Blogtexte2021_1_12
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Gegend, die Teil meiner Skizze sein konnte.
Deswegen habe ich alles wie eine Störung
meiner Konzentration empfunden. Das hat
mich kaum interessiert. Später kam die
Polizei. Ich sah nie etwas, aber ein Beamter
schien zu fragen: „Wie geht es Ihnen jetzt?“
Einmal angenommen, zeitgleich hätte es
einen Zwischenfall vor dem italienischen
Restaurant gegeben. „Aaahrg!“, hätte ein
Passant geschrien und wäre wie getroffen
zu Boden gesackt. Mit letzter Kraft, wie von
einem Projektil abgeschossen, hätte der
Arme ausgestoßen: „Jetzt habe ich mich
mit Corona infiziert.“ Eine Frau könnte
gestöhnt haben, während sie die Hände vor
das Gesicht schlug: „Oh Gott! Wieder einer,
nochmal.“ Das hätte ich kaum mitbekommen.
Unwahrscheinlich, dass zur gleichen Zeit,
während ich zeichnete, beides geschah – jemand
crasht seinen Bulli, und ein Fehmaraner
infiziert sich mit Covid – ist es nicht.
Viele werden weder den Verkehrsunfall,
noch die arme Sau, die sich ansteckte bemerkt
haben. Unspektakulär und unsichtbar
ist dieses Virus. Selten macht es schwer
krank, aber einige sterben, und manche
leiden noch lange. Das kann nicht ernsthaft
bestritten werden. Da ist kein Grund, an eine
Verschwörung zu glauben. Wir bemerken
einiges nicht, und doch geschieht es. Auch
dass ich zeichnete, wurde von niemandem
registriert, und diesen Text, versteckt im
weltweiten Netz, liest gar niemand auf der
Welt.
# Das ist meine Realität, und ich lebe ganz
gut damit
Ich lasse mich nicht impfen, aus purem Trotz
gegen diese Gesellschaft, die mir herzlich
zuwider ist – aber wenn ein Test zu bezahlen
ist, habe ich damit kein Problem oder lasse
es eben, die entsprechende Veranstaltung
zu besuchen.
Ich kann die
Abläufe, die
unser System
modern verändern,
prima
nachvollziehen.
Ich ändere
mich nun auch.
Meine Anpassung
an die
unaufhaltsame
Sozialisierung
ist kreativ und
individuell. Ich
verschwöre
mich nicht,
schon gar nicht kollektiv. Ich bleibe für
mich zu Hause. Friseur? Ich kann mein Haar
lang wachsen lassen. Restaurant? Ich koche
selbst sehr gern. Geselligkeit? Ich kann mich
gut allein beschäftigen.
Weiter mit Edeka. Dieses vertrocknete
Schrapnell mit Rentnerschnauze ist
anders: Ohne Not, mir in diesem Kabuff
auf die Pelle rücken zu müssen, das
durchaus noch einige Plätze bietet,
steuert sie bis auf Zentimeter (ohne
mich überhaupt anzusehen) gegen
mich an, dabei ununterbrochen mit
einer anderen Trutsche im Fahrwasser
quasselnd. Sie watschelt, wie es
gewöhnlich für ihresgleichen ist, wölbt
unnötigerweise ihren Busen gegen meine
Brust, tritt mir beinahe auf die Füße,
obschon auf der anderen Seite genügend
Platz für drei ihrer Sorte wäre. Die dumme
alte Tante, die doch zu jung ist, den Krieg
noch erlebt zu haben, knallt eine Tasche
auf die Ablage neben mir. Das ist der Grund,
warum sie gerade hier in die hinterste Ecke
stapft? Jetzt verstehe ich ihre Zielstrebigkeit,
gerade mich anzurempeln. Wie konnte ich
missverstehen, es ist die bessere Seite vom
Raum. Klug sein kann sie! Ich denke nun
selbst rüberzugehen, mir ist es gleich; doch
sie verstopft den
Fluchtweg, blubbert
Bildzeitungsweißheiten.
Ich spüre (angewidert)
den Atem im
Gesicht.
Ihre Brille ist vom
Sprühnebel beschlagen.
Unentwegt
erklärt sie der
kompakten Freundin
im selben Alter
längsseits, wie irgendwas sich gehöre. Sie
hat mich übersehen wie die abgestellten
Bierflaschen, die auch noch stapelweise stinken.
Draußen regnet es jetzt Blasen, Regen
ist nun immer Unwetter.
Es muss sein. Ich stoße die Blöde beinahe
grob weg, bahne mir den Weg mit meinem
Beutel und den Bratwürsten; ich muss hier
raus! Blasen in den Pfützen, so klatscht es
runter.
Es schüttet?
Regen ist kein Wort dafür, was ich gern
eintausche gegen die.
Natürlich habe ich auch damals, als ich mit
der Schule fertig wurde, selbst Verantwortung
übernommen. Illustration studieren,
eine Jolle kaufen und Regatten segeln, das
wollte ich und habe es gemacht. Ich
begann mit dem Rauchen, gab es nach
Jahren wieder auf. Ich suchte Partner,
fand Auftraggeber und illustrierte jahrelang
Zeitschriften, Bücher, zahlreiche
Guides, nicht nur für Radfahrer. Ich
heiratete, und dazu gehören zwei; aber
das ist eine Entscheidung, ja zu sagen.
Jeder trifft Entscheidungen. Heute
aber würde ich sagen, sind Emotionen
und Ratio bei mir viel näher beieinander.
Äußeres beeinflusst das, aber ohne
mich fremdzusteuern.
Was ich meine ist, dass es in meinem Leben
zu lange dauerte, als Erwachsener bewusst
zu handeln. Ich stolperte nicht in meine Ehe,
ich rauchte nicht, ohne das damals doch
wirklich zu mögen, und ich habe mit viel
Interesse studiert und illustriert. Ich möchte
aber etwas anderes sagen. Schwierig ist es,
sich genau auszudrücken. Selbstbewusstsein,
so wie ich es inzwischen verstehe, bedeutet
gesundes Verhalten. Damit beginnt die
Überlegung, dem Wort „gesund“ noch eine
Definition voranzustellen. Die bekannten
Ernährungstipps oder Hinweise, Sport zu
treiben, möchte ich gerade nicht aufzählen.
Ich meine beinahe das Gegenteil der guten
Ratschläge zur Gesundheit, schreibe über
Gefühle und möchte doch nicht die Psyche
vom Rumpf abtrennen. Das ist nicht typisch,
so zu argumentieren.
Viele verhalten sich gewöhnlich, normal.
Sie arbeiten, leben in Beziehungen, sind
erkennbar wenig selbstbewusst, laufen nur
mit. Die Gesellschaft nutzt sie, und diese
Menschen existieren, weil die Zivilisation,
die modernen Techniken und soziale Sicherungssysteme
den Rahmen dafür schaffen.
Integrierte ohne Profil nutzen die Umgebung
auch, durchaus, aber wenig individualisiert
sind sie anfällig für eine unbewusste
Sehnsucht, es würde
ihnen etwas fehlen.
Die Perspektive wäre,
sich noch loszulösen,
etwas aus dem Leben
zu machen, was ganz
Persönliches. Das
kann schiefgehen.
Auch die andere, bereits
eingeschlagene
Richtung beinhaltet
die Gefahr, existentiell
zu scheitern, ohne
sich je zu Besonderem
aufzuraffen. Das kann genauso heißen,
gesundheitlich zu kollabieren, weil gerade
das Mitlaufen bedeuten kann, ungesund
abzubiegen. Käme es schlimmer, würden
diese Menschen als Bausteine unserer Gemeinschaft
nun eher zum Ballast. Nur Ärzte,
Arbeitsvermittler und soziale Einrichtungen,
mit Reintegration beauftragte Helfer könnten
einen Rest von gesellschaftlichem Nutzen
aus ihnen ziehen. Es würde noch Geld
an ihnen verdient, weil sie hilfsbedürftig
existieren, und das, inklusive der Perspektive
von Besserung, gibt den Individuen einen
Sinn und der Gesellschaft ein Motiv für die
bekannten Strukturen.
Das muss nicht abwertend sein, eine defekte
Uhr ist noch eine. Wer nichts leistet, kann
lernen, sich zunächst als Mensch ohne sonst
was zu akzeptieren. Die anderen bewerten
uns danach, worin wir ihnen nützlich sind,
Aug 17, 2021 - Wo ist Goethe jetzt? 88 [Seite 84 bis 94 ]