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03.01.2022 Aufrufe

Wo ist Goethe jetztAug 17, 2021Es ist wieder August. Durchwachsen istdieser Sommer. Am Anfang war das Wort,denke ich oft abschweifend bei diesemText, wenn es auch mal um die OstseeinselFehmarn geht. Ich zeichne hier, wie jedesJahr. Ich möchte gern einige Fotos integrieren,habe bereits passendes Material parallelzur Schreibarbeit aufgenommen. Eine Arbeitist es, die kaum je Geld einbringen wird, aberkeine Spielerei rund um ein vorgedrucktesFeld darstellt, mit bunten Hütchen drauf, dienach Anleitung gezogen werdenmüssen, mit den anderen alberndam Tisch sitzend. Das zu mögen,ist für mich die Kunst! Die Naturdes Kreativen besteht darin, nichtnormal oder gewöhnlich zu handeln.Urlaub und Arbeit, geht das?Wer sich langweilt, dem ist nicht zuhelfen. Eine lange Geschichte. Dieich nicht kurz mal so hinbekomme,aufzuschreiben. „Das muss man janicht lesen“, meint die beste Lektorinvon allen in so einem Fall.Das sei warnend vorangestellt.Freak oder was? Ich bin ja nicht normal.Als Künstler gehöre ich zu den besonderenMenschen. Das ist nicht gerade was Großartiges.Ich möchte nicht überheblich wirken.Mir geht es, wie den anderen auch. Es kannaber schon sein, dass ich ungewöhnlichreagiere. Wem nützt Kunst? Darauf habeich eine Antwort: Mir tut gut, zu malen. Ichschreibe gern. Es ist nicht etwa, weil fieserÜberdruck dringend entweichen muss, einVentil, dass andere nicht haben, eine ArtSchornstein? Meine Furze entweichen normalam Hintern. Ich mochte es von Anfangan, schon als Kind, Bilder zu machen, unddie Wut über Unänderbares ist nur eines vonvielen Gefühlen, die eine Rolle spielen.Sich auf eine Weise ausdrücken können, istschon mal was. Ich bin genauso hilflos wieandere manchmal, zum Beispiel kann ichmir keine Gesundheit kaufen. Möglicherweisewürde jemand mit meiner Kunst Geldmachen? Das kann ich nicht. Ich habe auchnicht aus einem therapeutischen Grund angefangen.Mein Leben begann ganz normal,ich war so gesund wie die anderen Kinder,nur dünn. Ich hatte einen kleinen Spielkameradenin der Nachbarschaft. Das warendie Jahre, bevor ich im Kindergarten aufgewöhnliche traf, viele auf einmal (Monster).An meinen Freund musste ich mich nichtgewöhnen. Der war einfach so da, wie dasGras, der Kastanienbaum und unser Gemüse.Mit Kai spielte ich in unserem Garten, undzwar noch bevor meine Schwester geborenwurde. Wir waren so klein, dassmeine Erinnerung an diese Zeitwohl nur bleibt, weil meine Muttererzählt hat, wie besonders wirKinder redeten:„Willst du jetzt gern mal dasZementmischauto haben? Dannnehme ich den Kipper.“„Ich könnte auch das Rollerdingsfahren, was meinst du?“„Oder wollen wir wieder rote Steinemalen für Matschfarbe machen?“Es habe nie Streit gegeben, erinnertesie sich. Einmal hätten wir beide, der kleineKai und ich, voller Eifer gemeinsam und fleißigaus eigenem Antrieb alle roten Wurzelnauf einmal im ganzen Beet ausgekriegt!Aber jahreszeitlich viel zu früh. Das wärennoch ganz kleine Mohrrübchen gewesen,nicht bereit, geerntet zu werden.„Wir haben dir heute geholfen Mama undsind schon fertig. Die ganzen Wurzeln ausdem Garten haben wir für dich ausgebuddelt.Sie sind alle in dieser Wanne, sieh mal.“Dann zogdiese Familiemit meinemallererstenFreund fort,keine Ahnungwohin. Ichwar wohl erstvier Jahrealt, so langeist es her.Manche Menschen fehlen irgendwann. MeinGroßvater hatte so eine feine Ironie, die seltengeworden ist. Das tut weh: Ganz alleinWitze zu machen, die nicht mehr ziehen,schon Neunzehnhundertdreißig erkennbarlahmten. Meine Eltern fehlen. Sie sind tot.Eine liebe Freundin fehlt auch, und das istfurchtbar, weil es durch mich maßgeblich sowurde, wie es nun ist. Was andere ihr sagten,mag richtig sein. Was sie daraus machte, istso falsch, wie alles, was ich tat. Jeder für sichist auch scheiße. Ich hoffe, sie lebt. Es bleibennoch Erinnerungen und Geschichten.Bilder oder Text, ich mag es, zu erzählen.„Das hier nicht Schenefeld, ist New York“,meinte Steve gelegentlich, wenn ich inseinem Shop die Post zustellte. Eine kleineStraße, etwas nördlich vom SchenefelderPlatz. Es war eben doch nicht New York.Sein Gesicht schien auf seltsame Weise vomschummrigen Dämmerlicht im Kiosk verschluckt,wenn ich, geblendet von der Sonnedraußen, in den Laden stolperte. Beinaheunerkennbar dunkel wie gar nicht vorhandenwar da ein Loch über den Schultern?Geradenoch diehellereFlächeeinesShirtszeichnetesichvor demSammelsurium aus Zeitschriften, Zigarettenund allerlei Lebensmitteln im Hintergrundab. Das Bild für den Moment, Rembrandthätte Freude daran gehabt. Amerika ist einefarbige Person. Nur die Kontur einer anderenKultur, wenn er hinten am Tresen zugangewar. Vielleicht war das doch die Bronx? „Dumusst einem ein Bild schenken“, meinte er,wenn Zeit zum Reden blieb, „Uwe Seeleroder irgendeinem Berühmten“, er habeBeziehungen – und so mache man das ebenmit der Kunst.Meine kleine Geschichte.Als ich einmal Briefträger war und Alexandranoch ein Schulkind.# Ein Psalm Davids, vorzusingen„Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebeam äußersten Meer, so würde auch dortdeine Hand mich führen und deine Rechtemich halten.“ (Lutherbibel, Psalm 139).Ferien auf Saltkrokan,ein Buchvon Astrid Lindgren.Da habeich den Psalmgelesen, als Kind.Manchmal glaubeich, nur eine Seitevom Roman zusein. Fetzen derErinnerung undAlltag gleitenineinander, wierote Marmeladein den Joghurt. Plötzlich gerät mir irgendwieSenf da rein? Falsche Farben in der Tubeverschmieren meine Palette.Eine kleine Welt, Europa. Und Italien zwinkertmir zu. Weiß wird der Zucker oben vomTablett gereicht? Fremde Rätsel und eigenePuzzlestücke sind wie Fragmente unsererGeschichte. Eine Insel löst sich, fährt auf denAtlantik raus.Brexit.Kontinentale Verschiebungen reißen durchdie Edinburgh und unsere Herzen. DasLeben geht weiter: Dies ist mein New York!Ich habe nur ein kleines Boot und keinWohnmobil, aber Fehmarn ist auch schön imSommer.Diese Insel kann nicht davonschwimmen.Aug 17, 2021 - Wo ist Goethe jetzt? 84 [Seite 84 bis 94 ]

Eine Ferienwohnung am Rande der Welt.Und ein Flügel der Vogelfluglinie schwingtseinen schönen Bogen, geleitet uns durchluftige Baustellen mit nur dreißig Kilometernstündlich, langsam. Wir schauenentspannt auf den Sund, sehen noch dierot-weiße Tüte flattern, bis irgendwann derPfad zum modernen Hades drüben fertigausgebaggert ist und ein Charon uns in daslange Loch führt, das alle Blechdosen frisst?Warten auf dieLiebe lohntnicht. Hoffnungist nur was fürLiteraten, unddie werden vomLeben selbst (amEnde) verraten.Ein alter Mannmuss schließlichgehen.# Goethe kommtja auch nichtmehr vorbeiErzählt das Leben seine Geschichten, fütternsie kostenlos und unbeworben diesen Blog.Und einen echten „Bücherstall“, unauffällig.Leicht zu übersehen. Nicht einmal ein Geheimtippist diese Wörterkiste, abseits vomStream. Steht nur so rum. Man nähre sichgern an neuen Worten. Der graue Schrankfällt kaum auf. Halber Weg zum Hafen undkurz mal links raus abgebogen. Hier wartetein Regal und Selbstbedienungsladen, dieeigene Bücherkiste, offen für jedermann.Gib ein Buch, nimm eines. Die Box hat einSchild an der Seite: „Hier war Goethe“, stehtdort. Geht man aber nah dran, zeigt sich(verschmitzt) noch ein ganz winziges „nie“darunter.Warum, warum nur geschieht alles – ichkann es nicht begreifen, kann mir nichtbesser helfen.Das sei mal so dahingestellt.Verballhornen ist nötig. Poetrisch Schlammschlagen, urban mit der Gruppe gesketcht!Das trendige Englisch erheitert doch. Ichmag das modische Zusammenhocken nicht,will auf Beifallverzichten. Ichkann mich imAusland zurechtfinden,sprecheein wenigenglisch. Das habe ich in der Schule gelernt.Es gibt auch Anlass zu erzählen, wortreich indie Ferne zu schweifen, in verschiedeneGeschichten zu kommen. Mir fällt nocheiniges (dazu) ein. Das kann ich erzählen:Nachdem mein Versuch auf dem„Rist“ in der Altstadt von Wedel ein Abiturzu schaffen, nach nur einem Schuljahrkläglich scheiterte, begann ich aufder Ernst-Barlach-Schule neu. Schrägversetzt, von Klasse fünf nach Klassefünf. Ich habe schließlich unspektakulärim Sommer 1981 mein Zeugnis bekommen,Realschulabschluss. Befriedigendüberall, Erdkunde zwei, Kunst eins.In die letzten Schuljahre mit der „e“,wir gehörten zu den geburtenstarken,fünfzügigen Jahrgängen (in meiner Klassewaren immer gut dreißig Schüler), fielenzwei bemerkenswerte Dinge. Unvergesslichbleibt ein etwa vierzehntägiges Praktikumim Beruf, das jeder machte und die ungefährgleich lang dauernde Klassenreise (mit der„d“ zusammen, glaube ich war das) nachEngland.Großbritannien für uns Wedeler Dorfbacken,wir wohnten paarweise in einer Gastfamilie.Das machte die Schule seit Jahren nacheinem erprobten System. Die Stadt Ipswich,wo wir unterkamen, liegt nicht allzu weitvon London entfernt. Und über die Zeit bei„Markenfilm“, das Praktikum in der WerbeundTrickfilmbranche oder meinen KlassenlehrerGerd Kröger, einen guten Aquarellistenund wunderbaren Menschen, mit demwir während der Schulzeit viel unterwegswaren, habe ich bereits geschrieben. Nichtnur der alte Reklamezeichner und dieserLehrer Kröger in der Realschule haben michnachhaltig beeinflusst und mein Lebengeprägt.Diese Geschichtekann nicht umwegloserzähltwerden. Ich mussabschweifen: AndereUmständeund Menschen,denen ich begegnetbin, mögendazu beigetragenhaben, wie sichmanches ergab.Ich sehe mit Mittefünfzig andersaus als nach demSchulabschlussoder zum Endemeines Studiums und beurteile die Umgebungin einer veränderten Weise. Zu alternhat mich insgesamt geändert. Die Kraft, zumBeispiel für sportliches Engagement, istgeringer, auch meine Interessen sind nichtmehr dieselben. Mit fortschreitender Zeit imVerlauf des Lebens sollte es gelingen, eigeneEntscheidungen zu treffen. Das ist bei mirder Fall. Wenn diese Entwicklung günstigerverlaufen wäre, könnte ich darüber redenseit den beginnenden neunziger Jahren, undes hieße einfach Erwachsenwerden.# Die eigene EntscheidungEine aktuelle Beschreibung vom Urlaub aufFehmarn mag illustrieren, was ich absolutwichtig finde, selbst für mich zu tun. BanaleEntschlüsse können ungemein befreiendsein. Das war gestern, am Tag vor UlisGeburtstag, und den vergesse ich schon mal.Im Vorraumvom Supermarktwolleneinige denplötzlich hereinbrechendenSchauerabwarten. Siehaben sichmit ihremvollgepacktenEinkaufswagen neben die Pfandautomatengestellt, scharren mit den Hufen. Es pladdertvor der Ladenöffnung, es dampft und nebeltdrinnen, wo wir überlegen, ob das Ganzedauert und wie darauf zu reagieren sei.Niemand scherzt. Regen ist nicht Teil der Zivilisation.Wenige Meter zum Auto möchtendie Leute nicht im Schietwetter gehen. Schülerhuschen durch: „Das wird scheiße gleichim Bus, wenn wir nass sind!“ Ich bin mit demFahrrad gekommen. Unsere Ferienwohnungist zwei Kilometer südlich vom Zentrum,etwa Grüner Weg, da muss ich hin. Ich kanndas Rad sehen, allein die wenigen Meter bisdorthin genügten, komplett durchzunässen,so heftig hat sich der Sommer von ebenverabschiedet. Als ich losgefahren bin, sahes prima aus in Luv, wer denkt denn so was?In der Sardinendose.Das hintere Maul von Edeka an der Osterstraße,die Abteilung für Pfandflaschen undabgestellte Einkaufskörbe anschließend derKassen. Der Ausgang eigentlich nur. Rentnerschieben nach. Die benötigen keine Maskeim feuchtvernebelten Innenraum auf Tuchfühlungmit den anderen, weil sie ja geimpftsind und nicht jeden Blödsinn mitmachen?Wir wenigen, die den verordneten Mundschutznoch brav tragen wie im Laden – undweil hier weiter aerosole Enge herrscht, sindbereits in der Minderzahl.Da kommt eine besonderspenetrante Olsch, so eine Else,wie sie in jedem Kaff einen(ehrenamtlichen) Trulla-Bläla-Treff betreibt (vermutlich)heran. Die dumme Omi drängtungebremst vorwärts. Sie hateinen Sabbelmund. Eine Maskewürde sie schöner machen,aber sie hat die nicht mehrnötig? Ihr kleiner Mut undAnarchismus überzeugt michnicht. Ich kann einen wirklichenFeind erschlagen, wenndas sein müsste, ohne Skrupel– aber eine banale Regel einhalten. Ich habeeinen Führerschein dabei, wenn ich Autofahre, ein Ticket im Bus, erneuere meinenPass, zahle Steuern.Ich blockiere anders: Ich gehe nicht zurWahl, aus Verachtung einer mir mal nahestehendenPerson in der Politik, meineEntscheidung. Ich enthalte mich. Das ist inunsererDemokratieTeil desWahlrechts.Rechte undPflichtensind dieFreiheitinnerhalbvon Grenzenund alsErgebnisAug 17, 2021 - Wo ist Goethe jetzt? 85 [Seite 84 bis 94 ]

Wo ist Goethe jetzt

Aug 17, 2021

Es ist wieder August. Durchwachsen ist

dieser Sommer. Am Anfang war das Wort,

denke ich oft abschweifend bei diesem

Text, wenn es auch mal um die Ostseeinsel

Fehmarn geht. Ich zeichne hier, wie jedes

Jahr. Ich möchte gern einige Fotos integrieren,

habe bereits passendes Material parallel

zur Schreibarbeit aufgenommen. Eine Arbeit

ist es, die kaum je Geld einbringen wird, aber

keine Spielerei rund um ein vorgedrucktes

Feld darstellt, mit bunten Hütchen drauf, die

nach Anleitung gezogen werden

müssen, mit den anderen albernd

am Tisch sitzend. Das zu mögen,

ist für mich die Kunst! Die Natur

des Kreativen besteht darin, nicht

normal oder gewöhnlich zu handeln.

Urlaub und Arbeit, geht das?

Wer sich langweilt, dem ist nicht zu

helfen. Eine lange Geschichte. Die

ich nicht kurz mal so hinbekomme,

aufzuschreiben. „Das muss man ja

nicht lesen“, meint die beste Lektorin

von allen in so einem Fall.

Das sei warnend vorangestellt.

Freak oder was? Ich bin ja nicht normal.

Als Künstler gehöre ich zu den besonderen

Menschen. Das ist nicht gerade was Großartiges.

Ich möchte nicht überheblich wirken.

Mir geht es, wie den anderen auch. Es kann

aber schon sein, dass ich ungewöhnlich

reagiere. Wem nützt Kunst? Darauf habe

ich eine Antwort: Mir tut gut, zu malen. Ich

schreibe gern. Es ist nicht etwa, weil fieser

Überdruck dringend entweichen muss, ein

Ventil, dass andere nicht haben, eine Art

Schornstein? Meine Furze entweichen normal

am Hintern. Ich mochte es von Anfang

an, schon als Kind, Bilder zu machen, und

die Wut über Unänderbares ist nur eines von

vielen Gefühlen, die eine Rolle spielen.

Sich auf eine Weise ausdrücken können, ist

schon mal was. Ich bin genauso hilflos wie

andere manchmal, zum Beispiel kann ich

mir keine Gesundheit kaufen. Möglicherweise

würde jemand mit meiner Kunst Geld

machen? Das kann ich nicht. Ich habe auch

nicht aus einem therapeutischen Grund angefangen.

Mein Leben begann ganz normal,

ich war so gesund wie die anderen Kinder,

nur dünn. Ich hatte einen kleinen Spielkameraden

in der Nachbarschaft. Das waren

die Jahre, bevor ich im Kindergarten auf

gewöhnliche traf, viele auf einmal (Monster).

An meinen Freund musste ich mich nicht

gewöhnen. Der war einfach so da, wie das

Gras, der Kastanienbaum und unser Gemüse.

Mit Kai spielte ich in unserem Garten, und

zwar noch bevor meine Schwester geboren

wurde. Wir waren so klein, dass

meine Erinnerung an diese Zeit

wohl nur bleibt, weil meine Mutter

erzählt hat, wie besonders wir

Kinder redeten:

„Willst du jetzt gern mal das

Zementmischauto haben? Dann

nehme ich den Kipper.“

„Ich könnte auch das Rollerdings

fahren, was meinst du?“

„Oder wollen wir wieder rote Steine

malen für Matschfarbe machen?“

Es habe nie Streit gegeben, erinnerte

sie sich. Einmal hätten wir beide, der kleine

Kai und ich, voller Eifer gemeinsam und fleißig

aus eigenem Antrieb alle roten Wurzeln

auf einmal im ganzen Beet ausgekriegt!

Aber jahreszeitlich viel zu früh. Das wären

noch ganz kleine Mohrrübchen gewesen,

nicht bereit, geerntet zu werden.

„Wir haben dir heute geholfen Mama und

sind schon fertig. Die ganzen Wurzeln aus

dem Garten haben wir für dich ausgebuddelt.

Sie sind alle in dieser Wanne, sieh mal.“

Dann zog

diese Familie

mit meinem

allerersten

Freund fort,

keine Ahnung

wohin. Ich

war wohl erst

vier Jahre

alt, so lange

ist es her.

Manche Menschen fehlen irgendwann. Mein

Großvater hatte so eine feine Ironie, die selten

geworden ist. Das tut weh: Ganz allein

Witze zu machen, die nicht mehr ziehen,

schon Neunzehnhundertdreißig erkennbar

lahmten. Meine Eltern fehlen. Sie sind tot.

Eine liebe Freundin fehlt auch, und das ist

furchtbar, weil es durch mich maßgeblich so

wurde, wie es nun ist. Was andere ihr sagten,

mag richtig sein. Was sie daraus machte, ist

so falsch, wie alles, was ich tat. Jeder für sich

ist auch scheiße. Ich hoffe, sie lebt. Es bleiben

noch Erinnerungen und Geschichten.

Bilder oder Text, ich mag es, zu erzählen.

„Das hier nicht Schenefeld, ist New York“,

meinte Steve gelegentlich, wenn ich in

seinem Shop die Post zustellte. Eine kleine

Straße, etwas nördlich vom Schenefelder

Platz. Es war eben doch nicht New York.

Sein Gesicht schien auf seltsame Weise vom

schummrigen Dämmerlicht im Kiosk verschluckt,

wenn ich, geblendet von der Sonne

draußen, in den Laden stolperte. Beinahe

unerkennbar dunkel wie gar nicht vorhanden

war da ein Loch über den Schultern?

Gerade

noch die

hellere

Fläche

eines

Shirts

zeichnete

sich

vor dem

Sammelsurium aus Zeitschriften, Zigaretten

und allerlei Lebensmitteln im Hintergrund

ab. Das Bild für den Moment, Rembrandt

hätte Freude daran gehabt. Amerika ist eine

farbige Person. Nur die Kontur einer anderen

Kultur, wenn er hinten am Tresen zugange

war. Vielleicht war das doch die Bronx? „Du

musst einem ein Bild schenken“, meinte er,

wenn Zeit zum Reden blieb, „Uwe Seeler

oder irgendeinem Berühmten“, er habe

Beziehungen – und so mache man das eben

mit der Kunst.

Meine kleine Geschichte.

Als ich einmal Briefträger war und Alexandra

noch ein Schulkind.

# Ein Psalm Davids, vorzusingen

„Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe

am äußersten Meer, so würde auch dort

deine Hand mich führen und deine Rechte

mich halten.“ (Lutherbibel, Psalm 139).

Ferien auf Saltkrokan,

ein Buch

von Astrid Lindgren.

Da habe

ich den Psalm

gelesen, als Kind.

Manchmal glaube

ich, nur eine Seite

vom Roman zu

sein. Fetzen der

Erinnerung und

Alltag gleiten

ineinander, wie

rote Marmelade

in den Joghurt. Plötzlich gerät mir irgendwie

Senf da rein? Falsche Farben in der Tube

verschmieren meine Palette.

Eine kleine Welt, Europa. Und Italien zwinkert

mir zu. Weiß wird der Zucker oben vom

Tablett gereicht? Fremde Rätsel und eigene

Puzzlestücke sind wie Fragmente unserer

Geschichte. Eine Insel löst sich, fährt auf den

Atlantik raus.

Brexit.

Kontinentale Verschiebungen reißen durch

die Edinburgh und unsere Herzen. Das

Leben geht weiter: Dies ist mein New York!

Ich habe nur ein kleines Boot und kein

Wohnmobil, aber Fehmarn ist auch schön im

Sommer.

Diese Insel kann nicht davonschwimmen.

Aug 17, 2021 - Wo ist Goethe jetzt? 84 [Seite 84 bis 94 ]

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