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Wenn wir nicht mit diesen lustigen Gasteltern

zusammen waren (das Essen wurde

tatsächlich erst auf dem Teller gewürzt, und

am Bus standen alle brav in einer Schlange

an), unternahmen wir in Gruppen einiges mit

Kröger und Frau S. Die Englischlehrerin der

Parallelklasse „d“ war natürlich mitgefahren.

Vor allem eine Sache, die ich damals nur am

Rande registrierte, kommt mir heute wieder

in den Sinn. Nicht nur die englische Lebensweise

in der Gastfamilie war ganz anders als

zu Hause. Es gab auch etliche Ausflüge, etwa

nach London. Dort machten wir an verschiedenen

Stationen Halt und lernten die Briten

und ihre Besonderheiten kennen.

Ich kann mich an einen kurzen Aufenthalt

am Speakers’ Corner erinnern. Was damals

daran faszinierte, kann von jungen Menschen

heute nicht ansatzweise nachempfunden

werden. Es gab kein Internet, nur so viel

zur Erklärung.

# (…). Von diesem Glanz sei heute nur noch

wenig übrig. Zwar trete

hin und wieder mal ein

Mitglied der Sozialisten

auf, so Lewis. Die

großen Parteien und

Politiker jedoch scheuen

Speakers’ Corner seit

Jahren. „Die Ecke hat

nicht mehr die Relevanz

wie früher. Seitdem die

Religiösen das Zepter

in die Hand genommen

haben, ist sie zu einem

Ort für Fanatiker und

krude Verschwörungstheorien

geworden“, so

Lewis. (Welt – „Genau

genommen ist das

ein absoluter Freak-

Zirkus“, Veröffentlicht

am 22.07.2015, Florian

Schmidt, London).

Als Kreativer habe ich mit den Jahren lernen

müssen, dass Grafik zu schaffen, Bilder zu

malen oder Illustrationen anzufertigen

Kommunikation bedeutet. In gewisser Weise

ist mein Lebensweg durch ein früh zutage

getretenes Talent vorgezeichnet gewesen.

Meine individuelle Sprache, das eigene Bild?

Schon als ganz kleines Kind fiel ich auf,

anders zu sein: Begabt. Ich bin in der Folge

gar nicht umhin gekommen, Entscheidungen

zu treffen, wie ich diese Fähigkeit in meine

Existenz integrieren kann. Meine Auffassung

auf welche Art und Weise ich damit umgehen

möchte, kreativ zu produzieren, hat sich

insgesamt gewandelt.

Nach den Anfängen, aus dem Talent mithilfe

fundierter Ausbildung einen Beruf zu

machen, musste es weitergehen. Es zeigte

sich bald, dass die Frage: „Wem nutzt es?“

zu stellen ist. Schon in der weiterführenden

Schule am Steinhauerdamm in Hamburg, die

uns mit einem Fachabitur die beschränkte

Hochschulreife ermöglichen sollte, lehrte

uns meine liebe Klassenlehrerin Angelika

das theoretische Grundmodell. (Die könnte

ich, glaube ich, noch wo mit dem normalen

Apparat anrufen, und deswegen fehlt sie ein

wenig weniger).

Kommunikation bedeutet, jemand sendet,

andere nehmen Inhalte auf, und dann

kommen noch weitere Parameter dazu. Die

psychologisch relevanten Bausteine können

je nach Sektor der tatsächlichen Anwendung

dargestellt werden. Der Werbung, beim

wissenschaftlichen Vortrag, Radiosendung

oder Theatervorstellung, dem Konzert mit

Publikum und bei vielem mehr gereicht

das bekannte Modell seine Struktur.

Diskussionen auf der Arbeit und Themen

in der Familie werden so wissenschaftlich

beleuchtet, mit der vielseitigen Infografik

erklärt. Die ästhetisch motivierte Botschaft

einer Abbildung beinhaltet darüber hinaus

den Eigenwert künstlerischer Ausgestaltung

eines Themas. Die ungewöhnliche Sprache

des Gestalters: mehr als tausend Worte und

dergleichen.

# Zwitschern

Was heißt das, kommunizieren? Moshe

Feldenkrais, der oben skizzierte Lehrer eines

speziellen Bewegungstrainings, geht an

einer Stelle im Buch „The Potent Self“ davon

aus, dass die Kontrolle des Menschen, der

beginnt laut mit sich selbst zu reden, ungenügend

ist und hier möglicherweise

eine krankhafte

Änderung im Selbst ihren

Anfang nimmt. Wehret den

Anfängen! Kommunikation,

die erkennbar nicht bei einem

Rezipienten ankommt,

sei krank, nimmt der

bekannte Verhaltenstrainer

an. Stimmt das?

Der Drang zur Kunst.

Feldenkrais publizierte

seit den vierziger Jahren

des vergangenen Jahrhunderts.

Zu der Zeit, und als

ich jung gewesen bin, in

den Achtzigern, wäre uns

eine entgegenkommende,

mit sich selbst redende

Person auf dem Gehweg

unterwegs, unstrittig als krank erschienen.

Heute ist das ganz normal, nur dass diese

Menschen per Headset oft kaum erkennbar

anderen wichtige Nachrichten senden: „Bin

jetzt am Bus und gleich bei dir.“ Das ist nicht

krank, das ist nun nur normal. Es muss immer

irgendwo ein zuhörendes

Gegenüber sein,

dann ist zu reden legal.

Glaube dran, dass das,

was du zu sagen hast,

irgendwo ankommt:

Bete deine Gebete, iss

rote Bete und pflanze

Blumenbeete.

Inzwischen ist es leicht,

mithilfe eines aufgeschnappten

Namens

und Bildersuche im

Netz die unglaublichsten

Künstler kennenzulernen.

Da sind ganz

bestimmt einigermaßen

unbekannte Könner unterwegs. Sie werden

nie Millionen am Markt machen. Auch nicht,

wenn sie einmal gestorben sind. (Wenn ich

tot bin, wirft meine Familie alles weg. Davon

bin ich überzeugt).

Das bringt mich gelegentlich dazu, die

Frage nach dem Wert eines Bildes anders

zu stellen. In meinem Wohnzimmer hängt

kein Druck, sondern die jeweiligen neueren,

von meiner Frau akzeptierten Bilder, die ich

gemalt habe. Die anderen sind im Dachgeschoss,

das meine liebe Gattin vermeidet,

allzuoft aufzusuchen. Die selbstgestellte

Frage muss sein, inwieweit ein Bild gerade

mir, dem Schaffenden nützt? Das sei auch

anderen geraten, die staunen, wie viel ein

echter „Picasso“ oder „Van Gogh“ einbringt

– wem denn? Es mutet mir, dem quasi Kollegen,

seltsam an, den zu bedauern, der es

in seinem doofen Unglück richtig fand, sich

das Ohr abzusäbeln. Vielleicht war das nötig

für ihn, wie sich welche heute ritzen? Etwas

merken: Er lebte ungewöhnlich.

Noch heute bewundern manche den Trompeter

Chet Baker, der nicht wenigen Zeitgenossen

als verschmutzter Junkie galt (der

auch Musik machte). Das starke Motiv, ein

Leben lang zu malen oder der Trompete intelligente

Töne

zu entlocken an

sich, bleibt ein

Geheimnis, das

der Konsument

mit Geld nicht

kaufen kann. Wie

will ein solcher

wissen, wer hier

der Unglückliche

sei?

# Gewöhnlich

doof

Nun gibt es

Menschen, die

ein Tagebuch

führen, das sie nur selbst gelegentlich lesen.

Dies mag dem Modell einseitiger Kommunikation

ohne schnelle Rückkopplung die

gesunde Variante bieten, den Weg (und das

Verständnis, wie Kunst zu begreifen ist)

weisen. Das könnte den leicht zu begreifenden

Eingang in das Selbst zeigen, erklären,

wie wir eigentlich schaffen. Einfach gegen

die Wand zu reden oder im Club Leute zu

bequatschen, die nicht wirklich zuhören und

auf einer Straße ins Nirgendwo unterwegs,

im Wahn zu rezitieren, mag krank sein.

Aug 17, 2021 - Wo ist Goethe jetzt? 93 [Seite 84 bis 94 ]

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