Blogtexte2021_1_12
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Wann stellen andere die Dinge nicht zu
ihrem Besten dar? Das ist eine fließende
Grenze, ab der manche das Gefühl beschleicht,
betrogen worden zu sein oder
gerade noch hinnehmen, eine gute Werbung
etwas herunterzurechnen, um in der Realität
zu bleiben, sich nicht unnötigerweise zu
ärgern. Nur wer sich darüber im Klaren ist,
die Angst vor einer Reklamation bremse ihn
zornig zu werden, kann die Entscheidung
selbst treffen, angemessen zu reagieren. Die
anderen rasten zwanghaft, neurotisch aus
oder kneifen jedes Mal, wenn sie begreifen,
dass sie übervorteilt wurden. Aber ein wenig
betrogen werden wir bei allem, was uns
widerfährt. Unsere Erwartungen werden
immer anders sein, als das Ergebnis ausfällt.
Manche finden ein Haar in jeder Suppe.
Das Geschick besteht in der individuellen
Wahlfreiheit, Emotionen still auszuleben,
laut oder maßvoll.
# Wir schaffen den Rahmen künstlich
Gerade ist Olympia. Doping im Sport ist
mehr als eine Regelverletzung. Es geschieht
dennoch. Sollten bessere Läufer generell
bestraft werden, für ihre Leistung, die dann
etwas runtergerechnet würde, wie manche
Politiker höhere Steuern für Reiche vordern?
Eine absurde Idee. Im Sport möchten wir,
dass die Bessere gewinne. Aber kaum, dass
eine herausragende Leistung beobachtet
wird, taucht der Verdacht der Manipulation
auf. Dem geht schon ein kompliziertes
Reglement voraus, nachdem trainiert und
speziell ernährt die Athleten antreten. Du
kannst nicht saufen und Burger fressen,
so viel ist klar. Ab wo die Vorbereitung ein
strafbares Doping ist, steht in der Regieanweisung
für fairen Sport. Man probiert,
gleiche Bedingungen herzustellen. Männer
treten nicht gegen Frauen an im Sport.
Aber es gibt Mädchen, die biologisch den
Männern nahe sind, schon als Jugendliche
davonrasen und sich nun Hoffnungen
machen, auf eine Karriere im Laufen? Bittere
Enttäuschungen laufen parallel zu diesen
Siegen mit. Irgendwann kommt das Begreifen,
dass Äpfel und Birnen im Regal nur Sinn
machen, wenn die Früchte, also die Natur
selbst, sich an die Regeln hält. Begeistert ändern
Retter die Welt m/w/d und fordern uns
auf, niemanden auszugrenzen. Immer wieder
müssen wir lernen, dass soziale Geländer
in Dicke, Länge und Griffhöhe noch an der
Vielfalt der Angreifenden gemessen werden.
Der Mensch schafft sich künstliche Stabilität
in einer unübersichtlichen Welt. Brücken
müssen auf ihre Haltbarkeit geprüft werden.
Das gilt auch für die Luftbrücken kreativer
Selbstverblendung.
Als Wohlstandskranke plagt uns, dass die
gewohnte Stabilität gefährdet sein könnte.
Andere sind neidisch auf die Fata Morgana
des Glücks, also nicht darauf, dass jemand
mehr Geld hat. Die zivilisierte Welt ist
wachstumsorientiert. Da muss wohl auch
das Glück im Laufe des Lebens anwachsen?
Tatsächlich kommt dieser Idee die Mühsal
des Alters in die Quere. Wir können das Leben
medizinisch verlängern und zahlreiche
Krankheiten werden scheinbar effizient
behandelt, dass alle älter werden als früher.
Damit wurde zugleich das Problem geschaffen,
eine Illusion gefährlich glaubwürdig zu
machen. Sie besteht in der Idee, etwas ganz
Tolles komme noch.
Ich kann ein Zitat von Edward Hopper nicht
wiederfinden und deswegen nicht belegen,
woher es stammt: „Depressiv? Wird man das
nicht im Alter?“, er sei „nicht stolz darauf“,
bekundet der Maler an einer Stelle. Hopper
wurde immer mit der Frage nach Einsamkeit
konfrontiert, wenn Betrachter ihn auf
seine Motive angesprochen haben. Nun ist
dieser Künstler sehr produktiv gewesen, und
Deprimierte sitzen normalerweise tatenlos
herum und jammern. Ein Arzt verschreibt
etwas, damit es dem Kranken wieder gut wie
früher ginge. Wir sollten annehmen, dass die
Kunst malen zu können auch nützt? Aber
viele Kreative kennen den Verlust eines ganzen
Lebensabschnitts an das Nichtschaffen
während einer lethargischen Episode. Ich
habe etwa gelesen, dass Miles Davis pausierte
und seinen Ansatz verlor, erst wieder
Trompete üben musste. Als Maler sind wir
gewohnt, hinter die Fassaden zu schauen.
Wir stellen im Bild selbst potemkinsche
Dörfer auf und müssen deswegen deren
Statik kennen. Damit sind wir den Normalen
einen Schritt voraus, können als Explorer
aber auch vor ihnen in das Unbekannte abstürzen.
Wir müssen lernen; andere kommen
durch mit dem, was man ihnen beibrachte?
Mein Onkel stellte es andersherum dar.
Wollte er sich und seine Leistung aufwerten
oder mich ermahnen, nicht auf das Glück zu
vertrauen, alles gelinge nach der Schule von
selbst? Er sagte: „Du hast ja Talent. Wir anderen
müssen arbeiten.“ Ich glaube, dass sich
hier niemand erfolgreich verpisst und jeder
sein Päckchen trägt, das irgendwann merkt.
Für einige sind die letzten Wochen im Angesicht
ihres unabwendbaren Todes die bittere
Zeit, in der sie das erste Mal resümieren, wer
sie sind und was hätte sein können. Ganz
schön spät, denke ich, um aufzuwachen.
# Die nur eingebildete Gesundheit der
Normalen
Alle sind verrückt und die Kranken sind
gesund, so ist es nicht. Doch viele machen
sich was vor. Ihr dickes Ende kommt, wenn
es keine Geschenke gibt, für ein Rennen,
dass manche gar nicht mit ihnen in
Konkurrenz gelaufen sind. Du kannst nie
gegen dich selbst gewinnen (oder den Krebs
besiegen als ein Gewächs im eigenen Leib),
auch wenn ein Arzt es behauptet. Menschen
lassen sich geradezu ausschlachten und
reparieren wie das eigene Auto. Sie werden
sich noch gegenseitig aufessen, wenn die
gewohnte Nahrungskette der Welt einmal
endgültig zusammenbricht.
Der Mensch selbst benimmt
sich als ein Krebs dieses
Planeten, und einjeder von
uns stiftet seinen Nachbarn
dazu an, greift sich
selbst ein Stück der Welt.
Schicksal? Die Aufgabe, sich
dem Leben und dem Wissen
zu sterben (irgendwann), zu
stellen, nimmt einem keiner
ab. Eine Impfung gegen
den Frust, alt zu sein, ist
bislang nicht im Angebot.
Wie das wohl wäre, mit den
bekannten Ratschlägen:
„Nimm besser Moderna
oder Biontech, aber nicht
Astrazeneca“, und sollten
schon Kinder es bekommen:
das Medikament, das uns
blendet, Kummer niemals
wahrzunehmen?
# Das Wundermittel
Es gibt ewige Sicherheit, bedeutet gerechte
Gesundheit und Sicherheit und Frieden für
alle auf Rezept, beinhaltet aber, den Bürger
gesetzlich verpflichtend, das Geschenk der
Medizin auch anzunehmen? Man stelle sich
diese Debatte vor. Die aktuelle Situation regt
mich an, weiter zu denken. Der omnipräsente
Krampf, sichere Verhältnisse zu kreieren,
ist mehr als Wahlwerbung. Es ist die Tüte
über dem Kopf, die Hände vor die Augen zu
halten, den Kopf in den Sand zu stecken für
alle. Eine Impfung der Bevölkerung gegen
das neue Virus macht deutlich wie nie, dass
unsere Leben endlich sind und wir, im selben
Boot sitzend, stets dem grundsätzlichen
Gegner Krankheit und Tod gegenüberstehen.
Das ist zunächst einmal hinzunehmen. Und
die individuelle Antwort darauf, wie damit
umzugehen sei, kann bei kollektivem Druck
auf die Gesellschaft nur zu Widerstand führen
mit den bekannten Ausreißerqualitäten,
die Menschen immer entwickeln.
Menschen haben noch Angst. Das ist tatsächlich
der Rest vom natürlichen Verhalten,
der uns geblieben ist. Dagegen gibt es jede
Menge Medikamente, Geld scheint auch zu
helfen, aber einige haben weder das, noch
Medizin.
:(
Aug 6, 2021 - Das Wundermittel 83 [Seite 82 bis 83 ]