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atw - International Journal for Nuclear Power | 01.2022

Description Ever since its first issue in 1956, the atw – International Journal for Nuclear Power has been a publisher of specialist articles, background reports and interviews about developments and trends from all important sectors of nuclear energy, nuclear technology and the energy industry. Internationally current and competent, the professional journal atw is a valuable source of information. www.nucmag.com

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Ever since its first issue in 1956, the atw – International Journal for Nuclear Power has been a publisher of specialist articles, background reports and interviews about developments and trends from all important sectors of nuclear energy, nuclear technology and the energy industry. Internationally current and competent, the professional journal atw is a valuable source of information.

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nucmag.com<br />

2022<br />

1<br />

ISSN · 1431-5254<br />

32.50 €<br />

Augmented and Virtual<br />

Reality in der Kerntechnik<br />

Flottenstrategie beim Rückbau<br />

aktivierter Großkomponenten<br />

Zwischenbilanz – Die ersten zwei<br />

Jahre nach 47 Jahren Leistungsbetrieb<br />

Kernkraftwerk Mühleberg


Augmented reality<br />

in the energy industry<br />

Connect at www.deloitte.com/de/power-utilities


3Zwischen Abgesang und Aufbruch –<br />

<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

Kernenergie 2022<br />

Liebe Leserinnen und Leser, zum Jahreswechsel wurde der vorletzte Akt des deutschen Ausstiegs aus der<br />

Kernkraftnutzung vollzogen. Die stille Hoffnung auf eine Umkehr durch und nach einem Regierungswechsel, die manch<br />

einer gehabt haben mag, hatte sich schon mit dem Koalitionsvertrag erübrigt, das <strong>for</strong>tgesetzte Bekenntnis zum<br />

Atomausstieg ist nun auch durch Taten wiederum bekräftigt und besiegelt. Die Leistung derjenigen, die unter oft<br />

widrigen politischen und gesellschaftlichen Umständen gleichwohl erfolgreich einige der effizientesten, produktivsten<br />

und sichersten Kernkraftwerke der Welt betrieben haben, wird dadurch nicht geschmälert. Stellvertretend sei hier das<br />

Kernkraftwerk Grohnde genannt, das als erster Kernkraftwerksblock der Welt im Februar vergangenen Jahres die Marke<br />

von 400 Milliarden Kilowattstunden erzeugten Stroms überschritten hat. Es wird noch einige Jahre dauern bis eine<br />

andere Anlage – dann in einem anderen Land – diese Leistung einholt. Die Anlage hatte dabei vom Beginn des<br />

kommerziellen Betriebs 1985 bis Ende 2020 eine durchschnittliche Arbeitsverfügbarkeit von 91,3 Prozent!<br />

EDITORIAL<br />

Die kollektive geistige Verfassung einer Gesellschaft,<br />

die solches sachliche und intellektuelle Kapital wegen<br />

einer zehn Jahre alten, überhasteten, populistisch<br />

geprägten Eilgesetzgebung ungerührt entsorgt, obwohl<br />

die Strom- wie die Erdgaspreise gerade von Rekord zu<br />

Rekord springen, die Erdgasreserven in Deutschland und<br />

der ganzen EU so niedrig sind wie seit vielen Wintern<br />

nicht mehr, eine hochlabile politische Lage das Verhältnis<br />

zum wichtigsten Gaslieferanten und den wichtigsten<br />

Transitländern belastet, wird sicher kommende Historiker<br />

noch beschäftigen. Weder die unvermeidliche große<br />

Belastung für die von Jahr zu Jahr immer ambitionierter<br />

gewordene Klimapolitik – kürzlich erst hat eine<br />

Organisation der Vereinten Nationen festgestellt, dass die<br />

Kernenergie die niedrigste CO2-Belastung aller<br />

Stromerzeugungstechnologien aufweist – noch die stark<br />

gestiegenen CO2-Zertifikatepreise, noch die sich stetig<br />

verschlechternde Leistungsbilanz im europäischen<br />

Stromverbund, nicht nur in Deutschland mit seinem nun<br />

um acht Jahre vorzuziehenden Ausstieg aus der<br />

Kohleverstromung, haben auch nur eine ernsthafte<br />

politische Diskussion über eine längere<br />

Kernenergienutzung bewirken können. Auch die immer<br />

mehr an Breite und Tiefe gewinnende Unterstützung für<br />

eine langfristige Rolle der Kernenergie im Rahmen der<br />

Klimapolitik in vielen anderen, auch europäischen<br />

Staaten und die deutlich gestiegene Unterstützung für die<br />

Kernkraft in der deutschen Bevölkerung oder die sich<br />

engagiert und kompetent bemühenden Pro-Kernkraft-<br />

Aktivisten konnten den eingeschlagenen Kurs nicht<br />

beeinflussen.<br />

So unverrückbar die Situation in Deutschland für die<br />

absehbare Zukunft auch ist, so versöhnlich und<br />

pragmatisch könnte sich die Auflösung eines europäischen<br />

Streits gestalten, der sich in mehr als zwei Jahren immer<br />

weiter und nicht zuletzt auch zu einer deutschfranzösischen<br />

Auseinandersetzung zugespitzt hat. Mit<br />

dem schon seit längerer Zeit auf dem Tisch liegenden<br />

Kompromiss, die Kernenergie und übergangsweise die<br />

Stromerzeugung mit Erdgas in die Taxonomie der<br />

nachhaltigen Tätigkeiten im Sinne der EU-Initiative für<br />

nachhaltige Finanzierung einzubeziehen, würde dieser<br />

Streit in klassisch europäischer Manier geschlichtet, in<br />

positivem Sinne verstanden. Die Kommission könnte so<br />

den Empfehlungen ihrer Experten in Bezug auf die<br />

Kernenergie folgen, die französische Kernenergiepolitik<br />

würde nicht mehr aus Brüssel torpediert, und Deutschland<br />

hätte die Möglichkeit, gesichtswahrend seine<br />

Energiewende vor einem krachenden Scheitern zu<br />

bewahren. Dass es klimapolitisch nicht gerade<br />

vielversprechend ist, massiv in neue fossile<br />

Energieinfrastruktur zu investieren und dass die aktuelle<br />

Lage am Gasmarkt es auch unter Aspekten der<br />

Wirtschaftlichkeit und der Versorgungssicherheit nicht<br />

gerade als besonders klug erscheinen lässt, diesen Schritt<br />

zu tun, muss dahinter zurücktreten, dass ohne einen<br />

Ausbau von Gaskraftwerken in Deutschland durch den<br />

Ausstieg aus Kernenergie und Kohle ansonsten in einer<br />

ungünstigen Lage wirklich und ganz wahrhaftig die<br />

Lichter ausgehen würden. Daran kann niemandem, der in<br />

diesem Land lebt, gelegen sein, unabhängig davon für<br />

welche Energie<strong>for</strong>m er eintritt oder arbeitet; den vom<br />

selben Stromverbund abhängigen Nachbarstaaten<br />

übrigens auch nicht.<br />

Für die kerntechnische Forschung sowie die hiesigen<br />

Unternehmen und Standorte der kerntechnischen<br />

Wirtschaft wäre eine positive Wendung auf europäischer<br />

Ebene vielversprechend. Mit der inzwischen absehbaren<br />

Perspektive von mehr als einem Duzend großer<br />

Neubauprojekte in West- und Mitteleuropa und evtl.<br />

weiteren (Folge-)projekten ergeben sich auch für die<br />

deutsche kerntechnische Branche gute Perspektiven, mit<br />

ihren Produkten und Dienstleistungen in einem<br />

wachsenden Markt anzutreten. Umso wichtiger ist es –<br />

ungeachtet einer durchaus anderen Motivlage auch in der<br />

neuen Bundesregierung – dass im Hinblick auf<br />

kerntechnische Kompetenz in Deutschland<br />

Priv<strong>atw</strong>irtschaft und Staat an einem Strang ziehen. Die<br />

Unternehmen brauchen Fachkräfte um komplexe<br />

Aufträge gewinnen und abwickeln zu können, der Staat<br />

braucht ein intaktes Wissensnetzwerk um in<br />

Sicherheitsfragen bilateral und europäisch<br />

handlungsfähig zu bleiben und die Universitäten in<br />

Deutschland brauchen einen Ruck, damit kerntechnische<br />

Lehrstühle wieder als wertvolle Assets für eine Branche<br />

mit Zukunft betrachtet werden, statt als eine am besten<br />

im Verborgenen operierende Altlast. Mit dem gebotenen<br />

Pragmatismus kann das eine Grundlage für eine friedliche<br />

Koexistenz zwischen einer mehrheitlich<br />

kernkraftkritischen Bundesregierung und der deutschen<br />

kerntechnischen Branche werden.<br />

Nicolas Wendler<br />

– Chefredakteur –<br />

Editorial<br />

Zwischen Abgesang und Aufbruch – Kernenergie 2022


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

CONTENTS<br />

4<br />

Ausgabe 1<br />

2022<br />

Januar<br />

Inhalt<br />

Editorial<br />

Zwischen Abgesang und Aufbruch – Kernenergie 2022 . . . . . . . .3<br />

Did you know? 5<br />

Kalender 6<br />

Feature | Research and Innovation<br />

Augmented and Virtual Reality in der Kerntechnik . . . . . . . . . . .7<br />

Laura Lender, Olaf Schroeder, Dr. Andreas Langer<br />

Interview mit Dr. Christian Reiter<br />

“Kerntechnik besteht eben nicht nur aus der Nutzung<br />

zur Stromerzeugung, sondern ist aus der<br />

Grundlagen<strong>for</strong>schung nicht mehr wegzudenken.”. . . . . . . . . . 14<br />

Decommissioning and Waste Management<br />

Flottenstrategie beim Rückbau aktivierter Großkomponenten . . . 18<br />

Thomas Bever und Lars Schulze<br />

Zwischenbilanz – die ersten zwei Jahre nach 47 Jahren<br />

Leistungsbetrieb Kernkraftwerk Mühleberg. . . . . . . . . . . . . . 24<br />

Urs Amherd<br />

Heraus<strong>for</strong>derungen beim Rückbau der WAK bei der KTE –<br />

Das Öffnen der Büchse der Pandora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32<br />

Dr. Bernhard Wiechers<br />

Konventionelle Entsorgung – Bedeutung für den Rückbau<br />

von Kernkraftwerken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38<br />

Maria Dietrich<br />

Spotlight on <strong>Nuclear</strong> Law<br />

Neuer Koalitionsvertrag zur Nuklearen Entsorgung:<br />

Alte Aufgaben – neue Heraus<strong>for</strong>derungen . . . . . . . . . . . . . . . 22<br />

Prof. Dr. Tobias Leidingerr<br />

At a Glance<br />

ROBUR ENERGY und RODIAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36<br />

KTG – Fachinfo. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43<br />

Cover:<br />

Aushub Generator Kernkraftwerk Mühleberg<br />

(Mit freundlicher Genehmigung der BKW AG)<br />

Vor 66 Jahren<br />

Atomenergie in Belgien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46<br />

KTG Inside . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50<br />

Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23<br />

Inhalt


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

Did you know?<br />

Klimapfade 2.0 des BDI – eine Studie im Lichte des Koalitionsvertrages<br />

Der Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) veröffentlichte am 21.10.2021 – zeitlich passend zu den Verhandlungen zur<br />

Bildung der Ampelkoalition aus SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen – die zweite Fassung einer Studie zur Erreichung der klimapolitischen<br />

Ziele bei der Absenkung der Treibhausgasemissionen. In der Studie wird dabei auf das neue Zieldatum für die Erreichung<br />

der Treibhausgasneutralität 2045 Bezug genommen und die Zwischenziele bis 2030 detailliert in die Untersuchung einbezogen.<br />

In der Kombination ergeben sich daraus einige ziemlich drastische<br />

An<strong>for</strong>derungen: so müsste die Absenkung der Treibhausgasemissionen<br />

von 2020 bis 2030 sechsmal so schnell erfolgen<br />

wie zwischen 2000 und 2019, dem in der Studie jeweils verwendeten<br />

Basisjahr. Dies dürfte bereits jetzt durch den deutlichen<br />

Anstieg der CO2-Emissionen der Stromerzeugung in 2021 erschwert<br />

sein und wird durch die zusätzliche CO2-Belastung der<br />

kommenden Jahre infolge des endgültigen Ausstiegs aus der<br />

Kernenergie nicht erleichtert. Im Hinblick auf konkrete Trans<strong>for</strong>mationser<strong>for</strong>dernisse<br />

ergibt sich in der BDI-Studie etwa, dass ab<br />

so<strong>for</strong>t keinerlei Reinvestition in fossile Wärmequellen in der Industrie<br />

mehr erfolgen darf und ab 2023 keine neuen Öl- oder<br />

Gaskessel mehr in Wohn- und Nicht-Wohngebäude eingebaut<br />

werden dürfen. Vielleicht wurde die Vorgabe im Koalitionsvertrag,<br />

ab 1.1.2025 nur noch Heizungsanlagen mit 65-prozentiger<br />

Nutzung erneuerbarer Energien verbauen zu dürfen, davon inspiriert.<br />

Dementsprechend sollen im BDI-Klimapfade-Zielszenario<br />

bis 2030 sechs Millionen Wärmepumpen und bis 2045 15 Millionen<br />

Wärmepumpen in Deutschland installiert sein. Deren<br />

Marktanteil im Bestand würde damit von 4 Prozent in 2019 auf<br />

25 Prozent in 2030 bzw. 53 Prozent in 2045 erhöht werden. Im<br />

selben Zug sinkt der Anteil an Erdgasheizungen zunächst auf 29<br />

Prozent und dann auf null. Auch diese Zielvorgabe – Ende der<br />

Nutzung von Erdgas bis 2045 – findet sich im Koalitionsvertrag.<br />

Im Verkehrsbereich wären zur Zielerreichung 14 Millionen vollelektrische<br />

PKW im Bestand er<strong>for</strong>derlich, eine Zahl, die sich ähnlich<br />

(15 Millionen) auch im Koalitionsvertrag findet. In der BDI-Studie<br />

folgt daraus, dass im Jahr 2025 bereits 42 Prozent aller PKW-Neuzulassungen<br />

vollelektrisch sein müssen, im Jahr 2030 mindestens<br />

90 Prozent. Basisjahr ist aber auch hier 2019. Eine Ausarbeitung<br />

des Energiewirtschaftlichen Instituts der Universität zu Köln<br />

(EWI), die bereits den Koalitionsvertrag einer ersten Betrachtung<br />

in Bezug auf das Zieljahr 2030 unterzieht, kommt mit dem Startpunkt<br />

2021/2022 auf einen Elektroanteil bei den Neuzulassungen<br />

von 83 Prozent in 2025 und 94 Prozent im Jahr 2030, um die<br />

Vorgabe von 15 Millionen E-PKW zu erreichen.<br />

Die Nettostromerzeugung im BDI-Zielszenario steigt<br />

demgegenüber von 624 TWh in 2019 auf 1.095 TWh in 2045.<br />

Damit einher geht eine Erhöhung der installierten Leistung von<br />

225 GW auf 621 GW, v.a. bei den erneuerbaren Energien (480<br />

GW). Bemerkenswert ist hier die Steigerung der Kapazität von<br />

Gaskraftwerken von 31 GW in 2019 um 43 GW auf 74 GW in<br />

2030 um die Versorgungssicherheit nicht zuletzt für die Industrie<br />

aufrecht zu erhalten. Man könnte diese Empfehlung wie eine erläuternde<br />

Fußnote zum zunächst abstrakten Bekenntnis der neuen<br />

Regierungskoalition zum Ausbau der Gasverstromung zur<br />

Absicherung des Kernenergie- und Kohleausstiegs lesen. Bei der<br />

Fotovoltaik ist der Koalitionsvertrag mit einer Vorgabe von 200<br />

GW installierter Leistung bis 2030 noch deutlich ambitionierter<br />

als die Klimapfade des BDI mit 140 GW. Die EWI-Analyse kommt<br />

bei den Gaskraftwerken dagegen auf einen Ausbaubedarf von<br />

„nur“ 23 GW bis 2030 und setzt diesen mit dem aktuell konkret<br />

geplanten Ausbau von 2,3 GW in Relation. Die Spitzenlast im<br />

Stromnetz soll sich gemäß den Ergebnissen der BDI-Klimapfade<br />

von 77 GW in 2019 – die Bundesnetzagentur kalkulierte 2019<br />

einschließlich Netzverlusten mit 88 GW – auf 96 GW in 2030 erhöhen.<br />

Das EWI geht von 95 GW Spitzenlast und einer Bruttostromnachfrage<br />

von 725 TWh in 2030 aus.<br />

Auch der Wunsch der künftigen Koalitionäre, dass die Gaskraftwerke<br />

ab 2040 bzw. 2045 mit Wasserstoff zu betreiben sind, ist<br />

mit den Klimapfaden 2.0 des BDI kompatibel. So ist trotz der umfangreichen<br />

Elektrifizierung in den Sektoren Raumwärme, Industrie<br />

und Verkehr vorgesehen, dass substanzielle Mengen chemischer<br />

Energie in Form von grünem Wasserstoff und aus grünem<br />

Strom erzeugten flüssigen Brennstoffen importiert werden. Der<br />

Umfang soll dabei bei 237 TWh in Form von H2 sowie 305 TWh<br />

in Form synthetischer Brenn- und Kraftstoffe in 2045 liegen. Dies<br />

wäre allerdings nur noch ein Sechstel der importierten Energiemenge<br />

von heute. Weniger erfreulich ist aber, dass sich der Wert<br />

der Importe nur um die Hälfte auf 45 Milliarden Euro verringert.<br />

Das würde eine Verdreifachung der spezifischen Kosten für Importenergie<br />

bedeuten und weckt Zweifel an der finanziellen und<br />

wirtschaftlichen Nachhaltigkeit dieses Konzepts und dadurch<br />

letztlich auch an dessen Realisierbarkeit. Zum Vergleich hat<br />

Deutschland in 2020 etwa 840 TWh in Form von Rohöl zu Kosten<br />

von 24 Milliarden Euro bezogen, allerdings bei einem niedrigen<br />

Rohölpreisniveau.<br />

Quellen:<br />

Klimapfade 2.0 – Ein<br />

Wirtschaftsprogramm für<br />

Klima und Zukunft; Oktober<br />

2021; Boston Consulting<br />

Group, Gutachten<br />

für den BDI<br />

EWI-Analyse Auswirkungen<br />

des Koalitionsvertrags<br />

auf den Stromsektor<br />

2030; Max Gierkink,<br />

Dr. Johannes Wagner,<br />

Fabian Arnold, Berit<br />

Czock, Nils Namockel,<br />

Philipp Theile; Energiewirtschaftliches<br />

Institut<br />

an der Universität zu<br />

Köln (EWI) gGmbH;<br />

06.12.2021<br />

Mehr Fortschritt wagen –<br />

Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit<br />

und Nachhaltigkeit;<br />

Koalitionsvertrag<br />

2021 – 2025 zwischen<br />

der Sozialdemokratischen<br />

Partei Deutschlands<br />

(SPD), BÜNDNIS 90<br />

/ DIE GRÜNEN und den<br />

Freien Demokraten (FDP)<br />

DID YOU EDITORIAL KNOW? 5<br />

Für weitere<br />

In<strong>for</strong>mationen<br />

kontaktieren Sie bitte:<br />

Nicolas Wendler<br />

KernD<br />

Berliner Straße 88A<br />

13467 Berlin<br />

Germany<br />

E-mail: presse@<br />

KernD.de<br />

www.KernD.de<br />

Did you know?


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

Kalender<br />

CALENDAR 6<br />

2022<br />

<strong>Power</strong>Gen <strong>International</strong>.<br />

Clarion Events, Dallas, TX, USA<br />

www.powergen.com<br />

WM2022 - Waste Management Conference<br />

X-CD Technologies, Phoenix, AZ, USA<br />

www.wmsym.org<br />

26.01. – 28.<strong>01.2022</strong><br />

06.03. – 10.03.2022<br />

06.03. – 11.03.2022<br />

Virtual Conference<br />

NURETH19 – 19 th <strong>International</strong> Topical Meeting on <strong>Nuclear</strong> Reactor<br />

Thermal Hydraulics.<br />

SCK·CEN, Brussels, Belgium,<br />

www.nureth19.com<br />

<strong>Nuclear</strong> New Builds<br />

2022<br />

VIRTUAL CONFERENCE<br />

15 - 16 MARCH 2022<br />

(CET TIME)<br />

Virtual Conference<br />

NUCLEAR NEW BUILDS 2022<br />

Prospero Events<br />

www.prosperoevents.com<br />

<strong>Nuclear</strong> Innovation Conference 2022.<br />

NRG, Amsterdam, The Netherlands<br />

www.nuclearinnovationconference.eu<br />

15.03. – 16.03.2022<br />

24.03. – 25.03.2022<br />

NUWCEM 2022 – 4 th <strong>International</strong><br />

Symposium on Cement-Based Materials<br />

<strong>for</strong> <strong>Nuclear</strong> Wastes.<br />

SFEN, Avignon, France<br />

www.new.sfen.org<br />

PHYSOR 2022 – <strong>International</strong> Conference<br />

on Physics of Reactors 2022.<br />

ANS, Pittsburgh, PA, USA,<br />

www.ans.org<br />

04.05. – 06.05.2022<br />

15.05. – 20.05.2022<br />

22.05. – 25.05.2022<br />

NURER 2022 – 7 th <strong>International</strong> Conference on <strong>Nuclear</strong> and<br />

Renewable Energy Resources.<br />

ANS, Ankara, Turkey,<br />

www.ans.org<br />

30.05. – 03.06.2022<br />

20 th WCNDT – World Conference<br />

on Non-Destructive Testing.<br />

The Korean Society of Nondestructive Testing, Incheon, Korea<br />

www.20thwcndt.com<br />

SMiRT 26 – 26 th <strong>International</strong> Conference<br />

on Structural Mechanics in Reactor Technology.<br />

German Society <strong>for</strong> Non-Destructive Testing,<br />

Berlin/Potsdam, Germany<br />

www.smirt26.com<br />

10.07. – 15.07.2022<br />

04.09. – 09.09.2022<br />

NUTHOS-13 – 13 th <strong>International</strong> Topical<br />

Meeting on <strong>Nuclear</strong> Reactor Thermal Hydraulics, Operation and Safety.<br />

ANS, Taichung, Taiwan<br />

www.ans.org<br />

Terminverschiebung<br />

KERNTECHNIK 2022.<br />

KernD and KTG, Leipzig, Germany<br />

www.kerntechnik.com<br />

<strong>International</strong> Conference<br />

on Geological Repositories.<br />

EURAD, Helsinki, Finland<br />

www.ejp-eurad.eu<br />

21.06. - 22.06.2022<br />

04.04. – 08.04.2022<br />

14.11. – 17.11.2022<br />

12th <strong>International</strong> Symposium<br />

Release of Radioactive Materials | Provisions <strong>for</strong> Clearance and Exemption.<br />

TÜV Nord, Frankfurt, Germany<br />

www.tuev-nord.de<br />

GLOBAL 2022 – <strong>International</strong> Conference<br />

on <strong>Nuclear</strong> Fuel Cycle<br />

SFEN, Reims, France,<br />

www.new.sfen.org<br />

04.04. - 06.04.2022<br />

18.05. - 20.05.2022<br />

4 th CORDEL Regional Workshop –<br />

Harmonization to support the operation<br />

and new build of NPPs including SMR.<br />

World <strong>Nuclear</strong> Association, Lyon, France<br />

events.<strong>for</strong>atom.org<br />

15.11. – 17.11.2022<br />

ICOND 2022<br />

Aachen Institute <strong>for</strong> <strong>Nuclear</strong> Training, Aachen, Germany<br />

www.icond.de<br />

This is not a full list and may be subject to change.<br />

Calendar


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

Augmented and Virtual Reality<br />

in der Kerntechnik<br />

Laura Lender, Olaf Schroeder, Dr. Andreas Langer<br />

Einleitung und Zielsetzung Digitale Realitäten wie Virtual Reality (VR), Augmented Reality (AR) oder auch<br />

Mixed Reality (MR) haben sich in den vergangenen zehn Jahren von einem aussichtsreichen Zukunfts-/Innovationsthema<br />

zu einem praktischen Werkzeug für die Optimierung betrieblicher Prozesse entwickelt. Die zugrundeliegenden<br />

Technologien zeichnen sich mittlerweile durch einen hohen Reifegrad aus. Insbesondere leistungsfähige Datenübertragungstechniken<br />

und die Miniaturisierung von Endgeräten haben entscheidend zur Verbreitung und Anwendung der<br />

Technik beigetragen. Ein Treiber der Entwicklung waren nicht zuletzt auch die technischen Einsatzmöglichkeiten im<br />

Consumer Markt, die mit Aussicht auf hohe Stück- bzw. Verkaufszahlen, die Investitionsbereitschaft in diese Technik<br />

entscheidend stimuliert haben. Bekannt ist der Einsatz von AR- und VR-Technik insbesondere aus der<br />

Videospielindustrie.<br />

Auch im Rahmen der gewerblichen Nutzung identifizieren<br />

die Unternehmen immer weitere Einsatzgebiete. Diese<br />

Ausdehnung der Anwendungsmöglichkeiten trägt wiederum<br />

dazu bei, noch bestehende Hürden – seien es hohe (Investitions-)Kosten,<br />

Integrationshemmnisse oder gar Akzeptanzprobleme<br />

– i. S. einer weiteren Wachstumsbeschleunigung<br />

zu überwinden. Die neue Technik wird von<br />

Unternehmen dafür geschätzt, dass sich nicht nur Arbeitsabläufe<br />

und Trainings mit ihr unterstützen und vereinfachen<br />

lassen, sondern auch die Prozesskosten nachhaltig<br />

gesenkt werden können.<br />

Vor dem Hintergrund dieses vielsprechenden Nutzungspotenzials<br />

geht der Artikel der Frage nach, wie sich AR in<br />

kerntechnischen Unternehmen sinnvoll einsetzen lässt.<br />

Hierzu werden zuerst die Funktionsbausteine einer AR-Lösung<br />

sowie deren Anwendungspotenzial in der Kerntechnik<br />

näher beleuchtet. Anschließend erfolgt eine Auseinandersetzung<br />

mit den An<strong>for</strong>derungen an die Technologie,<br />

die sich aus dem kerntechnischen Umfeld im Besonderen<br />

ergeben.<br />

Damit ist die Basis gelegt, um eine Methodik aufzuzeigen,<br />

wie man AR-Technologie für das eigene Unternehmen<br />

nutzbar machen kann. Diese Vorgehensweise wird anhand<br />

des Pilotprojekts „Wiederkehrende Prüfungen“ transparent<br />

gemacht. Abschließend wird ein Ausblick zur Einführung<br />

gegeben.<br />

Was sind digitale Realitäten?<br />

VR, als künstliche und virtuelle Realität, bildet eine reale<br />

Wirklichkeit oder Umgebung ab, in der unterschiedliche<br />

Veränderungen und deren Auswirkungen ohne „physische<br />

Risiken“ dargestellt werden können. D.h. der Benutzer<br />

kann in die künstliche Welt eintauchen und mit ihr interagieren.<br />

1<br />

In wortwörtlicher Übersetzung bedeutet AR hingegen erweiterte<br />

Realität. Gemeint ist damit, dass ein AR-Anwender<br />

zusätzlich zu dem Bild, was er sich von der Welt einer<br />

Situation oder aber einem Gegenstand macht, computergenerierte<br />

Daten erhält, die dazu führen, dass seine persönliche<br />

Wahrnehmung gezielt um solche In<strong>for</strong>mationen<br />

erweitert wird, die er für einen bestimmten<br />

(Bearbeitungs- / Wahrnehmungs-Zusammenhang) Kontext<br />

benötigt. 2 Augmented Reality ist somit – anders als die<br />

Virtual Reality, die gänzlich synthetisch im Computer erzeugt<br />

wird – eine Erweiterung der Daten der realen Welt<br />

um zusätzliche, computergenerierte Daten.<br />

Mixed Reality verbindet die reale Welt und die virtuelle<br />

Realität noch stärker miteinander. Der Anwender kann mit<br />

beiden Welten interagieren und beide Welten beeinflussen.<br />

Wie bei der Augmented Reality kann der Nutzer durch<br />

die Brille weiterhin die reale Welt wahrnehmen. Zusätzlich<br />

werden virtuelle Elemente als Pixel auf die Augen projiziert,<br />

sodass beide Welten miteinander ergänzt werden.<br />

Im Gegensatz zur Augmented Reality werden räumliche<br />

Gegebenheiten erschlossen, sodass eine Interaktion möglich<br />

wird.<br />

Funktionsbausteine der Augmented Reality<br />

und Virtual Reality<br />

Eine AR-Anwendung besteht im Wesentlichen aus vier<br />

Bausteinen: dem Anwender, der realen Umgebung, in welcher<br />

sich dieser gerade befindet, einer zusätzlichen digitalen<br />

In<strong>for</strong>mation und einem programmierten Mechanismus,<br />

der es dem Anwender erlaubt, ganz gezielt eine Echtzeitinteraktion<br />

mit einem virtuellen Objekt oder einer digitalen<br />

In<strong>for</strong>mation in Verbindung mit seiner realen Welt<br />

durchzuführen. Hierfür benötigt die AR-Anwendung eine<br />

technische Infrastruktur, die aus den folgenden Hardwareund<br />

Software-Komponenten besteht:<br />

p Systeme zur Bereitstellung / Verarbeitung kontextbasierter<br />

Zusatzin<strong>for</strong>mationen<br />

p Kabellose Datenübertragungsnetze<br />

p Mobile Geräte zur Erfassung der aktuellen Umgebungssituation<br />

(Kamera / Mikrofon) und zur kombinierten<br />

Bereitstellung digitaler Inhalte bzw. computergenerierter<br />

Inhalte (Datenbrille / Lautsprecher)<br />

Anwendungspotenzial in der Kerntechnik<br />

In der Kerntechnik lassen sich digitale Realitäten in einigen<br />

Anwendungsfeldern bereits sinnvoll einsetzen. Drei<br />

davon sollen im Folgenden exemplarisch skizziert werden.<br />

FEATURE | RESEARCH AND INNOVATION 7<br />

1 Philipp Hammer (2016): Virtual Reality: Die Erschaffung neuer Welten, Zukunftsinstitut (Hrsg.) [online] https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/virtual-reality-die-erschaffung-neuer-welten/<br />

[abgerufen am 30.11.2021]<br />

2 C-LAB (2005): Augmented Reality: In<strong>for</strong>mation im Fokus, C-LAB Report [online] https://www.c-lab.de/fileadmin/clab/C-LAB_Reports/1_C-LAB-TR-2005-1-Augmented_Reality_In<strong>for</strong>mation_im_Fokus.pdf<br />

[abgerufen am 30.11.2021]<br />

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Augmented and Virtual Reality in der Kerntechnik ı Laura Lender, Olaf Schroeder, Dr. Andreas Langer


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

FEATURE | RESEARCH AND INNOVATION 8<br />

Remote Assistance<br />

Ein vielversprechendes Einsatzgebiet liegt in der Remote-<br />

Unterstützung von Reparatur-, Prüfungs- und Wartungsarbeiten<br />

an Anlagen. Hierzu müssen die spezialisierten,<br />

externen Service-Mitarbeiter nicht mehr zwingend vor Ort<br />

in der Anlage sein. Die Arbeiter werden im Zuge ihrer Arbeitsausführung<br />

aus der Ferne unterstützt. Die Zusammenarbeit<br />

zwischen den Monteuren und den Servicetechnikern<br />

wird dadurch sichergestellt, dass der Service-Techniker<br />

eine Live-Übertragung der Anlage am Bildschirm<br />

mitverfolgen kann. 3 Die AR-Lösung stellt dabei sicher, dass<br />

der externe Servicetechniker einzelne Bedienelemente<br />

oder Anlagenteile für den Monteur vor Ort über seine Datenbrille<br />

bildlich hervorheben kann. Dabei ist sichergestellt,<br />

dass ihm tatsächlich die korrekte Stelle der Anlage<br />

angezeigt wird, selbst wenn sich der Monteur gerade vor<br />

der Maschine bewegen sollte. Diese Kommunikationstechnik<br />

erlaubt es den externen Servicetechnikern, Schritt für<br />

Schritt durch die Wartung oder eine Reparatur zu führen,<br />

ohne dass sie den Monteur hierzu physisch begleiten müssten.<br />

Die Durchführung solcher Reparatur- / Prüf- und Wartungsarbeiten<br />

muss natürlich immer im Einklang mit der<br />

Regulatorik erfolgen. Die regulatorischen Vorgaben wird<br />

der ausführende Monteur (und der Servicetechniker) natürlich<br />

nicht alle im Kopf haben können. Daher bietet ihm<br />

die „AR-Remote Assistance“-Lösung als weitere Funktionalität<br />

den Abruf von Unterlagen aus dem kerntechnischen<br />

Regelwerk (KTA) über die Datenbrille an. Damit kann der<br />

Monteur je nach In<strong>for</strong>mationsbedarf auch das BHB, PHB<br />

und das Notfallhandbuch (KTA 1201, 1202, 1203) jederzeit<br />

abrufen. Diese Option besteht auch für ganz spezifische<br />

Unterlagen z. B. zum Reaktorschutzsystem und den<br />

Überwachungseinrichtungen des Sicherheitssystems (KTA<br />

3501) oder den Dokumentationen zur KTA 1404 (Bau und<br />

Betrieb von Kernkraftwerken).<br />

Training und Schulung<br />

Augmented und Virtual Reality-Lösungen können dabei<br />

unterstützen, dass realitätsnahes Lernen und Trainieren in<br />

Zukunft völlig ortsunabhängig stattfinden kann. Dies ist<br />

vor allen Dingen dann für kerntechnische Einrichtungen<br />

von Interesse, wenn Reparatur- oder Wartungsarbeiten an<br />

Systemen oder Komponenten trainiert werden müssen,<br />

die sich in strahlenexponierten Bereichen der Anlage befinden.<br />

Durch eine virtuelle Spiegelung der Arbeitsumgebung<br />

ist es möglich, die Bedienung, Wartung oder Reparatur<br />

von Systemen, ohne jegliche Strahlenbelastung für die<br />

Monteure durchzuführen. Auch potenziell kritische Situationen<br />

lassen sich auf diese Weise virtuell bzw. vorausschauend<br />

trainieren. 4 Damit sind auch Kosteneinsparungen<br />

verbunden, da auf das praktische Vor-Ort-Training,<br />

das unter Strahlenschutzbedingungen (PSA, Arbeitserlaubnisschein,<br />

etc.) stattfinden müsste, verzichtet werden<br />

kann.<br />

Collaborative Engineering<br />

Die AR-Technologie lässt sich in der Kerntechnik für Zwecke<br />

von baulichen und technischen Veränderungen an der<br />

Konstruktion, Architektur und Gebäudeausstattung nutzen.<br />

Hierzu müssen die Gebäude- und Ausstattungsdaten<br />

(Räumlichkeiten, Abmessungen, technische Infrastruktur<br />

wie Be- und Entlüftung, Brandschutzanlagen, Anlagentechnik<br />

etc.) allerdings in visueller bzw. digitaler Form<br />

vorliegen. Diese Gebäude- und Raumdaten können dann<br />

zielgerichtet für Zwecke der weiteren Bearbeitung (z. B.<br />

Durchführung von Veränderungsmaßnahmen oder den<br />

Rückbau selbst) als Ist-Zustand in einen virtuellen Besprechungsraum<br />

hochgeladen werden. Dieser Ausgangszustand<br />

kann dann von den virtuellen Besprechungsteilnehmern<br />

(Bau- / Anlagen- / Verfahrensingenieure, Planer,<br />

Prüfer, Strahlenschützer, Sachverständige, etc.) entsprechend<br />

der vorgegebenen Zielsetzung und Aufgabenstellung<br />

baulich bzw. konstruktiv verändert werden. Diese<br />

baulichen Veränderungen werden wiederum in (mehreren)<br />

Modellen abgebildet, die von den Teilnehmern auch<br />

virtuell begangen und so begutachtet werden können. Diese<br />

Form der Daten- und In<strong>for</strong>mationsbereitstellung in einem<br />

virtuellen Besprechungsraum ermöglicht es den Teilnehmern,<br />

bauliche Modifikationen völlig unabhängig von<br />

ihrem tatsächlichen Aufenthaltsort gemeinsam vorzunehmen.<br />

Die Verwendung eines solchen „Digitalen Zwillings“<br />

erweist sich insbesondere dann als Vorteil, wenn von den<br />

Räumlichkeiten, baulichen Strukturen bzw. den dort installierten<br />

Anlagen ein Risiko für die Strahlenexposition<br />

ausgeht. Gesundheitliche Belastungen lassen sich so für<br />

alle Beteiligten auf ein Minimum reduzieren bzw. sogar<br />

gänzlich ausschließen.<br />

Gerade der Rückbau von Kernkraftwerken profitiert von<br />

dieser Art der Zusammenarbeit, weil verschiedene Experten<br />

aus unterschiedlichen Unternehmen und Einrichtungen<br />

schnell und flexibel zusammengebracht werden können,<br />

um an einer Aufgaben- und Problemstellung gemeinsam<br />

virtuell arbeiten zu können, ohne sich der Strahlenexposition<br />

aussetzen zu müssen. Dies sollte der Einhaltung<br />

der Plantermine ebenfalls zum Vorteil gereichen.<br />

Kerntechnischen An<strong>for</strong>derungen für<br />

AR-Lösungen in den Anlagen<br />

Sicherheit in Kernkraftwerken ist oberstes Gebot! Genau<br />

deshalb muss bei der Konzeption und Nutzung von AR-Lösungen<br />

in strahlenexponierten Bereichen ein besonderes<br />

Augenmerk auf den Aspekt der Sicherheit gelegt werden.<br />

Die Nutzung einer AR-Lösung darf nicht dazu führen, dass<br />

der Anwender bei seiner Arbeit von optischen oder akustischen<br />

Warnsignalen abgelenkt wird. Dies hätte Gesundheitsrisiken<br />

zur Folge. Dem Sicherheitsaspekt angemessen<br />

Rechnung zu tragen, ist eine wesentliche Gestaltungsaufgabe<br />

im Rahmen der praktischen Entwicklung einer AR-<br />

Lösung. Grundsätzlich lösbar ist diese Heraus<strong>for</strong>derung,<br />

zumindest dann, wenn die notwendigen daten- bzw. ITtechnischen<br />

Voraussetzungen vorliegen. Denkbar ist der<br />

Einsatz von Sensoren, um sicherheitsrelevante Parameter<br />

in der Arbeitsumgebung <strong>for</strong>twährend zu erfassen und gegen<br />

Schwell- und Grenzwerte zu überwachen. Die aktuellen<br />

Sicherheitsdaten könnten dem Nutzer als Zusatzin<strong>for</strong>mationen<br />

in real-time in seine Datenbrille eingespielt werden,<br />

um diesem ein angemessen hohes Sicherheitsniveau<br />

gewährleisten zu können.<br />

Eine weitere An<strong>for</strong>derung an eine zu implementierende<br />

AR-Applikation leitet sich aus der KTA 3901 „Kommunikationseinrichtungen<br />

für Kernkraftwerke“ ab, wonach die<br />

Anwendung die vorhandenen Kommunikationssysteme<br />

3 Björn Lambertz (2017): Augmented Reality in der Instandhaltung, Maintcare (Hrsg.) [online] https://maint-care.de/sap-pm/augmented-reality-in-der-instandhaltung/<br />

[abgerufen am 30.11.2021]<br />

4 Wirtschaft digital Baden-Württemberg (2021): Augmented- und Virtual-Reality-Technologien: Das Innovationspotenzial von erweiterter und virtueller Realität [online]<br />

https://www.wirtschaft-digital-bw.de/aktuelles/thema-des-monats/augmented-und-virtual-reality-technologien [abgerufen am 30.11.2021]<br />

Feature<br />

Augmented and Virtual Reality in der Kerntechnik ı Laura Lender, Olaf Schroeder, Dr. Andreas Langer


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

| Abb. 1<br />

Das Vorgehen zur systematischen Digitalisierung.<br />

nicht stören darf. Grundgedanke dieser An<strong>for</strong>derung ist<br />

die Gewährleistung einer hohen technischen Zuverlässigkeit<br />

insbesondere i. S. von Verfügbarkeit. Darüber hinaus<br />

sind die Integrität und Vertraulichkeit der übertragenen<br />

Daten grundlegende An<strong>for</strong>derungen, die sich aus dem Bedürfnis<br />

nach In<strong>for</strong>mationssicherheit ableiten. Maßgeblich<br />

hierfür ist die SEWD-Richtlinie, die gebietet, das Daten<br />

über die Struktur von kerntechnischen Anlagen generell<br />

als vertraulich einzustufen sind. Die Notwendigkeit zur<br />

Vertraulichkeit schließt darüber hinaus auch jene Daten<br />

ein, die den aktuellen Zustand einer kerntechnischen Anlage<br />

betreffen. Genau solche Zustandsdaten werden aber<br />

von AR-Lösungen erhoben, gespeichert und verarbeitet.<br />

Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass solche AR-Systeme<br />

natürlich in besonderem Maße zu schützen sind. In die<br />

Forderung nach In<strong>for</strong>mationssicherheit sind auch die persönlichen<br />

Daten der Nutzer eingeschlossen, die ihre Arbeit<br />

in strahlenexponierten Bereichen eines KKWs abwickeln.<br />

Auch spielen Verfügbarkeit und Integrität der sicherheitsrelevanten<br />

Daten eine zentrale Rolle. Dies schließt auch<br />

die elektronische Archivierung nach KTA 1404/Anlage B<br />

ein, in der eine „Sicherung der Dokumente vor unbefugter<br />

Veränderung und Verlust“ hervorgehoben wird.<br />

Damit einher geht die An<strong>for</strong>derung einer hinreichend hohen<br />

Per<strong>for</strong>mance. Sowohl die Datenanbindung als auch<br />

das Leistungsvermögen der genutzten Endgeräte in den<br />

Anlagen dürfen nicht zum Flaschenhals des Gesamtsystems<br />

werden. Dies ist unabdingbar, um eine ungehinderte<br />

Weiterleitung von Gefahrenin<strong>for</strong>mationen ohne Zeitverzug<br />

sicherstellen zu können.<br />

Erwartungsgemäß sollte das AR-System auch eine hohe<br />

Nutzerakzeptanz bei der Anlagenmannschaft besitzen.<br />

Diese hängt wiederum von verschiedenen Faktoren ab.<br />

Dazu zählen die Ergonomie der vom AR-System eingesetzten<br />

Hard- und Software, ein angenehmes Trage-Empfinden<br />

des Endgeräts (z. B. AR-Brille) sowie die Verfügbarkeit<br />

nützlicher und vor allen Dingen arbeitserleichternder<br />

Funktionen.<br />

Als abschließende An<strong>for</strong>derung bleibt festzuhalten, dass<br />

sich das AR-System und seine Komponenten sicher und<br />

einfach in die bestehende Systemlandschaft integrieren<br />

lassen. Dies trägt zur Begrenzung der Integrationskosten<br />

bei.<br />

Vorgehensweise zur Identifizierung von Use<br />

Cases und der Einführung einer<br />

AR-Anwendung<br />

Nachfolgend wird eine Vorgehensweise aufgezeigt, wie<br />

sich AR in den technischen Bereich einer kerntechnischen<br />

Anlage nutzbringend einführen lässt. Die Herangehensweise<br />

zur Identifikation und praktischen Hebung von Digitalisierungspotenzialen<br />

stellt dabei eine systematische<br />

Denkweise in das Zentrum der methodischen Überlegungen,<br />

um einen möglichst breiten Nutzen durch den Technologieeinsatz<br />

im Unternehmen sicherstellen zu können.<br />

Konkrete Ziele, die mit diesem Vorgehen verfolgt werden,<br />

sind eine umfassende Analyse der technologischen Möglichkeiten,<br />

frühzeitiges Erkennen von Rahmenbedingungen,<br />

eine systematische Umsetzung von Pilotanwendungen<br />

sowie objektive und nachvollziehbare Entscheidungen<br />

zur Umsetzung. Für diesen Gestaltungsprozess ist kennzeichnend,<br />

dass eine erste potenzielle Anwendungsidee<br />

zum AR-Einsatz Schritt für Schritt in die Praxis umgesetzt<br />

wird, um zu guter Letzt in den Regelbetrieb überführt zu<br />

werden.<br />

Ausgangspunkt sollte immer die Zieldefinition und die Ableitung<br />

eines Rahmenwerks für den AR-Einsatz sein. In<br />

dieser 1. Projektphase sind die Verantwortlichen – z. B. der<br />

Instandhaltung – aufge<strong>for</strong>dert, die konkreten Ziele festzulegen,<br />

die das Unternehmen mit der Digitalisierung der<br />

Arbeitsabläufe in der Technik verfolgt. Neben dem unverhandelbaren<br />

Ziel der Gewährleistung von Sicherheit, sind<br />

dies auch für Kernkraftwerke nicht zuletzt die Steigerung<br />

der Effizienz und Qualität der Instandhaltungsprozesse.<br />

Wichtig ist aber auch der Aufbau eines Rahmenwerks, der<br />

den zukünftigen Einsatz der AR-Technologie in der Instandhaltung<br />

und in der Anlage allgemein skizziert. Mit<br />

der Ausgestaltung dieses Rahmenwerks (z. B. ein Leitfaden<br />

zur Erarbeitung, Bewertung und Implementierung<br />

von Use Cases) liegen die Voraussetzungen vor, um AR-<br />

Ideen aus dem betrieblichen Instandhaltungsalltag ableiten<br />

zu können.<br />

Die Identifikation von AR-Anwendungen ist Teil eines systematischen<br />

Vorgehens, das in dieser frühen Phase der Digitalisierung<br />

(2. Projektphase) erst einmal „nur“ Ideen<br />

sammelt. Zur Ideensammlung aus dem betrieblichen Instandhaltungsalltag<br />

kann eine Brainstorming-Sitzung anberaumt<br />

werden. Um eine möglichst umfassende bzw.<br />

vollständige Analyse der Digitalisierungspotenziale sicherzustellen,<br />

sollte dieser Aufgabenschritt zudem systematisch/<br />

methodisch unterstützt werden. Hierzu werden den<br />

zukünftigen Technologie-Nutzern bereits vor<strong>for</strong>mulierte<br />

Archetypen zu AR-Anwendungsfällen zur Verfügung gestellt.<br />

Über die Archetypen erhalten die Sitzungsteilnehmer<br />

einen Anhaltspunkt zur systematischen Identifikation<br />

von Möglichkeiten innerhalb der (Instandhaltungs-) Prozesse.<br />

Erwartungsgemäß gibt es diesbezüglich eine<br />

FEATURE | RESEARCH AND INNOVATION 9<br />

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Augmented and Virtual Reality in der Kerntechnik ı Laura Lender, Olaf Schroeder, Dr. Andreas Langer


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FEATURE | RESEARCH AND INNOVATION 10<br />

| Abb. 2<br />

Unterstützung bei der Potenzialerkennung durch Archetypen möglicher Anwendungsfälle.<br />

Spannbreite, die von der Bereitstellung vordefinierter Zusatzin<strong>for</strong>mationen<br />

(einfach) bis hin zu durch das AR-System<br />

generierten In<strong>for</strong>mationen (komplex) reicht. Zwischen<br />

diesen beiden Anwendungsextremen gibt es die<br />

Fallkonstellation, dass dem AR-Nutzer während der Prozessdurchführung<br />

die Funktionalität zur Datenerfassung<br />

bereitgestellt wird.<br />

Nachdem die potenziellen Anwendungsfälle identifiziert<br />

und erfasst wurden, muss sich in der 3. Projektphase eine<br />

Einzelbewertung anschließen. Hierfür werden geeignete<br />

Bewertungskriterien benötigt. Dies können z. B. die mit<br />

dem AR-Einsatz verbundenen organisatorischen Implikationen<br />

und natürlich auch die wirtschaftlichen Auswirkungen<br />

für den Bereich (Instandhaltung) sein. Um die Potenziale<br />

eines Anwendungsfalls präzise einordnen zu können,<br />

sollte der AR-Nutzer einerseits durch eine Prozessanalyse<br />

und andererseits durch eine systematische Erfassung der<br />

wichtigsten Charakteristika des Anwendungsfalls methodisch<br />

unterstützt werden. Im Zuge der Prozessanalyse<br />

wird der Prozessablauf in seine einzelnen Schritte zerlegt.<br />

Für jeden einzelnen Prozessschritt ist die mögliche Arbeitsunterstützung<br />

durch die AR-Technik zu untersuchen.<br />

Die systematische Erfassung des Anwendungsfalls in einem<br />

Steckbrief sollte neben den Zielen und organisatorischen<br />

Implikationen auch die Chancen und Risiken sowie<br />

eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung beinhalten, um ein<br />

ganzheitliches Bild für die abschließende Bewertung zu<br />

erhalten. Im Ergebnis erhält man dann eine Übersicht der<br />

als aussichtsreich bzw. „positiv“ eingestuften Anwendungsfälle,<br />

die wiederum die Basis für die Auswahl des<br />

Piloten stellt.<br />

Ist die Entscheidung zugunsten eines Piloten gefallen, ist<br />

diese Projektidee mit entsprechender soft- und hardwaretechnischer<br />

Unterstützung bzgl. der praktischen Umsetzung<br />

durchzuführen und nachzubereiten (4. Projektphase).<br />

Ein kritischer Erfolgsfaktor ist spätestens in dieser<br />

Phase die Auswahl geeigneter Hard- und Software. Sobald<br />

dies geschehen ist, kann die Pilotierung vorbereitet werden,<br />

indem die Hard- und Software in Betrieb genommen<br />

werden und ein Setup erfolgt. Ggf. ist auch eine IT-Anbindung<br />

der Technologie an die bestehenden Systeme aufzubauen.<br />

Schließlich ist der ausgewählte Anwendungsfall<br />

umzusetzen und das Personal entsprechend zu schulen<br />

bzw. instruieren. Außerdem sollten Maßnahmen festgelegt<br />

werden, die den Erfolg des Pilotfalls messen können,<br />

wie bspw. das Messen der Zeit, wenn das Ziel ist,<br />

Ressourcen durch Beschleunigung des Prozesses einzusparen.<br />

In der Pilotdurchführung wird die neue Technologie<br />

in einem vorgegebenen Prozess genutzt. Bei der Durchführung<br />

sollten mindestens die direkt betroffenen Fachbereiche<br />

(Prozess-Verantwortlichen) aktiv teilnehmen. Darüber<br />

hinaus kann es von Vorteil sein, wenn auch die IT und<br />

angrenzende Fachbereiche mit in die Pilotphase einbezogen<br />

werden. Parallel zur Durchführung werden die festgelegten<br />

Maßnahmen zur Analyse angewandt (Prüfung der<br />

Messwertgenauigkeit, Prozessdauer etc.), um aussagefähige<br />

Daten für die Auswertung und Nachbereitung zu erhalten.<br />

Die Durchführung des Piloten endet mit einer Nachbetrachtung,<br />

die sich der Frage stellt, ob und inwieweit die<br />

gesteckten Projektziele erreicht werden konnten. Auch eine<br />

wirtschaftliche Nachbetrachtung wird zu diesem Zeitpunkt<br />

durchgeführt. Schließlich kann so eine objektive<br />

und nachvollziehbare Entscheidung zur Umsetzung im<br />

operativen Regelbetrieb getroffen werden.<br />

An die positive Bewertung der Zielerreichung und Entscheidung<br />

zur Einführung schließt sich eine organisatorische<br />

Implementierung des durch AR-Einsatz veränderten<br />

Prozessablaufs an. Dies ist gleichbedeutend mit einer<br />

Überführung der AR-Anwendung in den operativen Regelbetrieb<br />

(5. Projektphase). Die Anpassungen, die für die<br />

Integration in den Regelbetrieb er<strong>for</strong>derlich sind, erfolgen<br />

| Abb. 3<br />

Dimensionen für die erfolgreiche Übernahme von AR in den Regelbetrieb.<br />

Feature<br />

Augmented and Virtual Reality in der Kerntechnik ı Laura Lender, Olaf Schroeder, Dr. Andreas Langer


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

grundsätzlich in den drei Dimensionen: IT-Technik, Prozesse<br />

und Personal.<br />

Aus Sicht der IT-technischen Integration sind jene Anpassungen<br />

er<strong>for</strong>derlich, die über die vom Piloten als Übergangslösung<br />

benötigte IT-Infrastruktur hinausgehen. Dies<br />

kann sowohl die Beschaffung mehrerer Datenbrillen und<br />

Lizenzen als auch die Ausweitung des Netzwerkzugangs<br />

zur Folge haben. Die prozessuale Integration geht mit der<br />

Anpassung der IT-Architektur Hand in Hand. Mit Hilfe des<br />

neuen Equipments und der Software sind die Prozessabläufe<br />

(in der Instandhaltung) an die veränderten organisatorischen<br />

Abläufe anzupassen. Operativ funktionieren<br />

wird der neue AR-Prozess aber nur dann, wenn er von den<br />

Mitarbeitern getragen wird. Dies setzt wiederum Akzeptanz<br />

voraus, die sich dadurch erreichen lässt, dass die Mitarbeiter<br />

möglichst frühzeitig (z. B. Teilnahme am Piloten)<br />

in den Einführungsprozess eingebunden werden. Ergänzend<br />

muss für das betroffene Personal der Schulungs- und<br />

Weiterbildungsbedarf geprüft und festgelegt werden. Die<br />

im Rahmen der Pilotanwendung gewonnen Erkenntnisse<br />

sollten wiederum als „Lessons Learned“ in das Rahmenwerk<br />

rückfließen bzw. eingearbeitet werden.<br />

Damit Unternehmen Digitalisierungspotenziale überhaupt<br />

heben können, ist die methodische bzw. systematische<br />

Vorgehensweise eine unverzichtbare Voraussetzung für<br />

den praktischen Erfolg von AR-Projekten. Daher wird die<br />

Vorgehensweise bzw. das 5-Phasenkonzept anhand des<br />

Praxisbeispiels "AR-Pilot - Wiederkeherende Prüfungen"<br />

nachstehend dargestellt.<br />

Projekt-/Praxis-Beispiel – Wiederkehrende<br />

Prüfungen<br />

Zu Beginn des Projektes und damit der ersten Projektphase<br />

wurden alle Beteiligten einbezogen und das Ziel des Projektes<br />

verdeutlicht: Ziel war es, ein systematisches Vorgehen<br />

zur Digitalisierung der Instandhaltung zu entwickeln,<br />

eine umfassende Sammlung an möglichen Anwendungsfällen<br />

zu erstellen, zielgerichtet einen Fall auszuwählen<br />

und zu pilotieren und schließlich in den Regelbetrieb zu<br />

überführen. Von Beginn des Projektes an lag der Fokus auf<br />

der nachhaltigen Überführung in eine dauerhafte Nutzung.<br />

Bereits in den ersten Gesprächen wurde deutlich, dass für<br />

die erfolgreiche Überführung in den Regelbetrieb die<br />

Überzeugung des TÜV als Sachverständigen und regulatorische<br />

Hürde maßgeblich sein würde. Davon abgeleitet<br />

wurde die Prämisse, dass sich die Prozessdokumentation<br />

durch den Einsatz der Technologie nicht wesentlich<br />

ändern sollte. Diese und weitere Rahmenbedingungen<br />

wurden in den Leitfaden überführt und bildeten nun die<br />

Leitplanken der Umsetzung. Neben den individuellen Zielen<br />

der Einführung (Sicherheit, Effizienz, Wissensmanagement,<br />

etc.) und dem Vorgehen, wurden in dem Leitfaden<br />

die technologischen Möglichkeiten grundsätzlich erläutert<br />

und beispielhaft Anwendungen aufgezeigt. Um den Mitarbeitern<br />

die Identifikation von Anwendungen möglichst<br />

leicht zu machen, wurden außerdem sogenannte Archetypen<br />

des AR-Einsatzes gebildet. Mithilfe dieser wurden die<br />

Instandhaltungsprozesse auf mögliche Einsätze der Technologie<br />

untersucht (Projektphase 2).<br />

So wurde durch Ideen aus den Gesprächen und der systematischen<br />

Analyse der Prozesse eine umfassende Sammlung<br />

an Anwendungsfällung aufgestellt. Aus dieser wurden<br />

drei Fälle aus drei unterschiedlichen Fachrichtungen<br />

ausgewählt, die besonders vielversprechend waren. Die<br />

drei Fälle wurden detailliert auf die Einsatzmöglichkeiten<br />

untersucht, Prozesse genau analysiert und mithilfe einer<br />

Bewertungsmatrix hinsichtlich der Einführung und der<br />

wirtschaftlichen Auswirkungen bewertet (Projektphase<br />

3). Auf dieser Basis wurde schließlich einer der drei Fälle<br />

für die Pilot-Umsetzung mit einer bestimmten Technologie<br />

ausgewählt.<br />

Der Pilotfall stellt eine wiederkehrende Prüfung (WKP)<br />

dar, bei der die Spannung von Batteriezellen geprüft und<br />

mithilfe einer Datenbrille bzw. eines Sprachassistenten dokumentiert<br />

wird. Ohne digitale Unterstützung stellt sich<br />

die Prüfung so dar, dass zwei Prüfer gemeinsam in die Anlage<br />

gehen, einer die Spannung der Batterien mithilfe eines<br />

Multimeters misst und dem zweiten Prüfer den gemessenen<br />

Wert mündlich mitteilt. Dieser schreibt den Wert<br />

händisch in das Protokoll. Mit der Unterstützung der Brille<br />

und des Sprachassistenten kann ein Prüfer unabhängig in<br />

die Anlage gehen und die Prüfung durchführen. Am eigentlichen<br />

Ablauf ändert sich dabei kaum etwas: Er wird<br />

weiterhin durch den Prozess geführt, misst die Spannungen<br />

der einzelnen Blöcke und liest den Messwert laut ab.<br />

Pro Zelle fragt die Software in einem Dialog den Messwert<br />

ab, gibt den verstandenen Wert in der Brille wieder und<br />

warnt den Prüfer, wenn der Wert außerhalb der Toleranz<br />

liegt.<br />

Die Prozessanalyse und auch die Bewertung dienten bereits<br />

als Vorbereitung für die Pilotierung. In der 4. Projektphase<br />

wurden die Prüfanweisung und das Prüfprotokoll<br />

außerdem genutzt, um den Prozessablauf Schritt für<br />

Schritt in die Software zu übersetzen und den Prüfer so<br />

aktiv durch den Prozess führen zu können. Außerdem<br />

FEATURE | RESEARCH AND INNOVATION 11<br />

| Abb. 4<br />

AR-Brille mit Sícht auf das Protokoll.<br />

Feature<br />

Augmented and Virtual Reality in der Kerntechnik ı Laura Lender, Olaf Schroeder, Dr. Andreas Langer


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

FEATURE | RESEARCH AND INNOVATION 12<br />

wurde die Ausgabe der erfassten Werte so gestaltet, dass<br />

sie im ursprünglichen Protokoll ausgegeben werden können.<br />

Die Durchführung der Pilotierung beinhaltete schließlich<br />

mehrere Durchläufe, bei denen die Software getestet und<br />

jeweils optimiert wurde. Hierzu zählten beispielsweise eine<br />

deutlichere Warnung, wenn der Wert außerhalb der<br />

Toleranz lag oder auch das Zahlen<strong>for</strong>mat, mit dem ein<br />

Wert in das Protokoll geschrieben wurde (zwei Nachkommastellen).<br />

Außerdem wurde ein Prüfer soweit eingewiesen,<br />

dass er den letzten Prüfumlauf schließlich komplett<br />

selbstständig durchführen konnte. Parallel wurden die<br />

Analysemaßnahmen durchgeführt, um die Qualität zu sichern<br />

und festzustellen, ob sich der Einsatz der Technologie<br />

auf die Dauer oder die Sicherheit des Prozesses auswirkte.<br />

Nachdem die Lösung stabil funktionierte, wurde die Pilotierung<br />

nachbereitet. Hierbei wurden v.a. die Vorteile, die<br />

Wirtschaftlichkeit und weiteren Erkenntnisse bewertet,<br />

um schließlich eine begründete Entscheidung bzgl. der<br />

Übernahme in den Regelbetrieb zu treffen. Die großen<br />

Vorteile liegen hierbei in der Effizienz durch die Reduzierung<br />

und Flexibilisierung des Ressourcenbedarfs, die Qualitätssteigerung<br />

durch Rückspielen der erfassten Werte auf<br />

die Datenbrille, Steigerung der Sicherheit durch Reduzierung<br />

der Strahlenbelastung und der Datenverfügbarkeit<br />

durch das digitale Speichern der erfassten Daten. Die weiteren<br />

Lessons Learned wurden gesammelt und zurück in<br />

den Leitfaden gespielt, um sie beim nächsten Einsatz direkt<br />

nutzen zu können.<br />

Nach der positiven Entscheidung für die Übernahme wurde<br />

in einem letzten Schritt die organisatorische Implementierung<br />

umgesetzt (5. Projektphase). So steht einer nachhaltigen<br />

Nutzung der Technologie sowie dem Ausbau der<br />

Nutzung nichts mehr entgegen.<br />

Quellenverzeichnis:<br />

| Björn Lambertz (2017): Augmented Reality in der Instandhaltung, Maintcare (Hrsg.) [online]<br />

https://maint-care.de/sap-pm/augmented-reality-in-der-instandhaltung/ [abgerufen am<br />

30.11.2021]<br />

| C-LAB (2005): Augmented Reality: In<strong>for</strong>mation im Fokus, C-LAB Report [online] https://www.c-lab.<br />

de/fileadmin/clab/C-LAB_Reports/1_C-LAB-TR-2005-1-Augmented_Reality_In<strong>for</strong>mation_im_Fokus.<br />

pdf [abgerufen am 30.11.2021]<br />

| Philipp Hammer (2016): Virtual Reality: Die Erschaffung neuer Welten, Zukunftsinstitut (Hrsg.) [online]<br />

https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/virtual-reality-die-erschaffung-neuer-welten/<br />

[abgerufen am 30.11.2021]<br />

| Wirtschaft digital Baden-Württemberg (2021): Augmented- und Virtual-Reality-Technologien: Das<br />

Innovationspotenzial von erweiterter und virtueller Realität [online] https://www.wirtschaft-digitalbw.de/aktuelles/thema-des-monats/augmented-und-virtual-reality-technologien<br />

[abgerufen am<br />

30.11.2021]<br />

Autoren<br />

Laura Lender<br />

Manager Energy, Resources & Industrials<br />

Deloitte GmbH, Köln<br />

llender@deloitte.de<br />

Laura Lender war mehr als sieben Jahre in einem großen Industrieunternehmen der<br />

Energiebranche tätig. U. a. hat sie hier als Projektleiterin und im<br />

Vertrieb Servicemaßnahmen in Kernkraftwerken betreut bzw. verkauft.<br />

Heute ist sie Managerin im Risk Advisory Team im Bereich Energy & Resources und<br />

berät diverse Kunden – darunter auch einige kerntechnische Anlagen.<br />

Schwerpunktmäßig sind das Prozessoptimierungs- und Digitalisierungsprojekte<br />

sowie solche aus dem Controlling und Reporting.<br />

Olaf Schroeder<br />

Senior Manager, Energy, Resources & Industrials,<br />

Deloitte GmbH, Stuttgart<br />

Ausblick<br />

Die Digitalisierung schreitet auch in technischen Prozessen<br />

kerntechnischer Anlagen weiter voran. Wie skizziert<br />

werden konnte, können Use Cases für AR- und VR-Anwendungen<br />

bereits heute nicht nur praktikabel umgesetzt werden,<br />

sondern grundsätzlich auch einen Vorteil bei Kosten,<br />

Qualität und Arbeitssicherheit ermöglichen. Wichtig hierbei<br />

ist nur, so zeigt die Erfahrung, dass die Ableitung und<br />

Umsetzung von Use Cases systematisch und strukturiert<br />

erfolgen muss und die regulatorischen und IT-technischen<br />

Rahmenbedingungen in den Anlagen zu berücksichtigen<br />

sind. Bislang sind hier Versuche oft an zu experimentellem<br />

Vorgehen gescheitert, bzw. die Erwartungen an die neue<br />

Technik wurde enttäuscht. Zudem kann festgehalten werden,<br />

dass die Einführung von AR- und VR-Technologien in<br />

den meisten Fällen nicht vorrangig eine technologische,<br />

sondern eher eine organisatorische Heraus<strong>for</strong>derung ist.<br />

Mitarbeiter müssen eingebunden werden und die Prozesse<br />

sind bei Einführung der neuen Technik anzupassen. Mit<br />

der Akzeptanz der Mitarbeiter stehen und fallen AR-/VR-<br />

Projekte. Dennoch kann zusammengefasst werden, dass<br />

die bereits heute bestehenden technischen Anwendungen<br />

für kerntechnische Anlagen die Möglichkeiten bilden, Prozesse<br />

im Betrieb, in der Instandhaltung und auch im Rückbau<br />

noch effizienter und sicherer zu gestalten. Wichtig<br />

hierbei für die Anlagen ist auch, den Markt in regelmäßigen<br />

Abständen nach neuen technologischen Entwicklungen<br />

zu sondieren. So kann die Digitalisierung Schritt für<br />

Schritt nachhaltig umgesetzt und weiterentwickelt werden.<br />

Dr. Andreas Langer<br />

Partner, Energy, Resources & Industrials,<br />

Deloitte GmbH, Frankfurt<br />

Feature<br />

Augmented and Virtual Reality in der Kerntechnik ı Laura Lender, Olaf Schroeder, Dr. Andreas Langer


15 - 16 MARCH 2022, VIRTUAL CONFERENCE<br />

25% OFF<br />

UNTIL 18TH<br />

FEBRUARY<br />

NUCLEAR NEW BUILDS 2022<br />

Welcoming leaders and decision-makers from nuclear power generator<br />

companies, nuclear power plant (NPP) owners, operators & contractors to explore<br />

the outlook of the nuclear new build projects worldwide and facilitate in-depth<br />

discussions on the technologies and strategies used.<br />

SPEAKERS<br />

Desirée Comstedt<br />

VP Fleet Development<br />

Vattenfall, Sweden<br />

Heather Kleb<br />

Director, Next Generation<br />

<strong>Nuclear</strong> Technology<br />

Bruce <strong>Power</strong>, Canada<br />

Anne Falchi<br />

Head of Strategy<br />

EDF, France<br />

Janne Liuko<br />

Utility Operations<br />

Director<br />

Fennovoima Oy, Finland<br />

Leonam Dos Santos<br />

Guimarães<br />

CEO<br />

Electronuclear, Brazil<br />

Anton Dedusenko<br />

Deputy CEO <strong>for</strong> <strong>International</strong><br />

Business & Cooperation<br />

Rosatom, Russia<br />

Greg Cullen<br />

VP, Energy Services &<br />

Development<br />

Energy Northwest, USA<br />

Joe Klecha<br />

Chief <strong>Nuclear</strong> Officer/<br />

<strong>Nuclear</strong> Practice Lead,<br />

Cohesive, USA<br />

Erkan Yilar<br />

Program Manager<br />

EUAS <strong>International</strong>,<br />

Turkey<br />

www.prosperoevents.com | +420 255 719 045 | info@prosperoevents.com


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

INTERVIEW 14<br />

“Kerntechnik besteht eben nicht nur aus der Nutzung<br />

zur Stromerzeugung, sondern ist aus der<br />

Grundlagen<strong>for</strong>schung nicht mehr wegzudenken.”<br />

Interview mit Dr. Christian Reiter ı Leiter der Reaktorphysik, FRM II, TU München<br />

Dr. Christian Reiter<br />

Leiter der Reaktorphysik, FRM II, TU München<br />

Dr. Christian Reiter ist Leiter der Reaktorphysik an der Technischen<br />

Universität München und zuständig für Reaktordesign<br />

und Simulationen für die Abteilung Reaktorbetrieb.<br />

Er ist Dozent für Reaktorphysik an der TU München, hat dort<br />

2019 promoviert und war von 2014 bis 2019 Wissenschaftlicher<br />

Mitarbeiter.<br />

Die Technische Universität München (TUM) hat vor<br />

kurzem das Center <strong>for</strong> <strong>Nuclear</strong> Safety and Innovation<br />

(TUM.CNSI) gegründet. Worum geht es dabei,<br />

ganz kurz skizziert?<br />

TUM.CNSI soll die verschiedenen Aspekte der Kerntechnik<br />

verbinden und Symbiosen schaffen, sodass transdisziplinäre<br />

Projekte bearbeitet<br />

werden können. Kerntechnik<br />

besteht eben nicht nur<br />

aus der Nutzung zur Stromerzeugung,<br />

sondern ist aus<br />

Grundlagen<strong>for</strong>schung, der<br />

modernen Medizin (z. B.<br />

Krebsdiagnostik und<br />

–therapie) sowie industriellen<br />

Applikationen (z. B. Siliziumdotierung) nicht mehr<br />

wegzudenken.<br />

TUM.CNSI soll diese Themen innerhalb der TUM sowie<br />

nach außen stärker sichtbar machen und die Kerntechnik<br />

für Studierende attraktiver gestalten. Außerdem wollen<br />

wir zur Kompetenzförderung und zum Kompetenzerhalt in<br />

Deutschland beitragen und unserem Bildungsauftrag<br />

nachkommen, nämlich die Ausbildung von hochqualifizierten<br />

Fachkräften sichern.<br />

Welche Stärken kann die TUM in ein solches Kompetenzzentrum<br />

einbringen?<br />

Agieren ist schließlich immer besser als<br />

reagieren und die Veröffentlichung des<br />

Konzepts hat uns das notwendige Vertrauen<br />

gegeben, dass wir mit TUM.CNSI genau das<br />

Benötigte bieten können.<br />

Portfolio im Bereich der Kerntechnik. Am FRM II sowie in<br />

der Radiochemie existieren Labore, in denen wir radioaktive<br />

Proben sowie Kernbrennstoffe handhaben und mit<br />

modernsten Methoden charakterisieren können. Am Lehrstuhl<br />

für Kerntechnik stehen uns moderne thermohydraulische<br />

Prüfstände zur Verfügung bzw. wir bauen weitere<br />

gerade auf. Außerdem haben meine Kollegen und ich Zugriff<br />

auf viele, auch internationale, Kooperationen, sodass<br />

wir immer im wissenschaftlichen<br />

Austausch sind und<br />

so sicherstellen können, immer<br />

an der Speerspitze der<br />

Forschung zu sein. Nicht zuletzt<br />

sind wir eine Universität<br />

und haben so Zugriff auf<br />

die wichtigste Ressource:<br />

motivierte, junge Wissenschaftlerinnen<br />

und Wissenschaftler, die sich für Kerntechnik<br />

begeistern können.<br />

Das „Konzept zur Kompetenz- und Nachwuchsentwicklung<br />

für die nukleare Sicherheit“ der Bundesregierung<br />

strebt eine langfristige Kompetenzerhaltung<br />

in der Kerntechnik, Nachwuchsgewinnung,<br />

den Erhalt und Ausbau von Fachwissen sowie Erhalt<br />

und Weiterentwicklung von Forschung und<br />

Lehre in diesem Bereich an. Ist das CNSI auch eine<br />

Antwort auf diese Ziele und wie sollen sie umgesetzt<br />

werden?<br />

Die TUM betreibt als Universität einen der leistungsfähigsten<br />

Forschungsreaktoren weltweit, den FRM II. Zusammen<br />

mit der Radiochemie München (RCM), dem Lehrstuhl für<br />

Nukleartechnik und weiteren Einrichtungen der Universität<br />

bietet die TUM ein deutschlandweit einzigartiges<br />

Absolut. Das Konzept der letzten Bundesregierung hat uns<br />

motiviert mit TUM.CNSI in die Offensive zu gehen. Agieren<br />

ist schließlich immer besser als reagieren und die Veröffentlichung<br />

des Konzepts hat uns das notwendige Vertrauen<br />

gegeben, dass wir mit TUM.CNSI genau das Benötigte<br />

bieten können.<br />

Interview<br />

“Kerntechnik besteht eben nicht nur aus der Nutzungzur Stromerzeugung, sondern ist aus der Grundlagen<strong>for</strong>schung nicht mehr wegzudenken.” ı Dr. Christian Reiter


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

INTERVIEW 15<br />

Auf welche Themen und Teilbereiche der Kerntechnik<br />

wird sich das CNSI fokussieren?<br />

Mein Mentor, Prof. Petry, hat das Motto von TUM.CNSI<br />

„Kompetenzerhalt durch Forschung“ geprägt und das ist<br />

unser Antrieb. Zum ersten wird sich TUM.CNSI um das<br />

Mammutprojekt „Umrüstung<br />

des FRM II auf ein<br />

Brennelement mit niedrigerer<br />

Anreichung“ wissenschaftlich<br />

kümmern und z. B.<br />

entsprechende Kernentwürfe<br />

entwickeln und neue Kernbrennstoffe<br />

qualifizieren.<br />

Des Weiteren arbeiten wir<br />

zusammen mit Partnern an<br />

der Entwicklung neuer Reaktorkonzepte und den dazugehörigen<br />

Brennstoffen; hier ist die TUM internationale Spitze.<br />

Ein weiteres sehr wichtiges Thema von TUM.CNSI ist<br />

die Forschung an und Produktion von Radioisotopen für<br />

die moderne Medizin. Hier <strong>for</strong>schen wir an neuen Extraktionsverfahren,<br />

um den anfallenden, nicht vermeidbaren,<br />

radioaktiven Abfall drastisch zu reduzieren. Sicherlich<br />

wird uns das Thema Endlagerung von wärmeentwickelnden<br />

radioaktiven Abfällen beschäftigen. Nicht zuletzt stellen<br />

wir hoheitlichen Aufgaben unser Wissen zur Verfügung.<br />

Wie soll mittelfristig die Lehre in der Kerntechnik<br />

gestärkt werden um den langfristigen Kompetenzerhalt<br />

zu gewährleisten?<br />

Teil des Konzepts ist die Schaffung von zunächst zwei<br />

Nachwuchsgruppen an der TUM. Damit haben wir junge,<br />

motivierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die<br />

zusammen mit den bereits bestehenden Einrichtungen<br />

Nicht zuletzt sind wir eine Universität und<br />

haben so Zugriff auf die wichtigste Ressource:<br />

motivierte, junge Wissenschaftlerinnen und<br />

Wissenschaftler, die sich für Kerntechnik<br />

begeistern können.<br />

und Lehrstühlen, neue Lehrangebote schaffen werden.<br />

Hauptsächlich werden es neue Vorlesungen und Seminare<br />

zu aktuellen Themen werden, aber auch Austausch von<br />

Studierenden mit anderen Universitäten und Einrichtungen<br />

vorwiegend im führenden Ausland ist geplant. Hier<br />

kann man die McMaster Universität in Hamilton, Kanada<br />

hervorheben, mit der wir eine enge Kollaboration pflegen<br />

und an der Entwicklung sowie<br />

hoffentlich dem Bau<br />

neuer Reaktorkonzepte arbeiten.<br />

All dies ist unglaublich<br />

spannend für Studierende<br />

und wir hoffen so die<br />

Zahl zukünftig weiter steigern<br />

zu können.<br />

Das CNSI ist ja zunächst ein Projekt der TU München<br />

und verschiedener ihrer Einrichtungen. Sowohl im<br />

Raum München als auch anderswo in Bayern gibt<br />

es noch mehr an kerntechnischer Kompetenz.<br />

Soll das CNSI mittelfristig zu einem kerntechnischen<br />

Kompetenzcluster über die TUM hinaus entwickelt<br />

werden?<br />

Das ist durchaus unsere Vision und wurde uns so auch von<br />

der Hochschulleitung mitgegeben. Nachdem nun bald die<br />

nötigen Strukturen innerhalb der TUM geschaffen sind, ist<br />

der nächste Schritt weitere Kooperationspartner innerhalb<br />

und außerhalb der TUM zu suchen, z. B. in der Nuklearmedizin.<br />

Bayern bietet hier ja einen sehr fruchtbaren Boden für ein<br />

etwaiges „Bavarian Center <strong>for</strong> <strong>Nuclear</strong> Safety and Innovation“.<br />

Interview<br />

“Kerntechnik besteht eben nicht nur aus der Nutzungzur Stromerzeugung, sondern ist aus der Grundlagen<strong>for</strong>schung nicht mehr wegzudenken.” ı Dr. Christian Reiter


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

INTERVIEW 16<br />

Die Kerntechnik und besonders die Kernenergie<br />

sind in Deutschland nach wie vor umstritten. Gab<br />

es Bedenken dagegen, das ja immer vorhandene<br />

Fach nun stärker sichtbar zu machen? Und welche<br />

Rolle spielt das gesellschaftliche Klima für die Nachwuchsgewinnung<br />

und die Attraktivität des Fachs?<br />

Umstritten ist in Deutschland die Kernenergie, also die<br />

kommerzielle Stromerzeugung. Andere Anwendungen der<br />

Kerntechnik sind davon nicht so stark betroffen, tragen sie<br />

ja ganz entscheidend zur Lösung der großen Heraus<strong>for</strong>derungen<br />

unserer modernen Gesellschaft wie Gesundheit,<br />

Klimaschutz, Mobilität etc. bei. Zugegeben, das Thema ist<br />

sicherlich politisch nicht so attraktiv wie zum Beispiel Fusion<br />

oder Quantencomputing. Dennoch hatten wir das<br />

Glück, dass in unserer Technischen Universität stets die gesellschaftliche<br />

Bedeutung von Kerntechnik erkannt wurde<br />

und wir deshalb große Unterstützung aus ihr heraus erfahren.<br />

Unser Reichtum sind unsere eigenständig denkenden<br />

und hochmotivierten Studierenden. Seit vielen Jahren<br />

sind unsere Vorlesungen zur Kerntechnik und Reaktorphysik<br />

sehr gut besucht und wir konnten in den letzten Jahren<br />

die Zahl immer weiter steigern und auch das Interesse an<br />

Abschlussarbeiten ist ungebrochen hoch. Das ist eine sehr<br />

erfreuliche Entwicklung, der wir mit TUM.CNSI hoffentlich<br />

noch mehr Schwung verleihen können.<br />

Autor:<br />

Nicolas Wendler<br />

Presse und Politik<br />

KernD (Kerntechnik Deutschland e.V.)<br />

nicolas.wendler@kernd.de<br />

Interview<br />

“Kerntechnik besteht eben nicht nur aus der Nutzungzur Stromerzeugung, sondern ist aus der Grundlagen<strong>for</strong>schung nicht mehr wegzudenken.” ı Dr. Christian Reiter


<strong>Nuclear</strong> Specialists<br />

Decontamination Technologies | Mechanical and Thermal<br />

Cutting Techniques | Solid and Liquid Waste Management<br />

Measurement Systems | Storage | Engineering & Consulting<br />

Safety Technology | Retrofitting Measures | Decommissioning<br />

NUKEM Technologies Engineering Services GmbH<br />

Industriestr. 13, 63755 Alzenau, Germany P +49 (0)6023 9104<br />

E info@nukemtechnologies.de I www.nukemtechnologies.de


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

DECOMMISSIONING AND WASTE MANAGEMENT 18<br />

Flottenstrategie beim Rückbau<br />

aktivierter Großkomponenten<br />

Thomas Bever und Lars Schulze<br />

Einleitung Erste Überlegungen zu den Effekten einer Flottenstrategie beim Rückbau kerntechnischer Anlagen<br />

wurden bereits mit der Stilllegung der Kraftwerksstandorte Würgassen und Stade konzipiert und sukzessive erweitert.<br />

Das derzeitige „Rückbauzeitalter“ ist, anders als die ersten Jahre des Rückbaus in Deutschland, durch viele zeitlich<br />

parallele und technisch gleichartige Projekte geprägt. Für PreussenElektra (PEL) bedeutet dies einen in vielen Projektphasen<br />

parallelen Rückbau von fünf Druckwasserreaktoren DWR 1.300. Im Rahmen dieser Abhandlung werden<br />

Grundlagen zur Umsetzung von Flottenprojekten, deren Vorteile im Rückbau sowie erste operative Erfahrungen aus<br />

bereits in der Abwicklung befindlichen Projekten vorgestellt.<br />

Charakterisierung einer Flottenvergabe von<br />

aktivierten Großkomponenten<br />

Die aus dem Portfolioplan abgeleitete Flottenansicht der<br />

Durchführungszeiträume für die Projekte Reaktordruckbehälter-Einbauten<br />

und Reaktordruckbehälter sind Basis<br />

der projektbezogenen Flottenvergaben.<br />

Zudem werden frühzeitig die Aufplanungen unter Berücksichtigung<br />

der standortspezifischen Randbedingungen<br />

wie u. a. Erhalt der Abbaugenehmigungen und der<br />

Annahmebereitschaft von Zwischenlagern in einer ersten<br />

standortübergreifenden Charakterisierung beschrieben,<br />

um das Optimierungspotenzial definieren zu können.<br />

In einer weiteren detaillierten Analyse wurden verschiedene<br />

Varianten unter anderem zu den Aspekten Sicherheit<br />

und Strahlenschutz, Risiken, Werkzeugeinsatz, Lernkurven,<br />

Ressourcenbindung und -qualifikation für den flottenweiten<br />

Rückbau der aktivierten Großkomponenten bei<br />

PEL betrachtet.<br />

Als Ergebnis der Analyse wurden eindeutige Vorteile einer<br />

konsequenten Bündelung von gleichartigen Tätigkeiten<br />

beim Rückbau der aktivierten Großkomponenten aller<br />

sechs Anlagen herausgearbeitet. Die wesentlichen Effekte<br />

dabei sind:<br />

p Erhöhung der Sicherheit<br />

p Lerneffekte und erprobte Prozesse<br />

p Minimierung Projektlaufzeit und Kollektivdosis<br />

p Hohe Qualifikation des eingesetzten Personals<br />

p Minimierung Entsorgungs- und Behandlungsaufwand<br />

Durch konsequente Anwendung von Lessons Learned Ansätzen<br />

in Verbindung mit einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess<br />

können Qualität und Effizienz beim Auftragnehmer<br />

und Auftraggeber sowohl individuell als auch<br />

in der Kooperation von Anlage zu Anlage gesteigert werden.<br />

Die langfristige Zusammenarbeit zwischen Auftragnehmer<br />

und Auftraggeber bietet die Möglichkeit Personalkonzepte<br />

zu entwickeln, die langfristig Kompetenzerhalt<br />

und -entwicklung sicherstellen.<br />

Andererseits führt eine konsequente Flottenstrategie zu<br />

zusätzlichen Abhängigkeiten zwischen den jeweiligen<br />

Rückbauprojekten die konzeptionell berücksichtigt werden<br />

müssen. Diesen zusätzlichen Abhängigkeiten kann<br />

z. B. durch kooperative Vertragskonzepte entgegengewirkt<br />

werden.<br />

Funktionalitätsprinzip und<br />

Schnittstellengestaltung<br />

Bei der Vergabe von Rückbauleistungen verfolgt PEL im<br />

Bereich der Großkomponenten ein konsequentes Funktionalitätsprinzip.<br />

Qualifikation und Erfahrung der<br />

| Abb. 1<br />

Flottenplanung des Rückbaus aktivierter Großkomponenten.<br />

Decommissioning and Waste Management<br />

Flottenstrategie beim Rückbau aktivierter Großkomponenten ı Thomas Bever und Lars Schulze


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

| Abb. 2<br />

Charakterisierung von Flottenvergaben.<br />

potenziellen Anbieter bzgl. der konkreten Projektaufgabe<br />

sind ein wesentliches Auswahlkriterium im Vergabeprozess.<br />

Die Spezifikation zum Rückbau der entsprechenden<br />

Großkomponenten beschreibt die Projektaufgabe und die<br />

zu erreichenden Projektziele sowie ausgewählte, für den<br />

Projekterfolg relevante Randbedingungen ohne Restriktionen<br />

für bestimmte Zerlegeverfahren oder -prozesse zu<br />

machen. Dem Auftragnehmer als kompetentem Fachunternehmen<br />

wird somit die größtmögliche Freiheit bei der<br />

Konzeptionierung der Leistungen eingeräumt. Jeder Bieter<br />

kann Verfahren und Prozesse zur Anwendung bringen,<br />

die am besten seinen Erfahrungen, Kompetenzen und<br />

Werkzeugen entsprechen. Im Ergebnis kann der Auftragnehmer<br />

seine Leistungen mit der für ihn höchstmöglichen<br />

Qualität und den geringsten Risiken erbringen.<br />

Vertragskonzept<br />

Aus den Betrachtungen zu möglichen Vergabevarianten<br />

bei Rückbauprojekten von Großkomponenten zeigte sich,<br />

dass bisherige Vertragsmodelle aus Betrieb, Instandhaltung<br />

oder der Abwicklung kleinerer Projekte nicht geeignet<br />

sein würden, um eine Flottenvergabe zum Rückbau<br />

technisch komplexer Großkomponenten umzusetzen. Vor<br />

diesem Hintergrund hat PEL entschieden, ein spezifisches<br />

Vertragsmodell zu entwickeln, welches für die Flottenvergaben<br />

der einzelnen Großkomponenten genutzt werden<br />

kann.<br />

Bei der Entwicklung des Vertragsmodells gab es verschiedene<br />

heraus<strong>for</strong>dernde Aspekte zu berücksichtigen. Die<br />

Bündelung der sechs Rückbauprojekte, in Verbindung mit<br />

dem zeitlichen Versatz der Projekte untereinander, führt<br />

zu einer außerordentlich langen aktiven Gesamtprojektdauer.<br />

Je nach Großkomponente ergeben sich hier Zeiträume<br />

von 10 bis 15 Jahren, die mit entsprechenden Vertragslaufzeiten<br />

zu berücksichtigen sind. Die lange Projektlaufzeit<br />

führt, im Vergleich zu herkömmlichen Projektverträgen,<br />

zu einer deutlichen Zunahme von zu<br />

DECOMMISSIONING AND WASTE MANAGEMENT 19<br />

| Abb. 3<br />

Funktionalitätsprinzip.<br />

Decommissioning and Waste Management<br />

Flottenstrategie beim Rückbau aktivierter Großkomponenten ı Thomas Bever und Lars Schulze


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

DECOMMISSIONING AND WASTE MANAGEMENT 20<br />

berücksichtigenden Unwägbarkeiten aus internen und externen<br />

Projekteinflüssen wie z. B. terminlichen, technischen<br />

und genehmigungsrelevanten Entwicklungen.<br />

Um die in Abschnitt 2 genannten Vorteile einer Flottenvergabe<br />

abzusichern und die oben genannten Heraus<strong>for</strong>derungen<br />

zu berücksichtigen, wurden folgende Kernan<strong>for</strong>derungen<br />

gebildet:<br />

p Komponentenspezifische Bündelung aller sechs Anlagen<br />

bei flexiblen Ausführungszeitpunkten der einzelnen<br />

Projekte<br />

p Sicherstellung der gesetzlichen An<strong>for</strong>derungen an die<br />

Zerlegung und die Entsorgung der zu zerlegenden Bauteile<br />

p Langfristige Sicherstellung des er<strong>for</strong>derlichen hoch<br />

qualifizierten Personals im benötigten Umfang<br />

p Etablierung von Rückbauwerkzeugen und -prozessen<br />

für höchste Sicherheit und geringster Kollektivdosis,<br />

Festschreiben der kontinuierlichen Verbesserung durch<br />

Lessons Learned Ansätze in jedem Rückbauprojekt<br />

p Durchgehendes Funktionalitätsprinzip bei der Definition<br />

des Liefer- und Leistungsumfangs<br />

p Transparentes Management notwendiger Vertragsanpassungen<br />

nach Vertragsabschluss<br />

p Kooperatives Vertragsverhältnis zwischen Auftragnehmer<br />

und Auftraggeber mit ausgewogener Risikoverteilung,<br />

transparentem Vertragsmanagement und Monitoring<br />

und Entwicklung der Zusammenarbeit über die<br />

Gesamtterminrisikos ist für PEL ein Vorhalten von mindestens<br />

zwei Werkzeugsätzen notwendig.<br />

Des Weiteren werden projektunterstützende spezifische<br />

Funktionen, wie Qualitätssicherung und Experten der jeweiligen<br />

Fachthemen, im Rahmen von Genehmigungsund<br />

Aufsichtsverfahren standortübergreifend bereitgestellt.<br />

Eine Etablierung eines regelmäßigen standortübergreifenden<br />

Erfahrungsaustausches ist zwingend umzusetzen,<br />

um auf Optimierungspotenziale, die z. B. im Rahmen<br />

der Umsetzungen in der Pilotanlage sichtbar wurden, zielgerichtet<br />

reagieren zu können.<br />

Die Steuerung der Flottenprojekte erfolgt über eine Matrixorganisation,<br />

die unter Berücksichtigung eines Phasenmodells<br />

sowohl die Aufgaben und Verantwortlichkeiten<br />

aus Flottensicht als auch die Projektplanungen an den<br />

Standorten benennt.<br />

| Abb. 4<br />

Lieferantenbeauftragung am Beispiel RDB-E.<br />

gesamte Vertragslaufzeit.<br />

Um über die Laufzeit der Rahmenvereinbarung flexibel<br />

auf geänderte Randbedingungen oder Projektan<strong>for</strong>derungen<br />

eingehen zu können, sehen die Verträge ein umfangreiches<br />

und für die Parteien ausgewogenes Änderungsmanagement<br />

vor. Eintretende Veränderungen werden frühzeitig<br />

angezeigt, gemeinsam auf ihre Auswirkungen bewertet<br />

und unter Berücksichtigung des Projektzieles<br />

schnell umgesetzt.<br />

Praktische Umsetzung des Konzepts<br />

Flottenvergabe<br />

Zur Berücksichtigung der standortübergreifenden Gesamtplanung<br />

und einer Reduzierung des<br />

Lessons Learned und erste Erfahrungen aus<br />

der Projektabwicklung<br />

Im Rahmen der Projektabwicklung eines Flottenprojektes<br />

werden in der Pilotanlage umfangreiche Ersterfahrungen<br />

gesammelt. Neben einem frühzeitigen Aufbau einer Projektorganisation<br />

und der Einbindung aller Fachgewerke<br />

am Standort sind frühzeitige und engmaschige Kooperationen<br />

zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber umzusetzen.<br />

Hilfreich ist hierbei eine klare Schnittstellenanalyse<br />

der durchzuführenden Tätigkeiten, die im Rahmen der<br />

Vertragsgestaltung umzusetzen sind. Eine darüberhinausgehende<br />

Priorisierung der durchzuführenden Tätigkeiten<br />

mit einer Analyse des Risikopotenzials für die Projektdurchführung<br />

runden die Projektplanung ab und bestätigen<br />

dabei die in der initialen Detailanalyse identifizierten<br />

Vorteile der Flottenstrategie.<br />

Erste Flottenprojekte sind mittlerweile in unterschiedlichen<br />

Phasen in der Umsetzung. Positive Synergien insbesondere<br />

im Hinblick auf die Anwendung von aufsichtsrechtlichen<br />

Dokumenten und Unterlagen im Endlagerverfahren,<br />

die im Rahmen der Verfahren am Pilotstandort erstellt<br />

wurden, konnten gehoben werden. So profitierten<br />

das Unterlagenmanagement und die Systematik der<br />

Decommissioning and Waste Management<br />

Flottenstrategie beim Rückbau aktivierter Großkomponenten ı Thomas Bever und Lars Schulze


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

jeweiligen Nachweisverfahren wie u. a. sicherheitstechnische<br />

Einstufung der Gerätetechnik von der Pionierarbeit<br />

am ersten Standort. Des Weiteren wurden die praktischen<br />

Erfahrungen bei der Zerlegung und Verpackung der Komponenten<br />

am Standort Unterweser proaktiv in die Prozesse<br />

und Vorbereitungen der Folgeanlagen implementiert.<br />

Diese Vorgehensweise findet in enger Abstimmung zwischen<br />

Auftraggeber und Auftragnehmer statt, um das Potenzial<br />

hinsichtlich Sicherheit und Lerneffekte unter Anwendung<br />

eines einheitlichen Equipment- und Personaleinsatzes<br />

gemeinsam zu maximieren.<br />

Fazit und Ausblick<br />

Für aktivierte Großkomponenten der PEL-Flotten wurden<br />

verschiedene Rückbaustrategien untersucht.<br />

Es wurde eine Evaluierung in Bezug auf:<br />

p Erhöhung der Sicherheit<br />

p Lerneffekte und erprobte Prozesse<br />

p Minimierung Projektlaufzeit und Kollektivdosis<br />

p Hohe Qualifikation des eingesetzten Personals<br />

p Minimierung Entsorgungs- und Behandlungsaufwand<br />

durchgeführt.<br />

Als Ergebnis der Analyse wurden eindeutige Vorteile einer<br />

konsequenten Bündelung von gleichartigen Tätigkeiten<br />

beim Rückbau der aktivierten Großkomponenten aller<br />

sechs Anlagen herausgearbeitet.<br />

Die durch die Bündelung entstehenden Schnittstellen zwischen<br />

den jeweiligen Rückbauprojekten werden konzeptionell,<br />

beispielsweisedurch das Vorhalten von zwei Equipmentsätzen<br />

und durch kooperative Vertragskonzepte berücksichtigt.<br />

Erste positive Effekte und Synergien in der Flottenabwicklung<br />

konnten durch Lessons Learned Prozesse etabliert<br />

werden. Der ressourcenintensive Planungsaufwand unter<br />

frühzeitiger Beteiligung aller Standorte hat sich als Erfolgsfaktor<br />

bestätigt.<br />

Erste Flottenprojekte in verschiedenen Gewerken sind<br />

mittlerweile gestartet und befinden sich in unterschiedlichen<br />

Phasen der Umsetzung.<br />

Die gesammelten Erfahrungen der Pilotanlagen werden<br />

durch systematischen Austausch in die Organisation übertragen,<br />

so dass bereits in der Planungsphase der weiteren<br />

Standorte qualitative und quantitative Optimierungen implementiert<br />

wurden. Eine enge Einbindung zentraler Unterstützungen<br />

ist etabliert.<br />

Autoren<br />

Thomas Bever<br />

Projektkoordinator Großprojekte,<br />

PreussenElektra GmbH, Hannover<br />

Im Anschluss an sein Studium der Betriebswirtschaft auf der BA Mannheim studierte<br />

Herr Bever Maschinenbau mit der Vertiefung Energietechnik und Kernenergietechnik<br />

an der TU Dresden. Seit 2010 ist er bei der E.ON Kernkraft GmbH, der späteren<br />

PreussenElektra GmbH, zunächst als Berechnungsingenieur und später als<br />

Projektkoordinator für die Entsorgung von Sonderbrennstäben beschäftigt. Seit<br />

2019 ist Herr Bever Projektkoordinator für Großprojekte.<br />

Lars Schulze<br />

Strategischer Großprojekteinkauf,<br />

PreussenElektra GmbH, Hannover<br />

lars.schulze@preussenelektra.de<br />

Nach seinem Maschinenbau-Kraftwerkstechnik-Studium an der TU Dresden war<br />

Herr Schulze als Berechnungsingenieur für Dampfturbinen bei der Siemens AG in<br />

Mülheim an der Ruhr beschäftigt.<br />

Seit 2006 ist Herr Schulze im strategischen Einkauf bei der PreussenElektra GmbH<br />

(bzw. den verschiedenen Vorgängerunternehmen innerhalb des E.ON Konzerns)<br />

angestellt und dort mit dem Großprojekteinkauf betraut.<br />

DECOMMISSIONING AND WASTE MANAGEMENT 21<br />

Wesentliche Synergien und eine Minimierung möglicher<br />

Fehlerquellen konnten sowohl durch eine Reduzierung<br />

von Vorprüfunterlagen im Rahmen des aufsichtlichen Verfahrens<br />

als auch in der Qualität von einzureichenden Unterlagen<br />

erreicht werden. Das Wissen und die Kompetenz<br />

der Projektbeteiligten werden durch wissensbasierte und<br />

routinierte Abstimmungen kontinuierlich weiterentwickelt.<br />

Durch die konsequente Flottenstrategie und die Gestaltung<br />

einer lernenden, matrixbasierten Organisation im<br />

Rahmen der Abwicklung dieser Projekte wird ein wichtiger<br />

Beitrag für einen sicheren, termingerechten und ressourcenschonenden<br />

Rückbau erbracht.<br />

Der systematische Ansatz einer Flottenstrategie von aktivierten<br />

Großkomponenten kann auf weitere termin- und<br />

erfolgskritische Rückbauprojekte angewendet werden.<br />

Decommissioning and Waste Management<br />

Flottenstrategie beim Rückbau aktivierter Großkomponenten ı Thomas Bever und Lars Schulze


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

SPOTLIGHT ON NUCLEAR LAW 22<br />

Neuer Koalitionsvertrag zur Nuklearen Entsorgung:<br />

Alte Aufgaben – neue Heraus<strong>for</strong>derungen<br />

Prof. Dr. Tobias Leidinger<br />

Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung vom 7. Dezember 2021 enthält – was das Thema Kernenergie anbelangt<br />

– erwartungsgemäß keine Überraschungen. Es heißt dort: „Am deutschen Atomausstieg halten wir fest.“ (S. 55).<br />

An anderer Stelle finden sich Aussagen zur nuklearen Entsorgung, die allerdings eher Fragen aufwerfen als Antworten<br />

enthalten.<br />

I. Kernenergie in Deutschland: Nukleare<br />

Entsorgungsthemen bleiben aktuell<br />

Mit der Abschaltung der letzten drei Leistungsreaktoren in<br />

Deutschland am 31. Dezember 2022 (Isar 2, Emsland und<br />

Neckarwestheim 2) gehört das Kapitel Stromerzeugung<br />

aus Kernenergie endgültig zur Geschichte. Mit dem bereits<br />

2011 beschlossenen gesetzlichen Ausstieg aus der Kernenergie<br />

endet dann eine über 60 Jahre andauernde, aktive<br />

Technik-Ära, die bereits vor Inkrafttreten des Atomgesetzes<br />

im Jahr 1959 begonnen hatte. Inzwischen sind alle unmittelbar<br />

ausstiegsrelevanten Fragen geregelt und gerichtlich<br />

geklärt: Das war ein langer, holpriger Weg, dessen<br />

politisch gewolltes Ziel diverse rechtliche Streitverfahren<br />

hervorgerufen und mehrfache Entscheidungen sogar des<br />

Bundesverfassungsgerichts er<strong>for</strong>dert hat.<br />

Nachdem inzwischen auch der Kohleausstieg in Deutschland<br />

vertraglich besiegelt und gesetzlich geregelt ist, der<br />

laut aktuellem Koalitionsvertrag „idealerweise“ nun – nur<br />

ein Jahr nach Vertragsschluss mit den Betreiberunternehmen<br />

– auf das Jahr 2030 – also um gleich acht Jahre! – vorgezogen<br />

werden soll, muss sich die Perspektive der Energiepolitik<br />

der gerade gestarteten Regierung mit aller Kraft<br />

auf die erneuerbaren Energien richten. Allerdings bleiben<br />

ihr – abseits aller Aufmerksamkeit dafür – die schon bislang<br />

drängenden nuklearen Entsorgungsthemen auch in<br />

Zukunft erhalten.<br />

II. Neuer Koalitionsvertrag zur Entsorgung:<br />

Mehr Fragen als Antworten<br />

„Wir stellen uns der Verantwortung für die radioaktiven<br />

Abfälle“, heißt es im aktuellen Koalitionsvertrag für die 20.<br />

Legislaturperiode (S. 65). Daher soll die laufende Standortsuche<br />

für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle entsprechend<br />

den bereits im Standortauswahlgesetz (StandAG)<br />

festgelegten Prinzipien „wissenschaftsbasiert, partizipativ,<br />

transparent, sich selbst hinterfragend und lernend“<br />

<strong>for</strong>tgesetzt werden. Eine konkrete Aussage zum<br />

laufenden Prozess, insbesondere aber wann der Endlagerstandort<br />

konkret gefunden ist – oder welche Hindernisse<br />

insofern aktuell bestehen und wie sie auszuräumen sind –<br />

fehlt allerdings. Die schon bislang vernehmbaren Zweifel<br />

daran, dass dies – wie <strong>for</strong>mell im StandAG bislang in § 1<br />

Abs. 5 bestimmt – bereits in weniger als 10 Jahren, also<br />

schon 2031 der Fall sein wird, sind damit nicht entkräftet.<br />

Positiv ist das Bekenntnis zur Inbetriebnahme „genehmigter<br />

Endlager“ im Koalitionsvertrag, die „zügig fertiggestellt<br />

und in Betrieb genommen werden müssen“ (S. 65). Diese<br />

Aussage zielt vor allem auf das seit Jahren im Ausbau befindliche<br />

Endlager Konrad, das bereits seit mehr als einem<br />

Jahrzehnt bestandskräftig genehmigt ist. Seine für 2027<br />

angestrebte und dringend erwartete Inbetriebnahme ist<br />

für die Entsorgung der schwach- und mittelradioaktiven<br />

Abfälle in Deutschland unverzichtbar. Es ist für ein Volumen<br />

von 303.000 Kubikmeter verpackter schwach- und<br />

mittelradioaktiver Abfälle genehmigt. Die für Konrad bestimmten<br />

radioaktiven Abfälle stammen zu einem Drittel<br />

aus Einrichtungen der öffentlichen Hand. Dazu gehören<br />

neben den Materialien aus dem Rückbau der ehemaligen<br />

DDR-Kernkraftwerke und Abfällen aus den Bundes<strong>for</strong>schungsstätten<br />

auch die Abfälle, die in den Landessammelstellen<br />

der Bundesländer lagern. Zwei Drittel der Abfälle<br />

kommen aus Kernkraftwerken und Betrieben der<br />

kerntechnischen Industrie, z. B. aus der Fertigung von<br />

Brennelementen oder aus dem Rückbau der Kernkraftwerke.<br />

Ein verantwortungsvoller Umgang mit radioaktiven<br />

Abfällen bleibt – wie bisher – auf die Inbetriebnahme des<br />

Endlagers Konrad angewiesen.<br />

Erwähnung im Koalitionsvertrag findet schließlich auch<br />

die „Errichtung des notwendigen Logistikzentrums“. Das<br />

mit breiter Mehrheit am 27. Januar 2017 vom Deutschen<br />

Bundestag verabschiedete und am 16. Juni 2017 in Kraft<br />

getretene Entsorgungsübergangsgesetz gestattet der BGZ<br />

Gesellschaft für Zwischenlagerung mbh, nach § 3 Absatz 3<br />

Satz 3 „…ein zentrales Bereitstellungslager für radioaktive<br />

Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung als<br />

Eingangslager für das Endlager Konrad [zu] errichten.“ Ab<br />

dem Jahr 2027 soll das Logistikzentrum die passgenaue<br />

Belieferung des Endlagers Konrad sicherstellen. Der Planfeststellungsbeschluss<br />

für das Endlager Konrad aus dem<br />

Jahre 2002 sieht detaillierte Vorgaben für die Einlagerung<br />

der radioaktiven Abfälle vor. Deshalb müssen die Abfälle<br />

dort in genau festgelegten Chargen angeliefert werden,<br />

was durch das zu errichtende Logistiklager sicher gewährleistet<br />

werden soll. Während das „Ob“, also die Notwendigkeit<br />

eines solchen Logistiklagers, kraft gesetzlicher Regelung<br />

längst entschieden ist, knausert der Koalitionsvertrag<br />

mit klaren Aussagen, insbesondere zum Standort. Die Formulierung<br />

im Koalitionsvertrag ist mehrdeutig und wenig<br />

konkret. Dabei ist längst bekannt, dass dieses Lager am<br />

Standort des stillgelegten Kernkraftwerks Würgassen errichtet<br />

und betrieben werden soll. Es ist auch kein Geheimnis,<br />

dass es dazu deutliche Meinungsverschiedenheiten<br />

gibt. Hier wäre eine klare Positionierung – nicht nur abstrakt,<br />

sondern konkret – im Interesse der Planungs- und<br />

Investitionssicherheit eines aus öffentlichen Mitteln finanzierten<br />

Großprojekts wohl wünschenswert gewesen.<br />

III. Bewährungsprobe nukleare Entsorgung<br />

Viel Neues und Konkretes zu den nuklearen Entsorgungsthemen<br />

enthält der Koalitionsvertrag der neuen Regierung<br />

im Ergebnis also nicht. Die Aufgaben sind die altbekannten,<br />

aktuelle Fragen dazu bleiben allerdings unbeantwortet.<br />

Diese Aufgaben stellen auch die neue Regierung vor<br />

besondere Heraus<strong>for</strong>derungen und sie bleiben wohl auch<br />

noch länger auf der Tagesordnung. Die Regierungspraxis<br />

der nächsten Jahre wird zeigen, ob sie ihre Bewährungsprobe<br />

besteht: Dazu gehört – wie beim Ausbau von erneuerbaren<br />

Energien und beim Klimaschutz – nicht nur die<br />

Spotlight on <strong>Nuclear</strong> Law<br />

Neuer Koalitionsvertrag zur Nuklearen Entsorgung: Alte Aufgaben – neue Heraus<strong>for</strong>derungen ı Prof. Dr. Tobias Leidinger


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

Verständigung auf Ziele, sondern die Umsetzung und Ermöglichung<br />

konkreter Schritte für ihre zeitgerechte Erreichung.<br />

Wenn es also ganz konkret wird, wie bei den Themen<br />

„Standortsuche“, „Standortwahl“ und „Inbetriebnahme<br />

genehmigter Einrichtungen“ darf man gespannt sein,<br />

ob den politischen Bekenntnissen im Koalitionsvertrag<br />

echte Taten folgen, die das Entsorgungsthema aktiv und<br />

ressourceneffizient lösen und nicht einfach in die Zukunft<br />

verschieben.<br />

Autor<br />

Prof. Dr. Tobias Leidinger<br />

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht<br />

Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Düsseldorf<br />

tobias.leidinger@luther-lawfirm.com<br />

Prof. Dr. Tobias Leidinger ist Partner bei der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft. Vor<br />

dem Hintergrund seiner langjährigen Beratungstätigkeit in der Industrie und besonderen<br />

Projekt- und Rechtsexpertise berät er private und öffentliche Unternehmen<br />

im Öffentlichen Wirtschaftsrecht (einschl. Projektsteuerung), insbes. im Atomund<br />

Strahlenschutzrecht sowie im Anlagen-, Umwelt-, Bau- und Planungsrecht<br />

(Rückbau von Nuklearanlagen, Errichtung und Genehmigung von nuklearen Lagereinrichtungen,<br />

komplexe Infrastrukturvorhaben, etc.). Er ist zugleich Direktor am Institut<br />

für Berg- und Energierecht der Ruhr-Universität Bochum und als Fachbuchautor<br />

ausgewiesen.<br />

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ISSN 1431-5254<br />

Impressum


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

DECOMMISSIONING AND WASTE MANAGEMENT 24<br />

Zwischenbilanz – die ersten zwei Jahre<br />

nach 47 Jahren Leistungsbetrieb<br />

Kernkraftwerk Mühleberg<br />

Urs Amherd<br />

Die Stilllegungsplanung<br />

Die BKW ist die erste Betreiberin in der Schweiz, die ein Kernkraftwerk stilllegt. Schon im Oktober 2013 hat sie aus unternehmerischen<br />

Gründen entschieden, das Kernkraftwerk Mühleberg (KKM) bis Ende 2019 zu betreiben und es anschliessend<br />

stillzulegen. Parallel zum Leistungsbetrieb wurde in den Jahren 2013-2019 die Stilllegung vorbereitet. Im<br />

Dezember 2015, vier Jahre vor der endgültigen Einstellung des Leistungsbetriebs, hat die BKW das Stilllegungsgesuch<br />

für das KKM eingereicht. Die zuständigen Behörden haben es geprüft und im Juni 2018 hat das Eidgenössische Departement<br />

für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) die Stilllegungsverfügung ausgestellt. Nach Ablauf der<br />

Beschwerdefrist wurde sie im September 2018 rechtskräftig. Damit darf und muss die BKW das KKM stilllegen.<br />

| Abb. 1.<br />

Schematische Darstellung Reaktorgebäude und Maschinenhaus des KKM.<br />

Die Stilllegungsverfügung definiert die Rahmenbedingungen<br />

für die Arbeiten ab der endgültigen Ausserbetriebnahme<br />

(EABN). EABN bezeichnet den Zeitpunkt, an dem alle<br />

Arbeiten zur Etablierung des Technischen Nachbetriebs<br />

abgeschlossen sind, d.h. alle Brennelemente des KKM sind<br />

im Lagerbecken und dieses wird unabhängig von anderen<br />

Systemen gekühlt. Ausserdem legt die Stilllegungsverfügung<br />

den regulatorischen Rahmen der Stilllegung fest, z.<br />

B. welche Tätigkeiten die Aufsichtsbehörde (das Eidgenössische<br />

Nuklearsicherheitsinspektorat [ ENSI]) freigeben<br />

muss.<br />

Der nukleare Teil der Stilllegung ist in drei Phasen unterteilt,<br />

welche ebenfalls freigabepflichtig sind. Sie orientieren<br />

sich am Gefährdungspotenzial – also daran, ob Brennelemente<br />

beziehungsweise wie viele aktivierte und kontaminierte<br />

Komponenten in der Anlage vorhanden sind.<br />

Während des Rückbaus nimmt das Gefährdungspotenzial<br />

kontinuierlich ab. Die Stilllegungsphase 1 (SP1) endet,<br />

wenn alle Brennelemente aus dem KKM abtransportiert<br />

sind. Bei Abschluss der Stilllegungsphase 2 (SP2) ist sämtliche<br />

Radioaktivität aus der Anlage und vom Areal entfernt.<br />

Die Stilllegungsphase 3 (SP3) ist ein <strong>for</strong>maler<br />

Decommissioning and Waste Management<br />

Zwischenbilanz – die ersten zwei Jahre nach 47 Jahren Leistungsbetrieb Kernkraftwerk Mühleberg ı Urs Amherd


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

Übergangszustand. Sie endet, wenn das ENSI feststellt,<br />

dass das KKM keine radiologische Gefahrenquelle mehr<br />

ist. Im Anschluss beginnt 2031 der konventionelle Rückbau,<br />

wie für jede andere Industrieanlage, die zurückgebaut<br />

werden muss. Dafür muss die BKW bis Ende 2027<br />

ein zweites Gesuch beim Bundesamt für Energie (BFE)<br />

einreichen und darlegen, wie das Gelände künftig genutzt<br />

wird.<br />

Beginn des Rückbaus<br />

Nach der Endgültigen Einstellung des Leistungsbetriebs<br />

(EELB) am 20. Dezember 2019, welche von einer hohen<br />

Medienaufmerksamkeit begleitet war, begann am 6. Januar<br />

2020 unverzüglich der Rückbau des Kernkraftwerk<br />

Mühleberg. In den ersten Monaten 2020 war die Stilllegung<br />

des KKM durch die vom Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat<br />

(ENSI) im Dezember 2015 verfügte<br />

Etablierung des Technischen Nachbetriebs (ETNB) bestimmt.<br />

verlagert. Dort klingen sie einige Jahre ab. Mit der Inbetriebnahme<br />

der unabhängigen Kühlung des Lagerbeckens<br />

gilt das KKM als «endgültig ausser Betrieb genommen».<br />

Die Bestätigung des Abschlusses dieser Arbeiten erfolgte<br />

am 15. September 2020 auf Basis der am 14.09.2020<br />

durchgeführten Abschlussinspektion des ENSI. Damit<br />

wurde der Meilenstein «Endgültige Ausserbetriebnahme»<br />

(EABN) erreicht. Mit der EABN erlosch die Betriebsbewilligung<br />

des KKM und die Stilllegungsverfügung erlangte<br />

neben der seit September 2018 vorliegenden Rechtskraft<br />

auch die vollständige Rechtswirksamkeit. Mit EABN begann<br />

die Stilllegungsphase 1 (SP1), die mit der für 2024<br />

geplanten Kernbrennstofffreiheit endet.<br />

Arbeiten im Reaktorgebäude (RG)<br />

Transportbereitstellung von Komponenten aus<br />

dem Reaktorgebäude<br />

Im Januar begannen die Arbeiten zur Transportbereitstellung<br />

im RG. In Summe konnten damit ca. 350 Tonnen<br />

DECOMMISSIONING AND WASTE MANAGEMENT 25<br />

| Abb. 2.<br />

Schneiden der Abdecksteine der Reaktorgrube.<br />

| Abb. 4.<br />

Ausbau der Steuerstabantriebe unterhalb des RDB.<br />

| Abb. 3.<br />

Zerlegung Deckel Sicherheitsbehälter (Drywelldeckel).<br />

Um Platz für die Materialbehandlung zu schaffen, wurden<br />

im Maschinenhaus nicht mehr benötigte Anlageteile<br />

entfernt. Im Reaktorgebäude wurden mehrere Tonnen<br />

Material oberhalb des Reaktors geräumt und alle Brennelemente<br />

vom Reaktor ins Brennelementlagerbecken<br />

Material von der Beckenflurebene RG+29m sowie ca.<br />

30 Tonnen von der Ebene RG+0m entfernt werden. Im<br />

Einzelnen handelt es sich um die Abdecksteine über der<br />

Reaktorgrube, die Abschirmsteine zwischen Einbautenbecken<br />

und Reaktorgrube, den Deckel des Sicherheitsbehälters<br />

(Drywelldeckel) und die Reaktordruckbehälter<br />

(RDB)-Deckelisolierung. Sie wurden in transportable<br />

Teile zerlegt und vom Beckenflur RG+29m abtransportiert.<br />

Alle Arbeiten wurden unter Sicherstellung des Rückwirkungsschutzes<br />

für die im Brennelementlagerbecken befindlichen<br />

Brennelemente durchgeführt. Die asbesthaltige<br />

RDB-Deckelisolierung wurde in einer speziell eingerichteten<br />

Einhausung durch eine Fachfirma zerlegt. Zusätzlich<br />

wurde der Drywell-Abschirmstein auf RG+0m<br />

zerlegt und aus dem RG abtransportiert.<br />

Kernentladung<br />

Ende März wurde der Reaktordruckbehälter geöffnet und<br />

alle 240 Brennelemente aus dem Letztkern ins Brennelementlagerbecken<br />

entladen.<br />

Zur Erhöhung der Lagerkapazität von Steuerstäben im<br />

Brennelementlagerbecken wurden zwei nicht mehr benötigte<br />

BE-Lagergestelle ausgebaut und durch zwei neue<br />

Decommissioning and Waste Management<br />

Zwischenbilanz – die ersten zwei Jahre nach 47 Jahren Leistungsbetrieb Kernkraftwerk Mühleberg ı Urs Amherd


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DECOMMISSIONING AND WASTE MANAGEMENT 26<br />

| Abb. 5.<br />

Arbek-Z - Einsetzen des Zusatzverschlusses.<br />

Gestelle zur Lagerung von Steuerstäben ersetzt. Somit<br />

konnten im Mai/Juni neben den Brennelementen auch alle<br />

57 Steuerstäbe aus dem Letztkern ins Brennelementlagerbecken<br />

transferiert werden. Die 13 Messlanzen des<br />

Leistungsbereichs-Neutronenflussmesssystems (LPRM-<br />

Lanzen) wurden ebenfalls ausgebaut, gebogen und ins<br />

Brennelementlagerbecken überführt. Nach Abschluss des<br />

Ausbaus der Steuerstäbe und der LPRM-Lanzen durch ein<br />

auf solche Arbeiten spezialisiertes, externes Unternehmen,<br />

wurden Wasserabscheider und Dampftrockner wieder<br />

in den Reaktordruckbehälter eingesetzt und der RDB-<br />

Deckel wieder auf den Reaktordruckbehälter aufgesetzt.<br />

Im gleichen Zeitraum wurden unterhalb des Reaktordruckbehälters<br />

alle 57 Steuerstabantriebe sowie die<br />

4 Messlanzen des Weitbereichs-Neutronenflussmesssystems<br />

ausgebaut und der Entsorgung als radioaktiver Abfall<br />

zugeführt<br />

| Abb. 6.<br />

Arbek-Z - Einsetzen des Zusatzverschlusses.<br />

Etablierung der autarken redundanten<br />

Brennelementlagerbeckenkühlung (Arbek)<br />

Mit der Umsetzung des Projekts Arbek (bestehend aus den<br />

Teilprojekten Arbek-S, Arbek-Z und Arbek-B) wurde die<br />

Autarkie der Brennelementlagerbecken (BEB)-Kühlung<br />

etabliert.<br />

Arbek-S<br />

Das Arbek-S ist das vom ENSI ge<strong>for</strong>derte Sicherheitssystem<br />

zur Abfuhr der Nachzerfallswärme aus dem Brennelementlagerbecken.<br />

Im Rahmen des Projekts wurden die bestehenden<br />

Eintauchkühler des BEB-Notkühlsystems mit<br />

einem Kühler, zwei redundanten Pumpen und Rohrleitungen<br />

zu einem geschlossenen Zwischenkühlkreislauf ergänzt.<br />

Die Wärmeabfuhr vom Kühler erfolgt durch das<br />

ebenfalls modifizierte Kühlwassersystem des Notstandsgebäudes<br />

SUSAN. Die neuen Komponenten wurden im SU-<br />

SAN-Gebäude installiert.<br />

| Abb. 7.<br />

RG +29m - Arbeiten im Einbautenbecken am Vorzerlegetisch.<br />

| Abb. 8.<br />

Neu installiertes Schott zwischen Einbautenbecken und Reaktorgrube.<br />

Decommissioning and Waste Management<br />

Zwischenbilanz – die ersten zwei Jahre nach 47 Jahren Leistungsbetrieb Kernkraftwerk Mühleberg ı Urs Amherd


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

Arbek-Z<br />

Das Arbek-Z ist ein Zusatzverschluss, der die Dammplattenverankerung<br />

durch hydraulische Entkopplung der<br />

Dammplatte von der gefluteten Reaktorgrube vor zu hoher<br />

Belastung bei einem Erdbeben schützt. Der Zusatzverschluss<br />

bietet ausserdem einen mechanischen Schutz für<br />

die Dammplatte gegen allfällige Anpralllasten bei postulierten<br />

Handhabungsfehlern in der Reaktorgrube (Massnahme<br />

zum Rückwirkungsschutz).<br />

Arbek-B<br />

Das Arbek-B beinhaltet die Modifikation mehrerer bestehender<br />

Systeme zur betrieblichen Kühlkette des Brennelementlagerbeckens.<br />

Beim Brennelementbecken-Kühl- und<br />

Reinigungssystem wurde die Reinigungsfunktion der Reaktorgrube<br />

und des Einbautenbeckens vom BEB-Kühlkreislauf<br />

getrennt.<br />

Installation von Hilfseinrichtungen für die<br />

Zerlegung der Kerneinbauten<br />

Die Demontage der Kerneinbauten inklusive Wasserabscheider<br />

und Dampftrockner wurde als Werkvertrag im<br />

August 2018 vergeben. Der Werkvertrag beinhaltet neben<br />

der eigentlichen Demontageleistung, die Herstellung, Lieferung,<br />

Installation, Erprobung und Inbetriebnahme der<br />

notwendigen Gerätetechnik, Einrichtungen und Hilfsmittel<br />

sowie die hierfür benötigte Planung und Dokumentation.<br />

Die Demontagearbeiten werden sowohl im Einbautenbecken<br />

wie auch direkt im Reaktor unter Wasser durchgeführt.<br />

Im Rahmen der ETNB wurde im Juni auf der Beckenflurebene<br />

mit dem Aufbau notwendiger Hilfseinrichtungen<br />

für die Demontage im Einbautenbecken begonnen. Die<br />

weiteren Installations- und Montagearbeiten erfolgen im<br />

Rahmen der SP1. Nach Abschluss der Montagearbeiten<br />

wurde Mitte 2021 im Einbautenbecken mit der Zerlegung<br />

des Dampftrockners begonnen.<br />

Ausserbetriebnahmen im Reaktorgebäude<br />

Das Ausserbetriebnahmeverfahren regelt die Vorgehensweise<br />

bei Ausserbetriebnahmen und wurde während der<br />

Planungsphase im Betriebsführungssystem implementiert.<br />

Bei Ausserbetriebnahmen werden obsolete Systeme,<br />

Teilsysteme oder Komponenten entleert, mechanisch und<br />

elektrisch abgesichert und irreversibel vom noch betriebenen<br />

Teil der Anlage getrennt. Die abgeschlossene Ausserbetriebnahme<br />

ist ein zwingend notwendiger Schritt vor<br />

dem Starten der Demontagearbeiten. Im Reaktorgebäude<br />

wurden ab EABN nicht mehr benötigte Systeme wie z. B.<br />

das Steuerstabantriebssystem, die Kernnotkühlsysteme<br />

oder die Systeme des Primärcontainments (Toruskühlsysteme,<br />

Instrumentierungen) ausser Betrieb genommen.<br />

Demontagearbeiten im Reaktorgebäude<br />

Im Reaktorgebäude konnte mit Demontagearbeiten an<br />

Systemen erst ab Beginn der Stilllegungsphase 1 begonnen<br />

werden. So wurden seither die Hydraulikeinheiten des<br />

Steuerstabantriebssystems, das Vergiftungssystem (SLCS)<br />

und der H2-Rekombinator vollständig demontiert. Die Demontagearbeiten<br />

an den Einbauten des Torus sind termingerecht<br />

gestartet (Abbildung 9).<br />

Arbeiten im Maschinenhaus (MH)<br />

Demontage Splitterschutzsteine MH+8m<br />

Die 165 Splitterschutzsteine mit einem Gesamtgewicht<br />

von ca. 1.300 Tonnen, die während des Leistungsbetriebs<br />

um die Turbinengruppen aufgestellt waren, konnten ohne<br />

Zerlegung von ihrem Aufstellort im MH+8m entfernt werden.<br />

Sie wurden, falls er<strong>for</strong>derlich, dekontaminiert und<br />

konnten alle im Anschluss freigemessen werden. Von den<br />

165 Splitterschutzsteinen werden 97 auf einer Pufferfläche<br />

auf dem Areal weitergenutzt. Die restlichen 68 Splitterschutzsteine<br />

(485 Tonnen) wurden konventionell entsorgt<br />

und dem Wertstoffkreislauf als Rohstoff zugeführt.<br />

Demontage Turbinen und weiterer<br />

Einzelkomponenten<br />

Ab Februar 2020, parallel zum Ausbau der Splitterschutzsteine,<br />

wurde mit der Demontage der Turbinengruppen<br />

und den Komponenten der Vorwärmerstrassen begonnen.<br />

Die Komponenten wurden ausgebaut, falls er<strong>for</strong>derlich auf<br />

Verpackungsgrösse grossteilig zerlegt und fachgerecht,<br />

ADR-kon<strong>for</strong>m zum Transport verpackt (Container oder<br />

Tieflader).<br />

Das Transportgut wurde auf dem Areal bereitgestellt und<br />

zusammen mit weiteren Grosskomponenten zu einem<br />

Spezialunternehmen nach Schweden transportiert, das<br />

mit der weiteren Bearbeitung beauftragt ist. In Summe<br />

wurden rund 40 Transporte mit insgesamt 45 Versandstücken<br />

nach Schweden durchgeführt.<br />

Die Transporte konnten unfallfrei und termingerecht<br />

durchgeführt werden. Dabei wurde Material mit einer Gesamtmasse<br />

von ca. 550 Tonnen transportiert. Positiv mediale<br />

Erwähnung in der schwedischen Presse fanden die<br />

fachgerecht durchgeführten Transporte bei stichprobenartigen<br />

Kontrollen durch die schwedischen Behörden.<br />

DECOMMISSIONING AND WASTE MANAGEMENT 27<br />

| Abb. 9<br />

Blick ins Maschinenhaus Q1/2020.<br />

| Abb. 10<br />

Abtransport Generator.<br />

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DECOMMISSIONING AND WASTE MANAGEMENT 28<br />

| Abb. 11<br />

Maschinenhaus Nov. 2020 - Turbogruppen sind demontiert.<br />

Turbinen-Hilfs- und Wasser-Dampf-<br />

Kreislaufsysteme<br />

Weitere Systeme des Sekundärkreislaufes wurden im Verlaufe<br />

der Etablierung des technischen Nachbetriebes obsolet<br />

und konnten ebenso ausser Betrieb genommenen werden.<br />

Dazu gehörten u. A. das gesamte Kondensatsystem,<br />

das Speisewassersystem, das Frischdampfsystem, die Abgasanlage,<br />

das Zwischen- oder das Hauptkühlwassersystem.<br />

Diejenigen Systemkomponenten in den Bereichen,<br />

die für die Errichtung der Materialbehandlungseinrichtungen<br />

oder der Freimessplätze eine Störkante darstellten,<br />

wurden bereits demontiert. Dies betrifft vor allem die Bereiche<br />

im Maschinenhaus auf der +8m- und +0m-Ebene.<br />

gehörten z. B. die Dichtölanlage oder das Wasserstoffkühlsystem<br />

der Generatoren.<br />

Ebenso wurden die zum Betrieb der Turbinen und Generatoren<br />

benötigten Hilfssysteme ausser Betrieb genommen<br />

und teils demontiert. Zu den Turbinen-Hilfssystemen gehörten<br />

z. B. das Turbinenbypass-System, das Schmierölsystem<br />

oder die Regel-, Steuerungs- und Sicherheitssysteme<br />

der Turbinen. Zu den Generator- Hilfssystemen<br />

| Abb. 13<br />

Neue Wasseraufbereitung.<br />

| Abb. 12<br />

Verladen des Blocktrans<strong>for</strong>mators.<br />

| Abb. 14<br />

Freimessanlage.<br />

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<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

| Abb. 15<br />

Anbau an Ostwand des Maschinenhauses.<br />

Demontage und Abtransport der Generatoren<br />

Die Demontage der beiden Generatoren wurde in zwei<br />

Etappen ausgeführt. Die erste Etappe betraf die beiden Rotoren,<br />

die analog zum Vorgehen in den vergangenen Jahresrevisionen<br />

ausgebaut wurden und im Anschluss befreit<br />

werden konnten. Ein Rotor wurde zur Weiterverwendung<br />

an das Kernkraftwerk Beznau geliefert.<br />

Der zweite, wie auch der vorhandene Ersatzrotor, der konventionellen<br />

Entsorgung zugeführt. Die zweite Etappe umfasste<br />

die beiden Statoren mit einem Gewicht von je ca.<br />

150 Tonnen, die ohne weitere Zerlegung aus ihrer Einbaulage<br />

ausgehoben und im November abtransportiert wurden.<br />

Da die betriebliche Krananlage diese Last nicht aufnehmen<br />

konnte, wurde dafür eigens ein Schwerlast-Hubgerüst<br />

mit einem Eigengewicht von 242 Tonnen installiert.<br />

Die beiden Statoren konnten zusammen mit dem Schwerlast-Hubgerüst<br />

im Anschluss befreit und vom Areal abtransportiert<br />

werden.<br />

Anpassung der Spannungsversorgung<br />

Während der ETNB wurde die Eigenbedarfsversorgung<br />

(Spannungsversorgung Nachbetrieb) angepasst und die<br />

Infrastrukturversorgung (Spannungsversorgung Rückbau)<br />

aufgebaut.<br />

Bei der Eigenbedarfsversorgung wurden die beiden Anschlüsse<br />

an das 220-kV-Netz sowie der Anschluss an das<br />

50-kV-Netz außer Betrieb genommen. Die Blocktrans<strong>for</strong>matoren<br />

wurden im Oktober abtransportiert. Die Stromeinspeisung<br />

ist durch eine erdverlegte 16-kV-Einspeisung<br />

vom knapp 2km entfernten Wasserkraftwerk ersetzt worden.<br />

Zudem speist eine 16-kV-Backupeinspeisung bei<br />

Spannungslosigkeit automatisch hinzu.<br />

Bei der Infrastrukturversorgung sind Verteilanlagen installiert<br />

worden. Auch wurden die notwendigen Kabelwege im<br />

Reaktor- und Aufbereitungsgebäude sowie im Maschinenhaus<br />

ausgebaut.<br />

Erneuerung der Druckluftversorgung<br />

Um den An<strong>for</strong>derungen der Stilllegung gerecht zu werden,<br />

wurde die bisherige Drucklufterzeugungsanlage durch eine<br />

neue Anlage ersetzt. Die ehemaligen Steuer- und Werkluftverteilnetze<br />

wurden zusammengeschaltet. Die weiterhin<br />

benötigten Verbraucher wurden an die neue 8-bar-<br />

Druckluftversorgung angeschlossen. Zusätzlich wurde ein<br />

neues 10-bar-Verteilnetz für die Einrichtungen der Materialbehandlung<br />

installiert.<br />

| Abb. 16<br />

Trockenstrahlanlage.<br />

Erneuerung der Wasseraufbereitung<br />

Zur Produktion von demineralisiertem Wasser wurde die<br />

Wasseraufbereitungsanlage ersetzt. Die frühere, auf Basis<br />

von Ionenaustauschern ausgelegte Anlage, welche zur Regenerierung<br />

der eingesetzten Harze konzentrierte Schwefelsäure<br />

und Natronlauge benötigte, wurde durch eine<br />

Umkehrosmoseanlage ersetzt. Dank diesem Ersatz konnte<br />

auf die Lagerung von grösseren Mengen an Chemikalien<br />

verzichtet werden.<br />

Erweiterung der Verdampferkapazität<br />

Zur Behandlung der anfallenden Abwassermengen in der<br />

kontrollierten Zone wurden ergänzend zu dem bereits in<br />

2015 installierten Verdampfer zwei weitere Aggregate im<br />

Aufbereitungsgebäude installiert.<br />

Damit hat sich die Verdampferkapazität verdreifacht. Neben<br />

der Kapazitätserhöhung hat die neue Anlagenkonfiguration<br />

mit drei identischen Verdampfern auch Vorteile bezüglich<br />

Verfügbarkeit und Vereinfachung des Unterhalts.<br />

Maschinenhaus-Anbau<br />

Zur Optimierung der Logistikabläufe bei der Freimessung<br />

von Material aus der kontrollierten Zone wurde ein zusätzlicher<br />

Anbau zwischen den ehemaligen Standplätzen der<br />

Blocktrans<strong>for</strong>matoren (an das Maschinenhaus anschliessend)<br />

errichtet. Nach Herstellung einer zusätzlichen Öffnung<br />

in der Ostwand des Maschinenhauses wurde die<br />

Freimessanlage in der Öffnung in Betrieb genommen.<br />

Trockenstrahlanlage<br />

Zur Dekontamination von kontaminiertem Material aus<br />

der Demontage wurde eine Trockenstrahlanlage für Komponenten<br />

unterschiedlicher Grösse und Geometrie auf<br />

MH+8m installiert.<br />

Nach dem, durch die Aufsichtsbehörden (Suva und ENSI)<br />

begleiteten Inbetriebnahmeprogramm, konnte der Betrieb<br />

der Trockenstrahlanlage aufgenommen werden.<br />

Zementiercontainer<br />

Der Zementiercontainer zur Konditionierung von 200-l-<br />

Fässern mit radioaktivem Abfall wurde an einem neuen<br />

Ort auf MH+0m aufgestellt. Mit dem neuen Aufstellungsort<br />

ist es möglich, die Maschinenhauseinfahrt auch während<br />

des Betriebs des Zementiercontainers zu nutzen.<br />

DECOMMISSIONING AND WASTE MANAGEMENT 29<br />

Decommissioning and Waste Management<br />

Zwischenbilanz – die ersten zwei Jahre nach 47 Jahren Leistungsbetrieb Kernkraftwerk Mühleberg ı Urs Amherd


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

DECOMMISSIONING AND WASTE MANAGEMENT 30<br />

Weitere Materialbehandlungseinrichtungen<br />

Des Weiteren wurden auf MH+8m eine Handschuhboxstrahlanlage,<br />

eine Muldenbandstrahlanlage und auf<br />

AG+8m ein Handwaschplatz mit Ultraschallbädern montiert<br />

und in Betrieb genommen. Die bereits während des<br />

Leistungsbetriebs vorhandene Anlage zur Nassdekontamination<br />

auf AG+8m wurde ertüchtigt und mit einer leistungsfähigeren<br />

Hochdruckpumpe ausgerüstet.<br />

Ausblick<br />

2021 bis 2024: nuklearer Rückbau und<br />

Abtransport der Brennelemente<br />

Wo bereits möglich, werden Demontagetätigkeiten im Reaktorgebäude<br />

durchgeführt. Die stark radioaktiven Komponenten<br />

aus dem Inneren des Reaktors werden unter<br />

Wasser zerlegt und verpackt. Gleichzeitig wird im Maschinenhaus<br />

weiter Platz geschaffen und darin radioaktiv verunreinigtes<br />

Material gereinigt. Ab 2022 werden die Brennelemente<br />

vom Brennelementlagerbecken ins zentrale Zwischenlager<br />

(Zwilag) in Würenlingen transportiert, bis Ende<br />

2024 keine Brennelemente mehr im KKM vorhanden<br />

sind.<br />

2025 bis 2030: nuklearer Rückbau<br />

Ab 2025 werden sämtliche noch verbliebenen Anlageteile,<br />

die mit Radioaktivität in Kontakt gekommen sind, demontiert.<br />

Dazu gehören zum Beispiel der Reaktordruckbehälter,<br />

Teile des Sicherheitsbehälters oder auch das nicht<br />

mehr benötigte Brennelementlagerbecken. Alle demontierten<br />

Komponenten werden im Maschinenhaus sortiert,<br />

falls möglich gereinigt, auf Radioaktivität überprüft und<br />

verpackt. Gereinigtes und freigegebenes Material wird als<br />

normaler Abfall deponiert oder nach Möglichkeit wiederverwertet.<br />

Die radioaktiven Abfälle werden ins Zwilag gebracht.<br />

Zum Abschluss der Arbeiten werden sämtliche Gebäudestrukturen<br />

gereinigt und überprüft, die während des<br />

Betriebs mit Radioaktivität in Kontakt gekommen sein<br />

könnten, bis keine Radioaktivität mehr vorhanden ist.<br />

Autor<br />

Urs Amherd<br />

Stv. Leiter Stilllegung und Entsorgung,<br />

Kernkraftwerk Mühleberg, Schweiz<br />

Urs.Amherd@bkw.ch<br />

Nach dem Master in Physik an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in<br />

Lausanne begann Urs Amherd 2009 in der Betriebsabteilung des Kernkraftwerks<br />

Mühleberg zu arbeiten. 2012 erlangte er die Reaktoroperateurlizenz, 2014 die<br />

Schichtleiterlizenz und 2015 die Pikettingenieurlizenz. Als Pikettingenieur wechselte<br />

er dann zum Fachstab in den Bereich der Sicherheitsanalysen. In dieser Zeit entwickelte<br />

er die deterministischen Sicherheitsanalysen für die Stilllegung KKM. Aufgrund<br />

seiner spezifischen Anlagenkenntnisse und seines nuklearen Wissens (sowohl<br />

im operativen Kernkraftwerkbetriebs wie auch in den theoretischen<br />

Störfallbetrachtungen) wurde er Ende 2018 in die Projektleitung gerufen und ist<br />

nun als Programmleiter Nachbetrieb u. a. für die Systemausserbetriebnahmen,<br />

Systemänderungen und -umbauten verantwortlich. Seit Anfang 2020 ist er der<br />

stellvertretende Gesamtprojektleiter für die Stilllegung KKM.<br />

Decommissioning and Waste Management<br />

Zwischenbilanz – die ersten zwei Jahre nach 47 Jahren Leistungsbetrieb Kernkraftwerk Mühleberg ı Urs Amherd


Kommunikation und<br />

Training für Kerntechnik<br />

Seit vielen Jahren erfolgreich durchgeführt!<br />

Ein wichtiger Kurs für alle Anfänger und Quereinsteiger in Industrie, Organisationen und Behörden.<br />

Grundlagenschulung Kerntechnik<br />

Seminarziel:<br />

Praxisnahe Vermittlung von Grundlagenkenntnissen rund um<br />

die Kern- und Entsorgungstechnik sowie ggf. Festigung und<br />

Vertiefung bereits bestehender Fachkenntnisse.<br />

Seminarinhalte<br />

a Grundlagen der Atom- und Kernphysik (Moleküle, Atome, Atomkerne, Nuklide)<br />

a Arbeiten mit der Nuklidkarte (Isotope, Zerfallsarten, Halbwertszeiten, Zerfallsreihen)<br />

a Kernenergie (Bindungsenergien, Kernspaltung, Kernfusion, Kettenreaktionen)<br />

a Kernbrennstoffe (Ursprung, Arten, Gewinnung, Kernbrennstoff-Kreislauf)<br />

a Verarbeitung von Kernbrennstoffen (Konversion, Anreicherung, Brennelementfertigung)<br />

a Kernreaktoren (Aufbau, Funktionsweise am Beispiel DWR, Typen, Sicherheitsprinzipien)<br />

a Reaktorbetrieb (Fahrweise, Brennstoff-Inventar, -Bedarf u. -Wechsel, SEWD-Richtlinien)<br />

a Grundzüge des Strahlenschutzes (phys. Einheiten, Grundprinzipien, Abschirmungen)<br />

a Grundzüge des Rückbaus (Materialien, Trennverfahren, Ablaufplanung)<br />

a Entsorgung (Abklinglagerung, Zwischenlagerung, Wiederaufarbeitung, Endlagerung)<br />

Zielgruppe<br />

Mit diesem breiten Themenspektrum wendet sich das Seminar an alle Fach- und Führungskräfte<br />

sowie deren Mitarbeiter im Technikbereich, im Projektmanagement, im Vertrieb/<br />

Marketing und der Öffentlichkeitsarbeit. Auch Kaufleute und Juristen sind angesprochen.<br />

Referent<br />

Dr.-Ing. Thomas Behringer ı Energie- und Reaktortechniker<br />

Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme!<br />

3 Aufgrund der gegenwärtigen Coronasituation bitten wir für Anfragen oder Buchungen<br />

vorzugsweise diese E-Mail zu nutzen: seminare@kernd.de<br />

Termine<br />

2 Tage<br />

5. bis 6. Mai 2022<br />

und<br />

15. bis 16. September 2022<br />

Tag 1: 10:00 bis 18:00 Uhr<br />

Tag 2: 09:00 bis 16:30 Uhr<br />

Hotel Sylter Hof, Berlin<br />

Teilnahmegebühr<br />

1.398,- € ı zzgl. 19 % USt.<br />

Im Preis inbegriffen sind:<br />

k Seminarunterlagen<br />

k Teilnahmebescheinigung<br />

k Pausenverpflegung<br />

inkl. Mittagessen<br />

Kontakt<br />

INFORUM<br />

Verlags- und Verwaltungsgesellschaft<br />

mbH<br />

Berliner Straße 88A<br />

13467 Berlin<br />

Seminare@KernD.de


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

DECOMMISSIONING AND WASTE MANAGEMENT 32<br />

Heraus<strong>for</strong>derungen beim Rückbau der<br />

WAK bei der KTE –<br />

Das Öffnen der Büchse der Pandora<br />

Dr. Bernhard Wiechers<br />

Einleitung Die Kerntechnische Entsorgung Karlsruhe GmbH (KTE) vereint an ihrem Standort bei Karlsruhe beinahe<br />

das gesamte Spektrum der verschiedenen Disziplinen eines kerntechnischen Rückbaus, ausgehend von anspruchsvollen<br />

Rückbauprojekten unterschiedlichster Forschungsreaktoren und Prototypanlagen, über nahezu die gesamte<br />

Palette der üblichen Konditionierungsanlagen für radioaktive Reststoffe bis hin zur Deklaration und Lagerung<br />

von Gebinden, welche in Zukunft in ein Endlager überführt werden sollen. Zu den verschiedenen Rückbauprojekten<br />

der KTE gehört neben dem Rückbau des Mehrzweck<strong>for</strong>schungsreaktors (MZFR), der Kompakten Natriumgekühlten<br />

Kernreaktoranlage (KNK) und den Heißen Zellen (HZ) auch die Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe (WAK) und die<br />

Verglasungseinrichtung Karlsruhe (VEK), deren Rückbau alle individuelle Heraus<strong>for</strong>derungen bieten.<br />

Die Wiederaufarbeitungsanlage für<br />

Kernbrennstoffe (WAK) sollte gemäß<br />

den Planungen in den 60er Jahren<br />

durch die Rezyklierung von Kernbrennstoffen<br />

den nuklearen Brennstoffkreislauf<br />

schließen und ging nach<br />

nur vierjähriger Bauzeit 1971 in Betrieb.<br />

Mit der letzten Auflösung von<br />

Brennelementen am 18. Dezember<br />

1990 wurde der Wiederaufarbeitungsbetrieb<br />

endgültig beendet und<br />

der Rückbau der Anlage begonnen.<br />

Der immense technische und zeitliche<br />

Aufwand für den Rückbau ist in<br />

der Natur dieser Forschungs- bzw.<br />

Prototyp-Anlage begründet. Errichtet<br />

als Versuchsanlage, deren technische<br />

Auslegung und Größe so gewählt<br />

wurde, dass eine Übertragung der Betriebserfahrung<br />

auf eine große industrielle<br />

Anlage möglich war, sollten Erfahrungen<br />

für den Bau und Betrieb<br />

der industriellen deutschen Wiederaufarbeitungsanlage<br />

gesammelt<br />

werden und das Verfahren der Wiederaufarbeitung<br />

weiter entwickelt<br />

werden. Die Abfälle aus dem Betrieb wurden an die damalige Hauptabteilung Dekontaminationsbetriebe (HDB) des<br />

Forschungszentrums Karlsruhe, die heutigen Entsorgungsbetriebe (EB), ebenfalls Teil der KTE, abgegeben. Nicht abgegeben<br />

wurden dagegen die beim Prozess angefallenen, flüssigen, hochaktiven Abfälle, die nach Aufkonzentrierung<br />

(HAWC - High Active Waste Concentrate) in der WAK gelagert wurden. Das HAWC war eine salpetersaure Lösung mit<br />

12-15 g/l Feststoffen, bestehend aus Spalttprodukten, Prozesschemikalien und Korrosionsprodukten. Die Feststoffe<br />

bestehen aus ungelösten Brennstoffanteilen, Ausfällungen mit Molybdän, Phosphor, Cäsium, Eisen und Verunreinigungen<br />

und Hüllrohrabrieb. Trotz der in den Lagerbehältern vorhandenen Umwälzungen haben sich Anteile der Feststoffe<br />

in mindestens einem der Behälter am Boden abgesetzt. Das HAWC wurde vollständig 2010 in der Verglasungseinrichtung<br />

Karlsruhe (VEK) verglast und die entstandenen 140 Kokillen in 5 CASTOR HAW 28 CG ins Zwischenlager Nord<br />

(ZLN) der Muttergesellschaft EWN Entsorgungswerk für Nuklearanlagen GmbH verbracht. Die in den Anlagenteilen<br />

eingetrockneten Reste des HAWC bestimmen mit ihren Aktivitäten nahezu den gesamten Rückbau in der WAK<br />

| Abb. 1<br />

Luftbild der Wiederaufarbeitungsanlage (WAK).<br />

Rückbaustrategie für die WAK<br />

Der gesamte Rückbau der WAK gliedert sich in zwei Rückbaustränge:<br />

Zum einen in den Rückbau des Prozessgebäudes,<br />

welcher sehr weit <strong>for</strong>tgeschritten ist, zum anderen in<br />

den Rückbau der Anlagen, in denen das HAWC behandelt<br />

und/ oder gelagert wurde. Zu den HAWC Anlagen gehört<br />

auch die VEK, die eigens für die Verglasung des HAWC aus<br />

der WAK errichtet wurde und sich nun ebenfalls im Rückbau<br />

befindet. Unterteilt in sechs einzelne Rückbauschritte<br />

(Abbildung 2) läuft der Rückbau der WAK seit 1990 und<br />

wird voraussichtlich noch bis Mitte der 2040er Jahre andauern.<br />

Die Schritte 1, Deregulierung nach Wiederaufarbeitung,<br />

und 2, Rückbau Einzelsysteme des PG sind bereits<br />

wie auch der Schritt 4, Deregulierung nach Verglasung<br />

Decommissioning and Waste Management<br />

Heraus<strong>for</strong>derungen beim Rückbau der WAK bei der KTE – Das Öffnen der Büchse der Pandora ı Dr. Bernhard Wiechers


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

| Abb. 2<br />

Struktur des Rückbaus WAK.<br />

abgeschlossen. Derzeit laufen die Schritte 3 Rückbau Prozessgebäude<br />

und Schritt 5, Fernhantierter und Manueller<br />

Rückbau HAWC-Anlagen.<br />

Der Schritt 5 unterteilt sich seinerseits auf zehn Einzelschritte,<br />

die teilweise aufeinander aufbauend, nach Abschluss<br />

zusammen mit Schritt 3 im letzten Schritt 6, Abriss<br />

Gebäude münden. Die Demontage der HAWC-Behälter<br />

sind in dem Teilschritt 5.3 (Rückbaubereich RB 5.3) enthalten,<br />

die ehemaligen Prozesszellen der Lager- und<br />

Verdampfungsanlage (LAVA) in RB 5.4.<br />

Anstehenden Heraus<strong>for</strong>derungen der laufenden<br />

Rückbaubereiche<br />

Im Vergleich zu anderen nuklearen Stilllegungsprojekten<br />

liegen bei der WAK zwei Besonderheiten vor, welche das<br />

Rückbauprojekt in besonderem Maße beeinflussen. Einerseits<br />

lagerten 1991 nach Einstellung des Produktionsbetriebs<br />

noch ca. 60 m 3 hoch radioaktive flüssige Abfälle mit<br />

einem Radioaktivitätsinventar von ca. 8×10 17 Bq in der<br />

WAK. Durch die Konditionierung des HAWC konnte mit<br />

Abschluss des Verglasungsbetriebs in der VEK das verbleibende<br />

Inventar auf ca. 2×10 16 Bq reduziert werden. Prozessbedingt<br />

verblieben bei den rückbauvorbereitenden<br />

Spül- und Reinigungsschritten der unterschiedlichen Systeme<br />

neben den abgelagerten Feststoffen im wesentlichen<br />

verdünnte Reste des Konzentrats in den verschiedenen<br />

Teilen der HAWC-Anlagen, welche im Laufe der Jahre eingetrocknet<br />

sind. Dieses noch immer vergleichsweise hohe<br />

Inventar konzentriert sich im Wesentlichen auf wenige Behälter/Komponenten.<br />

Die vorhandene Aktivität liegt größtenteils als mobilisierbare<br />

Kontamination in unterschiedlichen chemischen Formen<br />

und damit Eigenschaften vor; das Hauptnuklid ist Cs-<br />

137. Aufgrund ihrer Betriebshistorie weist die WAK zudem<br />

einen hohen Anteil an offener Alpha-Kontamination auf,<br />

deren Handhabung in allen Rückbau- und Entsorgungsabschnitten<br />

bis zur Entlassung der Anlage aus dem Atomgesetz<br />

besondere und aufwändige Maßnahmen beim Rückbau<br />

und der Probenanalyse für die Deklaration er<strong>for</strong>dert.<br />

Der Rückbau der WAK ist heute so weit <strong>for</strong>tgeschritten,<br />

dass als nächster Schritt der Rückbau des ersten Lagerbehälters<br />

der HAWC-Lagerung in der LAVA mit hoher Restaktivität<br />

(ca. 1×10 15 Bq) angegangen werden kann. Beim<br />

Rückbau dieses Behälter (210 B 02) ist neben den<br />

beschränkten Zugänglichkeiten auch die hohe Dosisleistung<br />

im dreistelligen Sievertbereich die bevorstehende Heraus<strong>for</strong>derung.<br />

Beschreibung der Behälter 210 B 02/03<br />

Im Zuge der damaligen Kapazitätserweiterung des bestehenden<br />

Hauptwastelagers (HWL) wurde die LAVA errichtet<br />

und im Jahre 1986 noch in Betrieb genommen. Kernstück<br />

neben den Prozesszellen waren die zwei liegenden<br />

Lagerbehälter für das HAWC von 4.000 × 7.200 mm Größe,<br />

einem Fassungsvermögen von ca. 80 m 3 und einem Gewicht<br />

von je ca. 18,5 Mg. Im Inneren der Behälter befinden<br />

sich komplexe Einbauten, bestehend zum einen aus den<br />

Kühlschlangen zur Abfuhr der Nachzerfallswärme und<br />

zum anderen aus sechs Pulsatoren, die für eine kontinuierliche<br />

Umwälzung des HAWC sorgten. Beide Behälter wurden<br />

jeweils in einer eigenen Zelle mit einer Wandstärke<br />

von bis zu 1,65 m Beton montiert, die nach Montage und<br />

Inbetriebnahme verschlossen wurden (Abbildung 3).<br />

Durch diese Bauweise bedingt ist der Zugang zu diesen<br />

Zellen für eine fernhantierte Demontage nur durch vorheriges<br />

Herstellen eines Wanddurchbruches aus Raum 6 des<br />

| Abb. 3<br />

Einbau der Behälter in der LAVA, Zelle L2 und L1.<br />

DECOMMISSIONING AND WASTE MANAGEMENT 33<br />

Decommissioning and Waste Management<br />

Heraus<strong>for</strong>derungen beim Rückbau der WAK bei der KTE – Das Öffnen der Büchse der Pandora ı Dr. Bernhard Wiechers


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

DECOMMISSIONING AND WASTE MANAGEMENT 34<br />

| Abb. 4<br />

Lageplan LAVA/HWL.<br />

HWL möglich, durch welchen die kompletten Demontagetätigkeiten<br />

hindurch ausgeführt werden. Der Wanddurchbruch<br />

kann durch ein installiertes Abschirmtor wieder<br />

geschlossen werden, damit während des Rückbaus die<br />

Möglichkeit besteht, im angrenzenden Raum 6, nach fernhantierter<br />

Entfernung der Kontamination, Wartungstätigkeiten<br />

durchführen zu können (Abbildung 4). Die Platzverhältnisse<br />

in den Behälterzellen lassen es nicht zu, dass<br />

eine Nachbehandlung der Schnittstücke innerhalb der<br />

Zelle erfolgt kann. Ist diese aus radiologischen Gründen<br />

notwendig, kann sie in Raum 4 durchgeführt werden, in<br />

dem eine Nachbehandlungseinrichtung installiert wird.<br />

Laufende Vorbereitungsmaßnahmen für den<br />

Rückbau des Behälters 210 B 02<br />

Um zu dem Behälter in der Zelle L1 zu gelangen, muss zuerst<br />

ein Durchbruch vom HWL zur LAVA hergestellt werden.<br />

Hierzu sind die Betonwände der beiden Gebäude von<br />

0,65 m und 1 m Dicke zu durchbrechen und die dazwischenliegende<br />

Gebäudefuge sicher zu verschließen. Die<br />

HWL-Wand wurde bereits geöffnet (Abbildung 5 links)<br />

und mit der Abdichtung der Gebäudefuge versehen (Abbildung<br />

5 rechts). Als nächstes wird der Wanddurchbruch<br />

zur LAVA hergestellt. Der erste Schritt hätte auch manuell<br />

realisiert werden können, wurde aber fernhantiert ausgeführt,<br />

um die Herstellung des Durchbruchs in der LAVA-<br />

Wand, was nur fernhantiert erfolgen kann, zu erproben<br />

und ggf. zu optimieren. Die Montage der Fugenabdichtung<br />

zwischen beiden Wänden wurde manuell durchgeführt.<br />

Die bestehende Gebäudefuge muss so abgedichtet<br />

werden, dass auch im Erdbebenfall keine Kontamination<br />

nach außen gelangen kann.<br />

| Abb. 6<br />

Visuelle Inspektion inkl. Dosisleistungsmessung.<br />

Dabei muss diese Fugenabdichtung Relativbewegungen<br />

der beiden Gebäudeteile HWL und LAVA von ca. 20 mm<br />

im Erdbebenfall kompensieren können. Die Abdichtung<br />

muss während der Demontagen auch langfristig der Überfahrung<br />

des Manipulatorträgersystems (Bagger)<br />

standhalten.<br />

Durchgeführte Dosisleistungsmessungen und<br />

visuelle Inspektion 210 B 02<br />

Entscheidenden Einfluss auf den Rückbau des Behälters<br />

haben die nicht exakt bekannten radiologischen Bedingungen<br />

im Inneren, welche im Vorfeld mit verschiedenen<br />

Messungen und Inspektionen möglichst genau bestimmt<br />

wurden. Bei einer durchgeführten Zellenbefahrung mit<br />

einem selbst entwickelten Manipulatorfahrzeug (Abbildung<br />

6), ausgerüstet mit einer Messsonde, wurde die<br />

Dosisleitung am äußeren Behälterboden gemessen. Das<br />

ermittelte Längenprofil (Abbildung 7) lässt erste Rückschlüsse<br />

auf die Verteilung der Rückstände im Behälter zu,<br />

der Maximalwert von über 100 Sv/h wurde am Auslass des<br />

Behälters gemessen, die ermittelte Restaktivität in dem<br />

Behälter ist mit ca. 1×10 15 Bq abgeschätzt. Die erhobenen<br />

Messwerte in Verbindung mit dem vorliegenden Nuklidvektor<br />

erlauben zwar eine erste Abschätzung der Menge<br />

der im Behälter verbliebenen Rückstände, über die Beschaffenheit<br />

und Verteilung konnte bisher aber keine gesicherte<br />

Aussage getroffen werden. Zur Planung der Rückbau-<br />

und Entsorgungsstrategie sind jedoch erweiterte Erkenntnisse<br />

über die Reststoffe, deren Beschaffenheit und<br />

ihre Verteilung notwendig, da sich im Behälter trockene<br />

Ablagerungen (Trocknungsrückstände) befinden, sowohl<br />

an den Behälterwänden als auch an den Rohrleitungen<br />

| Abb. 5<br />

Herstellung HWL Wanddurchbruch und Fugenabdichtung.<br />

| Abb. 7<br />

Dosisleistungsprofil und Geometrie Lüftungsleitung.<br />

Decommissioning and Waste Management<br />

Heraus<strong>for</strong>derungen beim Rückbau der WAK bei der KTE – Das Öffnen der Büchse der Pandora ı Dr. Bernhard Wiechers


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

| Abb. 8<br />

Blick in Behälter 210 B 02.<br />

und Tragstrukturen. Zur Verifikation der theoretischen<br />

Annahmen wurde Anfang 2021 eine visuelle Inspektion<br />

des Behälterinneren mit Hilfe eines Videoskops durchgeführt.<br />

Hierdurch sollte die Beschaffenheit des Tankinneren<br />

verifiziert werden, um die weiteren Arbeiten besser<br />

planen zu können.<br />

Als Zugang zu dem Behälter 210 B 02 wurde eine vorhandene<br />

Belüftungsleitung mit 25 mm Durchmesser gewählt.<br />

Aufgrund der Einbausituation der Behälter in den vorher<br />

beschriebenen Zellen hat die gewählte Rohrleitung eine<br />

Länge ca. 10 m, verläuft durch die in der Zellenwand verbaute<br />

Strahlenfalle (Abbildung 7) und weist im Verlauf zudem<br />

drei 90° Bögen auf, was das Durchschieben des Videoskops<br />

erschwerte und deshalb zuvor in einem Mock-Up<br />

erprobt wurde. Die erstmalig durchgeführte Inspektion<br />

des Behälters 210 B 02 ermöglichte Einsichten in den Behälter<br />

(Abbildung 8) anhand derer die Art und Menge an<br />

Trockenrückständen bewertet werden konnten. Deutlich<br />

zu erkennen sind die Rohrleitungen, durch welche während<br />

der Betriebszeit die Kühlung des HAWC sichergestellt<br />

wurde, sowie deren Haltekonstruktion.<br />

Behältereinbauten. Mit der Fernhantiertechnik werden<br />

dann „Störkanten“ wie Kühlschlangen weggeschnitten,<br />

um im Bodenbereich des Behälters Proben zur Verifizierung<br />

des Nuklidvektors für die Deklaration der Abfälle<br />

nehmen zu können. Die weiteren Arbeiten werden im<br />

Vorfeld nicht nur mit der Aufsichtsbehörde, dem UM BW,<br />

sondern auch mit der Endlagerbehörde, der BGE, abgestimmt,<br />

weil die Entsorgungsfrage entscheidenden Einfluss<br />

auf den Rückbau hat. Die bei diesen Schritten gewonnen<br />

Erkenntnisse werden das weitere Vorgehen beim<br />

Rückbau der HAWC-Anlagen maßgeblich beeinflussen.<br />

Autor<br />

Dr. Bernhard Wiechers<br />

Leiter Rückbau Wiederaufarbeitungsanlage (WAK),<br />

Kerntechnische Entsorgung Karlsruhe GmbH,<br />

Eggenstein-Leopoldshafen<br />

Bernhard.Wiechers@kte-karlsruhe.de<br />

Dr. Bernhard Wiechers studierte Maschinenbau mit dem Vertiefungsfach Reaktortechnik<br />

an der RWTH Aachen und promovierte anschließend am Forschungszentrum<br />

Jülich. Bevor er Anfang 2020 zu KTE wechselte, war er 20 Jahre bei Westinghouse<br />

Electric Germany im Bereich Dienstleistungen für kerntechnische Anlagen,<br />

Durchführung von Prüfungen/ Reparaturen an Primärkomponenten von Kernkraftwerken<br />

sowie zuletzt als Leiter für den Rückbau in EMEA zuständig.<br />

DECOMMISSIONING AND WASTE MANAGEMENT 35<br />

Die Rohrleitungen sind deutlich weniger mit HAWC-Trocknungsrückständen<br />

belegt, als erwartet. Am Boden befinden<br />

sich erwartungsgemäß mehr Trocknungsrückstände,<br />

aber auch hier scheint es sich nur um eine dünne Schicht<br />

zu handeln.<br />

Im Anschluss an die Videoskopie wurde auch die Dosisleistung<br />

im Tank gemessen. Diese bewegt sich im Bereich von<br />

340 Sv/h (ungenaue Messung wegen fehlender Kalibrierung<br />

für diesen Dosisbereich).<br />

Fazit und weitere Schritte<br />

Der Büchse der Pandora, als zweifelhaftes Geschenk der<br />

Götter an den Bruder des Prometheus, entwich nach ihrer<br />

Öffnung sämtliches Übel der Welt, nur einzig die Hoffnung<br />

verblieb in der Büchse, nachdem sie schnell wieder<br />

geschlossen wurde. Um den Fehler der Antike, das aus<br />

schierer Neugier unvorbereitete Öffnen einer Büchse mit<br />

nicht ungefährlichem Inhalt nicht zu wiederholen, werden<br />

beim Rückbau der Wiederaufarbeitungsanlage für die anstehende<br />

Öffnung sehr umfangreiche Planungen und<br />

weitreichende, vorbereitende Maßnahmen getroffen, um<br />

sich hierbei nicht nur mit einer Hoffnung auf Gelingen am<br />

Ende abfinden zu müssen. Nach Einbringen der Fugenabdichtung<br />

und der Öffnung der Zelle steht als nächster<br />

Schritt das Öffnen des Behälters im ersten Quartal 2022<br />

an.<br />

Schwerpunkt einer ersten Öffnung ist eine umfassende visuelle<br />

Inspektion des Tankinneren und der<br />

Decommissioning and Waste Management<br />

Heraus<strong>for</strong>derungen beim Rückbau der WAK bei der KTE – Das Öffnen der Büchse der Pandora ı Dr. Bernhard Wiechers


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

36<br />

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ROBUR ist das Dach, unter dem selbstständige Unternehmen<br />

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bündeln und gemeinsam wachsen und steht für moderne,<br />

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und für die Lösung der damit verbundenen Heraus<strong>for</strong>derungen<br />

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Kolleginnen und Kollegen aus 23 ROBUR-Partnerunternehmen<br />

arbeiten weltweit in den Industriesegmenten<br />

Wind, Wasser, Energie, Industrials und Prozessindustrie<br />

und schaffen als kompetenter Partner ganzheitliche Lösungen<br />

von Planung und Realisation über Installation,<br />

Betrieb und Instandhaltung bis zu Verlagerung und<br />

Rückbau. Darüber hinaus unterstützen wir unsere Kunden<br />

mit Digital-, Automatisierungs- und Data-Insightslösungen<br />

bei der Gestaltung der digitalen Trans<strong>for</strong>mation.<br />

Die Heraus<strong>for</strong>derungen des ökologischen Wandels sind<br />

unser Antrieb für die Schaffung effizienter, optimierter<br />

und ganzheitlicher Lösungen zum Vorteil unserer Kunden,<br />

der Umwelt und nachfolgender Generationen.<br />

Kontakt<br />

Frank Ambos<br />

frank.ambos@robur-group.com<br />

www.robur-energy.com<br />

@robour-energy<br />

At a Glance<br />

ROBUR ENERGY und RODIAS


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

AT A GLANCE<br />

37<br />

Handhabung und Konditionierung<br />

p Demontage und Sortierung kontaminierter Abfälle<br />

unter Berücksichtigung von Nuklidvektoren und Annahmebedingungen<br />

p Abfallrechtliche Bewertung und radiologische Charakterisierung<br />

von Abfällen<br />

p Endlagergerechte Konditionierung und Gebindeherstellung<br />

inkl. Endlagerdokumentation<br />

p Planung/Herstellung von Abfallbehandlungsanlagen,<br />

Sondermaschinen, fernhantierte Systeme<br />

Standortbereinigung & Greenfield-Lösungen<br />

p Planung von Entsorgungswegen für freigebbare<br />

Reststoffe<br />

p Komplettlösungen für den Betrieb von Reststoffbearbeitungszentren<br />

(RBZ)<br />

p Entsorgungs- und Handhabungslösungen für (TE)-<br />

NORM-Abfälle<br />

p Altlastensanierung für Industriestandorte<br />

Engineering<br />

p Gestellung von hoch qualifizierten Ingenieuren im<br />

AÜG<br />

Unsere Zulassungen & Zertifikate<br />

p Genehmigung nach 25 StrlSchG<br />

p DIN ISO 45001 & SCC P /SCC**/SCP<br />

p DIN EN ISO 9001 & KTA 1401<br />

p Makler gefährlicher Abfälle (KrWG)<br />

p Sanierung von Asbest und KMF, Arbeiten in kontaminierten<br />

Bereichen<br />

RODIAS<br />

Beispiel ist unsere Produkt-Suite Insight Control Panel,<br />

welche unter anderem Komponenten für die Einsatzplanung,<br />

den mobilen Datenzugriff und die mobile Erfassung<br />

von Instandhaltungsdaten beinhaltet. Insight Control<br />

Panel fungiert als Middleware im Sinne einer RAD<br />

(Rapid Application Development) Umgebung und kommuniziert<br />

im Backend mit IBM Maximo, In<strong>for</strong> EAM, SAP<br />

PM oder sonstigen ERP- und Legacy-Systemen.<br />

Auch für Internet of Things (IoT) sowie für Smart Analytics<br />

im Kontext von Condition Based Maintenance und<br />

darüber hinaus Predictive Maintenance haben wir passende<br />

Lösungen im Portfolio. In der Nuklearbranche sind<br />

wir mit unserem openBMS der de facto Standard für Betriebsführungs-systeme<br />

im deutschsprachigen Markt.<br />

Unser Data Manager für Maximo hat sich international in<br />

vielen IBM Maximo Installationen bewährt. Wir erweitern<br />

kontinuierlich unser Portfolio, so zum Beispiel mit<br />

unserem DGUV V3 Importer, der automatisiert die Prüfungen<br />

der Testkoffer überträgt, sowie mit unserem Tool<br />

OPTIRA zur Kosten- und Ressourcen-Optimierung von<br />

großen, komplexen Projekten.<br />

RODIAS wurde 1984 in Mannheim gegründet und steht<br />

heute als anerkannter und unabhängiger Spezialist für<br />

Beratung, Konzeption, Optimierung und Implementierung<br />

von EAM Prozessen und Lösungen für Kontinuität<br />

und Zuverlässigkeit in der Branche. Seit 2018 ist RODIAS<br />

Teil der ROBUR. Wir sind der Dienstleister für die digitale<br />

Trans<strong>for</strong>mation und Digitalisierung des Industrie-Service<br />

Geschäfts. Im Jahr 2020 wurde die ehemalige GIS – Gesellschaft<br />

für integrierte Systemplanung mbH mit der<br />

EAM Software GmbH zur RODIAS GmbH verschmolzen.<br />

Das Unternehmen hat seinen Firmensitz in Weinheim bei<br />

Heidelberg. Derzeit beschäftigt RODIAS über 90 Mitarbeiter.<br />

RODIAS ist ein mittelständisches IT-Dienstleistungsunternehmen<br />

mit Spezialisierung auf Systeme für die Instandhaltung<br />

komplexer technischer Anlagen und Gebäude.<br />

Mit agiler Herangehensweise und innovativen<br />

Ansätzen verwirklichen wir für unsere Kunden Industrie<br />

4.0 Lösungen auf Basis aktueller Software-Technologien.<br />

Neben kundenspezifischen Implementierungen der<br />

marktführenden Produkte IBM Maximo und In<strong>for</strong> EAM<br />

haben wir eigene Lösungen rund um unser Kernthema<br />

EAM (Enterprise Asset Management) entwickelt. Ein<br />

Kontakt<br />

Peter Stängle<br />

peter.staengle@rodias.de<br />

www.rodias.de<br />

@rodias<br />

At a Glance<br />

ROBUR ENERGY und RODIAS


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

DECOMMISSIONING AND WASTE MANAGEMENT 38<br />

Konventionelle Entsorgung –<br />

Bedeutung für den Rückbau von<br />

Kernkraftwerken<br />

Maria Dietrich<br />

Inhalt Die konventionelle Entsorgung spielte im Leistungsbetrieb der Kernkraftwerke eine nachgeordnete Rolle. Mit<br />

dem Ausstieg der Bundesrepublik Deutschland aus der Energieerzeugung mittels Kerntechnik und der Umstellung der<br />

Betriebsorganisation und -abläufe der Anlagen auf die An<strong>for</strong>derungen des Rückbaus gewinnt die konventionelle Entsorgung<br />

immer mehr an Bedeutung. Die nachstehenden Ausführungen liefern einen Einblick in die Thematik. Nach<br />

einer kurzen Einordnung und Benennung der Aufgabe der konventionellen Entsorgung folgt ein Abriss zum Abfallrecht.<br />

Dieser beinhaltet auch die Erläuterung einiger wichtiger Grundbegriffe, die durch das Abfallrecht legaldefiniert<br />

sind. Anschließend wird auf die Rolle der Kernkraftwerke gemäß des Abfallrechts und die sich daraus ergebenden<br />

grundlegenden Pflichten eingegangen, die die Kernkraftwerke zu erfüllen haben. In diesem Zusammenhang werden<br />

auch die möglichen Folgen bei Verstößen gegen die zu erfüllenden Pflichten aufgezeigt. Daneben sollen zwei zentrale<br />

Fragestellungen erläutert werden, die aus Sicht der konventionellen Entsorgung für den Rückbau relevant sind, und ein<br />

möglicher Lösungsansatz kurz dargestellt werden. Zum Abschluss wird ein Praxisbeispiel für die Verbesserung der Getrenntsammlung<br />

vorgestellt.<br />

| Abb. 1<br />

Massenabschätzung der Stoffströme aus dem Rückbau [1].<br />

Einordnung und Aufgabe<br />

Zur Einordnung der konventionellen Entsorgung ist es hilfreich<br />

zunächst zu betrachten, welche Stoffströme aus dem<br />

Rückbau als nicht radioaktive Abfälle konventionell zu<br />

entsorgen sind. Die RWE <strong>Nuclear</strong> GmbH hat eine Massenabschätzung<br />

der Hauptstoffströme durchgeführt und veröffentlicht.<br />

[1]<br />

Zunächst ist zwischen den Stoffströmen zu unterscheiden,<br />

die während des Rückbaus außerhalb und innerhalb des<br />

Kontrollbereichs entstehen. Die Stoffströme mit Ursprung<br />

außerhalb des Kontrollbereichs (Überwachungsbereich<br />

und sonstiges Betriebsgelände) umfassen ca. 55 % an der<br />

Gesamtmasse und können direkt konventionell entsorgt<br />

werden. Die aus dem Kontrollbereich stammenden Stoffströme<br />

werden dem Freigabeverfahren gemäß StrSchV zugeführt,<br />

wobei ca. 43 % der Gesamtmasse auf die uneingeschränkte<br />

Freigabe (§ 35 StrlSchV) und ca. 1 % der Gesamtmasse<br />

auf die spezifische Freigabe (§ 36 StrlSchV)<br />

entfallen. Mit Abschluss des Freigabeverfahrens werden<br />

die Stoffströme aus dem Atom- und Strahlenschutzrecht<br />

entlassen und in den Geltungsbereich des Abfallrechts<br />

überführt. Somit sind freigegebene Stoffströme ebenfalls<br />

konventionell zu entsorgen.<br />

Decommissioning and Waste Management<br />

Konventionelle Entsorgung – Bedeutung für den Rückbau von Kernkraftwerken<br />

ı Maria Dietrich


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

In Summe sind ca. 99 % der Gesamtmasse eines Kernkraftwerkes<br />

der konventionellen Entsorgung zuzuführen. Dies<br />

bedeutet, dass die konventionelle Entsorgung für einen<br />

Kraftwerksstandort von umfassender Relevanz ist. Da in<br />

allen Bereichen und Gewerken eines Standortes nicht radioaktive<br />

Abfälle während des Rückbaus anfallen, ist auch<br />

die Kooperation und Mitarbeit aller Bereiche und Gewerke<br />

sowie aller Betriebsangehörigen und auf dem Kraftwerksgelände<br />

Tätigen bei diesem Thema er<strong>for</strong>derlich.<br />

Die Aufgabe der konventionellen Entsorgung besteht darin,<br />

die Entsorgung nicht radioaktiver Abfälle sicherzustellen.<br />

Dabei müssen zwei grundsätzliche An<strong>for</strong>derungen erfüllt<br />

werden, die auch im Abfallrecht verankert sind.<br />

Die Entsorgung muss schadlos und ordnungsgemäß erfolgen.<br />

Sie ist also ohne negative Auswirkungen für Mensch<br />

und Umwelt und entsprechend der Vorschriften des Abfallrechts<br />

durchzuführen.<br />

Abfallrecht<br />

Ein Überblick<br />

Das Abfallrecht reicht von internationalen Übereinkommen<br />

bis zu kommunalen Abfallsatzungen und -ordnungen.<br />

<strong>International</strong>e Übereinkommen<br />

p Basler Übereinkommen<br />

p Stockholmer Übereinkommen<br />

Europäische Union<br />

p 3 Verordnungen (unmittelbare Gültigkeit und Anwendung)<br />

p 9 Richtlinien (Umsetzung in nationales Recht der EU-<br />

Mitgliedstaaten binnen 2 Jahren nach Erlass)<br />

Bundesrepublik Deutschland<br />

p Kreislaufwirtschaftsgesetz + 16 zugehörige Rechtsverordnungen<br />

p Batteriegesetz<br />

p Elektro- und Elektronikgerätegesetz<br />

p Verpackungsgesetz + 1 zugehörige Rechtsverordnung<br />

p Abfallverbringungsgesetz + 2 zugehörige Rechtsverordnungen<br />

Bundes definitiv auf die deutschen Kernkraftwerksstandorte<br />

anzuwenden:<br />

Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) i. V. m.<br />

p Abfallverzeichnisverordnung (AVV)<br />

p Abfallbeauftragtenverordnung (AbfBeauftrV)<br />

p Nachweisverordnung (NachwV)<br />

p Deponieverordnung (DepV)<br />

p Gewerbeabfallverordnung (GewAbfV)<br />

p Altholzverordnung (AltholzV)<br />

p Altölverordnung (AltölV)<br />

p PCB/PCT-Abfallverordnung (PCBAbfV)<br />

p POP-Abfall-Überwachungsverordnung<br />

(POP-Abfall-ÜberwV)<br />

p Chemikalien-Klimaschutzverordnung<br />

(ChemKlimaschutzV)<br />

p Chemikalien-Ozonschichtverordnung<br />

(ChemOzonSchichtV)<br />

Batteriegesetz (BattG)<br />

Elektro- und Elektronikgerätegesetz (ElektroG)<br />

Verpackungsgesetz (VerpackG) i. V. m.<br />

p Einwegkunststoffverbotsverordnung (EWKVerbotsV)<br />

Abhängig von den jeweiligen Standortgegebenheiten können<br />

noch weitere Rechtsverordnungen eine Rolle spielen,<br />

wie z. B. die Klärschlammverordnung (AbfKlärV), wenn<br />

ein Kraftwerksstandort eine eigene Abwasserbehandlungsanlage<br />

betreibt und dabei entstehender Klärschlamm<br />

zu entsorgen ist.<br />

Wichtige Grundbegriffe<br />

Im Abfallrecht werden viele Fachbegriffe aus der Abfallund<br />

Kreislaufwirtschaft legaldefiniert. Dadurch ist ihre Bedeutung<br />

juristisch festgeschrieben. Hier eine Auswahl<br />

wichtiger Grundbegriffe:<br />

Abfälle = alle Stoffe oder Gegenstände, derer sich<br />

ihr Besitzer<br />

p entledigt oder entledigen will (subjektiver<br />

Abfallbegriff)<br />

ODER<br />

p entledigen muss (objektiver Abfallbegriff)<br />

DECOMMISSIONING AND WASTE MANAGEMENT 39<br />

Bundesländer<br />

p Landesgesetze + Rechtsverordnungen<br />

p Abfallwirtschaftspläne<br />

Kommunen (Landkreise, Städte und Gemeinden)<br />

p Abfallsatzungen und -ordnungen<br />

Der aufgeführte Überblick umfasst bereits nur die Normen<br />

des Abfallrechts, in deren Anwendungs- bzw. Geltungsbereich<br />

Kernkraftwerke bzw. nicht radioaktive Abfälle aus<br />

Kernkraftwerken potentiell bis sicherlich fallen.<br />

Wie anhand dieser Aufstellung zu erkennen ist, handelt es<br />

sich beim Abfallrecht um eine umfangreiches und komplexes<br />

Rechtsgebiet. Darüber hinaus werden in recht kurzen<br />

Abständen (z. T. innerhalb eines Jahres) Anpassungen und<br />

Änderungen an einzelnen Vorschriften vorgenommen.<br />

Relevante Rechtsnormen der Bundesrepublik<br />

Deutschland<br />

Bei einem genaueren Blick auf das Abfallrecht der Bundesrepublik<br />

Deutschland sind folgende Rechtsnormen des<br />

Die grundsätzliche Definition des Abfallbegriffes unterscheidet<br />

zwischen der subjektiven Einschätzung eines Besitzers<br />

von Stoffen oder Gegenständen, ob diese Abfälle<br />

sind, und objektiven Kriterien, die festlegen, dass Stoffe<br />

oder Gegenstände Abfälle sind. Dabei ist die Abfalldefinition<br />

an die Begriffe „Entledigung“, „Wille zur Entledigung“<br />

und „Zwang zur Entledigung“ gekoppelt. Auch diese Begriffe<br />

sind legaldefiniert:<br />

Entledigung<br />

p Zuführung zu einer Verwertung oder Beseitigung<br />

ODER<br />

p Aufgabe der Sachherrschaft unter Wegfall jeder<br />

weiteren Zweckbestimmung<br />

Wille zur Entledigung<br />

p Anfall bei Energieumwandlung, Herstellung, Behandlung<br />

oder Nutzung von Stoffen oder Erzeugnissen oder<br />

bei Dienstleistungen ohne Ausrichtung der jeweiligen<br />

Handlung hierauf<br />

ODER<br />

Decommissioning and Waste Management<br />

Konventionelle Entsorgung – Bedeutung für den Rückbau von Kernkraftwerken ı Maria Dietrich


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

DECOMMISSIONING AND WASTE MANAGEMENT 40<br />

p Entfall oder Aufgabe der ursprünglichen Zweckbestimmung<br />

ohne unmittelbares Eintreten eines neuen Verwendungszwecks<br />

Zwang zur Entledigung<br />

p Keine Verwendung mehr entsprechend der ursprünglichen<br />

Zweckbestimmung<br />

UND<br />

p Auf Grund des konkreten Zustandes Gefährdung des<br />

Gemeinwohls möglich<br />

UND<br />

p Ausschluss des Gefährdungspotenzials nur durch eine<br />

ordnungsgemäße und schadlose Verwertung oder gemeinwohlverträgliche<br />

Beseitigung möglich<br />

Anhand dieser drei Begriffsbestimmungen wird deutlich,<br />

dass Stoffe oder Gegenstände immer dann zu Abfällen<br />

werden, wenn keine Zweckbestimmung für sie vorhanden<br />

ist oder ihre Zweckbestimmung wegfällt, entfällt oder aufgegeben<br />

wird bzw. sie keine Verwendung mehr entsprechend<br />

ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung finden.<br />

Im Abfallrecht werden vier Grundarten von Abfällen definiert,<br />

abhängig vom Entsorgungsweg und der Gefährlichkeit:<br />

p Abfälle zur Verwertung = Abfälle, die verwertet<br />

werden<br />

p Abfälle zur Beseitigung = Abfälle, die nicht verwertet<br />

werden<br />

p Gefährliche Abfälle = Abfälle, die<br />

p gefährliche Eigenschaften aufweisen<br />

ODER<br />

p gefährliche Stoffe enthalten<br />

ODER<br />

p durch gefährliche Stoffe verunreinigt sind<br />

u Nicht gefährliche Abfälle = Alle Abfälle, die nicht als<br />

gefährlich eingestuft werden<br />

Gefährliche Abfälle bedürfen einer besonderen Aufmerksamkeit.<br />

Unter die Definition fallen gebrauchte oder nicht<br />

mehr verwendete Gefahrstoffe und Gefahrgüter sowie gefahrstoffhaltige<br />

oder mit Gefahrstoffen verunreinigte Stoffe<br />

oder Gegenstände, soweit sie die Konzentrationsgrenzwerte<br />

erreichen oder überschreiten, die für die Einschätzung<br />

der Gefährlichkeit von Abfällen festgelegt sind. In<br />

den beiden letzteren Fällen sind für die Einschätzung der<br />

Gefährlichkeit Einzelfallprüfungen vorzunehmen.<br />

In der Praxis sind aufgrund der Kombination von der Einschätzung<br />

der Gefährlichkeit und des gewählten Entsorgungsweges<br />

folgende vier Grundarten von Abfällen anzutreffen:<br />

p Gefährliche Abfälle zur Verwertung<br />

p Gefährliche Abfälle zur Beseitigung<br />

p Nicht gefährliche Abfälle zu Verwertung<br />

p Nicht gefährliche Abfälle zur Beseitigung<br />

Zentrales Ziel der Abfall- und Kreislaufwirtschaft ist die<br />

Einhaltung der Abfallhierarchie. Sie legt die Rangfolge der<br />

Maßnahmen bei der Bewirtschaftung von Abfällen fest:<br />

1) Vermeidung<br />

2) Vorbereitung zur Wiederverwendung<br />

3) Recycling<br />

4) Sonstige Verwertung, insbesondere energetische<br />

Verwertung und Verfüllung<br />

5) Beseitigung<br />

Im Rahmen der Abfallbewirtschaftung sind zuallererst<br />

Maßnahmen zu ergreifen, die Abfälle vermeiden helfen.<br />

Das Motto lautet hier: „Nur Abfall, der nicht anfällt ist guter<br />

Abfall!“. Ein Beispiel für solch eine Maßnahme ist, Gebäude<br />

zu erhalten und weiter zu nutzen, statt sie abzureißen.<br />

Wenn Abfälle nicht vermieden werden können, sind sie<br />

vorrangig einer Verwertung zuzuführen. Für die Verwertung<br />

liegen in der Abfallhierarchie drei Rangstufen vor.<br />

Die höchste Verwertungsrangstufe ist die Aufbereitung zur<br />

Wiederverwendung. Hierbei werden Abfälle durch Prüfung,<br />

Reinigung oder Reparatur so aufbereitet, dass sie<br />

wieder für ihren ursprünglichen Zweck eingesetzt werden<br />

können. Beispiele hierfür sind die Aufbereitung von Kältemitteln<br />

nach Gebrauch, um sie anschließend wieder als<br />

Kältemittel einsetzen zu können, und die Aufbereitung<br />

von Altölen zu Basisölen.<br />

Die nächste Stufe der Verwertung ist das Recycling, durch<br />

das Rohstoffe wie Zellstoff, Metalle, Gläser, Kunststoffe<br />

oder mineralische Baustoffe zurückgewonnen werden, die<br />

als Ausgangsstoffe für neue Produkte weiterverwendet<br />

werden. Durch das Recycling sollen Stoffkreisläufe in der<br />

Gesamtwirtschaft geschlossen werden.<br />

Die letzte Verwertungsstufe ist die sonstige Verwertung,<br />

wobei die energetische Verwertung für brennbare Abfälle<br />

(Energieerzeugung durch Abfallverbrennung) und die<br />

Verfüllung für nicht brennbare Abfälle (im Straßen- &<br />

Tiefbau sowie im Bergbau) unterschieden werden. Diese<br />

Stufe der Verwertung sollte nur genutzt werden, wenn ein<br />

Recycling nicht möglich ist.<br />

Wenn angefallene Abfälle nicht verwertet werden können,<br />

bleibt nur noch deren Beseitigung. Die Beseitigung umfasst<br />

auch eine Behandlung von Abfällen um deren Masse,<br />

Volumen und Schadstoffgehalt zu reduzieren. Die Deponierung<br />

von behandelten Abfällen ist die letzte Option<br />

bzw. der letzte Schritt der Beseitigung.<br />

Die Kernkraftwerke haben gemäß des Abfallrechts die Rolle<br />

des Erzeugers und Besitzers von Abfällen zu erfüllen. Sie<br />

sind Abfallerzeuger, weil im Rahmen des Betriebes und<br />

des Rückbaus Abfälle anfallen. Sie sind Abfallbesitzer, weil<br />

sie über die Abfälle die tatsächliche Sachherrschaft ausüben,<br />

bis diese für die weitere Entsorgung abgegeben werden.<br />

Die Pflichten, die der Gesetzgeber für Erzeuger und Besitzer<br />

von Abfällen erlassen hat, sind auf die Einhaltung der<br />

Abfallhierarchie ausgerichtet. Folgende grundlegende<br />

Pflichten sind im Abfallrecht zu finden:<br />

Grundlegende Pflichten der Kernkraftwerke<br />

Welche grundlegenden Pflichten Kernkraftwerke für die<br />

konventionelle Entsorgung wahrzunehmen haben, ergibt<br />

sich aus dem zentralen Ziel, das die Abfall- und Kreislaufwirtschaft<br />

verfolgt, und der Rolle, die den Kernkraftwerken<br />

gemäß dem Abfallrecht zugewiesen ist.<br />

p Getrenntsammlung und Getrennthaltung von verschiedenen<br />

Abfallarten<br />

p Gefährliche Abfälle<br />

p Nicht gefährliche Abfälle<br />

p Abfälle zur Verwertung<br />

p Abfälle zur Beseitigung<br />

Decommissioning and Waste Management<br />

Konventionelle Entsorgung – Bedeutung für den Rückbau von Kernkraftwerken<br />

ı Maria Dietrich


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

p Vorrangige Zuführung getrennt gesammelter Fraktionen<br />

zur Aufbereitung zur Wiederverwendung<br />

und zum Recycling<br />

p Zuführung von Gemischen zu einer Vorbehandlung<br />

bzw. Aufbereitung abhängig von der Art des<br />

Gemisches<br />

p Überlassung von Abfällen zur Beseitigung an den<br />

jeweiligen öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger<br />

p Andienung bestimmter Abfälle bei bestimmten Entsorgungsanlagen<br />

p Rücknahme/Rückgabe bestimmter Abfälle durch/<br />

an Hersteller, Vertreiber oder Rücknahmesysteme<br />

p Batterien und Akkumulatoren<br />

p Elektro- und Elektronikgeräte<br />

p Verpackungen<br />

p Kältemittel<br />

p Register- und Nachweisführung für gefährliche<br />

Abfälle<br />

p Dokumentation für nicht gefährliche Abfälle<br />

Die Gesamtheit der Vorschriften zur Getrenntsammlung<br />

und Getrennthaltung im Abfallrecht gehen weit über die<br />

vier Grundarten von Abfällen hinaus. So sind bspw. Altöle,<br />

Altholz, Elektro- und Elektronikaltgeräte und Altbatterien<br />

und Altakkumulatoren getrennt zu sammeln und zu entsorgen.<br />

Die gesamte Liste von getrennt zu sammelnden Abfällen<br />

ist noch erheblich länger.<br />

Verstöße gegen die oben genannten Pflichten stellen<br />

Ordnungswidrigkeiten dar, die ein Ordnungswidrigkeitsverfahren<br />

nach sich ziehen und mit Bußgeldern geahndet<br />

werden. Für Verstöße gegen die Pflichten zur Register- und<br />

Nachweisführung sowie zur Dokumentation werden Bußgelder<br />

bis 10.000 € verhängt. Bei Verstößen gegen alle anderen<br />

Pflichten drohen Bußgelder bis 100.000 €. Verstöße<br />

gegen die Erzeuger- und Besitzerpflichten sind keine Bagatelldelikte.<br />

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass bei einem<br />

Bußgeld ab 500 € aus Sicht des Gesetzgebers die persönliche<br />

Zuverlässigkeit nicht mehr gegeben ist.<br />

Zentrale Fragestellungen für den Rückbau<br />

Identifizierung und Klassifizierung von<br />

anfallenden Abfällen<br />

Im Rahmen des Rückbaus werden sehr viele unterschiedliche<br />

Abfälle anfallen. Diese Abfälle zu identifizieren und<br />

zu klassifizieren ist eine der Hauptaufgaben der konventionellen<br />

Entsorgung und somit eine zentrale Fragestellung<br />

für den Rückbau. Nur eine fachgerechte Klassifizierung<br />

stellt sicher, dass Abfälle schadlos und ordnungsgemäß<br />

entsorgt werden. Für eine umfassende Klassifizierung sollten<br />

folgenden Fragen beantwortet werden:<br />

p Ist der Abfall gefährlich oder nicht gefährlich?<br />

p Welchem Abfallschlüssel ist er gemäß Abfallverzeichnisverordnung<br />

zuzuordnen?<br />

p Über welchen Weg soll der Abfall entsorgt werden? Ist<br />

eine Verwertung möglich oder muss er einer Beseitigung<br />

zugeführt werden?<br />

p Besteht für den Abfall eine Überlassungspflicht an den<br />

öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger?<br />

p Besteht für den Abfall eine Andienungspflicht an eine<br />

bestimmte Entsorgungsanlage?<br />

p Unterliegt der Abfall einer verordneten Rücknahme<br />

und kann daher bei Herstellern oder Vertreibern zur<br />

Entsorgung abgeben werden oder besteht sogar eine<br />

Rückgabepflicht an die Hersteller oder Vertreiber?<br />

p Ist eine freiwillige Rücknahme durch die Hersteller<br />

oder Vertreiber möglich?<br />

Einführung bzw. Verbesserung der<br />

Getrenntsammlung & Getrennthaltung im<br />

Kontrollbereich<br />

Ein zweites wichtiges Thema ist die Einführung bzw. Verbesserung<br />

der Getrenntsammlung & Getrennthaltung im<br />

Kontrollbereich. Dort gilt das konventionelle Abfallrecht<br />

zwar nicht, jedoch kann die Anwendung der Regeln zur<br />

Getrenntsammlung & Getrennthaltung aus dem Abfallrecht<br />

bei der Demontage und Zerlegung im Kontrollbereich<br />

potentiell den gesamten Rückbauprozess verbessern.<br />

Mögliche Vorteile können sein:<br />

Die Menge an freigabefähigen Abfällen, insbesondere für<br />

die uneingeschränkte Freigabe, kann erhöht werden. Zugleich<br />

wird so die Menge an schwach- und mittelradioaktiven<br />

Abfällen verringert. Wenn mehr Abfälle uneingeschränkt<br />

freigegeben werden können, wird die Menge an<br />

Abfällen vergrößert, die als Abfälle zur Verwertung entsorgt<br />

werden können. Dafür sinkt die Menge an Abfällen,<br />

die als Abfälle zur Beseitigung entsorgt werden müssen.<br />

Insgesamt lassen sich so die Kosten für die nukleare und<br />

die konventionelle Entsorgung senken. Für einige sortenreine<br />

Abfallfraktionen zur Verwertung sind zudem Vergütungen<br />

möglich. Dies gilt insbesondere für sortenreine<br />

Metallabfälle und einige sortenreine Kunststoffabfälle.<br />

Einen Nachteil stellt der zusätzliche Aufwand bei der Vorbereitung,<br />

Planung, Organisation und Durchführung des<br />

Rückbaus dar, um die Getrenntsammlung & Getrennthaltung<br />

im Kontrollbereich einzuführen bzw. zu verbessern.<br />

Bei den obigen Ausführungen handelt es sich um logische<br />

Schlussfolgerungen aufgrund theoretischer Überlegungen.<br />

In der Praxis wurde nach aktuellem Kenntnisstand<br />

noch nichts Vergleichbares versucht.<br />

Möglicher Lösungsansatz<br />

Ein möglicher Ansatz, um die Fragestellungen der konventionellen<br />

Entsorgung für den Rückbau zu lösen, ist es ein<br />

betriebliches Abfallwirtschaftskonzept für den jeweiligen<br />

Standort zu entwickeln. Bei einem Abfallwirtschaftskonzept<br />

handelt es sich um ein Instrumentarium, mit dem ein<br />

Abfallmanagementsystem implementiert und optimiert<br />

werden kann. Bei der Entwicklung eines betrieblichen Abfallwirtschaftskonzeptes<br />

bilden das Abfallrecht und die<br />

Standortgegebenheiten wie Art und Menge der anfallenden<br />

Abfälle, Lagerkapazitäten und in der Region vorhandene<br />

Entsorgungsfachbetriebe die Rahmenbedingungen.<br />

Das Konzept wird schließlich durch die Einführung eines<br />

Abfallmanagementsystems umgesetzt. Wichtig ist das<br />

Konzept bei Änderungen im Abfallrecht oder der Standortgegebenheiten<br />

kontinuierlich <strong>for</strong>tzuschreiben. [2]<br />

Ein betriebliches Abfallmanagementsystems erfüllt eine<br />

Reihe von Aufgaben. Die wichtigste Aufgabe besteht darin<br />

betriebliche Maßnahmen vorzubereiten, zu planen, zu organisieren<br />

und umzusetzen, die die Getrenntsammlung &<br />

Getrennthaltung, die sichere Lagerung & Handhabung<br />

DECOMMISSIONING AND WASTE MANAGEMENT 41<br />

Decommissioning and Waste Management<br />

Konventionelle Entsorgung – Bedeutung für den Rückbau von Kernkraftwerken ı Maria Dietrich


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

DECOMMISSIONING AND WASTE MANAGEMENT 42<br />

und die schadlose & ordnungsgemäße Entsorgung der anfallenden<br />

Abfälle sicherstellen. Außerdem kann die Identifizierung<br />

und Klassifizierung anfallender Abfälle, die Register-<br />

und Nachweisführung für gefährliche Abfälle und<br />

die Dokumentation für nicht gefährliche Abfälle in das Abfallmanagement<br />

integriert werden.<br />

| Abb. 2<br />

Beispielbilder für Sammelstationen.<br />

Praxisbeispiel: KKW Gundremmingen –<br />

Verbesserung der getrennten Sammlung in Büro-,<br />

Sozial- und Aufenthaltsbereichen<br />

In den Büro-, Sozial- und Aufenthaltsbereichen im KKW<br />

Gundremmingen wurde lediglich die Fraktion Papier, Pappe<br />

und Karton (PPK) getrennt gesammelt. Alle übrigen anfallenden<br />

Abfälle wurden gemischt gesammelt und als<br />

Restmüll entsorgt. Diese Ausgangssituation erfüllte nicht<br />

mehr die Vorschriften zur getrennten Sammlung der Gewerbeabfallverordnung<br />

(GewAbfV) und des Verpackungsgesetzes<br />

(VerpackG).<br />

Auf Grundlage der Vorschriften der GewAbfV und des VerpackG<br />

sowie einer Analyse der regelmäßig anfallenden<br />

Abfallarten in den Büro-, Sozial- und Aufenthaltsbereichen<br />

wurde ein Grundkonzept für die Verbesserung der<br />

getrennten Sammlung entwickelt. In dem Konzept wurden<br />

folgende getrennt zu sammelnde Abfallfraktionen festgelegt:<br />

„im Vorbeilaufen“ erfolgen kann und sich somit der Aufwand<br />

für den Einzelnen in überschaubaren Grenzen hält.<br />

Durch die verbesserte getrennte Sammlung können die<br />

anfallenden Verpackungsabfälle kostengünstig den Dualen<br />

Systemen gemäß Verpackungsgesetz (VerpackG) zugeführt<br />

werden. Die Menge an Restmüll verringert sich<br />

und somit die Entsorgungskosten insgesamt, da die Entsorgung<br />

von Restmüll im Vergleich kostenintensiv ist.<br />

Letztlich wird auch die Umweltverträglichkeit der Entsorgung<br />

verbessert, weil eine größere Menge an Abfällen einer<br />

Verwertung statt einer Beseitigung zugeführt wird.<br />

Fazit<br />

p Die konventionelle Entsorgung betrifft den gesamten<br />

Kraftwerksstandort. Um ihrer Aufgabe nachkommen<br />

zu können, ist sie auf die Kooperation und Mitarbeit aller<br />

Gewerke und Bereiche des Standortes angewiesen.<br />

p Das geltende Abfallrecht ist umfangreich und komplex.<br />

Es werden in recht kurzen Abständen (z. T. innerhalb<br />

eines Jahres) Anpassungen und Änderungen vorgenommen.<br />

p Erzeugern und Besitzern von Abfällen sind vom<br />

Gesetzgeber umfangreiche und restriktive Pflichten<br />

auferlegt worden, die auch für die Kernkraftwerke in<br />

dieser Rolle gelten.<br />

p Die Entwicklung eines betrieblichen Abfallwirtschaftskonzeptes<br />

und die Einführung eines betrieblichen Abfallmanagementsystems<br />

sind wichtige Instrumente für<br />

die Umsetzung des geltenden Abfallrechts und helfen<br />

bei der Lösung von Fragestellungen der konventionellen<br />

Entsorgung im Zusammenhang mit dem Rückbau.<br />

p Nur Abfall, der nicht anfällt, ist guter Abfall!<br />

p Papier, Pappe und Karton (PPK)<br />

p Bioabfall<br />

p Verpackungsabfälle (Gelber Sack/Gelbe Tonne)<br />

p Verpackungsglas (Weißglas)<br />

p Gemischte Siedlungsabfälle (Restabfall/Restmüll)<br />

Quellenverzeichnis:<br />

| [1] RWE <strong>Nuclear</strong> GmbH: Unser Ziel ist klar. – Recycling und Entsorgung beim sicheren Rückbau von<br />

Kernkraftwerken. (2020), S. 4<br />

| [2] Bilitewski, Bernd & Härdtle, Georg: Abfallwirtschaft – Handbuch für Praxis und Lehre. Springer-<br />

Verlag Berlin Heidelberg (2013), S. 831-845<br />

Die PPK-Fraktion wird in den Abfalleimern der Büros und<br />

Besprechungs- bzw. Konferenzräume sowie in Papiersäcken<br />

in den Kopierräumen gesammelt. Alle anderen Abfallfraktionen<br />

werden in Sammelstationen gesammelt, die<br />

an unterschiedlichen Stellen in den Gebäuden auf dem<br />

Kraftwerksgelände aufgestellt sind:<br />

p in den Fluren in der Nähe von Toiletten- oder Treppenzugängen<br />

p in oder vor Tee- und Schichtküchen<br />

p vor Kopierräumen<br />

p in Umkleiden<br />

Autor<br />

Maria Dietrich<br />

Ingenieurin für konventionelle Entsorgung,<br />

REINMÜLLER GmbH, Frankfurt am Main<br />

Maria.Dietrich@reinmueller.com<br />

Dieses Konzept bringt einige entscheidende Vorteile mit.<br />

Die Vorschriften zur getrennten Sammlung der GewAbfV<br />

und des VerpackG werden bezogen auf die Situation umgesetzt.<br />

Die Getrenntsammlung der genannten Abfallfraktionen<br />

ist den Betriebsangehörigen und auf dem Werksgelände<br />

Tätigen aus ihrem Privatleben bekannt, sodass ein<br />

hoher Wiedererkennungseffekt gegeben ist. Die Sammelstationen<br />

sind so platziert, dass der Einwurf der Abfälle<br />

Maria Dietrich ist in Freiberg (Sachsen) geboren und aufgewachsen. An der Technischen<br />

Universität Dresden studierte sie "Abfallwirtschaft und Altlasten" und erwarb<br />

in diesem Fach sowohl eine Bachelor- als auch einen Masterabschluss. Seit November<br />

2018 ist sie als Ingenieurin für konventionelle Entsorgung bei der REINMÜLLER<br />

GmbH angestellt. Seither war sie in den Kernkraftwerken Brunsbüttel, Biblis und<br />

Gundremmingen tätig.<br />

Decommissioning and Waste Management<br />

Konventionelle Entsorgung – Bedeutung für den Rückbau von Kernkraftwerken<br />

ı Maria Dietrich


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

KTG-Fachinfo 20/2021 vom 25.11.2021<br />

Koalitionsvertrag – wenig<br />

Überraschendes zur Kerntechnik<br />

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Mitglieder der<br />

KTG.<br />

Am gestrigen Mittwoch wurde der Koalitionsvertrag der<br />

geplanten Ampelkoalition aus SPD, Bündnis90/Die Grünen<br />

und FDP veröffentlicht und vorgestellt. Für den Bereich<br />

Kerntechnik stehen die Zeichen auf politische Kontinuität<br />

ohne Überraschungen.<br />

Sicherstellung der Versorgung und um den Kohleausstieg<br />

auf das Jahr 2030 vorzuziehen. Zwar soll dafür die Einführung<br />

eines Kapazitätsmechanismus geprüft und ein Anreizprogramm<br />

für die Errichtung von „H2-ready“ Gaskraftwerken<br />

eingeführt werden, auch um zu vermeiden, hohe<br />

Investitionen in fossile Technologie zu tätigen. Dennoch<br />

bleibt fraglich, ob die er<strong>for</strong>derlichen Gaskraftwerkskapazitäten<br />

– die Studie Klimapfade 2.0 des BDI spricht von 40<br />

GW installierter Leistung bis 2030 – tatsächlich Investoren<br />

finden und rechtzeitig zur Verfügung stehen können. Es<br />

gilt hier neben den Bauzeiten auch die Planungs- und Genehmigungszeiten<br />

zu berücksichtigen sowie mittelfristig<br />

mit Blick auf den Wasserstoffeinsatz die ausreichende Verfügbarkeit<br />

desselben und eine geeignete Wasserstoffinfrastruktur<br />

zur Versorgung der Kraftwerke.<br />

43<br />

KTG-FACHINFO<br />

Das bedeutet einerseits, dass es bei der allgemein negativen<br />

Einstellung der Bundesregierung zur Kerntechnik<br />

bleibt. Das wird deutlich im schon geradezu rituellen Bekenntnis,<br />

am deutschen Atomausstieg festzuhalten, bei<br />

der Umsetzung der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie<br />

Kernenergie weiterhin auszuschließen, für das Erreichen<br />

der Klimaneutralität international auf erneuerbare Energien<br />

zu setzen und sich für die Abschaltung so genannter<br />

grenznaher „Risikoreaktoren“ einzusetzen. Neu hinzugetreten<br />

ist das Bestreben, sich auf europäischer Ebene dafür<br />

einzutreten, dass die Kernenergie die Kosten, die sie verursacht,<br />

selbst zu tragen habe. Aus vergangenen Diskussionen<br />

schließend ist das wohl so zu interpretieren, dass An<strong>for</strong>derungen<br />

an Finanzierungsvorsorge für Stilllegung und<br />

Entsorgung sowie Haftungsan<strong>for</strong>derungen ggf. verschärft<br />

werden sollen, wo dies einschlägig sein könnte.<br />

Andererseits bekennt sich auch die neue Koalition zum<br />

Standortauswahlverfahren für ein Endlager für abgebrannte<br />

Brennelemente und hoch radioaktive Abfälle sowie<br />

zur Fertigstellung und Inbetriebnahme des genehmigten<br />

Endlagers Konrad einschließlich des derzeit dafür geplanten<br />

Logistikzentrums. Im Koalitionsvertrag werden<br />

auch keine Vorhaben und Ziele genannt, die sich negativ<br />

auf Branchenunternehmen oder die Forschung auswirken<br />

würden. Ebenfalls unerwähnt ist das Thema Taxonomie in<br />

der EU sowohl hinsichtlich der Kernenergie als auch der<br />

Stromerzeugung mit Erdgas.<br />

Was die Zukunft der Stromversorgung in Deutschland betrifft,<br />

wird der Fokus auf die erneuerbaren Energien noch<br />

einmal zugespitzt, mit einem Ausbauziel für erneuerbare<br />

Energien von 80 Prozent des Bruttostrombedarfs in 2030<br />

und Ausbauzielen für Fotovoltaik von 200 GW bis 2030 sowie<br />

Windkraft auf See von 70 GW bis 2045. Zu letzterem<br />

Aspekt sei auf eine Studie verwiesen, die in der Rubrik<br />

„Did you know …?“ der <strong>atw</strong> 04/2020 kurz vorgestellt wurde,<br />

und die festgestellt hat, dass ein Ausbau der Windkraft<br />

auf Kapazitäten von über 30 GW in der Deutschen Bucht<br />

wegen des Windschatteneffekts zu deutlich verringerter<br />

Arbeitsverfügbarkeit der Windparks führen würde. Wie<br />

sich an Frühjahrs- und Sommertagen ein Stromnetz mit<br />

200 GW installierter PV-Leistung steuern lässt, muss wohl<br />

die Praxis zeigen. Wirtschaftlich kann dies jedenfalls kaum<br />

sein.<br />

Im Unterschied zur scheidenden Bundesregierung bekennt<br />

sich aber die kommende ganz deutlich zum Ausbau<br />

von Gaskraftwerken als Übergangstechnologie zur<br />

Das alles wird hoffentlich tatsächlich und sachlich diskutiert<br />

werden, denn die neue Regierung möchte ebenfalls<br />

die Versorgungssicherheit und den Ausbau der Erneuerbaren<br />

regelmäßig überprüfen und dafür „das Monitoring<br />

der Versorgungssicherheit mit Strom und Wärme zu einem<br />

echten Stresstest weiterentwickeln.“<br />

KTG-Fachinfo 19/2021 vom 01.11.2021<br />

Ihre KTG-Geschäftsstelle<br />

Nicolas Wendler<br />

Kompromiss bei derTaxonomie? –<br />

Eine neue Betrachtung der<br />

Kernenergie in der EU<br />

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Mitglieder der<br />

KTG.<br />

Am Mittwoch vergangener Woche berichtete der Korrespondent<br />

von Die Welt in Brüssel, Tobias Kaiser, in dem Artikel<br />

„Atomkraftdeal mit Macron? Plötzlich gibt Merkel<br />

klein bei“ davon, dass es am Rande des EU-Gipfeltreffens<br />

am 21. und 22. Oktober eine Vereinbarung zwischen Bundeskanzlerin<br />

Merkel und Präsident Macron zur Behandlung<br />

von Kernenergie und Erdgas zur Stromerzeugung<br />

beim Katalog nachhaltiger wirtschaftlicher Tätigkeiten der<br />

EU gegeben habe.<br />

Seit rund zwei Jahren wird in der EU eine Auseinandersetzung<br />

darüber geführt, ob die Kernenergie in diesem Taxonomie<br />

genannten Katalog als eine nachhaltige Technologie<br />

zu bewerten ist, die einen wesentlichen Beitrag zum<br />

Klimaschutz leiste, oder nicht, weil sie erheblichen Schaden<br />

für andere umweltpolitische Ziele verursache. Da sich<br />

die Arbeitsgruppe, die seinerzeit Empfehlungen für die<br />

Taxonomie abgegeben hat, außer Stande sah, ein Urteil<br />

abzugeben, hat die EU-Kommission das Thema wieder an<br />

sich gezogen und ein Gutachten beim Gemeinsamen Forschungszentrum<br />

(JRC) zur Kernenergie beauftragt. Dieses<br />

Gutachten, dass keine Gründe gegen eine Aufnahme der<br />

Kernenergie in die Taxonomie identifizieren konnte,<br />

KTG-Fachinfo


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

44<br />

KTG-FACHINFO<br />

wurde wiederum von der Artikel-31- Arbeitsgruppe von<br />

Strahlenschutzexperten und der SCHEER-Arbeitsgruppe<br />

geprüft. Beide Gruppen haben die grundsätzlichen Befunde<br />

des JRC bestätigt, die SCHEER-Gruppe (Scientific Committee<br />

on Health, Environmental and Emerging Risks) zur<br />

Umweltrisikoabschätzung sah allerdings noch in einigen<br />

Punkten weiteren Klärungsbedarf.<br />

Bei der Taxonomie ist jetzt <strong>for</strong>mell gesehen die Europäische<br />

Kommission am Zug. Im Juli hatte diese den ersten<br />

delegierten Rechtsakt vorgelegt, der für die meisten industriellen<br />

Tätigkeiten einschließlich Stromerzeugung die<br />

Technologien hinsichtlich der Nachhaltigkeit bewertet<br />

bzw. Bedingungen dafür festlegt. Bislang nicht berücksichtigt<br />

waren die politisch umstrittenen Bereiche Kernenergie<br />

und Erdgas, für die es demnächst, ggf. auch erst<br />

Anfang kommenden Jahres einen ergänzenden delegierten<br />

Rechtsakt geben soll. Hintergrund für die Verzögerung<br />

ist laut des Artikels, dass die Kommission ungeachtet ihrer<br />

Zuständigkeit keine Entscheidung treffen möchte, ohne<br />

dass es eine Einigung zwischen Deutschland und Frankreich<br />

gebe. In der Auseinandersetzung hatten im Frühjahr<br />

sieben Staaten um Frankreich (auch Tschechien, Polen,<br />

Ungarn, die Slowakei, Slowenien und Rumänien) in einem<br />

Brief an die EU-Kommission für die Kernenergie Stellung<br />

bezogen. Im Sommer haben fünf Staaten um Deutschland<br />

(auch Österreich, Belgien, Luxemburg und Spanien) in<br />

einem offenen Brief dagegen Stellung bezogen. Im Oktober<br />

wiederum wurde in mehreren europäischen Zeitungen<br />

eine Erklärung von zehn Staaten (die obigen zzgl.<br />

Finnland, Kroatien, Bulgarien) einschließlich Frankreichs<br />

veröffentlicht, die den Einschluss der Kernenergie in die<br />

Taxonomie <strong>for</strong>dert.<br />

KTG-Fachinfo 18/2021 vom 29.10.2021<br />

Stromstudie Frankreich von RTE,<br />

neues Finanzierungsmodell UK<br />

und (vielleicht) ein politischer<br />

Kompromiss zur Taxonomie<br />

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Mitglieder der<br />

KTG, in der laufenden Woche gab es einige wichtige Wegmarken<br />

für die Zukunft der Kernenergie in Europa: der<br />

französische Übertragungsnetzbetreiber RTE (Réseau de<br />

Transport d’Electricité) veröffentlichte am Montag die<br />

Hauptergebnisse der groß angelegten, umfangreichen<br />

und mit Öffentlichkeitsbeteiligung durchgeführten Studie<br />

„Futurs énergétiques 2050“ (Energiezukünfte 2050) zur<br />

Dekarbonisierung der französischen Stromversorgung.<br />

Dienstags hat das britische Ministerium für Wirtschaft,<br />

Energie und Industriestrategie (Department <strong>for</strong> Business,<br />

Energy and Industrial Strategy) ein neues Finanzierungsgesetz<br />

für Kernenergie angekündigt, das eine staatlich regulierte<br />

Infrastrukturfinanzierung mit dem Modell Regulated<br />

Asset Base auf Kernenergieprojekte übertragen<br />

wird. Mittwochs schließlich berichtete Die Welt, dass es am<br />

Rande des EUGipfels der Staats- und Regierungschefs in<br />

der vergangenen Woche eine Einigung zwischen Bundeskanzlerin<br />

Merkel und dem französischen Präsidenten Macron<br />

gegeben habe, dahin gehend, dass sowohl Kernenergie<br />

als auch Stromerzeugung mit Erdgas als nachhaltig im<br />

Sinne der EU-Taxonomie eingestuft werden sollen. Zu letzterem<br />

Thema versenden wir Anfang nächster noch eine<br />

gesonderte interessante KTG-Fachinfo.<br />

Dem Artikel zufolge gebe es nun eine deutsch-französische<br />

Einigung in in<strong>for</strong>meller Form, wobei es dafür noch<br />

keine offizielle Bestätigung gibt. Allerdings hat die Kommissionspräsidentin<br />

Ursula von der Leyen auf der Pressekonferenz<br />

nach dem Gipfel geäußert, dass es neben den<br />

erneuerbaren Energien auch eine „stabile Quelle“ geben<br />

müsse, die Kernenergie. Diese an und für sich überraschende<br />

Festlegung, die den eigentlich zuständigen Kommissaren<br />

für den Finanzmarkt und für Energie zuvorkommt,<br />

könnte ein Hinweis sein, dass es tatsächlich eine<br />

in<strong>for</strong>melle deutsch-französische Vereinbarung gibt. Im Artikel<br />

wird die Äußerung der Kommissionspräsidentin darüber<br />

hinaus so gedeutet, dass die Kernenergie langfristig<br />

als nachhaltig bewertet werden soll, Erdgas dagegen als<br />

Übergangstechnologie. Der grüne Europaabgeordnete<br />

Sven Giegold hat jedenfalls schon einmal eine Petition gestartet,<br />

dass der Vorschlag für einen ergänzenden delegierten<br />

Rechtsakt erst vorgelegt werden dürfe, wenn die<br />

neue Bundesregierung im Amt sei.<br />

Wer gerne einmal für Klimaschutz und Kernenergie<br />

demonstrieren möchte, ohne es dabei mit den Kernenergiegegnern<br />

bei Fridays <strong>for</strong> Future und deren Umfeld zu<br />

tun zu bekommen, kann das am 13. November von 14 bis<br />

17 Uhr bei der Demonstration „Stand Up For <strong>Nuclear</strong> 2021<br />

in Berlin“ von Critical Climate Action am Pariser Platz in<br />

Berlin tun.<br />

Ihre KTG-Geschäftsstelle<br />

Nicolas Wendler<br />

Futurs énergétiques 2050.Der französische Übertragungsnetzbetreiber<br />

RTE hat im Rahmen seiner gesetzlichen<br />

Aufgaben hinsichtlich der Vorausschau auf die Versorgungssicherheit<br />

mit Strom im Jahr 2019 ein umfangreiches<br />

Studienprojekt begonnen, das etwa im Hinblick auf<br />

die Integration von erneuerbaren Energien auch gemeinsam<br />

mit der <strong>International</strong>en Energieagentur erarbeitet<br />

wurde und im ersten Halbjahr 2020 Gegenstand einer<br />

Konsultation der Öffentlichkeit war. Nach der Veröffentlichung<br />

der Hauptergebnisse am 25. Oktober 2021 werden<br />

Anfang 2022 die Gesamtstudie und vertiefte Analysen zu<br />

einzelnen Themen veröffentlicht.<br />

Hauptaussage der Studie ist,dass einerseits für eine vollständige<br />

Dekarbonisierung der Energieversorgung der<br />

Ausbau erneuerbarer Energien unverzichtbar ist, aber dass<br />

andererseits ein Entwicklungspfad mit einem substanziellen<br />

Anteil an Kernenergie ökonomische Vorteile gegenüber<br />

den Szenarien ohne Kernenergie bietet, selbst dann,<br />

wenn die Kosten für neue Kernkraftwerke auf dem sehr<br />

hohen Niveau des Projektes Flamanville 3 verbleiben. Es<br />

wird dabei davon ausgegangen, dass sich der gesamte<br />

französische Energiebedarf durch Elektrifizierung und andere<br />

effizienzsteigernde Maßnahmen um 40 Prozent verringert,<br />

von 1.600 TWh auf 930 TWh, aber der Strombedarf<br />

dabei von 460 TWh auf 645 TWh steigt. In einem Szenario<br />

in dem zur Energieeffizienz auch Verzicht hinzutritt<br />

– in der französischen Diskussion spielt dies durch die Aktivisten<br />

von Négawatt eine vergleichsweise wichtige Rolle –<br />

würde der Anstieg des Stromverbrauchs auf 555 TWh begrenzt.<br />

Im Szenario tiefe Reindustrialisierung – Präsident<br />

KTG-Fachinfo


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

Macron hat die Reindustrialisierung Frankreichs zu einem<br />

Leitmotiv für den kommenden Wahlkampf gemacht –<br />

würde der Stromverbrauch auf 752 TWh steigen. Interessant<br />

dabei ist die Annahme, dass eine Reindustrialisierung<br />

zwar den französischen Eigenenergiebedarf steigert, dass<br />

aber bei globaler Betrachtung die Klimaschutzwirkung<br />

positiv ist, weil Importe mit einem höheren CO2-Fußabdruck<br />

durch klimafreundliche heimische Produktion ersetzt<br />

würden.<br />

Für die Kernenergie folgt daraus eine Kapazität von 40 bis<br />

50 Gigawatt installierter Leistung im Jahr 2050, wofür entweder<br />

die Errichtung von 14 Kernkraftwerken des Typs<br />

EPR 2 (Szenario N2) oder von 14 EPR 2 sowie einer Reihe<br />

kleiner modularer Reaktoren er<strong>for</strong>derlich wären (Szenario<br />

N3).<br />

Seit 66 Jahren<br />

im Dienste der Kerntechnik<br />

nucmag.com<br />

45<br />

KTG-FACHINFO<br />

Kernenergiefinanzierung GroßbritannienNach jahrelanger<br />

Diskussion über ein neues Finanzierungsmodell für<br />

Kernkraftwerke jenseits des beim Projekt Hinkley Point C<br />

und für erneuerbare Energien genutzten Modells Contract<br />

<strong>for</strong> Difference (CfD) hat das britische Energieministerium<br />

am Dienstag ein neues Kernenergiefinanzierungsgesetz<br />

angekündigt. Mit diesem Gesetz soll das bei anderen Infrastrukturprojekten<br />

im Vereinigten Königreich erfolgreich<br />

genutzte Finanzierungsmodell Regulated Asset Base<br />

(RAB) auf die Finanzierung von Kernkraftwerken übertragen<br />

werden. Das Modell, dass der regulierten Finanzierung<br />

der Stromnetze in Deutschland ähnelt, sieht moderate<br />

Investorenrenditen vor, die aber bereits während der<br />

Bauzeit des Kernkraftwerks für die Investoren wirksam<br />

werden sollen. Ziel ist es, private Investitionsmittel zu mobilisieren,<br />

um die Finanzierung von ausländischen Projektträgern<br />

unabhängig zu machen und es auch Investoren<br />

wie Pensionsfonds und Versicherungsgesellschaften zu ermöglichen,<br />

in britische Kernkraftprojekte zu investieren.<br />

Zugleich sollen sich durch die garantierten aber moderaten<br />

Renditen auch erhebliche Einsparungen für die Stromkunden<br />

über die gesamte Laufzeit des Kernkraftwerks ergeben.<br />

Das Modell wird neben großen Kernkraftwerksprojekten<br />

auch kleineren modularen sowie innovativen Anlagen<br />

der vierten Generation offenstehen.<br />

So dreht sich die Welt der Kernenergiepolitik außerhalb<br />

der deutschen Grenzen auch trotz oder fallweise vielleicht<br />

sogar wegen der hiesigen Koalitionsverhandlungen weiter<br />

und bewegt sich dabei in eine so ganz andere Richtung<br />

als der innerdeutsche politische Konsens.<br />

Ihre KTG-Geschäftsstelle<br />

Nicolas Wendler<br />

Media In<strong>for</strong>mation<br />

2022<br />

Themenplan und Termine<br />

1 01.<strong>01.2022</strong><br />

2 01.03.2022<br />

3 01.05.2022<br />

4 01.07.2022<br />

5 01.09.2022<br />

6 01.11.2022<br />

p<br />

Rückbau und Entsorgung<br />

p Weltweite Trends in der Kernenergie<br />

3 Programmvorschau KERNTECHNIK 2022<br />

p<br />

Energie- und Klimapolitik und Kerntechnik<br />

bei der neuen Bundesregierung<br />

p Anwendungen in Medizin, Industrie, Forschung<br />

3 Betriebsergebnisse Deutschland 2021<br />

p Umwelt, Klima und Energiesysteme<br />

3 Kernkraftwerke – Top Ten 2021<br />

3 KERNTECHNIK 2022 Special<br />

p<br />

p<br />

Forschungsreaktoren<br />

Kernfusion (insb. neue und alternative<br />

Entwicklungen)<br />

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KTG-Fachinfo


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

VOR 66 EDITORIAL JAHREN 46<br />

Vor 66 Jahren


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

VOR 66 EDITORIAL JAHREN 47<br />

Vor 66 Jahren


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

VOR 66 EDITORIAL JAHREN 48<br />

Vor 66 Jahren


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

VOR 66 EDITORIAL JAHREN 49<br />

Vor 66 Jahren


<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 1 ı Januar<br />

KTG INSIDE 50<br />

Inside<br />

Die KTG gratuliert an dieser Stelle unseren besonderen Jubilaren ab und in ihren „ Neunzigern“.<br />

Wir danken für die lange und treue Mitgliedschaft in der KTG und wünschen noch viele glückliche Lebensjahre.<br />

März 2022<br />

92 Jahre | 1930 25. Dr. Hans-Ulrich Borgstedt, Karlsruhe<br />

Herzlichen Glückwunsch!<br />

Die KTG gratuliert ihren Mitgliedern sehr herzlich zum Geburtstag und wünscht ihnen weiterhin alles Gute!<br />

Wenn Sie künftig eine<br />

Erwähnung Ihres<br />

Geburtstages in der <strong>atw</strong><br />

wünschen, teilen Sie dies<br />

bitte der KTG-<br />

Geschäftsstelle mit.<br />

KTG Inside<br />

Lektorat:<br />

Kerntechnische<br />

Gesellschaft e. V. (KTG)<br />

Berliner Straße 88A,<br />

13467 Berlin<br />

E-Mail: info@ktg.org<br />

www.ktg.org<br />

Februar 2022<br />

65 Jahre | 1957<br />

24. Dipl.-Ing. Jens Bochmann, Dresden<br />

65 Jahre | 1957<br />

7. Armin Rudolf ten Hompel, Frankfurt<br />

am Main<br />

70 Jahre | 1952<br />

22. Dr. Paul David Bottomley, Pfinztal-<br />

Kleinsteinbach<br />

75 Jahre | 1947<br />

17. Dr. Peter Urban, Forchheim<br />

77 Jahre | 1945<br />

23. Dipl.-Ing. Victor Teschendorff,<br />

München<br />

77 Jahre | 1945<br />

28. Dr. Günther Dietrich, Holzwickede<br />

77 Jahre | 1945<br />

1. Prof. Alfred Voß, Stuttgart<br />

78 Jahre | 1944<br />

26. Dr. Ivar Kalinowski, Ohrum<br />

79 Jahre | 1943<br />

28. Dr. Klaus Tägder, Sankt Augustin<br />

79 Jahre | 1943<br />

20. Ing. Leonhard Irion, Rückersdorf<br />

79 Jahre | 1943<br />

5. Dr. Joachim Banck, Heusenstamm<br />

80 Jahre | 1942<br />

22. Dr. Cornelis Broeders, Linkenheim<br />

82 Jahre | 1940<br />

13. Dr. Hans-Ulrich Fabian, Gehrden<br />

82 Jahre | 1940<br />

9. Dr. Gerhard Preusche, Herzogenaurach<br />

83 Jahre | 1939<br />

22. Dr. Manfred Schwarz, Dresden<br />

83 Jahre | 1939<br />

8. Dr. Herbert Spierling, Dietzenbach<br />

85 Jahre | 1937<br />

11. Dr. Günter Keil, Sankt Augustin<br />

85 Jahre | 1937<br />

18. Dipl.-Ing. Hans Wölfel, Heidelberg<br />

85 Jahre | 1937<br />

6. Dipl.-Ing. Heinrich Moers, Winter Park,<br />

USA<br />

86 Jahre | 1936<br />

17. Dr. Helfrid Lahr, Wedemark<br />

86 Jahre | 1936<br />

6. Dr. Ashu-Tosh Bhattacharyya, Erkelenz<br />

88 Jahre | 1934<br />

9. Dr. Horst Keese, Rodenbach<br />

88 Jahre | 1934<br />

12. Dipl.-Ing. Horst Krause, Radebeul<br />

März 2022<br />

50 Jahre | 1972<br />

24. Dr. Detlev Roßbach, Erlangen<br />

55 Jahre | 1967<br />

3. Jens Pöppinghaus, Essen<br />

55 Jahre | 1967<br />

2. Dr. Christian Scheuerer, Kumhausen<br />

65 Jahre | 1957<br />

12. Dipl.-Ing. (FH) Klaus Kühnel, Erlangen<br />

75 Jahre | 1947<br />

6. Dr. Michael Weis, Rödermark<br />

77 Jahre | 1945<br />

20. Dipl.-Ing. mult. Herbert Niederhausen,<br />

Gebhardshain<br />

77 Jahre | 1945<br />

4. Dr. Bernd Hofmann, Eggenstein-Leopoldshafen<br />

77 Jahre | 1945<br />

11. Dr. Ulrich Krugmann, Erlangen<br />

77 Jahre | 1945<br />

11. Joachim Lange, Burgdorf<br />

78 Jahre | 1944<br />

11. Hamid Mehrfar, Dormitz<br />

78 Jahre | 1944<br />

2. Dr. Peter Schnur, Hannover<br />

78 Jahre | 1944<br />

10. Prof. Dr. Reinhard Odoj, Hürtgenwald<br />

79 Jahre | 1943<br />

16. Dipl.-Ing. Jochen Heinecke, Kürten<br />

79 Jahre | 1943<br />

20. Dipl.-Ing. Jörg Brauns, Hanau<br />

82 Jahre | 1940<br />

7. Dr. Volker Klix, Gehrden<br />

82 Jahre | 1940<br />

18. Dipl.-Ing. Friedhelm Hülsmann,<br />

Garbsen<br />

82 Jahre | 1940<br />

1. Dipl.-Ing. Wolfgang Stumpf, Moers<br />

82 Jahre | 1940<br />

3. Dipl.-Ing. Eberhard Schomer, Erlangen<br />

83 Jahre | 1939<br />

1. Prof. Dr. Günter Höhlein, Unterhaching<br />

86 Jahre | 1936<br />

19. Dr. Hermann Hinsch, Hannover<br />

87 Jahre | 1935<br />

2. Dipl.-Ing. Joachim Hospe, München<br />

87 Jahre | 1935<br />

20. Dr. Jürgen Ahlf, Neustadt in Holstein<br />

89 Jahre | 1933<br />

30. Dipl.-Phys. Dieter Pleuger, Kiedrich<br />

Nachträgliche Geburtstagsnennungen Januar 2022<br />

50 Jahre | 1972 12. Holger Ullrich, Bützberg, Schweiz<br />

83 Jahre | 1939 13. Udo Wehmann, Hildesheim<br />

KTG Inside


www.ktg.org<br />

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Wir engagieren uns dafür, Wissen zu vermitteln und weiterzugeben,<br />

um die sachliche Auseinandersetzung mit der Kerntechnik zu fördern.<br />

Dabei liegen die Schwerpunkte auf:<br />

! Erörterung wissenschaftlicher und technischer Fragestellungen<br />

! Förderung der Diskussion unter verschiedenen Disziplinen und Einrichtungen<br />

! Erfahrungsaustausch mit Organisationen im In- und Ausland<br />

! Zusammenarbeit mit öffentlichen und privaten Institutionen<br />

! Wissenschaftliche, gesellschaftliche und berufliche Weiterbildung<br />

unserer Mitglieder<br />

! Nachwuchsförderung<br />

Unser ganz persönliches Willkommensgeschenk an Bord der KTG:<br />

3 Ein Abonnement der beliebten Fachzeitschrift<br />

<strong>atw</strong> – <strong>International</strong> <strong>Journal</strong> <strong>for</strong> <strong>Nuclear</strong> <strong>Power</strong>.<br />

https://www.ktg.org/ktg/faszination-kerntechnik/mitglied-werden


#52KT<br />

www.kerntechnik.com<br />

Media Partner<br />

TERMINVERSCHIEBUNG<br />

21. – 22. Juni 2022<br />

HYPERION Hotel, Leipzig<br />

Ausstellung, Wissenschaftsdiskurs,<br />

Young Scientists Workshop und Networking Platt<strong>for</strong>m<br />

Was Sie erwartet?<br />

p Plenarsitzung mit herausragenden Vorträgen und Referenten<br />

in der technische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Fragestellungen<br />

diskutiert werden<br />

p Networking Platt<strong>for</strong>m<br />

p Themen-Sessions mit aktuellen Fachvorträgen<br />

aus Industrie, Forschung & Lehre<br />

p Begleitende Industrieausstellung mit Ständen<br />

namhafter Unternehmen der Nuklearbranche<br />

p Young Scientists Workshop<br />

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