Blogtexte2021_1_12

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Ein richtiges Fahrrad hat unbedingt nur eineinziges Pedal. Vom anderen Pedal darf nurdie Achse übrig sein, die von den Schuhsohlenso abgeschliffen wird, dass sie fantastischglänzt, und die das einzige glänzende Dingam ganzen Apparat sein darf.Die Lenkstange, natürlich ohne Handgriffe,darf nicht idiotisch rechtwinklig zur idealenRadfläche stehen, sondern muss um wenigstenszwölf Grad nach links oder rechts verstelltsein. Das wirkliche Fahrrad hat keinenhinteren Kotflügel; es hat nur den vorderen,an dessen unterem Ende ein gehöriges Stückvon einem Autoreifen pendeln soll, womöglichaus rotem Gummi, um das Anspritzen zuverhindern.Es kann auch den hinteren Kotflügel haben,wenn dem Radfahrer der Kotstreifen lästigfällt, der sich sonst bei Regen auf seinemRücken bildet. In diesem Fall muss aber derKotflügel seitwärts teilweise so verbogensein, dass er dem Radfahrer das amerikanischeBremsen erlaubt, das darin besteht, dassman mit dem Hosenboden das Hinterrad blockiert.Das richtige Fahrrad, das die Straßen derBassa bevölkert, hat nämlich keine Bremsen,und seine Reifen müssen so abgenützt sein,dass man ihre Löcher mit Manschetten ausalten Pneus schließen muss, wodurch jederReifen jene Verdickungen erhält, die danndem Rad eine geistvoll aufrüttelnde Bewegunganzunehmen erlauben. Dann erst wirddas Fahrrad ein wesentlicher Bestandteil derLandschaft. (Giovannino Guareschi, Don Camillound seine Herde, Rowohlt 1957).Was würde der Autor zu den heute anzutreffenden,elektrisch verstärkten Rentnerbombenmit Helm und gelber Tüte darauf sagen?Sie donnern mit Warnweste um ihren Leibgewurstet durch. Sie haben einem Spiegelam Lenker, können den Hals nicht frei drehen.Daran ändert ihr Fitness-Training in einemStudio nichts. Für alles gerüstet, vom„Trekking“ über „Spinning“ bis ins kompletteBeknackting. Dicke Taschen am Hinterrad.Sie kommen auf gepolstertem Sattel daher,der eine Sitzfläche der Größe hat, jeden Elefantenzu transportieren und benötigen entsprechendeFederung. Wenn möglich, fahrensie Tiefeinsteiger. Eingebildet fordernd, ihrervermeintlichen Wichtigkeit bewusst aus derWäsche schauend, klingeln sie sich den Wegfrei. Erkennbar sich nicht wahrnehmend, sitzendiese unnötigerweise dummen Menschenin schlapper Körperhaltung auf dem Bike undglauben sie seien normal und deswegen istes in Ordnung. In Anbetracht der Masse ihresVorhandenseins und dem Wirtschaftszweig,den sie gleichermaßen geschaffen haben,wie Tand produzierende Firmen nutzbareKonsumenten erst formten, immer neue Accessoireserzwangen, ohne die so einer nichtaufsteigt, sind sie tatsächlich normal. Zu Fußnur schnaufend unterwegs oder mit nachgeschlepptenWalking-Stöcken rumhetzend,weil ihnen wer sagte, das sei gut für sie – dasist, was ich sehe.Der verblödete Mensch ist alltäglich geworden.Er nimmt mindestens fünf verschiedene Pillenam Tag ein, die ihm drei verschiedeneÄrzte verschreiben. Dazu noch einige Präparateaus der Werbung. Die zurzeit vorgeschriebeneMaske hängt ihm vollgesabbertunter dem Kinn. Wenn irgendwo eine Warteschlangepandemiebedingt anzutreffen ist,tut er so, als bemerke er’s nicht und mogeltsich direkt in das Geschäft, die Bankfiliale.Der sich selbst, was Psyche und Physis betrifft,unbewusste aber zwanghaft drängelndeIdiot ist Alltag.# Der „Marlboro-Man“ ist an Lungenkrebs gestorbenFrüher haben die Menschen geraucht undgetrunken, auch bei der Arbeit. Heute wirdnicht gesünder gelebt, aber mehr verbotenund geregelt. Auf Youtube sind zahlreicheZusammenschnitte mit Werbung des HB-Männchens eingestellt. Vermutlich aus Gründendes Urheberrechts sind viele Filme umdie Schlussphrase der Szenen gekürzt, in deneneine freundliche Stimme sagt: „Wer wirddenn gleich in die Luft gehen?“ und das Produktempfiehlt.Eine der Episoden zeigtden Mann, der das Babyzum Hüten an der Wohnungstürübernimmt. Natürlichbrüllt das Kind imKinderwagen am Stück,und Bruno gibt alles, dasBalg zu bespaßen mit denbekannten Katastrophenund dem unverwechselbarenGezeter. Dann gehter wie gewohnt durch dieDecke. Anschließend, inder ungekürzten Fassung,zündet sich das HB-Männchen eine Zigarettean. Genüsslich und entspannt qualmendschaukelt er den Kinderwagen, und das Babygibt humorige Gluckslaute von sich.Man stelle sich die Empörung heute vor.Die täglich präsentierten Spots für AbführoderSchlafmittel, Entspannungsprodukteund Präparate zur Pflasterung des gereiztenDarms wie auch die vermeintlich nötigen B-Sprintvitale sind akzeptiert.Hyaloron-Produkte mit pharmazeutischen Inhaltsstoffenhaben Frühstückscerealien undlinksdrehende probiotische Kulturjoghurtsabgelöst. Diese Filme stören offenbar nichtso, wie armselige Reste der Tabakwerbung(mit Warnhinweis absurd doppeldeutig), gegendie verbittert gekämpft wird. Auf Schrittund Tritt farbenfreudige Großreklame, diemeine Jugend begleitet hat, bis die Zensur siezurückstutzte. Man kommt nicht umhin, dieVerbesserung, den Fortschritt zu bemerken.Die Leute werden älter. Das beweist, dass dieMedizin das Leben verlängern kann. Nie wurdeder Krebs so bekämpft wie heute.Großartig.Ich habe schon gelebt und fuhr Auto, alszwingend der Gurt vorgeschrieben wurde.Bald darauf bekamen die Fahrzeuge auchhinten welche. Eine schrittweise voranschreitendeEntwicklung, Menschen in Fahrzeugenbesser zu schützen. Es dauerte, bis Gurte imReisebus verpflichtend wurden. Die bösenFahrzeughersteller und die dummen Bürgerinnenund Bürger leisten noch Widerstandwie die Gallier bei Asterix. Die größtmöglicheSicherheit für den Menschen wäre, das Hausgar nicht erst zu verlassen und Fahrzeuge zumeiden, und vielleicht könnte man Warnhinweisean die Bushaltestellen schreiben: „Busfahrenkann tödlich sein!“ Die inzwischen mitPlexiglas vor dem Corona-Virus geschütztenFahrer der städtischen Linienbusse sind nichtangeschnallt, die Fahrgäste stehen rum. Ichhabe einmal eine Vollbremsung aus gutemTempo auf Null runter mit einem Gelenkbuserlebt, Luruper Chaussee: „Tut mir leid Leute,ein Hund“, meinte der Busfahrer lapidar. Dasbleibt mir unvergesslich.# Au-a!Eine Helmpflicht für Fahrgäste, und der Helmmuss bereits vorher an der Haltestelle aufgesetztwerden, das wird kommen. Danndie allgemeine Helmpflicht für Fußgänger,anschließend die in öffentlichen Gebäuden.Später im privaten Bereich, Schlafzimmerausgenommen, noch. Realität heute: Inden Wartehäuschen tragen die Reisenden,schon bevor der Bus kommt, nach Vorschrifteine medizinische Maske. DieKrankheit ist präzise unter demdrei Quadratmeter umschließendenDachüberstand identifiziert,von der HVV nach Hausrechtjuristisch unangreifbarkonzipiert, aber auf dem Gehwegdaneben ist kein Coronaund du kannst gern mit Meyerquatschen.Die Bank im Staddi-Schenefeldschreibt ungefähr dies am Eingang:„Hier tragen alle Maske. WennSie in die Filiale kommen, tragen Sie bitteeine medizinische Maske. Wenn Sie aus welchemGrund auch immer keine Maske möchtenoder mit medizinischem Attest davonbefreit sind, sehen Sie zu, Ihr Anliegen anderszu erledigen. Hier dürfen Sie nur mit Maskerein.“# Keine DiskussionDas Schild an der Filiale bremst Querdenkerund medizinisch wehleidige Egospinner vonBeginn an aus. Fein. Das Hausrecht und derFöderalismus zeigen die Macht einer Gruppeauf, die ihre Grenze zu ziehen weiß. Unsereindividuelle Freiheit. Wir diskutieren auf demRettungsboot mit dem Kapitän über den zusteuernden Kurs, bis wir endlich zusammenversaufen und verhungern auf dem Meer.Mein Dorf.Der Schlachter im (unweit der Bank) selbenEinkaufzentrum (in dem konsequent Maskenpflichtherrscht) beheimateten Supermarkthinter seiner Fleischtheke ist ein fröhlicherMensch. Das ist kein Spinner. Der trägt keine.Er hat ein feistes, gelbes Schild auf der Brust,darauf steht in etwa: „Fragen und belehrenSie mich bitte nicht. Ich bin aus medizinischenGründen von der Maske befreit.“Mir gefällt das. Ich finde es nicht schlimm,diese Maske zu tragen. Schlimm finde ichdiejenigen, die herumstreiten. Statt darauf zuachten, Abstand zu halten, schnauzen sie dichlieber aus fünfzig Zentimeter Entfernung an,wenn du probierst, den Aushang an der Bushaltestellezu lesen.Apr 2, 2021 - Einfach aufgehört 38 [Seite 37 bis 40 ]

Ich kann kontern. „Gehen Sie doch dahintenhin“, preie ich die Alte an, ohne sie zu respektieren,setzte böse nach: „Ich kenne Sie. Siedackeln hier regelmäßig rum. Wenn Sie michein weiteres Mal als ,Idioten‘ bezeichnen, zeigeich Sie an!“ Daraufhin bekommt die Olsches mit der Angst zu tun, dreht sich um.Die Doofe bleibt aber, mich nahezu anrempelnd,nach dem Motto „mein Platz!“ aufTuchfühlung stehen. Sie könnte locker einigeMeter unterhalb des Regendachs beiseitetreten, wenn sie sich um unsere GesundheitSorgen machte. Ich lese endlich den Aushang,weil mein 285er nicht wie gewohnt fährt, sogut es geht in dieser Position, disziplinieremich, die Klappe zu halten.Dann steigt Nancy zufällig am Rathaus ein,und das entschädigt nun wirklich.Vor wenigen Tagen bin ich auf dem Geländedes Hamburger Yachthafens unterwegs. Dasist vergleichbar mit einem großen privatenParkplatz. Es gibt mehrere Bootshallen, dazwischensind Verbindungswege und ausGründen des Flutschutzes erhöhte Plateausmit dort abgestellten Schiffen. Eine Anlage,die von Fahrzeugen nur in Schrittgeschwindigkeitgenutzt wird. Es beginnt zu regnen,als der Hafenmeister (mit seinem kleinenFahrrad unterwegs) meint, mir eine andereHalle am hinteren Ende des Geländes zuempfehlen für mein Anliegen. Ich beschließe,ihm mit dem Wagen zu folgen, statt das Autostehen zu lassen, wo es geparkt ist, und zuFuß mitzugehen. Es hört gerade auf, „langsam“zu regnen.# Natürlich schnalle ich mich nicht anSchon weil die ersten Meter ausbiegend rückwärtszu fahren sind, die nützliche Rückfahrkamerain diesem Fall schlechter informiertals eine beherzte Rumpfdrehung, der erweiterteSchulterblick, den ich in der Fahrschulelernte und in meinem Alter noch müheloszustande bringe. So weit so gut.Kaum, dass ich ins Vorwärts umgeschaltethabe, beginnt überraschend ein Warnton.Wir haben das Fahrzeug neu. Ich kann fahren,aber ich interessiere mich nicht für Autos,denke naiv: „Ach so, das ist, weil ich denGurt nicht anlegte“, und ignoriere das Signal.Vielleicht kann man es abstellen? Ich binein Mensch aus dem vorigen Jahrhundert.Ich folge dem Bootswart auf dem Klapprad.Man glaubt es nicht: Nach wenigen fünfzigMetern steigert sich das mahnende Piepen inein infernalisches Pfeifen, so was von penetrant(!) – und sicher nicht abstellbar. Das wirdmir schon klar.# Schöne neue Welt, ich will hier wegKeinen Krankenwagen kann man sich alsFußgänger noch gefahrlos anhören, wenn esihm gefällt, direkt neben dem Gehweg, aufdem man läuft, sein blödes Tatü loszulassen!Das ist lauter geworden. Eine alberne Welt,finde ich. Wir werden älter, ja, manches ist sicherer,natürlich. Es gibt die tollsten Produkte,das stimmt. Nichtsdestotrotz sind viele „Zivilisationskranke“unter uns, die an den Widersprüchenaus Erwartungen, Absicherungenund erhofften Lustbefriedigungen unsererZeit scheitern, wie immer schon Menschen injeder Epoche nicht klar gekommen sind. Dasstellt sich nur anders dar.Als ich klein war, erzählte mein Vater gernvon früher. Möglicherweise ist das ein erblicherCharakterzug. Unsere Familie käme ausdem Mecklenburgischen hieß es, und die Vorfahrenwären als Hugenotten aus Frankreichausgewandert. Tatsächlich machten meineEltern einen Ort aus: Dingelstädt, wälztenalte Kirchenbücher.Vorfahre Emil-Hermann hätte „seine Geigeauf einem Zaunpfahl zerschlagen“, der jungeMann wäre es leid gewesen, das „Gefiedel“erlernen zu müssen. Es hieß, er hätte sich zuFuß auf den Weg nach Hamburg gemacht,wurde Seemann. Mit seiner holländischenFrau begründete der Seefahrer eine Familiemit zahlreichen Kindern in Finkenwerder.Willy, der verstorbene Vater von meinem„Erich“ (den ich ganz selbstverständlich beimVornamen nannte, was irgendwie richtigerwar, als z.B. „Vati“ zu sagen), wurde von ihmals „der Alte“ bezeichnet.Wohl auch, weil er „Schipper“ im Hafen war,ein Kapitän.Der Alte. Dessen Bruder Johnny wurde vomVater zur Seefahrt gezwungen. Auf demSchiff vom Emil-Hermann, der dort als Steuermann(oder Kapitän) in der Weizenfahrtnach Australien segelte, musste der Jungean Bord mitfahren. In einem fernöstlichenHafen trickste der Vater seinen Sohn aus undließ ihn nach einem Landgang fassungslosallein am Ufer zurück. Der Junge sah geradenoch, wie die Bark nah der Kimm mit demSchlepper in See ging. Das war tatsächlichals Erziehungsmaßnahme gedacht, um einen„Mann“ aus ihm zu machen. Es wurde erzählt,Johnny hätte daraufhin nie wieder ein Wortmit seinem Vater gesprochen, nachdem esihm gelang, ein Schiff und eine Heuer nachHamburg zu bekommen. Er war mit vielleichtvierzehn Jahren ein Kind (und ohne Englischzu können) in der Fremde allein zurück gelassenworden.Später: Johnny trank.Der verkaufte Fisch und anderes in einem Geschäftam Hafen, als Adolf Hitler an die Machtkam. „Dat gift Kriech!“, waren sich Willy undsein Bruder sicher. „Un’ dat, wo ick grood upde tweete Flasche an’ Doog trainier“, befandJohnny – und meinte Hochprozentiges.Trinken war nicht ungewöhnlich.Mein Vater ist zunächst Maschinenschlosserin Wedel gewesen. In der Schlosserei war esganz selbstverständlich, Bier im Rahmen derBeschäftigung (mindestens in der Pause) zutrinken. Und es gab diejenigen, die „Holsten“bevorzugten und die anderen, die nur „Astra“tranken.Fett zu essen, das Trinken und zu rauchen warengesellschaftlich akzeptiert.Erich las gern Simenon, bei mir stehen einigeMaigrets im Schrank. Im Internet habe ichdas erste Kapitel eines bekannten Romansgefunden, an den ich mich gern erinnere. Ichprobiere es hier (stark) gekürzt und auf dieBier- und Sandwichbestellungen verdichtetzu zitieren.# Aufregung am Quai des OrfèvresAb halb vier hob Maigret von Zeit zu Zeit denKopf, um auf die Uhr zu sehen. Um zehn vorvier unterschrieb er das letzte Schriftstück,das er soeben durchgesehen hatte, schobseinen Lehnstuhl zurück, wischte sich denSchweiß von der Stirn und betrachtete unschlüssigdie fünf Pfeifen im Aschenbecher,die er geraucht hatte, ohne sie hinterherauszuklopfen. (...). Es war der 4. August. Aberobwohl die Fenster weit offen standen, hattees sich kein bisschen abgekühlt; heiße Luftdrang herein, die von dem geschmolzenenAsphalt und dem glühenden Pflaster aufstieg.Man wartete fast darauf, dass auch die Seineanfing zu dampfen wie kochendes Wasser aufeinem Herd.Die Taxis und Busse auf dem Pont Saint-Michelfuhren langsamer als sonst, schlepptensich dahin, und nicht nur bei der Kriminalpolizeiwaren alle Leute in Hemdsärmeln. Auchauf den Gehsteigen trugen die Männer ihreJacketts unter dem Arm, und vorhin hatteMaigret sogar Leute in Shorts gesehen, wieam Strand. (...).Maigret erhob sich mühsam, nahm eine derPfeifen, klopfte sie aus, zündete sie an undging dann zu einem der Fenster, an dem erstehen blieb, um das Restaurant am Quaides Grands-Augustins zu beobachten. Es hatteeine gelb gestrichene Fassade, und manmusste zwei Stufen hinuntersteigen, um inden Gastraum zu gelangen, der gewiss fast sokühl war wie ein Keller. Die Theke war einerichtig altmodische Zinktheke, an der Wandhing eine Schiefertafel, auf der mit Kreidegeschrieben stand, was es zu essen gab, undes roch immer nach Calvados.Bis zu den Buden der Bouquinisten am Seine-Ufer roch es nach Calvados.Reglos blieb er vier oder fünf Minuten stehen,zog an seiner Pfeife, sah, wie ein Taxi unweitdes kleinen Restaurants hielt und drei Männerausstiegen und die Stufen hinuntergingen.Die ihm vertrauteste der drei Gestaltenwar Lognon, der Inspektor aus dem 18. Arrondissement,der von fern noch kleiner unddünner wirkte. Maigret sah ihn zum erstenMal mit einem Strohhut.Was würden die drei trinken? Bier zweifellos.(...).Alles verlief wie geplant. Maigret ging, einwenig schwerfällig und ein wenig unruhig,zurück in sein Büro (...).Um sechs Uhr brachte der Kellner der BrasserieDauphine ein Tablett mit Biergläsern.(...). Wenn Bier gebracht wurde, war das einZeichen, dass Maigret sich auf ein langes Verhöreinstellte. (...). Um halb acht hatten sichbereits fünf Presseleute im Flur versammelt,und sie sahen den Kellner von der BrasserieDauphine mit neuem Bier und Sandwichesheraufkommen. (...). Nacheinander verschwandendie Reporter in einem kleinenBüro am Ende des Flurs, um ihre Zeitung anzurufen.(...).„Sollen wir uns auch Sandwiches kommenlassen?“„Ach was!“„Und Bier?“Apr 2, 2021 - Einfach aufgehört 39 [Seite 37 bis 40 ]

Ein richtiges Fahrrad hat unbedingt nur ein

einziges Pedal. Vom anderen Pedal darf nur

die Achse übrig sein, die von den Schuhsohlen

so abgeschliffen wird, dass sie fantastisch

glänzt, und die das einzige glänzende Ding

am ganzen Apparat sein darf.

Die Lenkstange, natürlich ohne Handgriffe,

darf nicht idiotisch rechtwinklig zur idealen

Radfläche stehen, sondern muss um wenigstens

zwölf Grad nach links oder rechts verstellt

sein. Das wirkliche Fahrrad hat keinen

hinteren Kotflügel; es hat nur den vorderen,

an dessen unterem Ende ein gehöriges Stück

von einem Autoreifen pendeln soll, womöglich

aus rotem Gummi, um das Anspritzen zu

verhindern.

Es kann auch den hinteren Kotflügel haben,

wenn dem Radfahrer der Kotstreifen lästig

fällt, der sich sonst bei Regen auf seinem

Rücken bildet. In diesem Fall muss aber der

Kotflügel seitwärts teilweise so verbogen

sein, dass er dem Radfahrer das amerikanische

Bremsen erlaubt, das darin besteht, dass

man mit dem Hosenboden das Hinterrad blockiert.

Das richtige Fahrrad, das die Straßen der

Bassa bevölkert, hat nämlich keine Bremsen,

und seine Reifen müssen so abgenützt sein,

dass man ihre Löcher mit Manschetten aus

alten Pneus schließen muss, wodurch jeder

Reifen jene Verdickungen erhält, die dann

dem Rad eine geistvoll aufrüttelnde Bewegung

anzunehmen erlauben. Dann erst wird

das Fahrrad ein wesentlicher Bestandteil der

Landschaft. (Giovannino Guareschi, Don Camillo

und seine Herde, Rowohlt 1957).

Was würde der Autor zu den heute anzutreffenden,

elektrisch verstärkten Rentnerbomben

mit Helm und gelber Tüte darauf sagen?

Sie donnern mit Warnweste um ihren Leib

gewurstet durch. Sie haben einem Spiegel

am Lenker, können den Hals nicht frei drehen.

Daran ändert ihr Fitness-Training in einem

Studio nichts. Für alles gerüstet, vom

„Trekking“ über „Spinning“ bis ins komplette

Beknackting. Dicke Taschen am Hinterrad.

Sie kommen auf gepolstertem Sattel daher,

der eine Sitzfläche der Größe hat, jeden Elefanten

zu transportieren und benötigen entsprechende

Federung. Wenn möglich, fahren

sie Tiefeinsteiger. Eingebildet fordernd, ihrer

vermeintlichen Wichtigkeit bewusst aus der

Wäsche schauend, klingeln sie sich den Weg

frei. Erkennbar sich nicht wahrnehmend, sitzen

diese unnötigerweise dummen Menschen

in schlapper Körperhaltung auf dem Bike und

glauben sie seien normal und deswegen ist

es in Ordnung. In Anbetracht der Masse ihres

Vorhandenseins und dem Wirtschaftszweig,

den sie gleichermaßen geschaffen haben,

wie Tand produzierende Firmen nutzbare

Konsumenten erst formten, immer neue Accessoires

erzwangen, ohne die so einer nicht

aufsteigt, sind sie tatsächlich normal. Zu Fuß

nur schnaufend unterwegs oder mit nachgeschleppten

Walking-Stöcken rumhetzend,

weil ihnen wer sagte, das sei gut für sie – das

ist, was ich sehe.

Der verblödete Mensch ist alltäglich geworden.

Er nimmt mindestens fünf verschiedene Pillen

am Tag ein, die ihm drei verschiedene

Ärzte verschreiben. Dazu noch einige Präparate

aus der Werbung. Die zurzeit vorgeschriebene

Maske hängt ihm vollgesabbert

unter dem Kinn. Wenn irgendwo eine Warteschlange

pandemiebedingt anzutreffen ist,

tut er so, als bemerke er’s nicht und mogelt

sich direkt in das Geschäft, die Bankfiliale.

Der sich selbst, was Psyche und Physis betrifft,

unbewusste aber zwanghaft drängelnde

Idiot ist Alltag.

# Der „Marlboro-Man“ ist an Lungenkrebs gestorben

Früher haben die Menschen geraucht und

getrunken, auch bei der Arbeit. Heute wird

nicht gesünder gelebt, aber mehr verboten

und geregelt. Auf Youtube sind zahlreiche

Zusammenschnitte mit Werbung des HB-

Männchens eingestellt. Vermutlich aus Gründen

des Urheberrechts sind viele Filme um

die Schlussphrase der Szenen gekürzt, in denen

eine freundliche Stimme sagt: „Wer wird

denn gleich in die Luft gehen?“ und das Produkt

empfiehlt.

Eine der Episoden zeigt

den Mann, der das Baby

zum Hüten an der Wohnungstür

übernimmt. Natürlich

brüllt das Kind im

Kinderwagen am Stück,

und Bruno gibt alles, das

Balg zu bespaßen mit den

bekannten Katastrophen

und dem unverwechselbaren

Gezeter. Dann geht

er wie gewohnt durch die

Decke. Anschließend, in

der ungekürzten Fassung,

zündet sich das HB-Männchen eine Zigarette

an. Genüsslich und entspannt qualmend

schaukelt er den Kinderwagen, und das Baby

gibt humorige Gluckslaute von sich.

Man stelle sich die Empörung heute vor.

Die täglich präsentierten Spots für Abführoder

Schlafmittel, Entspannungsprodukte

und Präparate zur Pflasterung des gereizten

Darms wie auch die vermeintlich nötigen B-

Sprintvitale sind akzeptiert.

Hyaloron-Produkte mit pharmazeutischen Inhaltsstoffen

haben Frühstückscerealien und

linksdrehende probiotische Kulturjoghurts

abgelöst. Diese Filme stören offenbar nicht

so, wie armselige Reste der Tabakwerbung

(mit Warnhinweis absurd doppeldeutig), gegen

die verbittert gekämpft wird. Auf Schritt

und Tritt farbenfreudige Großreklame, die

meine Jugend begleitet hat, bis die Zensur sie

zurückstutzte. Man kommt nicht umhin, die

Verbesserung, den Fortschritt zu bemerken.

Die Leute werden älter. Das beweist, dass die

Medizin das Leben verlängern kann. Nie wurde

der Krebs so bekämpft wie heute.

Großartig.

Ich habe schon gelebt und fuhr Auto, als

zwingend der Gurt vorgeschrieben wurde.

Bald darauf bekamen die Fahrzeuge auch

hinten welche. Eine schrittweise voranschreitende

Entwicklung, Menschen in Fahrzeugen

besser zu schützen. Es dauerte, bis Gurte im

Reisebus verpflichtend wurden. Die bösen

Fahrzeughersteller und die dummen Bürgerinnen

und Bürger leisten noch Widerstand

wie die Gallier bei Asterix. Die größtmögliche

Sicherheit für den Menschen wäre, das Haus

gar nicht erst zu verlassen und Fahrzeuge zu

meiden, und vielleicht könnte man Warnhinweise

an die Bushaltestellen schreiben: „Busfahren

kann tödlich sein!“ Die inzwischen mit

Plexiglas vor dem Corona-Virus geschützten

Fahrer der städtischen Linienbusse sind nicht

angeschnallt, die Fahrgäste stehen rum. Ich

habe einmal eine Vollbremsung aus gutem

Tempo auf Null runter mit einem Gelenkbus

erlebt, Luruper Chaussee: „Tut mir leid Leute,

ein Hund“, meinte der Busfahrer lapidar. Das

bleibt mir unvergesslich.

# Au-a!

Eine Helmpflicht für Fahrgäste, und der Helm

muss bereits vorher an der Haltestelle aufgesetzt

werden, das wird kommen. Dann

die allgemeine Helmpflicht für Fußgänger,

anschließend die in öffentlichen Gebäuden.

Später im privaten Bereich, Schlafzimmer

ausgenommen, noch. Realität heute: In

den Wartehäuschen tragen die Reisenden,

schon bevor der Bus kommt, nach Vorschrift

eine medizinische Maske. Die

Krankheit ist präzise unter dem

drei Quadratmeter umschließenden

Dachüberstand identifiziert,

von der HVV nach Hausrecht

juristisch unangreifbar

konzipiert, aber auf dem Gehweg

daneben ist kein Corona

und du kannst gern mit Meyer

quatschen.

Die Bank im Staddi-Schenefeld

schreibt ungefähr dies am Eingang:

„Hier tragen alle Maske. Wenn

Sie in die Filiale kommen, tragen Sie bitte

eine medizinische Maske. Wenn Sie aus welchem

Grund auch immer keine Maske möchten

oder mit medizinischem Attest davon

befreit sind, sehen Sie zu, Ihr Anliegen anders

zu erledigen. Hier dürfen Sie nur mit Maske

rein.“

# Keine Diskussion

Das Schild an der Filiale bremst Querdenker

und medizinisch wehleidige Egospinner von

Beginn an aus. Fein. Das Hausrecht und der

Föderalismus zeigen die Macht einer Gruppe

auf, die ihre Grenze zu ziehen weiß. Unsere

individuelle Freiheit. Wir diskutieren auf dem

Rettungsboot mit dem Kapitän über den zu

steuernden Kurs, bis wir endlich zusammen

versaufen und verhungern auf dem Meer.

Mein Dorf.

Der Schlachter im (unweit der Bank) selben

Einkaufzentrum (in dem konsequent Maskenpflicht

herrscht) beheimateten Supermarkt

hinter seiner Fleischtheke ist ein fröhlicher

Mensch. Das ist kein Spinner. Der trägt keine.

Er hat ein feistes, gelbes Schild auf der Brust,

darauf steht in etwa: „Fragen und belehren

Sie mich bitte nicht. Ich bin aus medizinischen

Gründen von der Maske befreit.“

Mir gefällt das. Ich finde es nicht schlimm,

diese Maske zu tragen. Schlimm finde ich

diejenigen, die herumstreiten. Statt darauf zu

achten, Abstand zu halten, schnauzen sie dich

lieber aus fünfzig Zentimeter Entfernung an,

wenn du probierst, den Aushang an der Bushaltestelle

zu lesen.

Apr 2, 2021 - Einfach aufgehört 38 [Seite 37 bis 40 ]

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