Blogtexte2021_1_12
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Menschen sind Monster, immer wieder, wenn
sie meinen zu wissen, was richtig ist, wer
Feind. Ich kann nicht länger ausblenden, dass
auch ich ein Mensch bin, und worin deswegen
meine Pflicht besteht. 1943 – ich konnte
nicht darüber hinweg lesen: Es gab einen
Henker, der es schaffte, eine junge Frau
abzuschlachten (wie ein Schwein), die
Flugblätter verteilt hatte, und das galt
ihm und seinem Staat als Recht und richtig.
Und heute gibt es weiter Menschen,
die möchten, dass der Staat tötet, weil
diese Leute mutmaßlich das Rechte kennen?
Es liegt einige Jahre zurück: „Wiedereinführung
der Todesstrafe“, was ich davon
hielte? Sie fände, darüber müsse nachgedacht
werden; eine Frau in meinem Alter
hat mich das gefragt. Wir trabten durch
den sich im Umbau befindlichen Stuttgarter
Bahnhof. Die intellektuell Geistreiche
kannte den aktuellen Weg zur S-Bahn
nach Backnang, wo wir hinwollten wie
oft. Während der Bauarbeiten im Rahmen
des Megaprojektes „Einundzwanzig!“ änderte
sich das einige Male zu gehen, und
der verschlungene Pfad in den Keller der
Bahn ist dort nicht immer logisch wiederfindbar
gewesen. Sie kenne sich aus,
fahre hier jeden Tag, meinte sie. Eine flotte
Dame in schwarz. Wir ließen uns gern
ein wenig an die Hand nehmen, plauderten
vergnügt, im guten Tempo durch das
Gewusel der Massen vorwärts strebend.
Sie sei Medienreferentin beim grünen
Kretschmann im Büro, so hatte sie sich
vorgestellt, während wir beschlossen,
den Regio aufzugeben. Lok kaputt, Hirn
beschädigt? Zu Fuß am Gleis unterwegs,
erst fröhlich interessiert, vielerlei politische
Themen durchhechelnd, machte es
Spaß zu reden; schließlich konfrontierte
sie mich – brüskierte uns, mit ihrem
Wunsch nach scharfem Schwert im Staat.
Unglaublich. Es ging so nett voran. Sie
kannte den Weg. Grün kann so ordentlich
sein, pragmatisch und vernünftig in Baden-
Württemberg. Das gefiel mir. Man läuft mit,
weiter, auch im Text, und dann das. Ich weiß
noch, ich sagte wörtlich: „Da gehe ich nicht
mehr mit“, war schockiert und höflich zum
Schluss.
„Einen schönen Tag noch.“
Widerstand ist immer begründet. Widerstand
zeigt, dass kein Staat das Recht und das
Richtige schon kennt, sondern darum ringen
muss. Natürlich ist unsere Welt besser geworden.
Es gibt aber weiter zu tun, und wir
machen weiter Fehler. Besonders meine Fehler,
mein eigenes Versagen kenne ich nur zu
gut. Andere zeigen mit dem Finger auf wieder
andere Menschen. Das liegt mir nicht so. Ich
probiere, besser zu verstehen. Heute lebe ich,
und es treibt mich um, etwas zu verbessern,
zunächst mich selbst. Ich will wissen: Was ist
krank, was böse? Was tut gut, geht leicht, gefällt
und macht Spaß; wie fühlt sich’s an? Wo
beginnt übergriffige Einflussnahme, Machtmissbrauch?
Mich drängt zu verstehen: Was
schafft die Lenkungskraft der Erziehung?
Möglichkeiten zur Selbsterziehung nicht zuletzt
gesundes Erwachsenwerden, auch die
Entwicklungsmöglichkeiten derjenigen, die
bereits lange volljährig, aber unreif geblieben
sind, probiere ich dort zu sehen, wo diese
gegen sich selbst unterwegs sind. Schwer,
andere zu ändern, beinahe unmöglich. Sie
sind so blöd, man sieht das doch gleich. Ich
möchte ihnen das, was sie so tun, auf diese
Weise nicht nachmachen, kann meine Fehler
bei ihnen erkennen. Ich bin, so scheint es mir,
auf meine Art genauso. Wo setzen wir an, unsere
Gesellschaft besser und menschlicher zu
machen, wenn nicht bei uns selbst?
Stark verkürzt erzählt: Ich wollte das vor einiger
Zeit mit einer Polizistin diskutieren. (Die
Polizei diskutiert nicht). So ist mein neues
Menü „Psycho“ entstanden. Eine Thematik, die
ich so befremdlich und unmöglich wie nötig
dargestellt habe, weil ich Unglaubliches erlebte.
Das hat mich eine Zeit lang von der
richtigen Malerei mit Farbe abgebracht. Das
große Bild, an dem ich seit einem Jahr arbeite,
„Europa von den Socken“, 120 x 100 cm,
Acryl auf Leinwand, stand in der Ecke. Aber
eben nicht ganz fertig. Ich konnte es aushalten.
Das hätte früher nicht funktioniert, ein
Bild lange beiseite zu legen.
# Strafbar!
Ironie funktioniere nicht in der Politik. „Das
sei doch ein Profi, der müsste das doch wissen,
der Palmer“, sagte der Ministerpräsident.
Wir Politiker sind nicht am wirklichen Geschehen
interessiert, „wir stellen es professionell
in unsrem Sinne dar“, heißt das wohl. Zu
unserem grünen Vorteil. „Quotenschwarzer“
bedeute ein rassistisches Unwort,
das sage man nicht. Vielleicht macht man
sich strafbar, wenn man es verwendet? Er
hatte es nur weitergesagt, seine These
illustriert, Cancelling in unserer Kultur
angeprangert. Auch Lehmann, der Fußballer,
hat den Begriff nicht erfunden. Er
stand am Anfang einer Kette von umfallenden
Dominosteinen. Ein Wort, das auf
drastische Weise rassistischen Alltag beschreibt,
wird selbst zum Unwort. „Neger“
ist schlimmer, und die Steigerung davon?
Das dürfen nur die selbst sagen, die es
betrifft; stimmt. Die eleganten Politiker
sagen nur professionelle Wörter.
Wer glaubt etwas verstehen zu wollen, ist
schon vom Ansatz her auf einem riskanten
Weg. Der Mensch ist mit der Größe
der Realität überfordert, schafft sich Ordnung,
verkleinert sie auf einen Schrank.
Er gibt allem eine Schublade. Es steckt
im Wort „strafbar“. Die Polizei ist nicht
daran interessiert, die Wahrheit zu finden.
„Können wir ihn bestrafen?“ ist vielmehr
ihr Ansatz (und falls nötig, helfen wir
nach, damit’s passt).
Daran zu glauben, es gäbe eine Wahrheit
ist bereits falsch, weil wir damit rechnen
müssen, dass diese nur bruchstückhaft
bekannt ist. Es siegt demzufolge die stärkere
Wahrheit. Darin liegt eine Chance.
Jedem Projekt wohnt das Risiko seiner
Fehlerhaftigkeit inne, so auch dem Unternehmen,
andere gezielt gesellschaftlich
ächtend zu bespitzeln.
Ein Teil der strafbaren Handlungen ist
ein argumentativer Rattenschwanz im
Gesetz um den Kern einer Tat herum. So
ist das Verbrechen beispielsweise, Falschgeld
zu verwenden. Dazu muss dieses hergestellt
werden, und derjenige, der es unwissentlich
weitergibt, gerät auch in den Fokus. Deswegen
geht es bei Gericht gezielt um die exakt
zu beweisende Strafbarkeit, weniger um den
Menschen und das verursachte Leid. Der Ruf
nach größerer Gerechtigkeit verhallt ein ums
andere Mal, und nur einfach gestrickte Menschen
beharren darauf. Gerechtigkeit, für wen
den? Milde für den Täter, der Opfer der Situation
sei, wäre gerecht; der empörte Verteidiger
verlangt danach? Das sehen die Ankläger
genau anders herum. Diese sind in der komfortablen
Situation, Schuld benennen zu können.
Das ist denen, die verletzt wurden nur
selten klar. Ihr Verständnis von Gerechtigkeit
bedeutet in der Regel gnadenlose Härte, die
„es geben müsste“.
Es bleibt die Annäherung an ein für die Gesellschaft
zu komplexes Problem. Der Rechtsstaat
kontrolliert sich dort, wo Ordnungskräfte
notwendigerweise Gewalt anwenden, um
polizeilicher Willkür vorzubeugen. Die größere
Wahrheit kann letztlich gewinnen, wenn
eine mobbende Gruppe sich zum Aufpasser
deklariert, aber lügen muss, ihre Ziele zu erreichen.
Lügen haben kurze Beine, heißt es.
Eine Polizei mit kurzen Beinen fällt schließlich
hin.
Mai 28, 2021 - Meine kleine Freiheit 54 [Seite 52 bis 56 ]