Blogtexte2021_1_12

03.01.2022 Aufrufe

Gegend, die Teil meiner Skizze sein konnte.Deswegen habe ich alles wie eine Störungmeiner Konzentration empfunden. Das hatmich kaum interessiert. Später kam diePolizei. Ich sah nie etwas, aber ein Beamterschien zu fragen: „Wie geht es Ihnen jetzt?“Einmal angenommen, zeitgleich hätte eseinen Zwischenfall vor dem italienischenRestaurant gegeben. „Aaahrg!“, hätte einPassant geschrien und wäre wie getroffenzu Boden gesackt. Mit letzter Kraft, wie voneinem Projektil abgeschossen, hätte derArme ausgestoßen: „Jetzt habe ich michmit Corona infiziert.“ Eine Frau könntegestöhnt haben, während sie die Hände vordas Gesicht schlug: „Oh Gott! Wieder einer,nochmal.“ Das hätte ich kaum mitbekommen.Unwahrscheinlich, dass zur gleichen Zeit,während ich zeichnete, beides geschah – jemandcrasht seinen Bulli, und ein Fehmaranerinfiziert sich mit Covid – ist es nicht.Viele werden weder den Verkehrsunfall,noch die arme Sau, die sich ansteckte bemerkthaben. Unspektakulär und unsichtbarist dieses Virus. Selten macht es schwerkrank, aber einige sterben, und mancheleiden noch lange. Das kann nicht ernsthaftbestritten werden. Da ist kein Grund, an eineVerschwörung zu glauben. Wir bemerkeneiniges nicht, und doch geschieht es. Auchdass ich zeichnete, wurde von niemandemregistriert, und diesen Text, versteckt imweltweiten Netz, liest gar niemand auf derWelt.# Das ist meine Realität, und ich lebe ganzgut damitIch lasse mich nicht impfen, aus purem Trotzgegen diese Gesellschaft, die mir herzlichzuwider ist – aber wenn ein Test zu bezahlenist, habe ich damit kein Problem oder lassees eben, die entsprechende Veranstaltungzu besuchen.Ich kann dieAbläufe, dieunser Systemmodern verändern,primanachvollziehen.Ich änderemich nun auch.Meine Anpassungan dieunaufhaltsameSozialisierungist kreativ undindividuell. Ichverschwöremich nicht,schon gar nicht kollektiv. Ich bleibe fürmich zu Hause. Friseur? Ich kann mein Haarlang wachsen lassen. Restaurant? Ich kocheselbst sehr gern. Geselligkeit? Ich kann michgut allein beschäftigen.Weiter mit Edeka. Dieses vertrockneteSchrapnell mit Rentnerschnauze istanders: Ohne Not, mir in diesem Kabuffauf die Pelle rücken zu müssen, dasdurchaus noch einige Plätze bietet,steuert sie bis auf Zentimeter (ohnemich überhaupt anzusehen) gegenmich an, dabei ununterbrochen miteiner anderen Trutsche im Fahrwasserquasselnd. Sie watschelt, wie esgewöhnlich für ihresgleichen ist, wölbtunnötigerweise ihren Busen gegen meineBrust, tritt mir beinahe auf die Füße,obschon auf der anderen Seite genügendPlatz für drei ihrer Sorte wäre. Die dummealte Tante, die doch zu jung ist, den Kriegnoch erlebt zu haben, knallt eine Tascheauf die Ablage neben mir. Das ist der Grund,warum sie gerade hier in die hinterste Eckestapft? Jetzt verstehe ich ihre Zielstrebigkeit,gerade mich anzurempeln. Wie konnte ichmissverstehen, es ist die bessere Seite vomRaum. Klug sein kann sie! Ich denke nunselbst rüberzugehen, mir ist es gleich; dochsie verstopft denFluchtweg, blubbertBildzeitungsweißheiten.Ich spüre (angewidert)den Atem imGesicht.Ihre Brille ist vomSprühnebel beschlagen.Unentwegterklärt sie derkompakten Freundinim selben Alterlängsseits, wie irgendwas sich gehöre. Siehat mich übersehen wie die abgestelltenBierflaschen, die auch noch stapelweise stinken.Draußen regnet es jetzt Blasen, Regenist nun immer Unwetter.Es muss sein. Ich stoße die Blöde beinahegrob weg, bahne mir den Weg mit meinemBeutel und den Bratwürsten; ich muss hierraus! Blasen in den Pfützen, so klatscht esrunter.Es schüttet?Regen ist kein Wort dafür, was ich gerneintausche gegen die.Natürlich habe ich auch damals, als ich mitder Schule fertig wurde, selbst Verantwortungübernommen. Illustration studieren,eine Jolle kaufen und Regatten segeln, daswollte ich und habe es gemacht. Ichbegann mit dem Rauchen, gab es nachJahren wieder auf. Ich suchte Partner,fand Auftraggeber und illustrierte jahrelangZeitschriften, Bücher, zahlreicheGuides, nicht nur für Radfahrer. Ichheiratete, und dazu gehören zwei; aberdas ist eine Entscheidung, ja zu sagen.Jeder trifft Entscheidungen. Heuteaber würde ich sagen, sind Emotionenund Ratio bei mir viel näher beieinander.Äußeres beeinflusst das, aber ohnemich fremdzusteuern.Was ich meine ist, dass es in meinem Lebenzu lange dauerte, als Erwachsener bewusstzu handeln. Ich stolperte nicht in meine Ehe,ich rauchte nicht, ohne das damals dochwirklich zu mögen, und ich habe mit vielInteresse studiert und illustriert. Ich möchteaber etwas anderes sagen. Schwierig ist es,sich genau auszudrücken. Selbstbewusstsein,so wie ich es inzwischen verstehe, bedeutetgesundes Verhalten. Damit beginnt dieÜberlegung, dem Wort „gesund“ noch eineDefinition voranzustellen. Die bekanntenErnährungstipps oder Hinweise, Sport zutreiben, möchte ich gerade nicht aufzählen.Ich meine beinahe das Gegenteil der gutenRatschläge zur Gesundheit, schreibe überGefühle und möchte doch nicht die Psychevom Rumpf abtrennen. Das ist nicht typisch,so zu argumentieren.Viele verhalten sich gewöhnlich, normal.Sie arbeiten, leben in Beziehungen, sinderkennbar wenig selbstbewusst, laufen nurmit. Die Gesellschaft nutzt sie, und dieseMenschen existieren, weil die Zivilisation,die modernen Techniken und soziale Sicherungssystemeden Rahmen dafür schaffen.Integrierte ohne Profil nutzen die Umgebungauch, durchaus, aber wenig individualisiertsind sie anfällig für eine unbewussteSehnsucht, es würdeihnen etwas fehlen.Die Perspektive wäre,sich noch loszulösen,etwas aus dem Lebenzu machen, was ganzPersönliches. Daskann schiefgehen.Auch die andere, bereitseingeschlageneRichtung beinhaltetdie Gefahr, existentiellzu scheitern, ohnesich je zu Besonderemaufzuraffen. Das kann genauso heißen,gesundheitlich zu kollabieren, weil geradedas Mitlaufen bedeuten kann, ungesundabzubiegen. Käme es schlimmer, würdendiese Menschen als Bausteine unserer Gemeinschaftnun eher zum Ballast. Nur Ärzte,Arbeitsvermittler und soziale Einrichtungen,mit Reintegration beauftragte Helfer könnteneinen Rest von gesellschaftlichem Nutzenaus ihnen ziehen. Es würde noch Geldan ihnen verdient, weil sie hilfsbedürftigexistieren, und das, inklusive der Perspektivevon Besserung, gibt den Individuen einenSinn und der Gesellschaft ein Motiv für diebekannten Strukturen.Das muss nicht abwertend sein, eine defekteUhr ist noch eine. Wer nichts leistet, kannlernen, sich zunächst als Mensch ohne sonstwas zu akzeptieren. Die anderen bewertenuns danach, worin wir ihnen nützlich sind,Aug 17, 2021 - Wo ist Goethe jetzt? 88 [Seite 84 bis 94 ]

ihnen etwas geben können, sie erheitern.Es wird erwartet, wir möchten etwas bieten,verkaufen, helfen? Es ist möglich, dassFremde aus manch andrem Grund gernein unserer Gesellschaft bleiben, aber wasbedeutet das uns? Was haben wir individuellder Welt draußen anzubieten, womit auchwir zufrieden sind?# People who need people, are the luckiestpeopleBarbra Streisand hat das gesungen. UnserFortschritt bedeutet, keiner möge aus demfahrenden Boot stürzen, und verglichen mitfrüheren Zeiten, ist es besser geworden.Deswegen erlischt aber nicht das Bedürfniseinzelner, mehraus dem eigenenLeben zu machenals normal oder(sogar) nur unterZuhilfenahmevon Beraternund Therapeutenmitzulaufen. Dasgelingt nichtallen Begabten,und mancheerreichen mitFindigkeit und hartnäckigem Lernen, Fleißschließlich besser, was Talentierte könnten.Da sind nicht wenige, die ihnen das vonder Natur wie geschenkt überantworteteKapital dem Lob nachlaufend verpulvern.Zu scheitern droht denen, die blindlingsGroßes wollen. Ich habe das selbst erfahrenund möchte mich nicht exponieren, besserzu sein. Nur ein selbstbewusster Menschist in der Lage, im chaotischen Drumherumdie Ordnung für seine gesunde Existenz zuerkennen. Das war schon so, als wir in dergrauen Vorzeit der Wildnis für uns sorgenmussten. Die Gesundheit, eine gewöhnlicheKrankheit zu überstehen, ist nicht gemeint,wenn von Selbstbewusstsein die Redeist, sondern die gesunde Fähigkeit, sichzurechtzufinden. Eine solide Haltung denunausweichlichen Problemen gegenüber zuhaben, ist weniger normal als es sein könnte.Wir nehmen einige mit, die besser für sichsorgen könnten – und so war mein Leben.Ich habe schon oft Hilfe angenommen undbin dankbar für vieles.Ich habe spät gelernt, andererseits Unterstützungdennoch abzulehnen, weil icherkennen musste, dass man mich für den eigenenLustgewinn vereinnahmen will – undkann heute Menschenganz entschieden zurückweisen.Je nachdem.# FehmarnEs war vor fünf Jahren.Ich verbrachte denSommer auf der Insel,und wir wussten, meineMutter würde in wenigenMonaten sterben. Dann,vor vier Jahren machten wir Urlaub hier imAugust. Und das war direkt anschließendder furchtbaren Monate bis zum Tod (derStreit um das Erbe begann, noch bevor wiruns zum Leichenschmaus setzten), nachdemmein Vater beerdigt wurde. Ja, wir warenschon vor den schwierigen Jahren hier.Anfangs genossen wir den „Urlaub auf demBauernhof“ in Gammendorf.Wir wurden vertraut mit der Insel, einigenDörfern, Landkirchen, Nord- und Südstrand,schließlich Burgstaaken mit dem Hafen imSüden, dem Adventure-Golf drinnen in derHalle hinter der Werft, draußen in Meeschendorfund natürlich Burg, dem buntenStädtchen, das Zentrum, das doch nicht inder Mitte ist. Puttgarden, die Fähre nachDänemark war anfangs das Einzige, was wirmitbekamen, als diese schöne Insel von unsachtlos überfahren wurde. Das ist heuteanders. Ich kenne einige Leute ein wenig.Ich fahre mit dem geliehenen Rad, kaufedie Brötchen beim Bäcker, lese montagsdas Fehmarnsche Tageblatt, weil an diesemWochentag die „Lübecker“ pausiert. DieBildzeitung täglich. Kabul ist gefallen, welcheZeitung könnte drastischer sagen, wasunsere Regierung vertorfte?Schmerzen und Tod.Weiter mit Fehmarn, ich bin einen ganzenSommer lang gehumpelt, weil mein Knöchelschmerzte. Ich ging damit nicht zum Arzt.Nach gut einem Jahr geduldigem Zuwartens,hat es doch aufgehört wehzutun. In einemfolgenden Sommer machte ich Urlaub hier,mit der besten Ehefrau von allen und wusste,dass rechts mein Meniskus großflächigdegeneriert ist. Anfangs hatte es kurz sehrweh getan. Dann wurde es von selbst ganzallmählich besser. Das war vor zwei Jahren.Ich war vorsichtig. Ich habe nichts unternommen,obwohl mir zur Operation geratenwird. Es tut nicht mehr weh. BestimmteDinge lasse ich, laufe nicht mehr Schlittschuhund jogge nie. Fahrradfahren istgelegentlich unklug. Beim Segeln trage icheine Bandage.Das Alter verändert einiges. Seit einem Jahrsind das Trinken von Alkohol und reichlicheMahlzeiten, besondersabends vor demSchlafengehen, unangenehm.Das ist auch einFehmarnproblem; imUrlaub möchte ich gernins Restaurant. Der Arzt,zu dem ich im Frühjahrging (weil meiner Rentnerist), überwies mich zur Spiegelung unddeutete die Möglichkeit an, es könne (sogar)Magenkrebs sein.„Er wolle das abklären“, meinte derFachmann, und benötige dazu einBlutbild die kommende Woche. Ichsagte den Termin ab und ließ auchdie Magenspiegelung nicht machen.Die Überweisung für das Quartal istverfallen. Sodbrennen und Völlegefühlhaben sich langsam, aber kontinuierlichgebessert. Vermutlich, weil esmir schwer fällt, mein Essverhalten zuändern. Ich habe sehr lange wenig oderkeinen Alkohol getrunken, und das findeich schwierig.Jetzt sind wir auf der Insel. Wir stehenwieder bei Barnacle in der Schlange undessen fett Eis. Ich trank schon Jever und aßRumpsteak in der Stadt. Ich habe mich gernnach „der Pilotin“ erkundigt. Alles wie immer.Nicole ginge es gut, das Kind beschäftigesie, meinte der sympathische Ober mitHosenträgern, der immer dort ist. Ich habeüppig Schlagsahnestreusel bei Pilar amU-Boot vertilgt. Ich trinke Kaffee wie sonst.Genauso fein, Georgia hat mir einen Grappaangeboten, den ich gern getrunken habe.Der erste Schnaps seit Oktober, und ichhabe gut geschlafen. Wir essen und trinkenabends am Hafen. Ich hatte anderntags mittagszwei Becks in der „Haifischbar“, währendich (heimlich wie immer, ohne zu fragen) dieLeute zeichnete.Die Sonne schien, und die „Jeanny“ wurdeerwartet.Und abends hat das Kornmehl die Gäste im„Zum goldenen Anker“ gülden eingestaubt,dass es eine Freude war, lieber in BilliesBistro hinüber zu radeln und sich über dieunkundigen Touristen zu amüsieren. EinKümo kriegt das Korn. Magischer Glitterstaubt rund um die zaubrische, blaue Jeanny?Hustensymtome muss ich ja nicht haben.Es geht uns gut, und ich gehe doch nichtzum Arzt.# Der Sohn von Tom Hanks sei wegenCorona ausgerastet, und der nehme ja auchDrogen lese ich im Netz. Einen Shitstormhabe er bekommen. „Wenn es nicht kaputtist, dann repariere es auch nicht!“, hätte erin die Kamera geschrien. (t-online,11.08.2021).Das Recht und die Möglichkeit,eine vermeintlich asozialeEntscheidung zu treffen, gegendie der eigenen Person gerateneGesundheitsempfehlungzu konsumieren, gibt manchenMenschen das Gefühl von Freiheit. Trotz derempörten Haltung vieler, gibt es noch immerMenschen, die rauchen, Alkohol trinken oderein Motorrad ohne Seitenairbag fahren.Es gibt Bergsteiger, und Rettungseinsätzekosten unser aller Geld, wenn diese in Notgeraten. Menschen machen keinen Sport,sind fett, und das kostet! Es gibt Sexismus.Menschen weigern sich, zu gendern. Zu vieleIdioten (Billie sagt das) lassen sich nichtgegen das Coronavirus impfen. Die Umweltzielewerden weiter von bösen Konzernenmissachtet. Die Politik versagt. Wir sind nochnicht klimaneutral u. v. m. stört.Die Gastronomen klagen, aber finanziellläuft es ganz gut an der Ostsee. Die Touristenseien so pervertiert. Sie wollten allessofort. „Penetrant fordernd, seien die Gästegeworden“, das höre ich an verschiedenenStellen. Stimmt: Ich erlebe bei Börke dasselbe,wie zu Hause bei Allwörden. Beim Bäckerist man ungeduldig, drängelt – auch zurUrlaubszeit. Es wird blöde vor dem Ladensich behindernd ein- und ausgeparkt. EinmalAug 17, 2021 - Wo ist Goethe jetzt? 89 [Seite 84 bis 94 ]

ihnen etwas geben können, sie erheitern.

Es wird erwartet, wir möchten etwas bieten,

verkaufen, helfen? Es ist möglich, dass

Fremde aus manch andrem Grund gerne

in unserer Gesellschaft bleiben, aber was

bedeutet das uns? Was haben wir individuell

der Welt draußen anzubieten, womit auch

wir zufrieden sind?

# People who need people, are the luckiest

people

Barbra Streisand hat das gesungen. Unser

Fortschritt bedeutet, keiner möge aus dem

fahrenden Boot stürzen, und verglichen mit

früheren Zeiten, ist es besser geworden.

Deswegen erlischt aber nicht das Bedürfnis

einzelner, mehr

aus dem eigenen

Leben zu machen

als normal oder

(sogar) nur unter

Zuhilfenahme

von Beratern

und Therapeuten

mitzulaufen. Das

gelingt nicht

allen Begabten,

und manche

erreichen mit

Findigkeit und hartnäckigem Lernen, Fleiß

schließlich besser, was Talentierte könnten.

Da sind nicht wenige, die ihnen das von

der Natur wie geschenkt überantwortete

Kapital dem Lob nachlaufend verpulvern.

Zu scheitern droht denen, die blindlings

Großes wollen. Ich habe das selbst erfahren

und möchte mich nicht exponieren, besser

zu sein. Nur ein selbstbewusster Mensch

ist in der Lage, im chaotischen Drumherum

die Ordnung für seine gesunde Existenz zu

erkennen. Das war schon so, als wir in der

grauen Vorzeit der Wildnis für uns sorgen

mussten. Die Gesundheit, eine gewöhnliche

Krankheit zu überstehen, ist nicht gemeint,

wenn von Selbstbewusstsein die Rede

ist, sondern die gesunde Fähigkeit, sich

zurechtzufinden. Eine solide Haltung den

unausweichlichen Problemen gegenüber zu

haben, ist weniger normal als es sein könnte.

Wir nehmen einige mit, die besser für sich

sorgen könnten – und so war mein Leben.

Ich habe schon oft Hilfe angenommen und

bin dankbar für vieles.

Ich habe spät gelernt, andererseits Unterstützung

dennoch abzulehnen, weil ich

erkennen musste, dass man mich für den eigenen

Lustgewinn vereinnahmen will – und

kann heute Menschen

ganz entschieden zurückweisen.

Je nachdem.

# Fehmarn

Es war vor fünf Jahren.

Ich verbrachte den

Sommer auf der Insel,

und wir wussten, meine

Mutter würde in wenigen

Monaten sterben. Dann,

vor vier Jahren machten wir Urlaub hier im

August. Und das war direkt anschließend

der furchtbaren Monate bis zum Tod (der

Streit um das Erbe begann, noch bevor wir

uns zum Leichenschmaus setzten), nachdem

mein Vater beerdigt wurde. Ja, wir waren

schon vor den schwierigen Jahren hier.

Anfangs genossen wir den „Urlaub auf dem

Bauernhof“ in Gammendorf.

Wir wurden vertraut mit der Insel, einigen

Dörfern, Landkirchen, Nord- und Südstrand,

schließlich Burgstaaken mit dem Hafen im

Süden, dem Adventure-Golf drinnen in der

Halle hinter der Werft, draußen in Meeschendorf

und natürlich Burg, dem bunten

Städtchen, das Zentrum, das doch nicht in

der Mitte ist. Puttgarden, die Fähre nach

Dänemark war anfangs das Einzige, was wir

mitbekamen, als diese schöne Insel von uns

achtlos überfahren wurde. Das ist heute

anders. Ich kenne einige Leute ein wenig.

Ich fahre mit dem geliehenen Rad, kaufe

die Brötchen beim Bäcker, lese montags

das Fehmarnsche Tageblatt, weil an diesem

Wochentag die „Lübecker“ pausiert. Die

Bildzeitung täglich. Kabul ist gefallen, welche

Zeitung könnte drastischer sagen, was

unsere Regierung vertorfte?

Schmerzen und Tod.

Weiter mit Fehmarn, ich bin einen ganzen

Sommer lang gehumpelt, weil mein Knöchel

schmerzte. Ich ging damit nicht zum Arzt.

Nach gut einem Jahr geduldigem Zuwartens,

hat es doch aufgehört wehzutun. In einem

folgenden Sommer machte ich Urlaub hier,

mit der besten Ehefrau von allen und wusste,

dass rechts mein Meniskus großflächig

degeneriert ist. Anfangs hatte es kurz sehr

weh getan. Dann wurde es von selbst ganz

allmählich besser. Das war vor zwei Jahren.

Ich war vorsichtig. Ich habe nichts unternommen,

obwohl mir zur Operation geraten

wird. Es tut nicht mehr weh. Bestimmte

Dinge lasse ich, laufe nicht mehr Schlittschuh

und jogge nie. Fahrradfahren ist

gelegentlich unklug. Beim Segeln trage ich

eine Bandage.

Das Alter verändert einiges. Seit einem Jahr

sind das Trinken von Alkohol und reichliche

Mahlzeiten, besonders

abends vor dem

Schlafengehen, unangenehm.

Das ist auch ein

Fehmarnproblem; im

Urlaub möchte ich gern

ins Restaurant. Der Arzt,

zu dem ich im Frühjahr

ging (weil meiner Rentner

ist), überwies mich zur Spiegelung und

deutete die Möglichkeit an, es könne (sogar)

Magenkrebs sein.

„Er wolle das abklären“, meinte der

Fachmann, und benötige dazu ein

Blutbild die kommende Woche. Ich

sagte den Termin ab und ließ auch

die Magenspiegelung nicht machen.

Die Überweisung für das Quartal ist

verfallen. Sodbrennen und Völlegefühl

haben sich langsam, aber kontinuierlich

gebessert. Vermutlich, weil es

mir schwer fällt, mein Essverhalten zu

ändern. Ich habe sehr lange wenig oder

keinen Alkohol getrunken, und das finde

ich schwierig.

Jetzt sind wir auf der Insel. Wir stehen

wieder bei Barnacle in der Schlange und

essen fett Eis. Ich trank schon Jever und aß

Rumpsteak in der Stadt. Ich habe mich gern

nach „der Pilotin“ erkundigt. Alles wie immer.

Nicole ginge es gut, das Kind beschäftige

sie, meinte der sympathische Ober mit

Hosenträgern, der immer dort ist. Ich habe

üppig Schlagsahnestreusel bei Pilar am

U-Boot vertilgt. Ich trinke Kaffee wie sonst.

Genauso fein, Georgia hat mir einen Grappa

angeboten, den ich gern getrunken habe.

Der erste Schnaps seit Oktober, und ich

habe gut geschlafen. Wir essen und trinken

abends am Hafen. Ich hatte anderntags mittags

zwei Becks in der „Haifischbar“, während

ich (heimlich wie immer, ohne zu fragen) die

Leute zeichnete.

Die Sonne schien, und die „Jeanny“ wurde

erwartet.

Und abends hat das Kornmehl die Gäste im

„Zum goldenen Anker“ gülden eingestaubt,

dass es eine Freude war, lieber in Billies

Bistro hinüber zu radeln und sich über die

unkundigen Touristen zu amüsieren. Ein

Kümo kriegt das Korn. Magischer Glitter

staubt rund um die zaubrische, blaue Jeanny?

Hustensymtome muss ich ja nicht haben.

Es geht uns gut, und ich gehe doch nicht

zum Arzt.

# Der Sohn von Tom Hanks sei wegen

Corona ausgerastet, und der nehme ja auch

Drogen lese ich im Netz. Einen Shitstorm

habe er bekommen. „Wenn es nicht kaputt

ist, dann repariere es auch nicht!“, hätte er

in die Kamera geschrien. (t-online,

11.08.2021).

Das Recht und die Möglichkeit,

eine vermeintlich asoziale

Entscheidung zu treffen, gegen

die der eigenen Person geratene

Gesundheitsempfehlung

zu konsumieren, gibt manchen

Menschen das Gefühl von Freiheit. Trotz der

empörten Haltung vieler, gibt es noch immer

Menschen, die rauchen, Alkohol trinken oder

ein Motorrad ohne Seitenairbag fahren.

Es gibt Bergsteiger, und Rettungseinsätze

kosten unser aller Geld, wenn diese in Not

geraten. Menschen machen keinen Sport,

sind fett, und das kostet! Es gibt Sexismus.

Menschen weigern sich, zu gendern. Zu viele

Idioten (Billie sagt das) lassen sich nicht

gegen das Coronavirus impfen. Die Umweltziele

werden weiter von bösen Konzernen

missachtet. Die Politik versagt. Wir sind noch

nicht klimaneutral u. v. m. stört.

Die Gastronomen klagen, aber finanziell

läuft es ganz gut an der Ostsee. Die Touristen

seien so pervertiert. Sie wollten alles

sofort. „Penetrant fordernd, seien die Gäste

geworden“, das höre ich an verschiedenen

Stellen. Stimmt: Ich erlebe bei Börke dasselbe,

wie zu Hause bei Allwörden. Beim Bäcker

ist man ungeduldig, drängelt – auch zur

Urlaubszeit. Es wird blöde vor dem Laden

sich behindernd ein- und ausgeparkt. Einmal

Aug 17, 2021 - Wo ist Goethe jetzt? 89 [Seite 84 bis 94 ]

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