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Das

Wundermittel

Aug 6, 2021

Viele Menschen gestalten das eigene

Dasein ansprechend, nutzen die Freiheit

unserer zivilisierten Welt. Sie erringen einen

grundsätzlichen Erfolg, den sie aus ihrem

Leben gemacht haben, weil sie anwenden,

was ihnen beigebracht wurde. Wer es nicht

hinbekommt, normal zu leben, kreist um

bekannte Fehler. So einer ist der Satellit

der persönlichen, fixen Ideologie, zwanghaft

in der Wiederholung von Stereotypen

gefangen. Individualität ist gleichermaßen

speziell, wie unter Umständen selbst

schädlich. Einige stehen im Lauf der Welt

geradezu angenagelt auf dem Fleck, den sie

nur irgendwie erreichten. Sie treten auf der

Stelle, als wären sie mit Koffern beladene

Reisende am Bahnsteig, aber ohne den Zug

zu nehmen.

Aussenseiter wirken unnötig blind, unfreiwillig

komisch, sogar hässlich und beschränkt

nur deswegen, weil es wie offensichtlich

rüberkommt, dass diese Menschen sämtliche

Perspektiven ignorieren. Kritische Freunde

verstünden die spezielle Lage nicht, meinen

diese Unglücklichen, wenn sie darauf

angesprochen werden, warum sie eine

Chance nicht wahrnehmen und stattdessen

Frust zementieren. Vielleicht stimmt es, und

umgekehrt macht es sowieso Sinn.

Wir urteilen gern nach dem Prinzip, Schuld

zu beweisen. Wer nicht schuldfähig ist im

Falle einer Tat gilt als krank. Was ist mit

denen, die nicht mit dem Gesetz in Konflikt

kommen, nicht diagnostisch erfasst werden

und die selbst daran schuld seien, wie es

heißt, am eigenen Unglück? Täter gegen

sich selbst: Es scheinen Menschen zu sein,

gegen jede Wand unterwegs, ohne eventuell

offen stehende Türen zu erkennen, die ihnen

neue Möglichkeiten der Entwicklung bieten

könnten. Der Begriff der Schuld verblasst

als kraftlos, bei dem Versuch zu beschreiben,

wie jemand gegen die eigene Person

handelt, die guten Wege nicht sieht. Jahre

scheinen nutzlos zu verstreichen. Psychische

Krankheiten werden diagnostiziert. Dieses

Leben ist begleitetes Fahren mit Therapeut.

Und nur einige lernen schließlich dazu, aus

einem individuellen Grund, den sie endlich

begreifen. Das sind wenige. Werden diese

in der Regatta des Lebens tatsächlich noch

einen führenden Platz ersegeln? Umgekehrt

könnten andere, gesunde und erfolgreiche

Menschen, deren persönlicher

Erfolg nur einem zufälligerweise

leichten Start geschuldet ist, erfahren,

wie schwer es ist, ein Rennen

siegreich zu beenden, bei dem am

Ziel keine Medaille vergeben wird.

Die Ersten werden die Letzten sein,

heißt es. Die vernetzte, integrierte

und erfolgreiche Masse verhält sich

gern wie nebenbei, unabsichtlich

ausgrenzend gegenüber anderen.

„Das geht gar nicht“, werten sie manches

Verhalten ab, und es fällt ihnen

leicht, unter Ihresgleichen überheblich

zu tun, ohne dass es den Freunden

anstößig erscheint. Gut maskiert

und besser dargestellt kommt

es vermeintlicher Stärke gleich.

Scheinbar selbstbewusst, drängen

nicht wenige nach dem Motto, erst

komme ich, und Hauptsache, es geht

schnell. Sie werden langsamer, wenn

später der Rollator ihr tägliches Fahrzeug

geworden ist? Wir haben keine Möglichkeit

unser Miteinander mit Egomanen, Dränglern

und Provokateuren einfacher zu gestalten,

indem wir notorische Windbeutel belehren.

Die Freiheit zu zaudern, Risiken zu meiden

und das Leben dadurch zu verpassen oder

unverdient Macht zu missbrauchen mag

uns gegeben sein. Wege zu suchen, ist die

lohnende Alternative.

# Das ganze Leben ist Ausweichen

Abstand, wir müssen lernen, dass allumfassende

Transparenz und Nähe zu anderen auf

Grenzen stößt. Das Virus lehrt uns Distanz.

Die Bürger möchten wissen, was Donald

Trump verdient, aber ihr eigenes Privatleben

nur kontrolliert und selektiv posten. Beim

Nachbarn Mäuschen spielen, gefällt vielen

trotzdem. Lebensentwürfe sind so: Trennwände

setzen, selbst drumherum navigieren.

Ein Irrgarten oder das Kabarett, je nachdem.

Mit dem Kopf durch die Wand, sich dabei

noch stark fühlen, und bei Schmerzen werfen

wir was ein. Das ist moderne Zivilisation.

Willenskraft, sich anzustrengen und Ziele zu

erreichen, wird gelobt. Wir twittern erfolgreich,

bis zum kompletten Selbstbeschiss.

Wenige gehen manchen Idioten geschickt

aus dem Weg. Die Masse schwimmt im

Strom, ob nun mit der Welle oder gegenan.

Erst durch Schaden wird man klug, lernt,

dass es an der Kante vom Fahrwasser auch

und möglicherweise eleganter ist, eigenen

Wegen zu folgen.

Seit die Rede vom digitalen Missbrauch in

aller Munde ist, wir den Begriff Fake News

verwenden, verblüffende Deepfakes irritieren,

steht unser Verständnis von Wahrheit

auf dem Prüfstand wie nie zuvor. Bereits

ein Schulkind wie Greta Thunberg mit

Pappschild entdeckt, dass alle „des Kaisers

neue Kleider“ spielen. Ehrgeizige Klimaziele

werden ausgerufen, Friedensgipfel, aber es

ist immer irgendwo Krieg, und das Klima

schmiert weiter nahezu ungebremst ab.

Irrational ist diese Hoffnung: „Wir werden

alle sterben!“, ruft jemand in Panik, und dann

entschärft Bond die Bombe rechtzeitig?

Manche erwarten eine Zeit nach der Pandemie,

in der alles wieder wie früher ist und

Malle wie gewohnt ballert. Das wird so nicht

wahr werden.

Vielen, um ihre Fehler kreisende Menschen,

denen es nicht gelingt, aus ihrem Leben

einen Erfolg zu machen, wird empfohlen,

einfach wie die anderen, normalen

Menschen zu sein. Ich denke, mit diesem

Rat gefüttert, wird der Kreislauf wasserdicht

und verewigt im Gegenteil noch das

Problem. Der Begriff der Normalität ist ein

armseliges Erklärungsprinzip. Normale

wissen für gewöhnlich gar nicht, warum sie

klarkommen (obwohl sie das behaupten).

Dem Künstler beim Zeichnen kurz über die

Schulter zu schauen, lehrt nicht sofort alles.

Ich habe lange Zeit gelernt. Warum sollte es

funktionieren, anderen zu sagen, man mache

etwas einfach so? Wenn jemand einen

Handwerksbetrieb übernimmt, sein Geschäft

in der zweiten oder dritten Generation führt,

werden ein paar Worte an den Gesellen

kaum genügen, das Wunder der Existenz zu

erklären. Genauso Ratgeber, Therapien – sie

funktionieren bedingt. Der Eigenanteil des

Lernens ist entscheidend, will jemand aus

Schwierigkeiten raus kommen.

# Wir benötigen Zeit zu lernen

Tempo und Tipps gehen nicht selten am Individuum

vorbei. Die jetzt Schlauen mögen

die Dummen von morgen sein. Wir werden

gelehrt, uns korrekt zu verhalten und das

Vertrauen in Helfende wird vorausgesetzt.

Allein klar zu kommen funktioniert durchaus

anders. Das grundsätzliche Problem ist,

dass die Umgebung unzuverlässig, quasi

immer unehrlich ist. Kaschiertes Chaos ist

das Drumherum. An den Scheidewegen des

Lebens stünden keine Wegweiser, meint

Chaplin dazu. Kein Gott nimmt uns so

allumfassend an die Hand, wie derjenige, der

uns das Geld aus der Tasche zieht, in unser

Haus einbricht oder behauptet unser Freund

zu sein. Unser Nächster, den wir aufgefordert

sind zu lieben wie uns selbst, wird sich

immer verhüllen und später anders rüberkommen

als erwartet. Nur ausnahmsweise

werden wir vom Leben und den anderen

beschenkt, mit einem Lächeln, Anteilnahme

und gelegentlich der allerliebsten Nähe

oder selbstloser Hilfe in unserer Not. Im

Alltag gehen die Menschen oft grußlos

aneinander vorbei und verbergen die Motive

ihres Weges. Zu lügen oder die Dinge besser

darzustellen, wie in der Werbung, ist auch

anderswo möglich und Menschen tun, was

ihnen möglich ist. Die Welt ist nicht erst

seit kurzem den Fake News ausgesetzt. Die

Wahrheit, was immer das sei, darzustellen,

anstelle sie exakt wiederzugeben, ist normal.

Es entspricht der gesellschaftlich akzeptierten

Maske, positiv zu wirken. Vom Lügen

sprechen wir erst, wenn zum eigenen Vorteil

und Schaden des Rezipienten berichtet wird.

Aber wer erkennt diese Grenze, ab der das

Maß zu übertreiben oder Dinge wegzulassen

voll ist? Selektive Darstellung steht uns

frei, außerdem ist niemand allwissend. Wir

erwarten Aufklärung vom Falschen, weil wir

annehmen, gerade dieser wüsste das Detail,

das uns noch fehlt. Der Mensch beschuldigt

seinen Freund und folgt lieber dem

Dieb. Wir vertrauen demjenigen, der uns

kaltlächelnd betrügt. In der Summe kommt

fortwährend Desinformation dabei heraus,

wenn der Mensch darauf angewiesen ist,

seine Umgebung in gegenseitiger Kommunikation

zu begreifen. Und das sind wir.

Aug 6, 2021 - Das Wundermittel 82 [Seite 82 bis 83 ]

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