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50 Jahre Theater Fauteuil

Jubiläumsbroschüre Fauteuil

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DIE RASSERBANDE<br />

dringenden Notwendigkeit zu überzeugen,<br />

in Basel ein privates Kellertheater<br />

einzurichten. Rolli Rasser<br />

schaffte es wohl mit der ihm eigenen<br />

Beredsamkeit, die er schon immer mit<br />

einem ansteckenden und einnehmenden<br />

Lachen kontrapunktisch begleiten<br />

und damit entschärfen konnte. Er erhielt<br />

jedenfalls einen Mietvertrag und<br />

konnte sich Onkel und Götti Max,<br />

dem Architekten, als ‹Rolli der Pächter›<br />

präsentieren. Onkel Max und sein<br />

Partner Tibor Vadi planten den Umbau<br />

und versammelten um sich ein<br />

Handwerkerkonsortium, das bereit<br />

war, auf ‹Pump› zu arbeiten: Die anfallenden<br />

Rechnungen konnten innert<br />

zehn <strong>Jahre</strong>n zinsfrei abbezahlt werden.<br />

Am 27. November 1957 war das ‹<strong>Theater</strong><br />

<strong>Fauteuil</strong>› am Spalenberg dann betriebsbereit,<br />

und das Publikum sass anlässlich<br />

der Eröffnungsvorstellung<br />

auf jenen Stühlen, die es als Entgelt für<br />

den Eintritt selbst mitzubringen hatte.<br />

Eine Anti-Institution<br />

Ein Kellertheater war in den <strong>50</strong>er<br />

<strong>Jahre</strong>n eine Art Anti-Institution und<br />

Ausdruck von Lebensstil und Lebensgefühl<br />

der jungen Generation. Rolli<br />

Rasser hatte damals, wie viele seiner<br />

Altersgenossen, alles andere als einen<br />

Lebensplan; man wuchs praktisch in<br />

alles hinein. Die Zeit war dafür günstig.<br />

Auch für den jungen kaufmännischen<br />

Angestellten mit Handelsdiplom<br />

war es leicht, Stellen zu finden und<br />

sie zu wechseln. Die relative Sicherheit,<br />

sein Auskommen zu finden, vergrösserte<br />

den Freiraum für hochfliegende<br />

Gedankenspiele und Alltagsfluchten<br />

in spontane Reiseabenteuer<br />

jenseits von Broterwerb und dauerhaften<br />

Verpflichtungen. Paris und<br />

Südfrankreich belohnten jeden Aufenthalt,<br />

der Existenzialismus offerierte<br />

ein vor allem atmosphärisches Leitbild,<br />

die Kellertheater in den einschlägigen<br />

Quartieren der französischen<br />

Hauptstadt waren ideale Tankstellen<br />

für die Lust auf ein irgendwie geartetes<br />

anderes Leben, und das französische<br />

Chanson lieferte die Musik dazu. Wer<br />

weiss schon, wie viele Kellertheater<br />

damals auch hierzulande in Bars und<br />

Cafés zumindest geplant wurden, wie<br />

viele Träume im fortschreitenden<br />

Gleichmass der Zeit angenehm versandeten,<br />

und wie viele Erinnerungen<br />

daran später auch gut bürgerliche<br />

Lebensläufe nachhaltig und günstig<br />

beeinflussten? Als Rolli Rasser <strong>Theater</strong>besitzer<br />

wurde, hatte er wohl zuallerletzt<br />

an seine eigene Zukunftssicherung<br />

gedacht. 1957 bot ihm sein<br />

<strong>Theater</strong> schlicht die Chance, zumindest<br />

auf Zeit oder so lange es eben<br />

ging, eine ihm angemessene Lebensart<br />

zu erproben. Damit hatte er allerdings<br />

gleichzeitig für viele, die seinerzeit<br />

jung waren, im Basler Untergrund<br />

einen Ort geschaffen, an dem<br />

ihre ambivalenten Lebensgefühle auf<br />

der Kleinkunstbühne ausgedrückt,<br />

zurechtgerückt, kommentiert, besungen,<br />

persifliert und oft auch mit den<br />

Mitteln des Humors relativiert und entgiftet<br />

wurden.<br />

Man kann, selbst älter geworden, nur<br />

subjektiv und entsprechend unvollständig<br />

in Erinnerung rufen, was und<br />

wer alles auf den Bühnen am Spalenberg<br />

im Laufe der Jahrzehnte begeisterte<br />

und bleibende Erinnerungen<br />

hinterliess: Der wunderbare Hanns<br />

Dieter Hüsch etwa, der bereits in der<br />

allerersten Saison auftrat und immer<br />

wieder kam; Alfred Rasser, dem der<br />

Sohn ein Comeback ermöglichte; der<br />

grosse, unerreichte und unbequeme<br />

Helmut Qualtinger; alle deutschsprachigen<br />

Kabarettisten von Werner<br />

Fink und Wolfgang Neuss bis zu Dieter<br />

Hildebrandt und Ursula Herking.<br />

Dimitri, Emil Steinberger, Franz Hohler,<br />

César Keiser und Margrit Läubli<br />

wurden Dauergäste. Es mag heute, in<br />

einer Zeit der fernsehtauglichen und<br />

gagenfördernden Massenauftritte, in<br />

Vergessenheit geraten sein, dass sich im<br />

Kellertheater am Spalenberg auch ein<br />

Reinhard Mey, eine Milva, die Gréco,<br />

Barbara, Léo Ferré, ein Mouloudji,<br />

die Knef oder eine Gisela May wohlfühlten,<br />

und selbst Stars wie Gert Fröbe,<br />

Curd Jürgens, Hans Joachim Kulenkampf<br />

oder Harald Juhnke im <strong>Fauteuil</strong><br />

gerne auf den Brettern der Kleinkunstbühne<br />

mit dem Publikum intim<br />

wurden. Rolli Rasser hat sie alle, und<br />

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