Blogtexte2021_1_12
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Die Sonne verschwand hinter den Dächern,
aber es war noch hell. Zwar flimmerte die
Luft nicht mehr, die Hitze aber war noch immer
drückend.
Um halb neun öffnete Maigret seine Tür. (...).
„Gehen Sie jetzt nach Hause?“
„Wie spät ist es?“
„Halb zwölf.“
„Nun, dann ist die Brasserie Dauphine ja noch
offen, und ich werde dort eine Kleinigkeit essen.“
Maigret, Janvier und Lapointe brachen gemeinsam
auf. Zwei, drei Journalisten folgten
ihnen bis in die Brasserie, wo sie an der Theke
einen Schnaps tranken, während die drei
Männer sich in den zweiten Raum setzten
und mit müden, sorgenvollen Mienen etwas
bestellten. (Georges Simenon, Maigret stellt
eine Falle, zuerst erschienen 1955).
Die Menschen einer Generation wachsen
in der für die Zeit typischen Umgebung auf.
Vor einigen Jahren war ich mit der S-Bahn
unterwegs. Lange vor der Pandemie. Aber
noch nicht so lang her. Auf einem Sitzplatz
am Fenster fuhr ich rückwärts und konnte in
die Auwiesen schauen. Mir direkt gegenüber,
dass sich beinahe unsere Knie berührten, saß
eine junge Frau im Alter einer Studentin, Anfang
zwanzig, hübsch, dünn, schwarzes Haar.
Wir schauten aus dem Fenster, einander auch
einige Male kurz an, sie zog das Smartphone
hervor, steckte es wieder weg, wie man es
eben so macht.
Als wir an den Hochhäusern vom Autal und
dem Bahnübergang anlangten, begann eine
kleine Zeitreise scheinbar.
Das Mädchen, im Emo-Style, zieht wie selbstverständlich
eine Packung Tabak aus der
Jacke und rollt mit flinken Fingern eine Zigarette.
Sie leckt den Papierrand an, klebt
routiniert ein perfektes, schneeweißes Röhrchen
zusammen, steckt es, als der Zug den
Bahnsteig erreicht, in den Mund und steht
auf, ohne mich noch einmal anzusehen. Sie
geht durch die erste offene Tür, und während
ihr Fuß die Schwelle überschreitet, brennt
schon ihre Zigarette.
Als wäre es früher.
„Kleine Freunde“, fand einmal jemand, so wie
Kaffee, das seien Zigaretten. Aber das hörte
ich 1985 oder so. Als mich damals ein Amerikaner
besuchte, meinte der über seine Heimat:
„The land where no one smokes.“ Bei uns
aber war zu rauchen selbstverständlich.
Ich habe in Stade angefangen. Bis dahin
hatte ich nur gelegentlich geschnorrt. Wir
lagen mit den Jollen im Päckchen, ein schöner
Sommertag. Statt Segelfreundin Kocki
wie gewohnt zu fragen, ging ich ohne mich
zu erklären an Land zum Kiosk um die Ecke.
Ich kaufte eine Schachtel „Prince“ (weil Telle
die rauchte), und das wollte ich auch. Kocki
war entsetzt:
„John! Du hast eigene!?“
Meine Mitseglerin war es gewohnt, mir ihre
anzubieten und fand es gar nicht gut, dass
ich mir gerade eine erste eigene Schachtel
kaufte.
Sie sei um meine Gesundheit besorgt.
Ich habe geraucht bis etwa kurz vor der Jahrtausendwende,
nur gut zehn Jahre.
Dann habe ich wieder aufgehört.
Ich benötigte eine Schachtel am Tag und
eine zweite mindestens, wenn ich abends irgendwo
mit Leuten unterwegs war. Die Wände
meiner Wohnung waren gelb davon. Ich
arbeitete zu Hause am Rechner und rauchte
währenddessen. Mein Mitsegler Jan, mit dem
ich die Regatten fuhr, ermahnte mich oft. Man
könne nicht Sport machen und rauchen. Ich
war ganz dünn und hatte viel Ausdauer bei
schlechtem Wetter, konnte gut hängen und
mühelos in den Mast der Jolle klettern, um
etwas zu klarieren. Ich ging jeden Dienstag
zum Zirkel-Training bei Norbert. Ich machte
dreizehn gute Klimmzüge mit der korrekten
Handhaltung. Ich war bestimmt nicht kräftig,
aber ausdauernd und hatte bei der Bundeswehr
Gefallen daran gefunden, „Fünftausend“
zu laufen. Einige Jahre, und das waren die, in
denen ich Raucher war, bin ich durchaus fit
gewesen. Bei unserer Hochzeit hatte ich nach
einer Zeit, in der ich auch Pfeife rauchte, bereits
aufgehört.
Das gehört auch dazu: Ich wurde recht fett,
trainierte kaum, gab meine ambitionierte
Einstellung auf, obschon ich noch viele Jahre
in der Bezirksmeisterschaft mit guten Platzierungen
gesegelt bin. Als Sportler sehe ich
mich gar nicht. Genauso wenig als „Skipper“
im Sinne der Zeitschriften:
auf einen „Törn“ gehen, Modejacke
tragen, Seglermütze
– nein. Ich bin mit dem
Segeln und an der Elbe
groß geworden. Niemand
kann mir das nehmen, eine
Liebe zur Jolle und unsere
familiäre Vergangenheit.
Hamburger und Schulauer
Geschichte, über Hottl’, die
Nabers und Horst „Kohlensack“
Körner zurückerinnert,
bis zu den Urgesteinen Adje,
„Waldi“ Sellschopp, Karl
Rehder (Kuddl Dutt) oder Theo Tetzen mit
„Moi Bris“. Manche haben mit den Jahren immer
neue Schiffe gekauft, die entsprechend
ihrem beruflichen und familiären Status angepasst
mitgewachsen sind. Aber ein großes
Boot zu besitzen, mit dem entsprechenden
Komfort, kommt mir nicht in den Sinn. In die
vielen Preise, die ich gewonnen habe, stellte
ich normalerweise Pinsel, bewahrte Kram
drin auf, und bis heute liegen die Pötte rum.
Ich mache mir nichts daraus.
Was man tut oder lässt ist kaum entscheidend,
in Bezug auf die Befriedigung, damit
richtig zu liegen, sondern wie es individuell
Sinn macht. Das Rauchen an sich zu verdammen
ist vollkommener Quatsch. Sich beim
Rauchen im Zwiespalt zu befinden, zwischen
dem Genuss und der Gefahr, krank zu werden,
zermürbt die Psyche und bedeutet ein handfestes
Problem. Die gut gemeinte Idee eines
allgemein gesunden Lebens für jeden der nur
wolle maskiert das leider.
Ich rauchte auch Zigarillos.
Regelmäßig fuhr ich nach Kiel, der Grund:
unsere Fernbeziehung, die über ein Jahr lang
andauerte. Einmal war ich zu früh in Altona.
In Bahnhofsnähe ist das „Mercado“. Es kann
dort gewesen sein oder im Presse-Shop direkt
an den Gleisen. Ich lief hinein, um zu
bummeln, nach einer Zeitschrift für die Fahrt
zu suchen. In der Mitte einer größeren Verkaufsfläche
lag rund um eine Säule ein unordentlicher
Haufen von beträchtlicher Höhe,
wie hingeschüttet, mit Exemplaren vom
„Endlich Nichtraucher!“, Allen Carr. Ein blaues,
schmales Taschenbuch. Oben die Headline,
drunter eine Hand, die zur Faust geschlossen
eine Packung mit Zigaretten zerknüllt.
Das habe ich mir gekauft.
Ich habe es im Zug gelesen.
Rauchend in einem Zug durchgelesen?
Nicht ganz: Ich benötigte die Rückfahrt nach
dem Wochenende, um es zu schaffen, alles zu
lesen und zu verinnerlichen, rauchte dabei
die ganze Zeit, wie vom Autor geraten. Gehirnwäsche,
beschwörend logisch, eingängig
und zupackend geschrieben. Ein Bestseller.
Wie spannend kommt der populäre Text daher!
Carr schlägt vor, sich nicht selbst unter
Druck zu setzen. Es ginge darum, einen exakten
Zeitpunkt mit dem Rauchen insgesamt
aufzuhören, in der nahen Zukunft bewusst zu
planen. Also nicht die Sache auszudünnen
und etwa Nikotinpflaster draufzupappen oder
Kaugummi zu kauen. Ganz oder gar nicht. Das
Problem sei nicht das Aufhören.
Es käme darauf an, nicht wieder anzufangen.
Mit jeder zu Ende gerauchten
Zigarette höre man auf. Das
Problem sei, dass darauf die
nächste angesteckt würde:
Rauchen sei eine Sucht, keine
Gewohnheit.
„Ich mag Hummer“, schreibt
Carr.
„Deswegen esse ich nicht fünfundzwanzig
Stück davon am
Tag und morgen wieder und
so fort.“
Es schien ganz einfach, mit seiner Methode
aufzuhören. Ich las das, verschlang dieses
Buch wie einen Krimi. Es ist scheinbar ganz
schnell und plakativ, billig (wie die Bild-Zeitung)
an nur einem Tag herunter geschrieben.
Ein Groschenroman.
Mitte der folgenden Woche hörte ich dann
auf und rauche bis heute und in alle Zukunft
nie wieder eine.
:)
Apr 2, 2021 - Einfach aufgehört 40 [Seite 37 bis 40 ]