Blogtexte2021_1_12
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Fortschritt. So kritisieren wir den sich zurück
entwickelnden Talibanstaat in Afghanistan
als mittelalterlich. Ein Unkraut frisst die
ganze Region, so scheint es vielen. Unsere
Ordnung, der saubere Garten Demokratie.
Wir werden nicht müde zu stöhnen, Gesetze
müssten auf einen Bierdeckel passen. Nicht
einmal ein islamischer Staat kann darauf erklärt
werden. Und Adolf Hitler als gottloses
Ungeheuer darzustellen, hilft kaum zu verstehen,
was geschah. Gern wird die Zeit des
Nationalsozialismus auf seine Singularität
als bösen Führer reduziert. Das suggeriert,
wir Guten hätten nichts damit zu tun.
# Böses isoliert zu betrachten verkennt, dass
es trotzdem bleibt
Die Gegner der Zigarette sind am Widerstand
rund um den harten Kern der Raucher
festgefahren, welche sich, nicht irritiert vom
Warnhinweis, unbelehrbar dem blauen Dunst
hingeben. Dazu kommen die Tabaksteuer
einziehende Behörden, die mit diesem
Geld wirtschaften. Die Gesundheitsapostel
scheitern an der Gruppe, die unbeirrt frisst
und säuft. Die böse, fette oder süße Nahrung
wird weiter hergestellt. Menschen beziehen
ihren Lohn davon, dass es geschieht. Die
Umweltretter beißen sich am Widerstand
einiger fest, die nicht zurückstecken möchten.
Die gute Gesellschaft verzweifelt an den
Idioten, die (wie ich) sich nicht gegen die
Coviderkrankung impfen lassen, und mehr
davon. Unbelehrbaren nutzt emotional, nicht
mitzumachen. Dieser Lustgewinn erschließt
sich vielen kaum. Die Guten sind immer die
Doofen? Nicht, weil sie übervorteilt werden,
sondern weil ihnen der Horizont fehlt, einer
Lehrmeinung Erfahrung entgegenzustellen.
Nur wer blockieren und schlagen kann, wird
bewusst darauf verzichten. Ein kleiner Anteil
der Bürger entscheidet sich nach Überlegung
für oder gegen eine Empfehlung. Die
anderen wissen nicht, wie verletzend sie
trampeln. Sie meinen hilfsbereit und gut
zu sein oder schlauer als der Rest. Sie sind
doch nur Brei, der gegebenenfalls sonst wo
hin marschiert – wie befohlen.
# Allzumenschliches
Liebe und Nutzen: „Was du von dem Mädchen
wolltest, ist ja klar, aber was wollte
sie von dir?“, werde ich gefragt. Jahre sind
vergangen, und es ist bekannt, dass ich
verheiratet bin. Was wollte – ja, wie soll ich
das sagen? Es scheint so klar nicht zu sein.
Eine große Blase könnte geplatzt sein. Ein
Blockwart hat sich den Schädel verbeult.
Schenefeld ist gerettet, hat mich verändert.
Ich vertraue niemandem, verwahre Emotionen
wie nie zuvor.
Ich lehne andere ab. Freundlich sein, ist
einfach. Was heißt das schon. Ich blockiere,
bin dagegen! Ich gehe nicht zur Wahl, nicht
ins Restaurant, zum Arzt. Ich schneide mein
Haar selbst. Ich respektiere
keine Frau, weil sie eine
ist. Ich achte, respektiere
Menschen – manchmal. Das
kommt auf den einzelnen
Moment und mein jeweiliges
Gegenüber an. Dann bin
ich authentisch und empfinde
Empathie. Eine zarte
Pflanze in meinem Biotop
für schützenswerte Gefühle
mit Seltenheitswert. Ich
missachte aufgezwungene
Regeln. Ich verachte
Polizei, begrüße Attentate
(unsere Lebensweise
kränkt, macht zornig und
verstört), gleich welcher
Motivation und beweine
den Täter anstelle der
„sinnlosen“ Opfer. Ich
erkenne mehr als genug
Sinn im Tod. Gewalt abzulehnen, scheint
mir der krampfhafte Versuch, sie plakativ
auszublenden. Ich verspüre keine Solidarität
mit anderen, nur weil sie Menschen
sind. Ich grenze mich ab. Ich bin gewaltbereit,
wann immer man mir auf die Pelle
rückt, riskiere meine Existenz, statt mich
anzupassen, wenn ich provoziert werde.
# Ich werfe die Gegenwart und jeden
zukünftigen Tag bewusst weg
Ich kann auf eine Zukunft verzichten. Das
bedingungslose Grundeinkommen habe
ich de facto, ohne es gewollt zu haben:
Tod, Nachlass, Streit und endgültiger
Bruch mit der Vergangenheit. Ich hätte
gern auf dem geerbten Land und für unsre
kleine Farm gearbeitet wie bisher. Familie
ist der kleine Tisch. Statt dem fetten
Steinbutt, der uns alle nährte, bedeutet mir
die eigene Scholle heute ein schmales Boot
und ist keinesfalls sättigend aufzuessen. Mir
bleibt als klügste Beschäftigung, im
Hof der selbstgemauerten Wallanlage
Kreise zu gehen. Da türmen sich
übrig gebliebene Brocken, die ich
nicht (auch noch) auf andere werfen
mag, und Frust ist der Zement. Ich
kreiere meine Kunst im isolierten
Kosmos. Anerkennung, entsprechend
meiner Lebensleistung, dem
geschaffenen Œuvre, ist weder zu
erwarten noch ernsthaft wünschenswert.
Dafür müsste ich viel weiter als
über den eigenen Schatten springen
und fühle mich dafür nicht nur zu alt,
entsprechend deprimiert, sondern im
überschaubaren Bereich zu Hause
vergleichsweise frei.
Kapitän auf eigener Leinwand, ein kleiner
König bin ich. Treffender wäre das Eingeständnis,
verkleidet als Farbterrorist durch
das Leben zu schippern. Zur Flucht nicht
mehr fähig, arbeitet hier ein vom Schicksal
unweigerlich eingefangener Sträfling,
welcher nun wirklich gern sämtliche Wände
seiner Zelle bekritzelt. Das ist mein Modell,
dieses Haus im Dorf und den Rest da draußen
zu verstehen, wo die Menschen scheinbar
leicht das Richtige tun. Meine Freiheit
ist die größere! Unbedeutend genieße ich
den Vorteil eines Übungsfeldes, die anderen
nicht zu beneiden, wenn sie wirklich gut
sind und amüsiere mich über unzählige
Spinner in der Szene. Meine Perspektive ist
mitnichten ein Aufbruch. Mich treibt der
Zorn, dicke Mauern stärker zu machen und
Gucklöcher
für
Spanner
zu lassen,
wo es mir
gefällt.
Widerlich
ist die
Verwandtschaft,
wenn
es zu
erben gibt.
Widerlich
hoch zwei
ist die
Politik. Das
ist meine
Meinung
bis vor das
Gericht,
über den Tod hinaus. Hass treibt mich, wenn
ich unter dem Meer fahre. In meinem Alter
ist zu einer noch romantischeren Liebe
suchend aufzubrechen ohne Sinn. Dass wir
ohnehin sterben und das ganz Tolle nicht
kommt, hilft den jeweiligen Tag wahrzunehmen.
Ich begreife mich, und für andere
genauso unser Selbst, in Bewegung – und
unsere aktuellen Möglichkeiten, den Weg zu
gestalten – mehr nicht. Eine Beziehung zum
Drumherum ist bindend hinzunehmen. Aber
nicht bedingungslos. Meine Bedingungen
definiere ich selbst. Damit riskiere ich auch
meine Gesundheit auf meine Verantwortung
hin. Das tun die anderen auch: Die einen
wissen, wie sie etwas tun, die anderen nicht.
Was wir tun, ist nicht so einfach zu bestimmen,
wie wir das machen schon.
Sep 2, 2021 - Leben wie gemalt 98 [Seite 97 bis 99 ]