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langjähriger Erfahrung der Menschheit, die

sich erinnern kann, zu begreifen. Corona ist

ein kollektives Problem, aber nur ein überschaubares

Risiko für den Einzelnen. Die

Pandemie bedroht die Systeme insgesamt

in einem nie gekannten Ausmaß. Aber den

einzelnen Menschen nur dann, wenn er

davon direkt betroffen ist und sich ansteckt.

Bei derzeit achttausend Neuinfektionen in

einem Land mit achtzig Millionen, hieße das,

einer von zehntausend wird mir gefährlich

pro Tag. Dazu kommt die Unwahrscheinlichkeit,

sich direkt in dessen Aerosole hineinzubegeben.

Und dann kann es noch einen

milden Verlauf bedeuten, symtomfrei sogar,

wenn man diese Krankheit wie nebenbei

bekommt. Da kann kein Drosten eine sichere

Vorhersage machen. „Wer sich nicht impfen

lässt, wird sich

infizieren“, sagt

dieser Virologe.

Bei einer Impfquote

von gut der

Hälfte der Bevölkerung

dauert es

ein ganzes Jahr, bis

jeder verbleibende

Dussel Corona

gehabt hat, wenn sich (…) pro Tag infizieren.

Ich habe mich das gefragt, denn der Chefmahner

spricht vom heißen Herbst, den wir

bekämen. Ich mag falsch liegen. Zu rechnen

ist nicht meine Stärke. Ich denke für uns so:

Etwa zweiunddreißig Millionen Deutsche,

die Ungeimpften, müssten sich mit circa

einhunderttausend Infizierten an der Zahl

(täglich) anstecken, um nach knapp einem

Jahr deutschlandweit damit durch zu sein.

Als Vergleich mag die Not im Iran, einem

Land, der Zahl nach in vergleichbarer Größe

dienen. Eine Meldung der Tagesschau vom

Anfang des Monats macht deutlich, dass

bereits bei knapp der Hälfte täglicher Infektionen

davon, der Staat und seine Einwohner

an ihre Belastungsgrenze kommen.

# Fast 40.000 Neuinfektionen im Iran. Noch

nie seit Beginn der Pandemie war die Zahl

der Neuinfektionen und der Corona-Toten

im Iran so hoch. Die Delta-Variante bringt

Krankenhäuser an Kapazitätsgrenzen. Die

Impfkampagne kommt nur schleppend

voran. (Tagesschau, 08.08.2021).

Über zwei Millionen Verkehrsunfälle nimmt

die Polizei pro Jahr in Deutschland auf. In

diesem Winter werden wir zwei Jahre mit

der Pandemie gelebt haben. Dann sind

etwa vier Millionen von uns damit als

infiziert in der Statistik geführt. Eine gute

Vergleichszahl, um für sich selbst das Risiko

einzuschätzen. Man

kann sich fragen,

wann der letzte

Unfall mit einem

Fahrzeug irgendwo

mit den eigenen

Augen beobachtet

wurde, ob man

selbst daran beteiligt

war und wie

viele Personen im

Bekanntenkreis mit

Covid infiziert sind

und wie schwer?

Die breite Bevölkerungsmehrheit

in Deutschland ist durch

Corona nicht in Angst und Schrecken zu

versetzen, wohl aber dadurch, dass ihnen soziale

Nachteile entstehen. Sie möchten das

gewohnte Leben

führen, deswegen

gibt es die Bereitschaft,

dem Staat zu

folgen, der das Impfen

anmahnt. Die

lebensbedrohlichen

Umstände auf den

Intensivstationen

beherrschen nun

kein Medienportal

mehr.

Ärzte werden noch immer gezeigt, und es

wird weiter gewarnt. Patienten und Angehörige

klagen aber nicht mehr, wie anfangs in

der Pandemie. Weder aus Indien oder sonst

wo im Ausland, noch bei uns. Betroffene

tauchen selbst in den Nachrichten gar nicht

auf. Eine Drohkullisse der Fachleute steht,

denn der Herbst stünde vor der Tür: „Die

Menschen im Krankenhaus und auf den

Intensivstationen würden jünger und seien

ungeimpft“, mahnt ein Arzt. Aber ein junger

Patient oder Angehörige, Freunde, die uns

glaubwürdig versichern könnten, wie furchtbar

dieser Schock für ihre Familie wäre,

erscheinen gerade nicht vor der Kamera.

Klammer auf: (Das Tal der Aussätzigen.

„Ben Hur“, daran denke ich oder „die

Schwulenseuche“, eine nicht mehr erlaubte

Bezeichnung für die HIV-Erkrankung aus den

Achtzigern. Schon immer fürchteten sich

Menschen vor dem qualvollen Tod, und nicht

weniger davor, mit der Schuld bezichtigt zu

werden, andere mit der Übertragung ihrer

Krankheitserreger zu gefährden.

Covid?

Natürlich haben sich die Bewohner der

Altenheime gern durchgeimpft. Die Alten zu

Hause haben sich geradezu überschlagen,

schimpften ganzseitig in der Bild, auf die

Unfähigen, die alles verkehrt organisiert

hätten, die nicht funktionierende Hotline.

Opa und Oma regten sich über diejenigen

auf, die ihnen mittels digitaler Windhundsoftware

zuvorgekommen waren, wollten als

erste einen Termin im Impfzentrum bekommen.

Inzwischen sind in unserem Land die

allermeisten Senioren vollständig geimpft.

Das hat die Lage merklich entspannt.

Die Senioren werden aber weiter sterben,

wenn nicht an dem neuartigen Virus, dann

eben an anderem. Und die Gesellschaft hat

damit ein Problem, dass überhaupt Alte

in nie dagewesener Zahl versorgt werden

– müssen. Es kommt ab meinem Alter, ich

nähere mich bereits der Sechzig an, das

Bewusstsein auf, selbst von der „Krankheit“

zu altern bedroht zu sein. Ich sehe mit

Schrecken die vielen „Betroffenen“, die mit

einem Rollator unterwegs sind. Nicht wenige

kenne ich, die noch vor einigen Jahren agil

herumspazierten und ihr Rentnerleben

genossen haben. Ich war in den letzten Jahren

oft im Altersheim, im Hospiz, als meine

Eltern erkrankten, gepflegt werden mussten

und schließlich starben. Das kam nicht in

der Tagesschau. Obwohl ich nicht mehr vor

Ort bin und einen Bogen um diese Einrichtungen

mache wie früher, als ich jung war,

wird dort weiter gelitten. Ich weiß das und

erinnere mich jeden Tag mit ganz eigenen

Bildern daran.

Das Sterben der durch

das Rauchen am Lungenkrebs

erkrankten Menschen

wird nicht gefilmt.

Die letzten Tage eines

Aidskranken zeigen die

Nachrichten nicht. Nicht

wenige beschuldigen

Homosexuelle bis heute

dafür, welche zu sein,

weil sie sich selbst vor

gleichgeschlechtlichem

Sex ekeln würden, und weil es ihnen gefällt,

sich über andere zu erheben. Raucher werden,

besonders wenn sie an Krebs erkranken,

angefeindet. Menschen, die aufgrund von

Fettleibigkeit oder übermäßigem Alkoholgenuss

krank werden, schließlich auf einer

Intensivstation sterben, sehen wir kaum

einmal in einem Bericht.) Klammer zu.

Leicht finden sich dagegen authentische

Flutopfer.

Die reden erschüttert über ihr Unglück, und

müssen nicht herbeigeredet werden. Wir

sehen im Fernsehen die Not von Menschen,

die bei der Flutkatastrophe im Ahrtal alles

verloren haben. Da wird ein Zahnarzt in

seiner

zerstörten

Praxis

gezeigt.

Der Behandlungsstuhl

und

sämtliches

Inventar

erinnern

gerade

noch an

medizinisches Gerät, während die Helferin

und der alte Doktor resigniert aufräumen,

so weit das geht. Alles ist mit braunem

Schlamm überzogen. Er hätte vorgehabt,

sagt der Geschockte, die Rente noch zu

verschieben und einige Jahre Arbeit als der

vertraute Arzt seiner Patienten zu leisten,

daraus würde nun nichts.

Eine Frau steht auf einer wie gepflügt wirkenden

Freifläche. Hier habe bis vor ein paar

Tagen ihre Bäckerei gestanden. Das wäre

eines der Häuser gewesen, die komplett

abgerissen werden mussten, berichtet die

frustrierte Chefin einiger Mitarbeiter. Sie

zeigt uns ein Foto und hofft mit finanziellen

Hilfen auf den Neubeginn.

Die Flut kam so plötzlich! Alles verloren:

Ein Mann klopft Dachbalken vom ersten

Stock weg, soweit das aus dem Erdgeschoss

seiner ehemaligen Werkshalle eines kleinen

Handwerksbetriebes Sinn macht. Es geht

darum, herauszufinden, ob dieses Haus

bleiben kann. Unten erkennt man die eingeschlammten

Konturen zerstörter Maschinen.

Menschen entsorgen ehemals wichtiges

Arbeitsgerät in einen Container. Zerstörte

Existenzen ganz normaler Zeitgenossen wie

du und ich.

Auch die abgedeckten Häuser von Großheide,

ein umgestürztes Fahrzeug und eine

Trümmerlandschaft wohin das Auge blickt,

nach dem Tornado vor wenigen Tagen,

machen deutlich, dass es ganz normale

Menschen in furchtbarer Not gibt. Nicht zu

reden von den dramatischen Bildern und

den Berichten von jungen Frauen, Familien,

Aug 17, 2021 - Wo ist Goethe jetzt? 86 [Seite 84 bis 94 ]

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