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Selbstwirksamkeit

Mrz 4, 2021

Als ich Kind und später Jugendlicher war, in

Wedel bin ich aufgewachsen an der Elbe, in

den Siebzigern ging ich zur Schule, machte

Realschulabschluss 1981, waren viele der

heute üblichen Redewendungen unbekannt.

Sensible Daten, Transparenz im Sinne offener

Vorgänge im System, alltägliche Floskeln:

„Das passt schon, alles gut, einen schönen

Tag noch!“, niemand redete so. Unwörter des

Jahres kamen allmählich auf, einige störten

sich an Anglizismen. Verfechter theoretischer

Sprache, Puristen sagten Leitscheit (anstelle

Lineal) und wiesen darauf hin, dass ein Pullover

dem Wort nach ein Überzieher wäre.

# Wie sprechen Menschen?

Damals, wir lernten im Englischunterricht als

Bezeichnung für Radiergummi „rubber“ zu sagen,

aber ein Freund klärte uns auf, nach dem

er zwei Wochen in den USA gewesen war: racer

(von eraser). „Ein rubber ist ein Gummi. Ein

Gummi ist ein Präser, ein Präservativ.“ Kondom

sagte niemand. Dazu mein Vater, die Freunde

seiner Generation fragten einander: „Hast du

Tüten dabei?“ Und als Segler horchte jemand

auf: „Brugt Gummi!“, hätte ein Däne nebenan

gemeint, als ein entsprechendes Ding im

Hafenwasser trieb. So nennt man das? Hafengespräche

vereinter Nationen. „Sind Sie gut

geschlafen, und wie geht Ihre Frau?

Wir spitzten die Ohren, und bis heute sind

ganz viele neue Worte gebräuchlich. Das

Gendern, eine Rechtschreibreform wurde

durchgekämpft. Mir brachte man noch bei,

wie albern es aussehen würde, wenn drei

„f“ aufeinanderträfen, da das menschliche

Gehirn ein Wort wie beispielsweise Schiffahrt

ohne Mühe begreifen könne, ohne in

seiner Mitte ein Monstrum verkrampfter Ligaturen

zu benötigen. Lehrer Kröger ahnte

nicht, dass natürliches Denken den Erfolg in

der Konsumgesellschaft stört, wer braucht

denn so was? Den Siegeszug des programmierten

Gehirns erlebte er nicht mehr. Wir

verwendeten Telefone mit Wählscheibe, und

sie standen auf einem Tischchen im Flur.

„Fasse dich kurz!“ meinte meine Mutter. Natürlich

waren die Schiffe im rau-hen Wetter

unterwegs, da spürten wir diesen Hauch von

einem Buchstaben, der von den modernen

Schlaumicheln gern entfernt wird, die es auf

der anderen Seite forcieren, im Wort- wie

im Flussstrudel mit der Schifffahrt

dreifach korrekt abzusaufen. Streit

war auch früher möglich: Brachte

uns ein Lehrer bei, in typischen

Worten wie Ritter, Butter oder Watte,

die beiden „t“ eleganter mit einem

einzigen waagerechten Strich

kombiniert zu schreiben, gab es in

der nächsten Stunde von der Kollegin

in Vertretung einen üblen Anraunzer

dafür. Lehrer waren schon

immer eingebildet und soo doof,

bis auf die wenigen Ausnahmen, die

man sein Leben lang nicht vergisst,

liebgewonnen, respektiert hat, weil

sie klug waren.

Wie sagt man Donald Duck oder spricht man

das englisch aus, darüber konnten wir damals

streiten. Bis heute habe ich ein Problem mit

englischen Kombiwörtern im heimischen

Umfeld. Fährt der Linienbus vorüber und „Talkline“

steht fett auf seiner Seite, dann lese ich

im Geiste mitsprechend „Talk“, entsprechend

dem Klang von „Kalk“, und ende aber auf „lein“,

denke englisch im zweiten Teil des Wortes.

Wäre ich im Urlaub, und in einer englisch

sprechenden Umgebung, passierte das sicher

nicht, dann liefen mir ohnehin englische Gedanken

durch den Kopf. Ich spreche englisch

nicht besonders gut. Es fällt mir aber leicht im

Ausland, damit umzugehen. Wenn auf einem

dicken Lastwagen „Fahrschultrucks“ prangt,

denke ich das „u“ in „schul“ wie das in „trucks“,

und es klingt einfach nur albern nach. Eingebildet

ist dieses Wort und neudeutschdoof.

„Fahrschullastwagen“ wäre noch blöder; wir

haben uns daran gewöhnt. Im Rahmen von

Pandemie und Brexit hören wir seit einiger

Zeit vermehrt Engländer im Fernsehen, werden

daran erinnert, dass sie anders reden als

Amerikaner, denen wir nacheiferten. Da ist

ein lustig angezogener Bobby im Original zu

hören, und der sagt ganz selbstverständlich:

„Lorry“ und „Lorrydriver“, als im Hintergrund

lange Schlangen vor dem Eurotunnel stehen.

Wer in den Achtzigern dieses Wort nahm,

wurde von den Mitschülern belächelt, denn

so wurde uns „Lastwagen“ ja in der Schule

beigebracht, wie albern. Es heißt: Truck.

# Unterwegs im Convoy mit den anderen

Kris Kristofferson ist Martin „Rubber Duck“

Pennwald, und wir können jetzt auch englisch,

„Donäld Dack“ – geil. So war es richtig,

damals, als meine Eltern veralteten und wir

das allmählich bemerkten. Jetzt sind sie tot.

Gerade war der erste März, da hätte meine

Mutter Geburtstag gehabt, und wir sind im

fünften Jahr, nachdem sie starb. Es tut weh,

dass da niemand ist, Standardwitze und familiäre

Geschichten zu wiederholen. Die sind

mit den Alten verstorben.

In der Zeitung habe ich doch ein Wort gefunden,

das scheint mir neu, aber es gefällt mir:

„Selbstwirksamkeit“ heißt es. Da sind zwei

„Psychotanten“ (mein Wort dafür) in einem

Bericht vorgestellt, die etwas mit Kindern

kranker Eltern machen, und dergleichen überfliege

ich normalerweise. Ich denke, Frauen!

Und dann noch Psychologinnen, bescheuert.

Ich kann meine Abneigung gegen Menschen,

die sich selbsterklärt und etwa von Beruf gewollt

in das Leben anderer einbringen, um

zu helfen, nie mehr unterdrücken. Aber hier

kommt das neue Wort, und ein guter Absatz

sticht ins Auge.

# Die Kinder und Jugendlichen lernen Selbstwirksamkeit,

also daran zu glauben, dass sie

Dinge lernen, Einfluss nehmen und Herausforderungen

bewältigen können. „Und sie schaffen

es, eine neue Beziehung zu ihren kranken

Eltern aufzubauen, ohne sich verantwortlich

für sie zu fühlen“, sagt Peres. (Schenefelder

Tageblatt, AWO Schenefeld betreut Kinder

psychisch kranker Eltern, 03.03.2021).

Das gefällt mir!

Ich mag sehr dieses: „Selbstwirksamkeit“, wie

auf der anderen Seite „kranke Eltern“ verdächtig

ungenau ist. Viele Kinder möchten

die Probleme der (gesunden) Eltern lösen. Ihnen

ist daran gelegen, belastende Zustände

ihrer Umgebung zu glätten. Sie haben einen

anderen Blickwinkel. Ein Kind möchte die

Welt ändern. Es soll so sein, wie es sein muss,

damit die Gemeinheiten aufhören. Eine große

Aufgabe. Nur Greta Thunberg ist eventuell

so stark wie Pippi Langstrumpf! Viele kennen

das, Dinge ärgern uns scheinbar. Es sind die

Personen dahinter. Sie drängen, schneller als

notwendig, eine komplizierte Tätigkeit auszuführen.

Dazu müssen wir nicht wissen, wer

uns gerade ärgert. Eine Erfahrung von früher

hat sich längst verselbstständigt. Dann steckt

„der Teufel im Detail“, meint man. Was ist denn

„krank“ und neurotisch, und was geht gerade

noch durch? Natürlich sind in Behandlung

befindliche Menschen und Eltern mit einer

Diagnose klassifiziert, eventuell medikamentös

eingestellt, vom Arzt als Patient bezeichnet

im Sprachgebrauch „krank“. Das möchte

ich nicht bestreiten. Wer allein nicht mehr

klar kommt, und dann sind noch Kinder betroffen,

das ist schlimm. Ärzte benötigen spezielle

Kenntnisse, um helfen zu können. Es

gibt psychische Not, die einige sich nicht vorstellen

können. Trotzdem, mit diesem Wort

„krank“ kann so viel „Schindluder“ (ein Begriff

aus dem vergangenen Jahrhundert) getrieben

werden, dass Menschen abgestempelt

ein Leben lang ausblenden, wie absurd das

Verhalten anderer ist, die sich nicht in diese

Schublade stecken lassen. Dann wird nie

heil und gesund, was nicht kaputt oder krank

ist, weil das nur Definitionen sind. Mit Grippe

bist du krank, ein Auto geht kaputt, und ein

Mensch erlebt sein Dasein, verändert sich,

wenn – wir es uns erlauben. Es gibt keinen

Seelenklempner, das ist auch so ein altmodisches

Wort, wenn Seele die grauen Zellen

meint. Wer den Kopf reparieren will, soll den

Menschen nicht vergessen. Für die Seele ist

Gott zuständig, und der klempnert nicht. Davon,

dass der Psychiater mit einer Medizin

das Gehirn der Eltern zusifft, wird der Haussegen

nicht gerade gerückt, das stimmt. Da

ist es fein, wenn mehr geschieht.

Die Kinder bei der AWO sind in der glücklichen

Situation, dass sich Helfer ihrer annehmen.

Unzählige Kinder wachsen in Elternhäusern

auf, die für sie eine nicht minder absurde

Umgebung bedeuten, ohne dass die mit der

Erziehung überforderten Papa und Mama als

krank gelten. Selbstwirksamkeit zu lehren,

ist viel positiver als „bist selbst dran schuld“

Mrz 4, 2021 - Selbstwirksamkeit 27 [Seite 27 bis 28 ]

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