlich dürfte er schon jetzt<br />
Auto fahren, weil er den Führerschein<br />
mit 17 gemacht hat. Aber<br />
als Fahrbegleiterin hat Kilian seine<br />
Mutter eintragen lassen.<br />
Resi Daxenberger stellt das<br />
Gulasch auf den Tisch, geht<br />
ins Wohnzimmer und lässt<br />
ihre Männer allein essen. Sie hat<br />
das Gefühl, die seien ohne sie unbefangener.<br />
Großvater Sepp möchte<br />
ein Bier. Sie bringt es ihm.<br />
Nach dem Mittagessen fährt<br />
<strong>Felix</strong> Daxenberger mit dem Traktor<br />
in den Wald. Mit einer Motorsäge<br />
fällt er eine sehr hohe<br />
Fichte, die mit einem dumpfen<br />
Rums auf den Boden fällt. Schnee<br />
stäubt auf, Zufriedenheit legt sich<br />
in sein Gesicht. Er sagt es nicht<br />
direkt, aber man merkt ihm an,
dass er stolz ist, Bauer zu sein.<br />
Stolz auf den Wald, auf das Land,<br />
das Erbe seines Vaters. Wie der<br />
fühlt er sich wohl hier draußen,<br />
erzählt gern, wie sein Vater<br />
immer als Erstes in den Stall<br />
oder ins Moos gegangen ist,<br />
wenn er nach Hause kam, egal,<br />
wie krank er war. <strong>Felix</strong> Daxenberger<br />
lebt das Leben seines<br />
Vaters weiter, nicht weil man es<br />
von ihm erwartet, sondern weil<br />
er es will.<br />
Über dessen Affären hätten<br />
sich die Brüder geärgert, klar,<br />
aber der Vater sei trotzdem immer<br />
für sie da gewesen, habe sie<br />
mit auf Wanderungen genommen,<br />
ihnen so viel gezeigt.<br />
Als er aus dem Wald zurückkehrt,<br />
kommt sein kleiner Bruder Benedikt<br />
gerade an. Seine Tante setzt<br />
ihn ab, er durfte letzte Nacht bei<br />
einem Freund übernachten. Die<br />
Tante ist Benedikts Vormund, sie<br />
wohnt auf einem Hof in der Nähe,<br />
hilft, wo sie kann.<br />
Ich glaube,<br />
ich habe das<br />
alles noch gar<br />
nicht richtig<br />
realisiert<br />
<strong>Felix</strong> Daxenberger<br />
Benedikt kommt am schlechtesten<br />
klar ohne die Eltern, vor<br />
allem ohne die Mutter. Er hat sich<br />
zurückgezogen, ganz tief in sich<br />
selbst, und bekommt psychologische<br />
Hilfe. Antidepressiva oder<br />
andere Medikamente muss er<br />
nicht nehmen, die Familie versucht<br />
es auf andere Art. Mit Kässpätzle<br />
zum Beispiel, seinem<br />
Leibgericht. Und mit sehr viel Zuwendung.<br />
Wenn er abends nicht<br />
einschlafen kann und nach seiner<br />
Mutter ruft, dann legt sich seine<br />
Großmutter Resi zu ihm ins Bett,<br />
liest ihm etwas vor.<br />
Theresa Daxenberger gibt zu,<br />
dass sie an ihre Grenzen stößt. Sie<br />
ist nun mal nicht die Mama. Bei<br />
den Hausaufgaben kann sie ihm<br />
nicht helfen, wer kann denn<br />
schon Latein?<br />
Die Arbeit ist getan für heute,<br />
<strong>Felix</strong> Daxenberger sitzt im Wohnzimmer,<br />
vielleicht geht er später<br />
auf ein Bier, allmählich wird es<br />
dunkel und sehr kalt draußen. Ne<br />
Deutschland ■2<br />
benan spielen seine Brüder am<br />
Computer. Sie tragen Kopfhörer,<br />
manchmal lachen sie.<br />
<strong>Felix</strong> und Kilian waren Ministranten,<br />
doch jetzt gehen sie nicht<br />
mehr in die Kirche. Sie erklären<br />
nicht, warum, sie sagen nur, dass<br />
es so ist. Aber ihre Oma leidet<br />
schon darunter, dass ihre Enkel<br />
„vom lieben Gott gar nix mehr<br />
wissen wollen“.<br />
An so vieles könne er sich<br />
nicht mehr erinnern, sagt <strong>Felix</strong>,<br />
die Beerdigungen, die Tage danach,<br />
wie in Trance sei die Zeit<br />
an ihm vorbeigezogen. Er habe<br />
keine Zeit zum Trauern gehabt,<br />
ständig sei etwas zu organisieren<br />
gewesen, so gehe das bis heute.<br />
Er sagt: „Ich glaube, ich habe das<br />
alles noch gar nicht richtig realisiert.“<br />
Vielleicht liegt es daran, dass<br />
das, was den Daxenbergers an<br />
Sterben zugemutet worden ist,<br />
einfach mehr ist, als eine gute<br />
Seele ertragen kann.<br />
2