Materialmappe_Die Wand_Endfassung
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DIE WAND<br />
nach Marlen Haushofer<br />
THEATERPÄDAGOGISCHE<br />
MATERIALMAPPE<br />
Stand: 21.01.2022
2<br />
INHALT<br />
VORWORT................................................................................................................................................ 3<br />
KAPITEL 1: DER ROMAN .......................................................................................................................... 5<br />
DIE AUTORIN: MARLEN HAUSHOFER .................................................................................................. 6<br />
KAPITEL 2: DIE INSZENIERUNG ................................................................................................................ 7<br />
IM GESPRÄCH MIT DEM REGISSEUR JORIS LÖSCHBURG .................................................................... 9<br />
NORDKURIER: THEATER BRINGT KULT-ROMAN „DIE WAND“ DIGITAL ANS PUBLIKUM................... 11<br />
IMPRESSIONEN .................................................................................................................................. 12<br />
KAPITEL 3: ANREGUNGEN FÜR DAS NACHGESPRÄCH........................................................................... 14<br />
KAPITEL 4: ANREGUNGEN FÜR DEN UNTERRICHT ................................................................................ 15<br />
MENSCH UND GESELLSCHAFT ........................................................................................................... 15<br />
ROBINSONADE ................................................................................................................................... 16<br />
DIE WAND ALS METAPHER ................................................................................................................ 17<br />
Daniela Strigl: DIE WAND (1963) – Marlen Haushofers Apokalypse der Wirtschaftswunderwelt ... 18<br />
SELBSTDARSTELLUNG UND REALITÄTSWAHRNEHMUNG ................................................................. 20<br />
ISOLATION ......................................................................................................................................... 22<br />
VERTRAUENSSPIEL ............................................................................................................................. 22<br />
WEITERFÜHRENDE TIPPS ....................................................................................................................... 23<br />
QUELLENVERZEICHNIS ........................................................................................................................... 24<br />
IMPRESSUM ........................................................................................................................................... 24<br />
Theaterpädagogisches Begleitmaterial I Klara Ring I Telefon: 03981 277170 I E-Mail: k.ring@tog.de
3<br />
VORWORT<br />
Liebe Pädagog*innen,<br />
was bleibt von einem Menschen übrig, der gezwungen ist, ohne jegliche soziale Beziehungen<br />
zu leben? <strong>Die</strong>ser Frage geht Joris Löschburg in seiner Inszenierung DIE WAND nach. Grundlage<br />
bildet dabei der gleichnamige Roman von Marlen Haushofer. 1963 erschienen, am Anfang<br />
teilweise stark kritisiert, wurde der Roman dennoch schnell zu einem Erfolg und galt vielen als<br />
Kultbuch der Friedensbewegung der 1960er Jahre. Das auf existentielle Bedürfnisse reduzierte<br />
Leben, die Angst vor einer Zerstörung der Natur und die Auseinandersetzung mit der eigenen<br />
Rolle innerhalb einer Gesellschaft bilden dabei noch heute grundlegende Themen.<br />
Wir wünschen Ihnen und Ihren Schüler*innen viel Freude bei der Vor- und Nachbereitung unserer<br />
digitalen Produktion DIE WAND!<br />
Herzliche Grüße<br />
Klara Ring<br />
Konzert- und Theaterpädagogin<br />
Kontakt<br />
Tel.: 03981 / 277 170<br />
k.ring@tog.de<br />
www.tog.de<br />
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DIE WAND<br />
In einer Fassung von Dorothee Hartinger<br />
Es spielen<br />
Karen Kanke<br />
Anika Kleinke<br />
Lisa Scheibner<br />
Inszenierung / Dramaturgie: Joris Löschburg<br />
Regieassistenz: Luca Voigt<br />
Sound-Komposition: Ludwig Meckel<br />
Kamera / Schnitt: Alex Klug<br />
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KAPITEL 1: DER ROMAN<br />
Der Roman DIE WAND handelt von dem Überlebenskampf einer Frau allein in den Bergen.<br />
Das Buch beginnt damit, dass jene Frau von ihrer Cousine Luise und deren Mann Hugo, zu ein paar<br />
gemeinsamen Urlaubstagen auf deren Jagdhütte eingeladen wird. Als ihre beiden Gastgeber am ersten<br />
Morgen, nachdem sie am Abend zuvor ins Dorf gelaufen sind, nicht zurückkehren, macht sich die Protagonistin<br />
zusammen mit dem Jagdhund Luchs auf die Suche nach ihnen und stößt dabei auf eine unsichtbare<br />
<strong>Wand</strong>. Hinter dieser <strong>Wand</strong>, welche scheinbar über Nacht entstanden ist und das gesamte<br />
Gebiet großräumig umzäunt, ist alles Leben in eine Totenstarre verfallen. <strong>Die</strong> Frau, welche während<br />
der gesamten Geschichte namenlos bleibt, wird von der Außenwelt abgeschirmt und ist auf sich selbst<br />
gestellt. Durch die Erkenntnis, dass es hinter der <strong>Wand</strong> kein Leben mehr zu geben scheint, versucht sie<br />
nicht einmal, die <strong>Wand</strong> zu durchbrechen, zu untergraben oder zu übersteigen, was zunächst sehr seltsam<br />
erscheint.<br />
Im Laufe des Romans lernt sie mit den neuen Umständen umzugehen und baut sich ein neues Leben<br />
auf, indem sie Vorräte zusammensammelt, einen Acker anlegt, auf dem sie anbaut, die Umgebung<br />
erkundet und sich um ihre Tiere kümmert, welche ihr mit der Zeit zulaufen. Ihre Tiere umfassen Luchs<br />
den Jagdhund, eine Katze sowie deren Junge und eine Kuh, die sie Bella tauft und welche nach einiger<br />
Zeiteinen Stier zur Welt bringt.<br />
Der Tagesablauf der Frau und welche Schwierigkeiten das Überleben ganz allein, ohne weitere Menschen,<br />
mit sich bringt, wird in der Geschichte oft und ausgiebig beschrieben.<br />
Das Ende des Romans bildet die brutale Szenerie auf der Alm, auf die die Frau mit ihren Tieren den<br />
Sommer über gezogen ist. Hier taucht ein fremder Mann auf, der zunächst den Stier und kurz darauf<br />
Luchs, nachdem dieser ihn angreift, mit einem Beil tötet. <strong>Die</strong> Frau erschießt daraufhin den Mann. Danach<br />
kehrt die sie mit den verbliebenen Tieren zum Jagdhaus zurück und versucht ihren Alltag wieder<br />
aufzunehmen, trotz der großen Trauer um ihre Tiere.<br />
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6<br />
DIE AUTORIN: MARLEN HAUSHOFER<br />
Marlen Haushofer wird am 11. April 1920, unter dem Namen Marie Helene Frauendorfer, in Frauenstein/Oberösterreich,<br />
als Tochter eines Revierförsters und einer Kammerzofe geboren. Als sie zehn<br />
Jahre alt ist, kommt sie an eine Internatsklosterschule in Linz, welche sie 1939 mit dem Abitur verlässt.<br />
Danach studiert sie Germanistik in Wien und Graz, bricht das Studium 1945 jedoch wieder ab.<br />
Mit 21 Jahren heiratet sie den Zahnarzt Manfred Haushofer und bekommt mit ihm zwei Söhne. <strong>Die</strong>se<br />
Ehe hält allerdings, aufgrund gravierender familiärer Probleme, nicht und im Jahr 1950 lässt sie sich<br />
scheiden, ohne dass die Öffentlichkeit davon erfährt. <strong>Die</strong>se Situation war für Marlen Haushofer eine<br />
große seelische Belastung, durch die sie in eine schwere Depression fiel. Ihre Kreativität wurde durch<br />
ihren seelischen Zustand nicht beeinträchtigt. Trotz der Scheidung lebt Marlen Haushofer weiterhin<br />
mit ihrem ehemaligen Mann zusammen und geht acht Jahre später erneut eine Ehe mit ihm ein.<br />
1946 schreibt Marlen Haushofer erste Kurzgeschichten, welche bald darauf in österreichischen Zeitungen<br />
und Zeitschriften abgedruckt werden. Im Jahr 1952 wird ihre erste Novelle DAS FÜNFTE JAHR vom<br />
Jungbrunnen-Verlag veröffentlicht, für welche sie mit dem Staatlichen Förderungspreis für Literatur<br />
ausgezeichnet wird. Danach entstehen bis zu ihrem Tod viele weitere Bücher. Im Jahr 1968 wird bei<br />
Marlen Haushofer Knochenkrebs diagnostiziert. Sie unterzieht sich, im Spätherbst desselben Jahres,<br />
einer Therapie. Am Anfang des darauffolgenden Jahres beginnt sie, zusätzlich zur Chemotherapie, eine<br />
Strahlenbehandlung. Ihre Freunde und Familie kümmern sich während dieser Zeit sehr um sie, jedoch<br />
hatten Marlens Freunde den Eindruck, dass die Familie den Ernst der Lage nicht wahrhaben wollte. Am<br />
21. März 1970, stirbt Marlen Haushofer im Alter von 50 Jahren, in einer Wiener Klinik.<br />
DIE WAND erscheint 1963, zu Zeiten des Kalten Kriegs und gilt als Marlen Haushofers Hauptwerk. Das<br />
Buch war zunächst, wie die meisten ihrer Werke, kein großer Erfolg, jedoch kam es 1983, also bereits<br />
nach Marlen Haushofers Tod, zu einer Neuauflage, welche sehr erfolgreich war. Das Buch erlangte<br />
zusehends an Aufmerksamkeit. Nicht nur DIE WAND, auch ihre übrigen Bücher erlangten nach ihrem<br />
Tod großen Erfolg, als die Frauenbewegung sie für sich entdeckte. So lässt sich DIE WAND als emanzipatorischer<br />
Frauenroman lesen, da sich die Protagonistin emanzipiert, sobald sie auf sich allein gestellt<br />
ist, aber auch als Zivilisationskritik. 2012 wurde das Buch von Julian Pölsler verfilmt.<br />
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7<br />
KAPITEL 2: DIE INSZENIERUNG<br />
Gerade durch die aktuelle Lage, in der sich die Welt nun schon seit zwei Jahren befindet, lassen sich<br />
Gefühle wie Einsamkeit leicht nachempfinden. Jede Person, die sich während dieser Zeit bereits in<br />
Coronaquarantäne befand, kennt womöglich das Gefühl von einer Art unsichtbaren <strong>Wand</strong> umgeben<br />
zu sein. Mit diesem Empfinden ist die Protagonistin in unserer Inszenierung DIE WAND ebenfalls konfrontiert<br />
und muss lernen, damit umzugehen.<br />
Das Theater befindet sich stets auf der permanenten Suche nach neuen und spannenden Stoffen für<br />
neue Inszenierungen. Während Zeiten von Corona kann sich das jedoch als durchaus kompliziert erweisen.<br />
In dieser Zeit wechseln sich stets Zweifel und Bangen ab, ob gespielt werden darf oder nicht.<br />
da man nie die Gewissheit hat, ob man auf die Bühne darf. Seit zwei Jahren gibt es deshalb unter<br />
anderem #DigiTOG, eine von der Theater und Orchester GmbH Neubrandenburg/Neustrelitz eingerichtete<br />
Seite, welche ein Repertoire an digitalen Vorstellungen zum Streamen anbietet.<br />
Insbesondere in die heutige Zeit, die durch die aktuelle Corona-Situation geprägt ist, fügt sich DIE<br />
WAND thematisch sehr gut ein. <strong>Die</strong> Namenlosigkeit der Protagonistin ermöglichen es den Zuschauer*innen,<br />
sich in diese hineinzuversetzen und ihre Gefühle nachzuempfinden.<br />
Der Roman DIE WAND von Marlen Haushofer erschien erstmals 1963 ohne großen Erfolg, weshalb es<br />
1983 nach dem Tod der Autorin, zu einer Neuauflage kam. Im Jahr 2012 wurde DIE WAND unter der<br />
Regie von Julian Pölsler verfilmt. In unserer Inszenierung haben wir auf die Textfassung von Dorothee<br />
Hartinger zurückgegriffen, mit leichten Adaptionen. <strong>Die</strong> daraus schlussendlich entstandene Inszenierung<br />
stammt von Joris Löschburg, die filmische Realisation durch NEUEINS.<br />
<strong>Die</strong> zentrale konzeptionelle Überlegung oder Auffälligkeit des Stücks, ist die Dreifachbesetzung der<br />
Protagonistin durch die Schauspielerinnen Karen Kanke, Lisa Scheibner und Anika Kleinke. <strong>Die</strong>se besondere<br />
Darstellung wirft zunächst einige Fragen sowie Probleme auf. Spielen alle drei Schauspielerinnen<br />
dieselbe Person? Erlebt man dieselbe Figur gealtert oder von ihrer optimistischen und pessimistischen<br />
Seite? Unser Ziel war es dabei, möglichst viel Interpretationsraum für die Zuschauer*innen zu<br />
schaffen, so dass jede*r die Inszenierung auf seine eigene Art und Weise erleben kann und ein Austausch<br />
von verschiedenen Interpretationen möglich wird.<br />
In der Romanvorlage notiert die Protagonistin ihre Erlebnisse, wie in eine Art Tagebuch. In unserer<br />
Inszenierung wird stattdessen das Dispositiv Kamera verwendet. <strong>Die</strong> Kamera wird offen gezeigt und<br />
die Protagonistin filmt sich oft selbst, wodurch ein Spiel zwischen der Einsamkeit und der Frage „Ist da<br />
jemand?“, also eventuellen Zuschauern, entsteht.<br />
Neben der Kamera werden nur wenige Requisiten verwendet. Ebenso ist das Bühnenbild sehr schlicht<br />
gehalten. Auf der rechten Seite der Bühne wurde eine Klanginstallation bestehend aus drei, von der<br />
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Decke hängenden Feldsteinen, installiert. Davon abgesehen ist die Bühne fast leer – eine bewusste<br />
Entscheidung, die abermals einen weiten Interpretationsraum ermöglichen soll. Weiterhin unterstützt<br />
der schwarze Bühnenraum die Einsamkeit der Frau und macht deutlich, dass es sich bei der gesamten<br />
Geschichte womöglich nur um einen mentalen Zustand handelt, in dem sich die Protagonistin befindet.<br />
<strong>Die</strong>ser Zustand kann mit einer Depression verglichen werden. Bei der beschriebenen <strong>Wand</strong>, sowie der<br />
Berghütte und Natur handelt es sich möglicherweise nur um Verbildlichungen, die das Gefühl von Abgrenzung<br />
und Einsamkeit beschreiben sollen.<br />
Um Emotionen und Gefühle wie die Einsamkeit der Protagonistin noch mehr hervorzuheben, wurden<br />
von Ludwig Meckel unterschiedliche Sounds komponiert und erstellt. Durch den Einsatz von Ton und<br />
Sound, sowie anderweitiger Musik, werden viele Emotionen und Stimmungen wie Verzweiflung,<br />
Schmerz, aber auch Hoffnung erzeugt.<br />
<strong>Die</strong> Konzentration liegt dabei auf dem Spiel, sowie der Mimik und Gestik, welche die Schauspielerinnen<br />
vermitteln. Weiterhin wird der gesprochene Text teilweise aus dem Off eingespielt, wodurch der Fokus<br />
abermals auf die Darstellung und den Ton gerückt wird.<br />
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9<br />
IM GESPRÄCH MIT DEM REGISSEUR JORIS LÖSCHBURG<br />
Wie genau bist du auf das Stück DIE WAND gekommen und was hat dich davon überzeugt über diese<br />
Geschichte den Film zu drehen?<br />
Ich erlebe die Coronapandemie als eine Zeit, in der wir alle mit dem Thema Isolation und Einsamkeit<br />
konfrontiert sind. Das kann sich äußern durch das Gefühl der Trennung von Freunden und anderen<br />
geliebten Menschen, das kann aber auch sein, dass man plötzlich auf sich selbst zurückgeworfen wird,<br />
sich also auf ungewohnte Weise mit sich auseinandersetzen muss. Auch die Erfahrung als Schüler oder<br />
Schülerin eine Maske tragen zu müssen und plötzlich lauter maskierte Gesichter um sich zu haben,<br />
kann eine Isolationserfahrung sein und da bietet DIE WAND eine sehr starke Vorlage, um über unterschiedlichste<br />
Arten der Einsamkeit und auch der unsichtbaren Grenzen nachzudenken.<br />
Was waren deine Beweggründe, die Rolle der Protagonistin dreifach zu besetzen?<br />
Mir war bei der Inszenierung wichtig, dass am Ende für die Zuschauer*innen möglichst viele Interpretationsmöglichkeiten<br />
entstehen und dass man die Geschichte nicht als die Geschichte einer konkreten<br />
Person erlebt, sondern als eine Allegorie für etwas, das uns allen passieren könnte, ja das wir sogar<br />
alle schon zumindest ansatzweise erlebt haben… Bei uns gibt es ja auch keine Natur-Kulissen auf der<br />
Bühne, obwohl die Handlung eigentlich in den Bergen spielt, das heißt, ich bin allgemein auf eine abstrakte<br />
Art und Weise an den Stoff gegangen, um möglichst viele Interpretationsmöglichleiten offenzuhalten.<br />
Was empfindest du als die Stärken der Inszenierung?<br />
Mir war bei der Inszenierung wichtig, dass man, obwohl es sich um eine abstrakte Figur handelt, zu<br />
unserer Protagonistin eine große Nähe aufbauen kann. Es ist uns, meiner Ansicht nach, gelungen sowohl<br />
über die Spielweise unserer drei Darstellerinnen als auch über die Kamera sehr intime Situationen<br />
herzustellen. Ein Beispiel wäre, wenn sich die Protagonistin selbst filmt und in die Kamera spricht, voller<br />
Verzweiflung und mit Tränen in den Augen oder auch, wenn alle drei Darstellerinnen plötzlich zusammenkommen<br />
und sich mal in den Armen liegen und dann wieder ganz einsam auf der Bühne sitzen.<br />
In dieser großen Nähe und in diesem Näherkommen eines Menschen in einer existentiellen, abgründigen<br />
Situation, sehe ich eine große Stärke der Inszenierung.<br />
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Für die Inszenierung wurden extra von einem Musiker Ton und Sounds angefertigt. Warum war Dir<br />
das wichtig?<br />
Ich denke zu einer Theaterinszenierung gehört eben nicht nur dazu, dass man eine Geschichte erzählt,<br />
sondern auch, dass man bestimmte Dinge, Emotionen und Zustände zeigt. Der Ton beziehungsweise<br />
die Musik haben uns hier geholfen die sehr sehr starken Emotionen, mit der die Protagonistin konfrontiert<br />
ist, umzusetzen. Gefühle wie Schmerz, Einsamkeit, Trauer, aber auch die Verwunderung über die<br />
Tatsache, dass da jetzt plötzlich eine <strong>Wand</strong> ist, haben wir mit Ton umgesetzt. Gleichzeitig waren das<br />
dann auch Einladungen für die Schauspielerinnen damit zu spielen.<br />
Gibt es noch etwas, das du uns Zuschauern mitgeben möchtest?<br />
<strong>Die</strong> <strong>Wand</strong> ist eine Geschichte, in der eine Frau aus der absoluten Einsamkeit und Verlorenheit eine<br />
große Kraft bezieht und es schafft gemeinsam mit ihren Tieren, nicht nur um ihr eigenes Überleben zu<br />
kämpfen, sondern sich gemeinsam ein neues Leben aufzubauen. Ich glaube das ist eine starke Aussage,<br />
die wir alle aus der Inszenierung und auch aus dem Roman mitnehmen können, nämlich dass es sich<br />
lohnt weiterzukämpfen und auch, dass wir für die Natur verantwortlich sind und nicht nur als Ausbeuter<br />
auftreten, sondern so wie die Protagonistin im Roman anfangen uns verantwortlich zu fühlen für<br />
die Welt, für die Tiere und uns als Teil einer erweiterten Familie zu begreifen. Das finde ich eine schöne,<br />
vielleicht sogar provokante und utopische message der Geschichte.<br />
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NORDKURIER: THEATER BRINGT KULT-ROMAN „DIE WAND“ DIGITAL ANS PUBLIKUM<br />
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IMPRESSIONEN<br />
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Zum Stück<br />
Fragen an Schauspieler*in oder<br />
Regisseur*in<br />
14<br />
KAPITEL 3: ANREGUNGEN FÜR DAS NACHGESPRÄCH<br />
Besonders interessant wird für Schüler*innen eine Theateraufführung, wenn sie selbst Impulse geben<br />
und mit den Akteur*innen in ein Gespräch treten können. Der Beobachtungsbogen soll dazu dienen,<br />
eine Aufführung zielgerichtet verfolgen zu können, um diese anschließend in der Klasse oder mit den<br />
Schauspieler*innen besprechen zu können. Zur Vorbereitung finden Sie an dieser Stelle Anregungen,<br />
die für eigene Fragen genutzt werden können.<br />
Allgemeine Fragen<br />
- Worum ging es in dem Stück?<br />
- Wie unterscheidet sich das Stück von der<br />
Vorlage?<br />
- Wie wurde die Vorlage filmisch umgesetzt?<br />
- Was waren Eure Erwartungen in Bezug<br />
auf die filmische Umsetzung?<br />
- Gibt es Unterschiede zwischen einer<br />
Bühnen- und einer Filmfassung?<br />
- Wie wurde die Geschichte erzählt?<br />
- Wie hat Euch das Stück gefallen?<br />
- Was hat Euch besonders gut gefallen?<br />
- Was hat Euch nicht gefallen?<br />
- Was ist Euch sonst noch aufgefallen?<br />
- Wie bist Du zum Schauspiel gekommen?<br />
- Wo hast Du das Schauspiel erlernt?<br />
- Wie schaffst Du es, eine Figur zu spielen,<br />
die ganz anders ist als Du?<br />
- Wie habt Ihr geprobt? / Wie lange?<br />
- Warum findest Du Theater wichtig?<br />
- Wie erlebst Du Theateraufführungen,<br />
wenn Du selbst Zuschauer bist?<br />
- Wie bereitest Du Dich auf Deine Rollen<br />
vor jeder Aufführung vor?<br />
- Sind Dir schon Fehler unterlaufen? Welche?<br />
Gab es in der heutigen Vorstellung<br />
Pannen?<br />
- Wie schwer ist es, unabhängig von der<br />
eigenen Laune, Deine Rolle überzeugend<br />
zu spielen?<br />
Fragen bezogen auf das Stück<br />
- Wurden Musik / Licht / Toneffekte<br />
verwendet? Inwiefern?<br />
- Was soll das Bühnenbild vermitteln?<br />
- Inwiefern passen die Kostüme besonders<br />
gut zur jeweiligen Figur / zur<br />
Szene / zum gesamten Stück?<br />
- Wie haben die einzelnen Figuren gesprochen?<br />
- Welche Requisiten wurden verwendet?<br />
- Inwiefern unterscheidet sich eine Inszenierung<br />
für die Bühne von einer<br />
filmischen Umsetzung? Was sind die<br />
Herausforderungen?<br />
- Welche Rolle hat Dir am besten gefallen?<br />
- Welche Szene fiel Dir bei den Proben<br />
besonders schwer?<br />
- Was gefällt Dir an den Figuren, die Du<br />
spielst? / was gefällt Dir nicht?<br />
- Was gefällt Dir an dem Stück/der Inszenierung<br />
besonders gut?<br />
- Hast Du eine Lieblingsfigur in dem<br />
Stück?<br />
- Haben Sie die literarische Vorlage<br />
stark gekürzt? Wo?<br />
- Mit welcher Absicht verwenden Sie in<br />
Ihrer Inszenierung Licht / Musik /<br />
Ton?<br />
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15<br />
KAPITEL 4: ANREGUNGEN FÜR DEN UNTERRICHT<br />
MENSCH UND GESELLSCHAFT<br />
Der Roman DIE WAND lässt mehrere plausible Interpretationen zu. 1963 vor dem Hintergrund des<br />
Kalten Krieges, dem Wettrüsten der Supermächte und der damit einhergehenden Angst vor einem<br />
bevorstehenden Atomkrieg, entstand der Roman in einer Zeit der vielen Möglichkeiten. Traditionen<br />
wurden aufgebrochen, der technische Fortschritt und einhergehend damit die Globalisierung schritten<br />
voran. <strong>Die</strong>se Möglichkeiten führten gleichzeitig jedoch auch einen Identitätsverlust und eine Entfremdung<br />
der Gemeinschaftlichkeit mit sich. Als Gegenentwurf rückte für viele Menschen die Natur als<br />
Ordnungssystem wieder ins Zentrum – so auch in DIE WAND. <strong>Die</strong> Ich-Erzählerin kommentiert dabei<br />
direkt ihr vorheriges Leben unter dem gesellschaftlichen Erwartungsdruck als Mutter und Frau aber<br />
auch allgemein als Mensch („Der einzige Feind, den ich in meinem bisherigen Leben gekannt hatte,<br />
war der Mensch gewesen.“, S. 23). Dabei stellt die Protagonistin keine Aussteigerin dar, die sich aktiv<br />
gegen die Gesellschaft entscheidet und bewusst die Flucht in die Natur antritt. Stattdessen ist sie diesem<br />
Zustand plötzlich ausgesetzt ohne sich aus freiem Willen dafür zu entscheiden. <strong>Die</strong> Zivilisationskritik<br />
von Marlen Haushofer zeigt sich somit nicht in einem auflehnenden Charakter. Stattdessen stellt<br />
die Kritik, die erst durch die erzwungene Distanz zur zivilisierten Welt entsteht, eher eine Art der Selbstreflexion<br />
dar.<br />
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16<br />
ROBINSONADE<br />
Das Motiv der Robinsonade fasziniert seit Jahrhunderten die Literaturgeschichte. Ausgehend von Daniel<br />
Defoes 1719 erschienenen Roman ROBINSON CRUSOE fand die Erzählung bereits nach kurzer Zeit<br />
zahlreiche Imitationen.<br />
Zentrales Motiv in Defoes Roman bildet dabei der Konflikt zwischen Natur und Zivilisation sowie dem<br />
Individuum und der Gesellschaft. Gestrandet auf einer einsamen Insel wird Defoes Protagonist Robinson<br />
in den Naturzustand zurückversetzt und ist gezwungen, fernab von jeglicher Zivilisation zu überleben.<br />
In der Natur muss sich nun die Überlegenheit des Menschen beweisen.<br />
Im Laufe des 18. Jahrhunderts erschienen zahlreiche Bearbeitungen des Robinson-Stoffes. Der<br />
1779/80 erschienene Roman ROBINSON DER JÜNGERE von Joachim Heinrich Campes erreichte bis zum<br />
Ende des Jahrhunderts 119 Auflagen und wurde zu einem der einflussreichsten Bücher seiner Zeit. Im<br />
Unterschied zu Daniel Defoe verfasste Campes seine Erzählung in Dialogform und bezog die aufklärerischen<br />
Erziehungsgedanken Jean-Jacques Rousseaus mit ein.<br />
Im 19. und 20. Jahrhundert erschienen nur noch wenige klassische Robinsonaden. <strong>Die</strong> Themen Isolation<br />
und das physische Leben blieben dabei immer gleich. So auch in Marlen Haushofers Roman DIE<br />
WAND. <strong>Die</strong> Frage, ob es sich bei dem Roman um eine Robinsonade handelt, ist in der Literaturgeschichte<br />
umstritten. Doch auch wenn nicht alle Aspekte der Gattung erfüllt werden, findet sich dennoch<br />
eine gewisse Nähe zur Robinsonade.<br />
Wie Robinson Crusoe findet sich Haushofers Protagonistin isoliert von der Zivilisation wieder – ohne<br />
selbst die Entscheidung getroffen zu haben. Auch sie wird in der Natur dem Überlebenskampf ausgesetzt,<br />
kämpft um das physische Überleben und reflektiert fortan ihr bisheriges Leben.<br />
Der große Unterschied zwischen herkömmlichen Robinsonaden und DIE WAND liegt jedoch in dem<br />
Geschlecht der Protagonistin. Marlen Haushofer rückt mit ihrer weiblichen Protagonistin Themen wie<br />
die weibliche Selbstfindung und Selbstbestimmung in den Vordergrund….<br />
Diskutieren Sie mit Ihren Schüler*innen: Handelt es sich bei DIE WAND um eine Robinsonade? Welche<br />
Gründe sprechen dafür? Welche dagegen?<br />
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17<br />
DIE WAND ALS METAPHER<br />
<strong>Die</strong> <strong>Wand</strong> bildet in Marlen Haushofers Roman eine zwiespältige Metapher. Sie kann als Schutz aber<br />
auch als Grenze angesehen werden, die ausschließt und trennt. Haushofers Protagonistin beschreibt<br />
die <strong>Wand</strong> bei ihrer ersten Begegnung wie folgt: „Luchs fing sofort wieder zu winseln an und drängte<br />
sich an meine Beine. Verdutzt streckte ich die Hand aus und berührte etwas Glattes und Kühles: einen<br />
glatten kühlen Widerstand an einer Stelle, an der doch gar nichts sein konnte als Luft. Zögernd versuchte<br />
ich es noch einmal, und wieder ruhte meine Hand wie auf einer Scheibe eines Fensters. Dann<br />
hörte ich lautes Pochen und sah um mich, ehe ich begriff, dass es mein eigener Herzschlag war, der<br />
mir in den Ohren dröhnte. Mein Herz hatte sich schon gefürchtet, ehe ich es wusste.“ (Marlen Haushofer,<br />
<strong>Die</strong> <strong>Wand</strong>, List Taschenbuch 2006, S. 15)<br />
Im November 1960 begann Marlen Haushofer bereits mit den ersten Skizzen für ihren Roman. Den<br />
Umschlagkarton des ersten Schreibheftes beschriftete sie mit DIE GLÄSERNE WAND I. Bereits auf dem<br />
zweiten von insgesamt fünf Schreibheften ist der Titel DIE WAND zu lesen. Das Gläserne fällt dabei<br />
nicht nur aus dem Titel, sondern auch aus der Darstellung der <strong>Wand</strong> an sich raus. <strong>Die</strong> Erzählerin untersucht<br />
die Beschaffenheit der <strong>Wand</strong> dabei jedoch nicht weiter, sondern nimmt diese als gegeben an.<br />
Marlen Haushofer beschreibt die <strong>Wand</strong> in einem Interview 1968 wie folgt: „Ob die <strong>Wand</strong> je über die<br />
Menschheit kommt, jene äußerliche <strong>Wand</strong> nämlich, von der die Apokalyptiker unter den Technikern<br />
gerne reden, kann ich nicht sagen. Aber vorstellen könnte ich es mir schon. Aber, wissen Sie, jene<br />
<strong>Wand</strong>, die ich meine, ist eigentlich ein seelischer Zustand, der nach außen plötzlich sichtbar wird. Haben<br />
wir nicht überall Wände aufgerichtet? Trägt nicht jeder von uns eine <strong>Wand</strong>, zusammengesetzt aus<br />
Vorurteilen, vor sich her?“ (Vgl. Lackenbucher, Raimund: „In jener fernen Wirklichkeit ...“ In: Neue Illustrierte<br />
Wochenschau, 29.12.1968). Haushofer führt hier eine Zivilisationskritik an. <strong>Die</strong> wie bereits am Anfang<br />
erwähnte zwiespältige Metapher der <strong>Wand</strong> kann auch als Symbol für das Trennende zwischen den<br />
Menschen verstanden werden.<br />
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18<br />
Daniela Strigl: DIE WAND (1963) – Marlen Haushofers Apokalypse der Wirtschaftswunderwelt<br />
Erschienen in: Trans – Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Nr. 15, Juli 2004.<br />
http://www.inst.at/trans/15Nr/05_16/strigl15.htm, aufgerufen am 21.01.2022)<br />
[…] Heute gehört <strong>Die</strong> <strong>Wand</strong> zum österreichischen Kanon, aber nicht zu dem der Germanistik. <strong>Die</strong> Fabel<br />
des Romans ist schnell erzählt: Eine Frau fährt mit ihrer Cousine und deren Mann zu einem Kurzurlaub<br />
in ein Jagdhaus. Das Ehepaar macht abends einen Spaziergang ins Dorf, von dem es am nächsten Morgen<br />
noch nicht zurückgekehrt ist. Bei dem Versuch, ins Dorf zu gehen und dort Nachschau zu halten,<br />
stößt die Frau auf eine durchsichtige <strong>Wand</strong>. Dahinter gibt es offenbar kein Leben mehr, nur die Pflanzenwelt<br />
scheint unversehrt. <strong>Die</strong> Frau muss sehen, wie sie in dem vom Rest der Welt abgeschnittenen<br />
Waldgebiet überleben kann. Geblieben ist ihr der Jagdhund ihrer Gastgeber, sie findet noch eine trächtige<br />
Kuh, später läuft ihr eine Katze zu. Eines Tages taucht ein zweiter Überlebender der rätselhaften<br />
Katastrophe auf, ein Mann, der den Jungstier und den Hund der Frau tötet und dafür von ihr mit ihrem<br />
Jagdgewehr erschossen wird. […]<br />
<strong>Die</strong> Ich-Erzählerin der <strong>Wand</strong> hat in ihrem früheren Leben in einer bewusstlosen Konsumgesellschaft<br />
unter existentieller Langeweile ebenso gelitten wie unter einer "rasenden Ungeduld", zuletzt schien<br />
ihr auch ihre Familie "zum Feind übergelaufen zu sein". <strong>Die</strong> Katastrophe greift in Wahrheit korrigierend<br />
in ihr Leben ein und befreit sie von den Zwängen der Fremdbestimmung: "Hier, im Wald, bin ich eigentlich<br />
auf dem mir angemessenen Platz". Weil ihr in Gestalt ihrer Tiere eine Art Ersatzfamilie zuwächst,<br />
um die sie sich kümmern muss, die aber umgekehrt auch sie am Leben erhält, lässt sich das<br />
Ideal absoluter Selbstgenügsamkeit wiederum nicht verwirklichen.<br />
Haushofers Roman hält den unterschiedlichsten Interpretationen stand. Auf der biographischen Ebene<br />
ist <strong>Die</strong> <strong>Wand</strong> die wohl radikalste Phantasie eines selbstbestimmten Lebens, die Marlen Haushofer sich<br />
geleistet hat: Um die Romanheldin von ihrem Hausfrauendasein zu befreien, lässt ihre Autorin eine<br />
Weltkatastrophe hereinbrechen und die Familie sterben, damit die Frau freie Bahn für ihren neuen<br />
Lebensentwurf hat. […]<br />
Vor allem deklariert sich der Roman als ein Stück Kulturkritik. Um 1960, zur kältesten Zeit des Kalten<br />
Krieges, war der 'Tag X', an dem der Atomkrieg ausbrechen könnte, in aller Munde. <strong>Die</strong> Theorie der<br />
Heldin über die Beschaffenheit der <strong>Wand</strong> bewegt sich in diese Richtung: "Ich nahm an, sie wäre eine<br />
neue Waffe, die geheim zuhalten einer der Großmächte gelungen war; eine ideale Waffe, sie hinterließ<br />
die Erde unversehrt und tötete nur Menschen und Tiere. [...] Wenn das Gift, ich stellte mir jedenfalls<br />
eine Art Gift vor, seine Wirkung verloren hatte, konnte man das Land in Besitz nehmen. Nach dem<br />
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friedlichen Aussehen der Opfer zu schließen, hatten sie nicht gelitten; das ganze schien mir die humanste<br />
Teufelei, die je ein Menschenhirn ersonnen hatte."<br />
Nicht zufällig hat sich die Katastrophe in einer von Männern gemachten Welt ereignet: Seit den fünfziger<br />
Jahren wird in den USA an der Entwicklung der Neutronenbombe gearbeitet, deren zerstörerische<br />
Wirkung sich weitgehend auf organisches Leben beschränkt - ins allgemeine Bewusstsein wird die<br />
'säuberliche' Bombe erst Anfang der achtziger Jahre dringen. Da sich im Roman nach dem Einsatz der<br />
Wunderwaffe keine Sieger einstellen wollen, muss man daran zweifeln, dass es überhaupt Sieger gibt.<br />
Als Überlebende solidarisiert sich die Frau einerseits mit der Gattung Mensch, andererseits waren nicht<br />
allein die "Erfinder" der <strong>Wand</strong> ihre Feinde, sondern alle, die einst den Ton angaben: "Ich hatte nur<br />
dieses eine kleine Leben, und sie ließen es mich nicht in Frieden leben.“ […]<br />
Das Leben hinter - oder vor - der <strong>Wand</strong> ist hingegen für einen einzigen Menschen reserviert; in dieser<br />
Utopie gibt es keine soziale Verantwortlichkeit, außer für die Tiere. „<strong>Die</strong> Insel, ein literarischer Topos,<br />
in dem Robinsonade und Utopie zusammenkommen“, stellt Konstanze Fliedl in ihrer Interpretation<br />
fest, „verliert als Glücks-Bild hier ihren gesellschaftlichen Charakter: die Utopie ist nur mehr in der<br />
Isolation des Individuums vorstellbar. <strong>Die</strong> Verengung auf die Einzelperspektive [...] wird in der <strong>Wand</strong><br />
radikalisiert: die Erzählerin ist und macht sich am Ende selbst noch einmal zur einzigen Überlebenden,<br />
ihre Existenz setzt die totale Negativutopie - das Erlöschen des menschlichen Lebens - erst voraus.“<br />
Während die Toten jenseits der <strong>Wand</strong> einer sichtbaren Versteinerung zum Opfer gefallen sind, kommt<br />
das Leben der Überlebenden durch das Unglück erst wieder in Fluss. Auf der Alm oben - der Berg ist ja<br />
der traditionelle Ort der Gottesschau - hat sie sogar so etwas wie eine diesseitige Erleuchtung: „Ich<br />
suchte nicht mehr nach einem Sinn, der mir das Leben erträglicher machen sollte. [...] Seit meiner<br />
Kindheit hatte ich es verlernt, die Dinge mit eigenen Augen zu sehen, und ich hatte vergessen, dass die<br />
Welt einmal jung, unberührt und sehr schön und schrecklich gewesen war. [...] <strong>Die</strong> Einsamkeit brachte<br />
mich dazu, für Augenblicke ohne Erinnerung und Bewusstsein noch einmal den großen Glanz des Lebens<br />
zu sehen“.<br />
Dass der Mensch, der die Erde ihrer Unschuld beraubt hat, von ihr verschwinden muss, ist nach diesem<br />
Weltbild nur folgerichtig: „<strong>Die</strong> Menschen hatten ihre eigenen Spiele gespielt, und sie waren fast immer<br />
übel ausgegangen. [...] Es war besser, von den Menschen wegzudenken.“ Marlen Haushofer beschreibt<br />
die Vorstellung, das eigene Ich im großen Ganzen aufzulösen, als schaurige Verlockung. Ihre Erzählerin<br />
weiß, dass sie für den Wald „kein ernst zu nehmender Störenfried“ ist: „Einmal werde ich nicht mehr<br />
sein, und keiner wird die Wiese mähen, das Unterholz wird in sie einwachsen, und später wird der<br />
Wald bis zur <strong>Wand</strong> vordringen und sich das Land zurückerobern, das ihm der Mensch geraubt hat.<br />
Manchmal verwirren sich meine Gedanken, und es ist, als fange der Wald an, in mir Wurzeln zu schlagen<br />
und mit meinem Hirn seine alten, ewigen Gedanken zu denken.“ […]“<br />
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SELBSTDARSTELLUNG UND REALITÄTSWAHRNEHMUNG<br />
Selfies – Ich bin hier, also bin ich<br />
Das Selfie macht aus dem Leben eine Ich-Kampagne. Von Tillmann Prüfer<br />
ZEITmagazin Nr. 29/2014 10. Juli 2014<br />
Es ist überall. Es wird gepostet, gemailt, getwittert. Von der Party, vom Eiffelturm, von der Oscarverleihung.<br />
Das Selfie verbreitet sich rasend schnell und millionenfach. Drei von vier Mädchen im Alter<br />
von 18 bis 24 Jahren in Deutschland geben an, regelmäßig Bilder von sich selbst ins Internet zu stellen.<br />
In Manhattan werden täglich mehr als 3.000 Selfies gepostet. In Asien macht man sogar noch mehr<br />
Selfies, die Philippinen sind angeblich Selfie-Weltmeister. Der Begriff Selfie soll zum ersten Mal 2002<br />
in Australien aufgetaucht sein, bereits im vergangenen Jahr wurde er vom Oxford Dictionary zum Wort<br />
des Jahres gekürt.<br />
Das Selfie unterscheidet sich gewaltig von früheren Selbstdarstellungen. Seit Tausenden von Jahren<br />
machen Menschen Bilder von Menschen. Doch lange Zeit wurden die Porträtierten vor allem in ihrer<br />
gesellschaftlichen Funktion dargestellt, nicht in ihrer Individualität. Das Allereigenste, das, was einen<br />
Menschen vom anderen unterscheidet, war nicht von Interesse. Dass in den Zügen eines Gesichts etwas<br />
Bedeutendes steckt, dass im Glanz der Augen eine ganz eigene Wahrheit liegen kann, ist eine<br />
Auffassung aus der jüngeren Geschichte. Der Mensch musste erst zum Schöpfer werden, zum Künstler,<br />
Autor und Architekten, um zu erkennen, dass in seinem Wesen etwas lag, was es wert war, dokumentiert<br />
zu werden. Und er brauchte einen Spiegel, um seine Züge zu erkennen. "Erst seit es Spiegel gibt,<br />
sind wir Individuen", sagt der Philosoph Peter Sloterdjik: "Wir haben nicht mehr die Fantasie, uns eine<br />
Lebensform zu erträumen, in der wir uns keine Gedanken darüber machen müssen, wie wir aussehen."<br />
Seine Selbstbildnisse machten die Marke Dürer zum Hit<br />
Spiegel gibt es zwar schon seit 5.000 Jahren. Und wer keinen besaß, konnte sich in jeder ruhigen Wasserfläche<br />
spiegeln. Doch nur, weil der Mensch sein Antlitz sah, hieß das noch nicht, dass er sich "selbst"<br />
erkennen konnte. Denn von der eigenen Einzigartigkeit ist er noch nicht allzu lange überzeugt. <strong>Die</strong>ser<br />
Gedanke wurde erst in der Renaissance populär. Aus der Zeit stammen beeindruckende Selbstporträts<br />
wie etwa die bekannten Selbstbildnisse Albrecht Dürers. In den langen Haaren, dem messiasgleichen<br />
Gesicht sehen wir, wie der Maler und Grafiker sich selbst empfand. Eine Figur, die nicht von den Augen<br />
der Gesellschaft gesehen wird, sondern sich durch die eigenen Augen jener Gesellschaft präsentiert.<br />
Dürer zeigt sich auf diesen Selbstbildnissen nicht in seiner Funktion, er malte sich nicht vor der Staffelei.<br />
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Das Bild war nicht dazu da, der Gesellschaft zu erklären, dass er ein nützliches Mitglied in ihrer Mitte<br />
war. Stattdessen trug er schon mal eine modische Mütze und malte sich in feinsten Stoff gekleidet. Er<br />
war gewissermaßen gestylt. Seine Selbstbildnisse machten die Marke Dürer zum Hit: Sie brachten ihm<br />
damals viele Aufträge ein. Denn wer zu einem solchen Blick auf sich selbst fähig war, dem traute man<br />
auch zu, in anderen das Besondere zu sehen und darzustellen. Somit hat Dürers Selbstbildnis durchaus<br />
etwas mit den modernen Selfies gemein: Auch in diesen Bildern präsentiert sich jemand, um andere<br />
von seinen Qualitäten zu überzeugen.<br />
Erst das Digitale führte zu einer größeren Unbeschwertheit in der Fotografie<br />
Weniger begabten Menschen war es danach lange Zeit unmöglich, ihrem Selbst einen solchen Ausdruck<br />
zu geben – das blieb sogar im Zeitalter der Fotografie noch schwierig. Man musste sich in ein<br />
Atelier begeben, sich ausleuchten und vom Fotografen in Pose setzen lassen. <strong>Die</strong> frühen Fotografien<br />
zeigen Gesichter, die wie eingefroren wirken. Voller Furcht vor den Augen der Welt, derer sich die<br />
Abgelichteten erst bewusst wurden in dem Augenblick, in dem der Auslöser gedrückt wurde. Es war<br />
immer noch der fremde Blick, der das Ich formte, nicht der eigene. Erst das Digitale führte zu einer<br />
größeren Unbeschwertheit in der Fotografie. Seitdem lässt sich der Blick auf sich selbst unendlich variieren.<br />
Das Bild ist ja sofort sichtbar, und man kann es sofort löschen und ein neues machen, das dem<br />
Bild, das man von sich selbst hat, näher kommt.<br />
Für den letzten Schritt vom Selbstporträt zum Selfie war die Verbreitung des Smartphones nötig. Eine<br />
Kamera hat man nur bei bestimmten Gelegenheiten dabei, in einer bestimmten Absicht. Das Smartphone<br />
dagegen begleitet uns immer. Nun lässt sich jeder Moment festhalten und gleich weiterverbreiten.<br />
Da ist es unvermeidlich, dass auch die Mode vom Selfie-Kult bestimmt wird. Man zieht sich nicht<br />
nur für einen gesellschaftlichen Anlass an, bei dem man sich in Szene setzt – sondern gleichzeitig für<br />
alle, die das von dort gepostete Selbstbildnis zu sehen bekommen. Das Selfie macht aus dem Leben<br />
eine ständige Ich-Kampagne.<br />
Wer ein Selfie postet, ist gleichzeitig da – und überall<br />
Es ist nicht für die Nachwelt geschaffen, sondern für das Hier und Jetzt. Es ruft: Ich bin jetzt hier! Ich<br />
bin dabei! Schaut mich an! Ich bin nicht alleine! Wer ein Selfie postet, ist gleichzeitig da – und überall.<br />
Wir sind heute alle Künstler, die an unserem eigenen Bildnis arbeiten und ständig neue Versionen von<br />
uns in die Welt hinaussenden. Wohl wenig hat unser Stilempfinden mehr beeinflusst. Selfies setzen<br />
modische Standards, die vielleicht gar nicht so leicht zu erreichen sind.<br />
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<strong>Die</strong> ständigen Bilder von uns selbst und die Bilder, die wir von anderen zu sehen bekommen, machen<br />
uns überbewusst, wie wir gerade aussehen. Wie wir wirken. Wir fühlen uns beim Anblick unserer selbst<br />
befangen und wollen trotzdem von den tausend Augen des Internets gemocht werden. So sorgt das<br />
Selfie für die Illusion intimer Nähe. Wir glauben, den anderen immer nah zu sei. Für all die, mit denen<br />
wir diesen Augenblick teilen möchten, sind wir gewissermaßen in Streicheldistanz – nur eine Armlänge<br />
entfernt.<br />
ISOLATION<br />
Was bedeutet Isolation?<br />
Welche Arten von Isolation gibt es (räumliche / gesellschaftliche…)?<br />
Welche Erfahrungen habt Ihr mit Isolation gemacht (z.B. in Bezug auf Corona)?<br />
Gibt es gesellschaftliche Gruppen, die besonders von Isolation betroffen oder gefährdet sind (ältere<br />
Menschen / Alleinerziehende / Arbeitslose / Strafgefangene / Migrant*innen / Menschen mit Behinderung?<br />
Welche Folgen kann eine Isolation haben?<br />
VERTRAUENSSPIEL<br />
Zwei Schüler*innen stellen sich in einem Abstand von einigen Metern gegenüber. Beide schließen ihre<br />
Augen, laufen langsam, tastend aufeinander zu und versuchen sich genau in Mitte der Strecke zu treffen.<br />
Jeder der Schüler*innen kann stehen bleiben, wenn er oder sie das Gefühl hat, sich in der Mitte<br />
zu befinden.<br />
Das Spiel kann beliebig variiert werden, so können die beiden Schüler*innen unter anderem versuchen<br />
voreinander, in der Mitte, stehen zu bleiben, ohne zu tasten oder sich zu berühren, nur durch das<br />
Gefühl, dass nun jemand vor ihnen steht.<br />
Weiterhin kann auch nur einer der beiden auf den anderen zulaufen und bleibt stehen, sobald er das<br />
Gefühl hat gegen eine unsichtbare Schwelle oder eine Art Widerstand zu stoßen, so etwas wie eine<br />
Aura, die den Stehenden umgibt.<br />
Wichtig ist, dass immer beide der Schüler*innen die Augen geschlossen haben. Ein außenstehender<br />
Beobachter sagt Bescheid, wenn beide voreinander stehen geblieben sind und sie die Augen wieder<br />
öffnen können.<br />
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WEITERFÜHRENDE TIPPS<br />
<strong>Die</strong> Romanvorlage<br />
Berentelg, Wilhelm, „Der weibliche und männliche Robinson. „<strong>Die</strong> <strong>Wand</strong>“ von Marlen Haushofer und<br />
Arno Schmidts ‚Schwarze Spiegel‘“ in: Der Deutschunterricht, 50, H. 1, 1998, S. 83-93.<br />
Brandtner, Andreas und Kaukoreit, Volker (Hrsg.), Marlen Haushofer. <strong>Die</strong> <strong>Wand</strong>, Stuttgart, 2012.<br />
(Reclams Universal-Bibliothek 16073; Erläuterungen und Dokumente).<br />
Schmidjell, Christine, „Marlen Haushofer: <strong>Die</strong> <strong>Wand</strong>“, In: Romane des 20. Jahrhunderts, Bd. 3, Stuttgart<br />
2003, S. 7-21.<br />
Strigl, Daniela: „Wahrscheinlich bin ich verrückt ...“. Marlen Haushofer – die Biographie. List Taschenbuch<br />
2009.<br />
„Literaturverfilmungen“<br />
Stefan Volk, Filmanalyse im Unterricht. Zur Theorie und Praxis von Literaturverfilmungen. Paderborn<br />
2004.<br />
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24<br />
QUELLENVERZEICHNIS<br />
https://www.marlenhaushofer.ch/biografie/ (aufgerufen am 05.01.2022)<br />
http://www.marlenhaushofer.at/Biografie2.htm (aufgerufen am 21.01.2022)<br />
https://www.marlenhaushofer.ch/biografie/krankheit/ (aufgerufen am 21.01.2022)<br />
https://www.dieterwunderlich.de/Haushofer_wand.htm (aufgerufen am 05. Januar 2022)<br />
Marlen Haushofer, <strong>Die</strong> <strong>Wand</strong>, Frankfurt 1987.<br />
Marlen Haushofer, <strong>Die</strong> <strong>Wand</strong>, List Taschenbuch 2006.<br />
Tillmann Prüfer, „Selfies – Ich bin hier, also bin ich“, in: Zeit Magazin Nr. 29/2014.<br />
IMPRESSUM<br />
Texte: Luca Voigt und Klara Ring<br />
Fotos: Alex Klug<br />
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