Blogtexte2021_1_12
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# Künstler und andere Beknackte
Wer psychisch auffällig wird, sich in Behandlung
begibt oder gezwungenermaßen eingewiesen,
hat es doppelt schwer. Stigmatisiert
wie ein Ausländer, aber ohne die Sozialkompetenz,
die unterdrückte Minderheiten kennzeichnet,
die schließlich Stärke finden, wenn
sie eine Gruppe bilden können. Erste Ansätze
dafür gibt es, seit die digitale Welt uns alle
ändert. Hätten die aus Afrika verschleppten
amerikanischen Sklaven im Austausch vernetzt
twittern können, wäre ihnen schneller
klar geworden, wie viele sie sind und die
Freiheitsbewegung wäre zügig und effektiv
vonstatten gegangen.
Ich glaube, moderne Verschwörungstheoretiker
sind gleichermaßen solidarisch untereinander
wie kollektiv krank. Diese Leute können
im Verbund ihre eigene Normalität gestalten.
Der Mainstream erkennt keine Lügenpresse.
Corona? Die Zufriedenen nehmen es hin, dass
die gefährliche Deltavariante in Indien, dort
wo sie so unheilvoll wütete, sang- und klanglos
abgeebbt ist. In wenigen Wochen sank
die Inzidenz wie ganz von selbst zurück auf
zwanzig. Darüber berichtet niemand. Ob das
daran liegt, dass Indien Impfweltmeister ist?
Badet man nicht länger kollektiv im Ganges?
Hier wird omnipräsent gewarnt: Die vierte
Welle kommt! Es gibt nur dieses Thema. Dann
berichtet der Chefvirologe von den beunruhigenden
neuen Zahlen in Großbritannien und
in Lissabon. Der harte Kern der Wahrheit ist
querdenken. Wer eine Lüge erkennen will,
weil man uns nicht darüber berichtet, dass
es wo besser wird, ist psychisch krank? Die
anderen bleiben unspektakulär auf Abstand
und nehmen hin, dass die Nachrichten ein
Geschäft sind wie alles andere.
Sind verschworene Menschen Spinner, oder
haben wir es mit Kranken zu tun? Sie haben
eine eigene Wahrheit und können diese finanzieren.
Menschen, die durch gegenseitige
Solidarität so gesund handeln, dass sie im
Alltag den Boden unter den Füßen behalten.
Sie wissen in ihrer Angst und Wut nicht allein
zu sein; das hilft. Auf diese Weise gestärkt,
können sie weiter eine Wohnung nutzen,
einkaufen, ein Auto fahren, normale Sachen
machen eben – und sich in Chatgruppen austauschen,
während sie isoliert psychotisch
abdriften würden. Die Gesellschaft hat ein
Problem, wenn die Zahl psychisch Kranker
zu groß ist. Schwierig, wenn verschworen
fanatische Menschen zusammen ein System
bilden und dann handlungsfähig sind, ihre
Aggression in Aktion umzusetzen. Was nicht
übersehen werden darf: Aus dem Blickwinkel
eines aggressiven und gestörten
Menschen gibt es gute Gründe für seine
Sicht.
Bedauerlicherweise mobben Menschen
und stellen sich als positiv dar, wenn
sie andere fertig machen. Ein kranker
Mensch benötigt Hilfe, aber in diesem
Fall werden die Helfer mehr dankbar dafür
sein, als die Hilfe suchende Person. Ist
es ein Fall, an dem die Polizei beteiligt
ist, hat man keinen Freund und Helfer
im Beamten. Es liegt auf der Hand, dass
ein labiler Mensch, der eine Gefahr für
die Allgemeinheit sein könnte, freudig
begrüßt wird von der Kripo, mehr noch,
wenn die Angelegenheit eine sexuelle
Auffälligkeit beinhaltet. Wer als polizeibekannt
geführt werden kann, stellt im
Gegensatz zum noch unbekannten Straftäter,
der alle überrascht, ein definiertes Arbeitsfeld
dar. So jemand kann von Montag bis
Freitag eine Aufgabe sein, nach dem Motto:
„Wir schauen hin und passen auf.“
Desgleichen der Arzt: „Nun sind Sie erst einmal
Patient, und wir schauen mal, wie wir Sie
richtig einstellen können“, wird er sagen. Was
der Arzt nicht leiden kann, ist, genau wie die
Polizei, die nicht zu kontrollierende Notsituation.
Kommt es dazu, dass die Lage in der
Praxis eskaliert, vor den Augen vom Personal
und den anderen im Wartezimmer, genießt
derjenige Patient das größere Wohlwollen
des Psychiaters, den der Arzt bereits kennt.
Kontrolle geht den Menschen über alles,
mehr noch, wenn es im Beruf um die Qualität
der Akteure geht, ob sie selbstbewusst mit
schwierigen Fällen klarkommen. Da liegt es
auf der Hand, dass ein in der Kartei geführter
Kandidat die besten Chancen hat, lange Zeit
Teil des Hauses zu sein. Wir als Betroffene
möchten gesund und normal leben, aber der
Arzt und die Ordnungskräfte möchten uns
führen.
# Gebraucht werden
Die Familie, und im Fall von Britney Spears
der Vater als Vormund und Verwalter des
Megavermögens, das die Sängerin mit ihrer
Kunst erwirtschaftete, hat kein Interesse
daran, dass Klein-Britney eigene Wege geht.
Auch der Papa vom abgeschmierten Michael
Wendler betont, wie scheiße er’s findet, dass
nicht er den Sohn managt (wie anfangs). Er
hat tatsächlich die Kontrolle über „seinen“
Michi verloren, und ihm bleibt scheinbar nur
nachzutreten. Das tun auch alle, die anfangs
voller Neid darauf schauten, dass die süße
Abiturientin Laura einen Narren am Wendler
gefressen hat. Wir können sicher sein, dass
diese junge Ehe von Anfang an immensen
Psycho-Terror ausgesetzt gewesen ist. Und
vielleicht liegt hier die Ursache für den absurden
Verschwörungswahn vom Schlagerbarden
und das spätere Bohlenbeben.
Als Kreativer hast du keinen Freund in deiner
eigenen Familie (das ist auch meine
Erfahrung), sondern nur Spötter, Neider und
die, die mitglänzen wollen, wenn dir was gelingt.
Das sind auch die, die dich fertig machen,
wenn sie meinen, du wärest momentan
schwach. Hast du gerade Geld, geht erst rich-
tig die Post ab! Arme Britney. Künstler, denen
die Anerkennung vornan steht, sind labil, weil
sie abhängig vom Lob und dem Geld sind, das
einigen erst ausdrückt, wie toll etwas ist. Die
Mehrheit kann nicht singen oder malen, hat
eine Sauklaue anstelle intelligenter Handschrift.
Damit bekommt die Masse keinen
ansprechenden Text hin, aber zum anonymen
Anschwärzen anderer reicht ihre Ausdrucksfähigkeit.
Für ihre Botschaft bringen diese Leute
kein Klavier zum Klingen. Sie nehmen ein
Smartphone, um sich auszudrücken. Es gibt ja
die Tastatur. Das sind Menschen, die, obwohl
im Konzert, als Teil vom Publikum Begeisterung
skandierend, keinen Ton mitbekommen.
Sie bemerken nur ihr eigenes Dabeisein. Es
sind diejenigen, die in der Vernissage einer
Ausstellung keine Farben sehen, Prosecco
trinken und reden. Sie haben zuhause wichtige
Bücher im Schrank (für Gäste gut platziert),
die sie nicht gelesen haben. Sie wollen
nur dazugehören.
Ein Bild wird versteigert, es sei von David
Bowie, der hat gemalt? Siebzigtausend! Die
Zeitung beschreibt, es zeige einen Kopf im
Profil und ein Foto davon ist auch abgebildet.
Das zeigt einen hellen Fleck inmitten einiger
Farbspuren. Ein Mann habe das Werk in einem
Spendenzentrum für Haushaltsgegenstände
gekauft, etwa vier Euro dafür bezahlt.
Auf der Rückseite fand sich eine Signatur. Die
erinnerte den Käufer an David Bowie, der vor
einigen Jahren starb. Er hat jemanden gefragt,
der sich damit auskennt. Fachleute haben die
Echtheit bestätigt: tatsächlich von Bowie!
Eine Sensation.
Gut möglich, dass der berühmte Musiker auch
malte; ich habe es nicht gewusst. Udo Lindenberg
zeichnet, der alte Mueller-Stahl möchte
uns mit seinen Werken beeindrucken; ich
hab’s mir (mal auf Fehmarn) angesehen, das
lohnt kaum. Und Madonna veröffentlichte
ein selbstgeschriebenes Kinderbuch! Einige
regen sich auf: Mein Schwager hat sich gelegentlich
abfällig darüber geäußert, dass in
anderen Sparten erfolgreiche Menschen nun
auch beginnen zu malen oder schreiben (die
Zeichnungen von Udo sind toll!). Geld gefällt
mir. Die siebzigtausend aus der Versteigerung
hätte ich selbst auch gern.
Das Porträt von Bowie? Eine Aktie ist das.
Wer schaut sich an, was auf einem Geldschein
zu sehen ist; und dort sind immerhin
qualifizierte Illustratoren tätig gewesen, und
eine raffinierte Umsetzung, grafisch präzise,
ist ein Muss. Die Menschen, die Musik lieben
und diejenigen, die ein Kunstwerk vom Wesen
her erkennen können, einen Film daraufhin
ansehen, wie er gemacht wurde, sind die
absolute Ausnahme. Wohl neidisch, empören
sich manche, dass ein toter Musiker viel Geld
mit einer schlappen Skizze machen kann. Absurd?
Warum sich darüber aufregen, dass ein
Sänger malt und sich drüber lustig machen,
das „Geschmiere“ sei ja nicht zu erkennen:
Zwei Gewinner sind schon mal erkennbar. Zunächst
der glückliche Musiker, dass er auch
das schaffte, zu malen. Danach dieser Typ, der
auf dem Flohmarkt vier Euro investierte, anschließend
mit Gewinn wieder verkaufte. Der
Idiot, der auf der Versteigerung den Zuschlag
erhielt, muss erst noch beweisen, keiner zu
sein. Wer weiß, vielleicht geht das Ding ab
wie eine Rakete? An der Börse und im Kunsthandel
ist alles möglich.
Jun 26, 2021 - „Selfexecuties“ 61 [Seite 59 bis 62 ]