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Blogtexte2021_1_12

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leistung menschlichen Vermögens selbst

nachbiegen und Gliedmaßen über Gebühr

dehnen zu können, ist kaum das Ziel, aber

sich keine Grenze für mögliche Verbesserungen

aufzuerlegen.

Ein „starkes Selbst“, das der Erfinder dieser

Ideen anstrebte, sollte nicht mit der Herde

zu laufen sein. Ich habe davon unendlich

viel gelernt und scheue mich nicht, fremdes

Gedankengut auf meine Weise selbst hinzuschreiben.

Das ist mehr als zitiert: Ich habe

so viel verinnerlicht. Es ist mir in Fleisch und

Blut übergegangen und besser als jede Religion.

Der Autodidakt Feldenkrais: „Ich fasse

an, fasse mit meinen Händen an“, ist nicht

drumherum gekommen, große Gruppen zu

unterrichten (mit auch drolligen Ergebnissen,

die nebenbei unausweichlich sind, wenn

eine ganze Turnhalle voll Menschen auf dem

Boden herum

rollen).

Was für ein

Spaß, das

anzusehen:

YouTube

ist das

Beste,

einen

Eindruck

zu bekommen.

# Religion

Warum hängen Menschen dem Glaube an

oder folgen einer Lehre, die ihnen das Leben

besser, angenehmer machen soll? Meiner

Auffassung nach kann es nicht gelingen,

Krankheit oder gar den Tod selbst außen vor

zu lassen, bei den Überlegungen, bewusster

zu existieren. Es ist allenfalls möglich, die

Gegebenheiten wie sie nun mal sind anzuerkennen

und den bestmöglichen Weg zu

nehmen, der von hier aus zu sehen ist. Gerade

das aber scheint nicht zu sein, was die

in einer Gruppe trabende Mehrheit erwartet.

Die Meisten scheinen dem goldensten Kalb

zu folgen, zum grünsten Gras aufbrechende

Kälber sind sie.

Statt mit dem Leib, der ihnen wie lästig am

Denkapparat baumelt, Frieden zu schließen,

reden viele sich die Gegenwart schön.

Sie rechtfertigen alles und möchten ihren

Schmerz betäuben. Anfällig für jede neue

Idee, sind manche Zeitgenossen bereit, aber

auch jeden Blödsinn zum eigenen zu erklären

und dabei zu sein, nur aus diesem Grund.

Die eine glaubt, wiedergeboren zu werden

oder ein Himmelreich schenke (mal später

dann) den ewigen Frieden. Wie soll das dort

sein, wer will es wissen? Absurd erscheint

doch, den jeweiligen Zustand des Körpers

auszublenden. Der individuelle Rumpf und

seine Glieder sind Teil jeder Erfahrung und

Erinnerung. Als könne mein Selbst unabhängig

davon in eine andere Körperlichkeit

switchen? Eine originelle Idee, genauer

darüber nachzudenken ist: „Beeing John

Malkovich“, ein wunderbarer Film! Ich

erinnere mich auch an eine Kurzgeschichte

von Guareschi. Es gelingt dem Priester Don

Camillo, das Denken eines Dorfbewohners

(quasi ein Schaf seiner Herde), mittels eines

Zettels und dem darauf notierten Wort „Seele“,

zu binden. Der Listige kann den Bauern

in seinem Sinne positiv manipulieren, weg

von den armseligen Kommunisten um den

Bürgermeister Peppone.

Es kommt dicke. Die moderne Welt schlingert.

Mach mit! Lippen aufspritzen bis zum

Entengesicht, denn wir schauen ja gern vorwärts

in das Selfie und bemerken unser Profil

nicht? Im falschen Körper gefangen, bitter.

Am falschen Ort gelesen, von der Links- zur

Rechtshändlerin. Goethe war gestern für die

Buchhändlerin. Der zeitgemäße Intellekt

ergreift Besitz von unseren Gehirnen. In der

Welt der Worte, sei besser keine Torte.

Das eine ist, die ganz besondere Problematik

zu kreieren und nun den Ausweg zu suchen.

Auf der anderen Seite spült unvermittelt

der Sturzbach ganze Häuserzeilen und

Existenzen fort. Luxus- und Echtkrankheiten

unterscheiden sich noch. In der vernetzten

Welt gefangen oder mit der Planetin

gemeinsam den Hitzetod sterben? Es wird

sich zeigen, was stärker ist, der eingebildete

Mensch oder die Natur.

Schon immer hat sich unsereiner mit

manchem herumschlagen müssen. Was es

damit auf sich hat, individuell zu denken,

zu empfinden, und ob sich’s getrennt ereignen

könne? Mal davon abgesehen, dass

ich getauft, konfirmiert, aus- und wieder

eingetreten bin in die evangelische Kirche,

kann ich mir nicht wirklich vorstellen, wie

ein ewiges Dasein gestaltet sein könnte. Das

verlangt auch kein Gott. Nur die Eingebildeten

beharren drauf. Ich bin Maler, und

meine Werke sind abgebildet vom äußeren

Eindruck und

eine Reflexion.

Dass ich mir

kein fixes Bildnis

ins Hirn mache,

wie angeraten,

sondern meine

Hand zum Werkzeug,

hilft. Das

ist der schwache

Trost, der mir

bleibt, die anderen könnten’s genauso wenig

begreifen wie ich selbst. Jeder schaffe nach

seiner Art und Talent. Ein Glaube, der mich

insgesamt von der Geißel jedweder schweren

Krankheit befreit, wenn ich der Lehre nur

fest genug anhänge, erscheint mir dicht am

Wahnhaften zu sein und letztlich Quatsch,

aber viele verfolgen ihre Wege (auch von

sich überzeugte Atheisten) mit der starren

Idee, gerade ihnen könne nichts geschehen.

Sie reden sich eventuell Übles, wenn’s passiert,

schön: Dann „solle es wohl so sein.“

Die Angst, als ein starkes Gefühl wahrzunehmen

und zu beherrschen lernen, ist

aber mehr. Die statische Idee, Gene oder

Schicksal bestimmten uns, hindert so viele

daran, einen besseren Weg zu nehmen. Autor

Moshe Feldenkrais macht gern klar, dass ein

Mensch nur für den gegenwärtigen Augenblick

so ist, wie er sich gibt und schon im

nächsten Moment um die aktuellen Erlebnisse

der nahen Vergangenheit bereichert

sein wird, sie zu dem hinzuzählen muss, das

nun unänderbar zu seiner Geschichte gehört.

Die Frage ist nicht, ob wir uns verändern,

sondern ob wir bereit sind, das zu beobachten

wie es genau geschieht und die daraus

gezogenen Schlüsse einer Selbstkontrolle

unterwerfen, zu unserem Besseren verwenden.

# In seiner Autobiografie schreibt Ralph

Giordano: „Die Befreiung von der Angst vor

dem jederzeit möglichen Gewalttod, weil

ich eine jüdische Mutter hatte, war, ist und

wird das Schlüsselerlebnis meines Daseins

bleiben.“ (Wikipedia).

Ich bin mit meiner Schwester, Eltern,

Großeltern und von Freunden begleitet in

das Leben gestartet. Vorbilder sind darüber

hinaus Lehrer gewesen, denen ich probierte

nachzueifern, weil ich mich für ihre Motive

begeistern konnte. Die Reise mit dem „Prinz

Hamlet“, der damals noch regelmäßig verkehrenden

England-Fähre, die Unterelbe abwärts,

an Cuxhaven und Helgoland abends

vorbei, bleibt unvergessen. Es ging über die

raue Nordsee nach Harwich (unten an der

Ostküste der britischen Insel), anschließend

folgte der

Aufenthalt

bei einer

Gastfamilie

am Stadtrand

von Ipswich,

zusammen

mit Steffen,

meinem

Mitschüler.

Wir verbrachten

Zeit mit

diesen Engländern, passten auf Little Justin

auf und besichtigten die Werkhalle, wo ein

wahrhaft riesiger Bagger von unvorstellbarer

Größe eines Hauses auf seine Reparatur

wartete, die Arbeit unseres Gastgebers.

Das kleine Auto, mit dem die humorvolle

Familie uns oft herumfuhr, machte bei jedem

Kuppeln ein quietschendes Geräusch. Wir

mutmaßten, eine verborgene Maus würde

gequält und schmissen uns weg vor Lachen.

Im Treppenhaus unserer Gasteltern hing

ein farbiger Druck oder Ölgemälde, ein

Aktbild. Das war eine nackte Dschungelfrau

oder jedenfalls eine gebräunte Schönheit

am Fluss. Steffen und ich bekamen,

pubertierend und doof wie wir waren, auch

dort bei jedem Vorbeigehen unerklärliche

Lachanfälle. Das Haus hatte in der Art

des Reihenhauses einen kleinen Garten.

Einmal war unsere Aufgabe, das kleine

Kind zu hüten, und ich meine mich daran

zu erinnern, dass es auf den Weg zwischen

das selbstgezogene Gemüse schiss. Die

Decken der Engländer bestanden (natürlich

genauso für uns, die Gäste) aus mehreren

einzelnen Lagen anstelle der gewohnten,

einteiligen Sommer- oder Herbstdecke, wie

das in Norddeutschland üblich ist. Drei oder

vier dünne Lappen übereinander hatten die

lästige Angewohnheit, des Nachts eine nach

der anderen davon zu gleiten.

Aug 17, 2021 - Wo ist Goethe jetzt? 92 [Seite 84 bis 94 ]

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