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Blogtexte2021_1_12

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Die Sonne verschwand hinter den Dächern,

aber es war noch hell. Zwar flimmerte die

Luft nicht mehr, die Hitze aber war noch immer

drückend.

Um halb neun öffnete Maigret seine Tür. (...).

„Gehen Sie jetzt nach Hause?“

„Wie spät ist es?“

„Halb zwölf.“

„Nun, dann ist die Brasserie Dauphine ja noch

offen, und ich werde dort eine Kleinigkeit essen.“

Maigret, Janvier und Lapointe brachen gemeinsam

auf. Zwei, drei Journalisten folgten

ihnen bis in die Brasserie, wo sie an der Theke

einen Schnaps tranken, während die drei

Männer sich in den zweiten Raum setzten

und mit müden, sorgenvollen Mienen etwas

bestellten. (Georges Simenon, Maigret stellt

eine Falle, zuerst erschienen 1955).

Die Menschen einer Generation wachsen

in der für die Zeit typischen Umgebung auf.

Vor einigen Jahren war ich mit der S-Bahn

unterwegs. Lange vor der Pandemie. Aber

noch nicht so lang her. Auf einem Sitzplatz

am Fenster fuhr ich rückwärts und konnte in

die Auwiesen schauen. Mir direkt gegenüber,

dass sich beinahe unsere Knie berührten, saß

eine junge Frau im Alter einer Studentin, Anfang

zwanzig, hübsch, dünn, schwarzes Haar.

Wir schauten aus dem Fenster, einander auch

einige Male kurz an, sie zog das Smartphone

hervor, steckte es wieder weg, wie man es

eben so macht.

Als wir an den Hochhäusern vom Autal und

dem Bahnübergang anlangten, begann eine

kleine Zeitreise scheinbar.

Das Mädchen, im Emo-Style, zieht wie selbstverständlich

eine Packung Tabak aus der

Jacke und rollt mit flinken Fingern eine Zigarette.

Sie leckt den Papierrand an, klebt

routiniert ein perfektes, schneeweißes Röhrchen

zusammen, steckt es, als der Zug den

Bahnsteig erreicht, in den Mund und steht

auf, ohne mich noch einmal anzusehen. Sie

geht durch die erste offene Tür, und während

ihr Fuß die Schwelle überschreitet, brennt

schon ihre Zigarette.

Als wäre es früher.

„Kleine Freunde“, fand einmal jemand, so wie

Kaffee, das seien Zigaretten. Aber das hörte

ich 1985 oder so. Als mich damals ein Amerikaner

besuchte, meinte der über seine Heimat:

„The land where no one smokes.“ Bei uns

aber war zu rauchen selbstverständlich.

Ich habe in Stade angefangen. Bis dahin

hatte ich nur gelegentlich geschnorrt. Wir

lagen mit den Jollen im Päckchen, ein schöner

Sommertag. Statt Segelfreundin Kocki

wie gewohnt zu fragen, ging ich ohne mich

zu erklären an Land zum Kiosk um die Ecke.

Ich kaufte eine Schachtel „Prince“ (weil Telle

die rauchte), und das wollte ich auch. Kocki

war entsetzt:

„John! Du hast eigene!?“

Meine Mitseglerin war es gewohnt, mir ihre

anzubieten und fand es gar nicht gut, dass

ich mir gerade eine erste eigene Schachtel

kaufte.

Sie sei um meine Gesundheit besorgt.

Ich habe geraucht bis etwa kurz vor der Jahrtausendwende,

nur gut zehn Jahre.

Dann habe ich wieder aufgehört.

Ich benötigte eine Schachtel am Tag und

eine zweite mindestens, wenn ich abends irgendwo

mit Leuten unterwegs war. Die Wände

meiner Wohnung waren gelb davon. Ich

arbeitete zu Hause am Rechner und rauchte

währenddessen. Mein Mitsegler Jan, mit dem

ich die Regatten fuhr, ermahnte mich oft. Man

könne nicht Sport machen und rauchen. Ich

war ganz dünn und hatte viel Ausdauer bei

schlechtem Wetter, konnte gut hängen und

mühelos in den Mast der Jolle klettern, um

etwas zu klarieren. Ich ging jeden Dienstag

zum Zirkel-Training bei Norbert. Ich machte

dreizehn gute Klimmzüge mit der korrekten

Handhaltung. Ich war bestimmt nicht kräftig,

aber ausdauernd und hatte bei der Bundeswehr

Gefallen daran gefunden, „Fünftausend“

zu laufen. Einige Jahre, und das waren die, in

denen ich Raucher war, bin ich durchaus fit

gewesen. Bei unserer Hochzeit hatte ich nach

einer Zeit, in der ich auch Pfeife rauchte, bereits

aufgehört.

Das gehört auch dazu: Ich wurde recht fett,

trainierte kaum, gab meine ambitionierte

Einstellung auf, obschon ich noch viele Jahre

in der Bezirksmeisterschaft mit guten Platzierungen

gesegelt bin. Als Sportler sehe ich

mich gar nicht. Genauso wenig als „Skipper“

im Sinne der Zeitschriften:

auf einen „Törn“ gehen, Modejacke

tragen, Seglermütze

– nein. Ich bin mit dem

Segeln und an der Elbe

groß geworden. Niemand

kann mir das nehmen, eine

Liebe zur Jolle und unsere

familiäre Vergangenheit.

Hamburger und Schulauer

Geschichte, über Hottl’, die

Nabers und Horst „Kohlensack“

Körner zurückerinnert,

bis zu den Urgesteinen Adje,

„Waldi“ Sellschopp, Karl

Rehder (Kuddl Dutt) oder Theo Tetzen mit

„Moi Bris“. Manche haben mit den Jahren immer

neue Schiffe gekauft, die entsprechend

ihrem beruflichen und familiären Status angepasst

mitgewachsen sind. Aber ein großes

Boot zu besitzen, mit dem entsprechenden

Komfort, kommt mir nicht in den Sinn. In die

vielen Preise, die ich gewonnen habe, stellte

ich normalerweise Pinsel, bewahrte Kram

drin auf, und bis heute liegen die Pötte rum.

Ich mache mir nichts daraus.

Was man tut oder lässt ist kaum entscheidend,

in Bezug auf die Befriedigung, damit

richtig zu liegen, sondern wie es individuell

Sinn macht. Das Rauchen an sich zu verdammen

ist vollkommener Quatsch. Sich beim

Rauchen im Zwiespalt zu befinden, zwischen

dem Genuss und der Gefahr, krank zu werden,

zermürbt die Psyche und bedeutet ein handfestes

Problem. Die gut gemeinte Idee eines

allgemein gesunden Lebens für jeden der nur

wolle maskiert das leider.

Ich rauchte auch Zigarillos.

Regelmäßig fuhr ich nach Kiel, der Grund:

unsere Fernbeziehung, die über ein Jahr lang

andauerte. Einmal war ich zu früh in Altona.

In Bahnhofsnähe ist das „Mercado“. Es kann

dort gewesen sein oder im Presse-Shop direkt

an den Gleisen. Ich lief hinein, um zu

bummeln, nach einer Zeitschrift für die Fahrt

zu suchen. In der Mitte einer größeren Verkaufsfläche

lag rund um eine Säule ein unordentlicher

Haufen von beträchtlicher Höhe,

wie hingeschüttet, mit Exemplaren vom

„Endlich Nichtraucher!“, Allen Carr. Ein blaues,

schmales Taschenbuch. Oben die Headline,

drunter eine Hand, die zur Faust geschlossen

eine Packung mit Zigaretten zerknüllt.

Das habe ich mir gekauft.

Ich habe es im Zug gelesen.

Rauchend in einem Zug durchgelesen?

Nicht ganz: Ich benötigte die Rückfahrt nach

dem Wochenende, um es zu schaffen, alles zu

lesen und zu verinnerlichen, rauchte dabei

die ganze Zeit, wie vom Autor geraten. Gehirnwäsche,

beschwörend logisch, eingängig

und zupackend geschrieben. Ein Bestseller.

Wie spannend kommt der populäre Text daher!

Carr schlägt vor, sich nicht selbst unter

Druck zu setzen. Es ginge darum, einen exakten

Zeitpunkt mit dem Rauchen insgesamt

aufzuhören, in der nahen Zukunft bewusst zu

planen. Also nicht die Sache auszudünnen

und etwa Nikotinpflaster draufzupappen oder

Kaugummi zu kauen. Ganz oder gar nicht. Das

Problem sei nicht das Aufhören.

Es käme darauf an, nicht wieder anzufangen.

Mit jeder zu Ende gerauchten

Zigarette höre man auf. Das

Problem sei, dass darauf die

nächste angesteckt würde:

Rauchen sei eine Sucht, keine

Gewohnheit.

„Ich mag Hummer“, schreibt

Carr.

„Deswegen esse ich nicht fünfundzwanzig

Stück davon am

Tag und morgen wieder und

so fort.“

Es schien ganz einfach, mit seiner Methode

aufzuhören. Ich las das, verschlang dieses

Buch wie einen Krimi. Es ist scheinbar ganz

schnell und plakativ, billig (wie die Bild-Zeitung)

an nur einem Tag herunter geschrieben.

Ein Groschenroman.

Mitte der folgenden Woche hörte ich dann

auf und rauche bis heute und in alle Zukunft

nie wieder eine.

:)

Apr 2, 2021 - Einfach aufgehört 40 [Seite 37 bis 40 ]

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