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Meine kleine Freiheit

Mai 28, 2021

Nach dem Wehrdienst, der für mich eine

Dauer von 15 Monaten bedeutete, begann

mein Studium an der „Armgartstraße“, der

Fachhochschule für Gestaltung in Hamburg.

Es war Anfang 1985, und nach zwölf Semestern

bin ich vergleichsweise zügig damit

fertig gewesen, habe ein Diplom bekommen.

Als Regelstudienzeit waren acht Semester

vorgesehen. Ich kenne niemanden, der es in

so kurzer Zeit schaffte. Nicht, weil die Anforderungen

so hart gewesen wären, dass man

länger brauchte, sondern aufgrund erheblicher

kreativer Freiheiten, was es hier eigentlich

genau zu leisten galt oder eben auch

nicht. Es sei „ein Sanatorium“, spottete Otto

Ruths. Im Ausland würde konzentriert und

hart ausgebildet, bei uns könne man machen,

was man wolle. Dementsprechend mau wäre

die Qualität dieses Studiums, fand mein alter

Professor bekümmert. Nichtsdestotrotz: Ich

bin also anerkannt ausgebildeter Grafik-Designer

und habe informative Illustration als

Schwerpunkt studiert, und zwar bei Professor

Gero Flurschütz. Das inzwischen selbstverständliche

Bachelor/Master-Studium wurde

erst später etabliert: Heute heißt dort alles

anders. Unser Grad war dem Wunsch nach

einheitlichen Bezeichnungen geschuldet. Die

FH für Gestaltung sollte als Teil der anderen

Fachbereiche integriert ausbilden. Grafiker

sind keine Künstler. Sie gestalten den Alltag

künstlerisch, sind aber nicht frei, arbeiten im

Auftrag. Man nannte es Gebrauchsgrafik. Für

Kunst gingen die mit dem Abitur ans Lerchenfeld.

Dazu reichte es bei mir nicht. Nach der

Realschule schaffte ich noch ein Fachabitur.

Kunst war von vornherein ausgeschlossen.

Hätte ein „richtiges“ Studium mich zum

Künstler gemacht? Tatsächlich ließ die

Schul- und Studiumslandschaft einen Wechsel

ans Lerchenfeld (Uni) zu. Dazu musste

man einige Zeit an der FH gewesen sein, sich

quasi bewiesen haben. Die exakten Konditionen

weiß ich nicht mehr. Es hat mich nicht

interessiert. Vermutlich stand mir Angst im

Weg, überhaupt über das Leben nachzudenken,

die Zukunft zu planen. Damit Kreativität

funktioniert, muss einiges im Menschen zusammenkommen.

Die Frage, ob Kunst existentiell ist und bedeutet

die finanzielle Existenz miteinzuschließen,

kann nicht korrekt beantwortet

werden. Spielen mit Material, die Welt mit

ästhetischen Thesen zu erreichen; wir streiten

noch, wie’s zu verordnen ist.

Als Belege für diese Unsicherheit,

was das eigentlich sei, mögen die

unterschiedlichen Leben Berühmter

nützen. Wann waren sie anerkannt,

zu Lebzeiten wie Picasso

oder erst nach dem Tode wie

Vincent van Gogh? Meine Eltern

meinten: „Den Fischladen sollst

du mal nicht machen“, Malen sei

brotlos. Tröstlich: „Du kannst es

in der Freizeit tun.“ Ich bin viel

zu unreif gewesen, wusste nicht,

was ich wollte. Ich tat, was manche

geraten haben. Alles geschah

irgendwie.

Trotzdem sperrig und irgendwie

fehl am Platz: Diplom? Das hat

der Ingenieur. Später, bei einer Bewerbung

im künstlerischen Echtleben, konnten wir das

kaum brauchen. Nur die Künstlerin Angela

im Einkaufszentrum, oben im ersten Stock an

der Rolltreppe zum 1-Euro-Laden, nennt sich

stolz Diplom-Bildhauerin. So wird man kaum

eine richtige Rodin. Diese liebe Bildhauerin

kann allenfalls Hunde, Pferde und Enkelkinder

hauen (für ein unterbezahltes Geschenk

zu Weihnachten). Bleibt noch zu unterrichten.

Zu lehren, so zu werden wie wir? Ein Erfolg,

etwas aus dem Leben gemacht zu haben, der

vermutlich nur wenige Schülerinnen davon

überzeugt, dass das eine besondere Sache ist.

Ein Weg, dem nachzueifern sich kaum lohnt.

# Was bitte ist Diplomkunst?

Nach dem Studium wollte niemand eine

Note, einen Titel sehen, wenn wir uns irgendwo

beworben haben. Da zählte nur

die Mappe, eine Sammlung mit guten

Zeichnungen, anstelle der Behauptung,

jemand zu sein. Heute brauchen

wir vor allem eine verblendete Sprache,

um nicht danebenzuliegen, wenn

wir etwas erreichen wollen. Department

Design heißt es nun hinter der

Alster auf dem Mediencampus, Master

of Arts. Das ist unsere Armgartstraße

gewesen. Gebrauchsgrafiker werden

nicht mehr gesucht. Was brauchen

wir?

# Ich benötige dich

Benötigen, ein altes Wort, dringlich

klingt es, eleganter als brauchen, höflich

formuliert: Was tut not? Humor

auf keinen Fall, Ironie funktioniert

nicht! Ich schweife mal ab, treibe das

auf die Spitze. Anders als in der Politik

(der grüne Ministerpräsident Winfried

Kretschmann hat auf diese Weise gerade den

Parteikollegen und Oberbürgermeister von

Tübingen, Boris Palmer, abgestraft und korrigiert)

ist Ironie in der Kunst (noch) nicht fehl

am Platz, so hoffe ich. Ich bin es außerdem

gewohnt, abgestraft und bestraft zu werden,

und es gefällt mir. Ein Kreativer der nicht

stört, ist kein Künstler, sondern nur ein Dekorateur.

Freiheit, sich frei entfalten, ausleben können

und Träume, Wünsche entwickeln, sie sich erfüllen,

das benötigt der Mensch. Druck ausüben,

Macht über andere gewinnen, sie besiegen

wollen, brechen, ist verpönt. Das tut weh.

Menschen an sich zu binden, mitzunehmen,

wem das gelingt, der konnte Grenzen übertreten,

ohne gebremst zu werden. Was dem

einen der erfüllte Wunsch ist, Besitz, wird

dem Gegenüber ein Käfig, Leben, wie mitgeschleift

zu werden, und doch geschieht es.

Wie weit kommt der Mann; denn wir sind ja

die Bösen? „Wir mussten uns immer weiter

ausziehen, wurden wie Spielzeuge herumgereicht“,

eine Party beim Prinzen in England.

Das habe ich so in einem Interview gelesen,

das eine junge Frau gab, die jetzt öffentlich

Klage führt (und ich war ja nicht dabei). Ich

gebe zu, die Vorstellung Teil dieser Veranstaltung

zu sein erregt mich. Kranke Männer

werden dingfest gemacht, und auf der anderen

Seite böse Männer tun es, üben sexuelle

Gewalt aus. Machtmenschen, die ganz offensichtlich

nicht krank sind, nehmen sich, was

sie brauchen. Sie finden auch dazu helfende

Frauen, die das böse Spiel vorantreiben, junge

Menschen auszunutzen.

Die Gesellschaft schaute weg, die Eltern, die

Freunde waren fern, und Gott gerade hinter

dem Pluto unabkömmlich, beschäftigt. Heute

steht hinzuschauen, wenn jemand bedrängt

wird, so hoch im Kurs, dass zweierlei passiert:

Es wird gerade deswegen doch weggeschaut,

weil Zivilcourage eingefordert werden könnte,

und es wird extra hingeschaut, zu intensiv,

im voraus eilenden Sinne, weil eine Belohnung

winkt. Retter sein! Und das Unheil

entwickelt an Fahrt, das Rufmord heißt.

Es ist mein malerisches Thema geworden,

weil’s mich betrifft: Ich bin ein Mann, und ich

war selbst einmal Kind und jugendlich. Ich

möchte nicht als psychopathisches Monster

gesehen werden wegen dem, was ich sagte,

weiter (frech) male und hier im Dorf (selbst

hinschauend) treibe. Das ist scheinbar passiert,

und viel ging kaputt.

Mai 28, 2021 - Meine kleine Freiheit 52 [Seite 52 bis 56 ]

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