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Blogtexte2021_1_12

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hat ein Kunde die alternativ für Rollstuhlfahrer

gebaute Rampe genutzt, mich auf der

Treppe noch zu überholen, war so im Laden

zuerst am Tresen.

Frechheit siegt und formt die neue Welt.

Das ist kurioserweise mein Grund, den Arzt

zu meiden. Das ist kein Fehmarnthema; es

ist grundsätzliche Kritik: Der Konsumkranke

verlangt die Reparatur, geht zum Arzt, wie

wenn er gerade seine Brötchen fordert. Er

„kauft“ sich Gesundheit, und so ist diese

dann auch strukturiert. Mich schreckt das ab.

Auch deswegen scheue ich den Doktor und

die Impfangebote, die mir aktuell gemacht

werden. Ich fürchte den Apparat, unseren

Staat, die unkritische, aber vorwärts drängende

Masse, das Baukastenbezahlsystem.

Ich riskiere meine Gesundheit, hoffe (naiv)

auf das kürzere Ende, missachte die Perspektive,

länger, aber geflickt lebend zu leiden,

abhängig vom begleitenden Arzt. Ich will so

nicht geholfen werden.

Die Schräge vor der Inselbäckerei zeigt, dass

es den Fortschritt im Positiven wirklich gibt.

Im Geschäft drinnen an der Wand hängt eine

alte Fotografie.

Das Bild in

schwarz-weiß

ist vermutlich

aus den Sechzigern.

Ein alter

Kombi parkt

auf der linken

Seite vor dem

„Café Börke“,

und auf dieser Abbildung gibt es zwar die

Treppe wie heute an der selben Stelle, aber

die Rollstuhlrampe noch nicht. Die Gesellschaft

ist vielseitiger, schafft neue Räume

und Rechte für viele, die Benachteiligte sich

jeweils erkämpfen konnten. Dienstleister

und Geschäfte sind heute kunden- und menschenfreundlicher.

Die einzelnen Menschen

für sich genommen, sind aber insgesamt

durchaus nicht freundlicher zueinander

geworden.

# Die Regengeschichte geht noch weiter!

Diese blöden Rentnertanten sitzen beim

Arzt. Senioren verstopfen die Wartezimmer

gern. Es gibt nur wenige, die weise sind, wie

es sich für Alte gehört. Das ist kein Märchen,

das ist auch Fehmarn. Wenn sie mir nicht

auf die Füße treten, mich in den Schüttregen

treiben, nicht gestorben sind, leben sie noch

heute – morgen dement im Heim.

Ich bin raus aus Edeka.

Ich gehe durch das Megapladdern zum

Fahrrad, als wäre das gar nichts. Ich lege die

Einkäufe im Stoffbeutel in den Drahtkorb

über dem Hinterrad auf den Gepäckträger.

Ich bücke mich zum Vorderrad auf den

Fußboden, wo in kleinen Strandkieseln

das Schloss von Frau Grimm mein Rad im

Bügel vor dem Laden hält und schließe

auf.

Das Wasser knallt spürbar auf meinen

gewölbten Rücken, und die Jeansjacke

gibt schon jetzt nach.

Während ich im kleinsten Gang gelassen

treppelnd vom Parkplatz rolle, grinsen die

ersten Schlauen, die an der Ecke unter

einem großen Reklameschirm Zuflucht

gefunden haben. Sie tragen Sportjacken,

klammern sich an ihre Bikes und haben den

(sicheren) Helm mit gelber

Regenplane aufgesetzt. Ich

bin schon jetzt nass wie

nackt, nach nur dreißig

Metern Strecke.

Ich biege auf den gegenläufig

doppelten Einbahnweg

verkehrt herum nach

Süden und nehme den

heute menschenleeren

Bürgersteig für meine

Radtour, ohne jeden Schutz

vor diesem Unwetter.

Sturzbäche, Kaskaden von

Himmelsgewalt klatschen

runter. Der Himmel weint

nicht, er kotzt mich an. Das

ist ein Schwimmbad. Die

Ostsee selbst ist über mir

und nach unten offen.

Wo bin ich, in Hamburg? Ich sehe linksseitig

von mir auf der Fahrbahn eine still stehende

Blechlawine. In Zweierreihe nebeneinander,

ein Stau mit Komplettblockade schaut mich

an. Wie glotzende Goldfische im Aquarium

sitzen die Leute in ihren verglasten Kisten.

Nur das dieses Wasser draußen ist, und ich

bin der Fisch auf dem Fahrrad. Der Stau

ist genauso am Parkplatz der Inselschule.

Dort stehen überall Wohnmobile auf der

breiten Fläche, größer als das gewöhnliche

Fußballfeld. Rundherum führt die Zubringerstraße,

und da steht auch alles. Blech in jede

Richtung verkeilt und klatschendes Wasser

aus der Luft. Ich radele gemächlich durch.

Links rein kurve ich, rechts biege ich durch

die Verkeilten, und dann schräg zwischen

ihnen hindurch auf den schwimmenden

Radweg. Ich sehe in ihren Augen und vom

Zorn verformten Mündern, dass es nicht

weitergeht.

Sie leiden.

Ich kann, ohne zu stoppen, die

Kreuzung nach Süden passieren.

Da ist keine Vorfahrt zu beachten,

gar das Stoppschild zu befolgen

oder die kleine Ampel zu

betätigen. Sie stehen auch hier.

Längs in meine Richtung und

rechtwinklig dazu von Meeschendorf

kommend und raus aus Burg

nach Meeschendorf stehen auch

alle. Kreuzweise in sämtliche

Richtungen ist alles festgefahren.

Ich gleite, schwimme, grinsend

inzwischen, flott zwischen ihnen

durch. Glupschige Karpfen, im Glas

gefangen, schauen unverständlich

blöde, offenmäulig zurück.

Ihre Wischer wischen.

Ich bin nun durch und durch klatschnass.

Die Haare kleben auf der Stirn, Wasser rinnt

in meine Augen und wieder raus. Ich weine

nicht. Ich lache wie irre vor Vergnügen. Auf

der Mathildenstraße sehe ich sie rechts von

mir. Autos, Autos und noch mehr Autos. Die

stehen zu Blocks, seitdem sie den Südstrand

panisch verlassen haben? Das ist keine

Blechlawine, es ist eine Schlange, eine

Blechperlenkette ist festgeteert. Ich federe

leicht vorbei, als wärs die schönste Sonne

und die Fische blubbern in ihren randvoll

abgefüllten Aquarien mich unverständig an.

Wer hat denn den Schaden?

Es ist nur nass.

Ich nehme die Parade ab.

Inzwischen kann ich mich

nicht mehr halten vor Lachen.

Ich stürze vor Freude

beinahe vom Rad, während

ich die innendrin doppelt

gefangenen Autofahrer demonstrativ

angrinse. Meine

Frechheit wird nun immer

öfter belohnt! Es sind

eher die Einheimischen,

vielleicht mit einem Handwerkerfahrzeug

unterwegs,

die auch gern lachen, mit

Daumen hoch salutieren.

Sie stehen trocken, ich

fahre nass, aber es sieht

nicht so aus.

Ich quere den Stiftsweg, passiere dann

ungebremst den Kappellenweg, und es

staut. Quertreiber, ein roter Opel probiert es

gerade von links durchzukommen, können

mich nicht stoppen, nicht einbiegen, weil die

Längsverbohrten eisern blockieren. Das geht

bis dort, wo sich Mathilden- und Strandstraße

vereinen. Als die Schotterspur vor

dem Grünen

Weg beginnt,

kann ich leicht

hinüberkreuzen.

Hier ist

Stauende.

Es ist nicht

alles schlecht. Gesundheit ist die Freiheit,

wählen zu können. Ich schweife noch mehr

ab, um den Bogen zum Trafalgar Square

eleganter hinzubekommen. Tatsächlich, ich

sehe ein, es könnte zu weit führen (ich bin

quasi mit einer Großbäckerei großgeworden),

das hier ausführlich zu erzählen. Es

würde probiert,

Wasser zu Brot

zu machen, hörte

ich einmal. Aber

eine Entwicklung

überschneidet

sich mit der Urlaubsreise

nach

Fehmarn.

# Backen heute

Bei mir zu Hause

in Schenefeld

sind Geschäfte

vor Ort, die

frische Brötchen,

Brot und Kuchen

(auch Sonntags)

anbieten. Es gibt

Aug 17, 2021 - Wo ist Goethe jetzt? 90 [Seite 84 bis 94 ]

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