Blogtexte2021_1_12
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„Der Schrei“ kam in Norwegen
nicht gut an.
Munch musste sich harsche
Kritik anhören, seine
seelische Gesundheit
wurde zum öffentlichen
Thema. Aus seinem Tagebuch
geht hervor, dass Munch tief von den
Reaktionen auf seine Kunst getroffen war.
Tatsächlich litt der 1863 geborene Künstler
anscheinend an Depressionen und Angstzuständen,
wie auch sein Vater und seine
Schwester. Die nachträgliche Inschrift auf
dem Gemälde war demnach wohl Edvard
Munchs Beitrag zur Debatte seiner Kritiker.
(Verwendete Quellen: BBC, Edvard Munch
wrote „madman“ graffiti on Scream painting,
scans show. Mysteriöse Inschrift, Forscher
lösen Rätsel um Edvard Munchs „Der Schrei“
22.02.2021, t-online).
Diese Geschichten, die wir (ich bin auch so
einer) machen, verrückt! Ich habe eine Freundin
(wäre es bei uns üblich, hätte ich gern einen
Harem), und dass, obwohl Nachbar Irakli
meint: „Zu dir setzt sich keine Frau mehr an
den Tisch.“ Er kennt mich? Der Künstler, das
bin ich. Bekannt im Dorf, nicht nur wegen der
„unmöglichen“ Bilder. Einmal mehr habe ich
„Scheiße gebaut“, und wir reden. „John!“, sagt
Melli, reißt die Augen auf, beschwörend packt
sie meinen Arm: „Das macht man im Dunklen,
wenn einen keiner sieht“, meine allerliebste
kleine Mellimaus ist entsetzt. Aber ich denke
anders als Gustl, mir gefällt es, im Rechtsstaat
zu leben. Ich habe einen besseren Eindruck
davon. Natürlich, auch ich möchte nur zu oft
„ganz weit weg“ – weiter als Edinburgh (wie
die Zweitliebste). Ich weiß aber, dass es nicht
geht. Da kommt schließlich (ewiglich und untrennbar)
die Haupt- und beste Ehefrau, unverzichtbar
vor allen anderen dran, und wir
bleiben natürlich hier. Nicht nur die Schwerkraft
gibt Halt, bindet. Ein anderes Mal, Melli
geht es gerade beschissen, als nun ich ihr mit
einem kleinen Hüpfer an der Bushaltestelle
zeige: „Du kannst hier nicht weg.“ Lieb hab’
ich sie. Alle.
Heute ein „Greta-Gedanke“, es gäbe keinen
Planet „B“ für uns, und man kann es größer
interpretieren: „Da sei nur eine Welt oder keine“,
erkennt Trompeter Dizzy bereits 1990 in
Prag, die Leute klatschen minutenlang. Wenn
das stimmt, nur eine Welt existiert, können
wir sie nicht verlassen, nicht einmal im Tod.
Eine Kunst, effektvoll zu malen wie Rembrandt.
Wir können mit dem Helldunkel umgehen
oder werden zwischen den Fronten zu
Staub zerrieben. Die Existenz kennt das Ende
Tod, kann aber nicht sagen, was genau nicht
existent zu sein für diejenigen bedeutet, deren
Leben beendet ist. Staub denkt nicht, ist
sichtbarer Dreck, immerhin. Die letzte Möglichkeit,
noch Putzfrau*in zu ärgern. „Dunkle
Materie“ ist unsichtbar und möglicherweise
mehr. Der Mensch muss lernen, mit etwas
zu navigieren, das niemand fassen kann. Die
Wirklichkeit von gestern ist die Karte, mit der
wir ins Morgen schippern. Weil wir so beschränkt
informiert darüber sind, wie etwas
war, wenn es vergangen ist. Wir haben hinten
keine Augen, und kriegen vieles nie mit. Das
ist nur eine der Gemeinheiten dieser auch bösen
Welt. Deswegen hat sich der Rechtsstaat
entwickelt. Das ist unser Fortschritt, seitdem
„Herr Jesus“ angenagelt wurde, weil er einige
zu sehr nervte. In dieser Tradition stehen, vom
heiligen Stephanus, nach dem unsere kleine
Kirche hier im Schenefelder Dorf benannt ist,
über viele andere, bis zum „Nawalny“ einige,
die so unbequem sind, dass eine Macht ihnen
das Maul verbieten will.
# „Wir“ machen Fehler
Natürlich ist Mollath nicht nur Opfer. Einzelne
brechen das Gesetz, aber auch Menschen
im Staat tun das, und dann greift dieses System,
das uns alle bindet. Je nach Land eine
gnadenlose Maschinerie bei den einen, bürokratisches
Unwesen bei anderen. Zu Unrecht
eingesperrt vom Staat: Wie es Gustl Mollath
ergangen ist in der Bundesrepublik Deutschland,
hat manche entsetzt, andere kaum interessiert.
Er ist ja wieder „draußen“, werden sie
meinen. Viele kommen nie mit dem Gesetz in
Konflikt. Sie finden es leicht, gut zu sein und
selbstverständlich. Immer sind sie die Äpfel,
die anderen Birnen, halten sich für gute
Menschen, begreifen nicht, dass ihnen nur
was gut gelingt. Scheuklappen ersetzen die
Bewusstheit genauso wenig, wie ein Medikament
den Psychopathen normalisiert. Auch
Normale können überraschend „geisteskrank“
werden – ein doofes Wort, „depressiv“ (immer
traurig), elegant trendy ist auch: „Burnout“ –
müssen sich neu definieren.
# Großartig!
„Sie hielte es mit Anne Frank“, meinte unsere
Bürgermeisterin über ihr Wirken an verantwortlicher
Position, als wir uns noch lange
Mails schrieben und mochten. Das sollte
wohl heißen, sie als Vertreter des Staates
lebe nach den Gesetzen des Widerstands von
damals, ließe sich leiten von idealen Werten,
könne deswegen nicht fehlgehen durch den
inneren Kompass. Heute „sind wir der Staat
die Guten“ und einen Antidemokraten Trump
halten wir aus, bis er wieder gehen muss
prophezeite sie. Sie hatte recht, was Trump
betrifft. Toll, Christiane: Ich ertrage dich, bis
du gehst. Schweigen ist erst möglich, nachdem
man alles andere probierte. Zum Letzten
bleibt das einseitige, unregelmäßige offene
Tagebuch, ein fiktives Meinungsbild und nur
eine alternative Wahrheit. Ein Blog ist nicht
sein Mittagessen zu posten und andere Banalitäten,
die dann sehnsüchtig kommentiert
zu sehen. Das ist Quatsch.
Ich wollte wissen, warum mein Freund und
Segelkamerad tot ist. Ich wollte wissen, ob es
mir selbst passieren kann, so massiv in emotionale
Not zu geraten, warum? Warum, das
habe ich mich gefragt, immer wieder. Keiner
konnte es erklären. Ausflüchte und mehr davon.
Lang ist’s her, und heute weiß ich es besser.
Schön zu leben, aber wie lange noch, ist
nicht mehr wichtig. Was soll mir die Zukunft,
wenn ich heute glücklich bin? Das Alter wird
nicht leicht sein, so viel ist gewiss. Ich erinnere
mich, und das hilft mir zu denken.
Wie etwa zu planen, was ich gleich nach der
Luvtonne machen will, beim Segeln, wenn
ich zuvor gut kreuzte und vorn vor dem Feld
liege. Die nahe Zukunft kann durch die gegenwärtige
Entscheidung ganz gut vorbereitet
werden, nur Automaten handeln nach
Programm unter Zwang. Die eigene Entscheidung
zu treffen, bedeutet wählen zu können,
wohin es gehen soll. Einen Luvkampf mit Piet
beginnen oder besser tief fahren, wie läuft
der Strom? Freiheit, Fairness und Fehler machen;
das Modell geschickt zu leben, ist im
Sport zu finden.
Und überall dort, wo wir sonst aufmerken, beginnen
plötzlich nachzudenken.
„Fruchtwasseruntersuchung? Wenn Sie die
machen, müssen Sie abtreiben, wenn das
Ergebnis eine grundsätzliche Missbildung
wie etwa das Down-Syndrom zeigt. Wenn Sie
nicht abtreiben wollen, brauchen Sie diese
Untersuchung nicht zu machen.“ Erst denken,
dann tun was alle machen oder eben nicht.
Manches müssen wir ganz allein herausfinden:
Ein ekliges, verlogenes Pack scheint die
Gesellschaft zu sein? Man muss ja nur die
Zeitung aufschlagen. Ganz weit weg, wohin
denn?
# Maria 2.0
Und doch ist Licht in der Finsternis und
verlöscht nicht. So steht es geschrieben,
was heißt das? Ein veraltetes Buch, das immer
wieder umformuliert wird, in aktuelle
Sprache. Meine Prophezeiung: Bald wird es
durchgendert werden. Warum gibt es keinen
zweiten Band? Die Bibel zwei, und jetzt auch
verfilmt von Disney.
Ich werde nicht müde, mir alltäglich neue Geschichten
irgendwo abzuschauen und stutzig
zu werden, neu zu interpretieren. Noch eine
Facette desselben: Da wird eine junge Frau
im Tageblatt porträtiert, zwanzig Jahre alt
etwa, im Bikini. Strahlt glücklich in die Kamera,
lange blonde Haare und schön zum gleich
Vernaschen für den Mann.
Unten sichtbar ist ein beuteliges Pflaster und
eine Narbe quer über den Bauch.
Sie ist hübsch, und ein Arzt hat ihr einen
künstlichen Darmausgang in den Unterleib
operiert, das müsste sein. Weil sie eine Soundso-Krankheit
habe mit Durchfall, Verstopfung,
was weiß ich was dazu und Problemen
noch und nöcher, und das sei auch gefährlich,
mache man jetzt nichts. Tatsächlich?
Das würde ich nicht glauben, wenn ein Arzt
das sagt. Verstopft, verkackt und geschickt
verpfuscht ist dieses Leben. Böse bin ich und
asozial verstockt. Voller Zorn! Kein Vertrauen
in andere: „Trau, schau wem“, die Verantwortung
liegt bei dir selbst zu entscheiden, was
gemacht wird. Wer will denn leben? Wir atmen,
das Herz schlägt, es geschieht.
Mit der Diagnose „Krebs“ konfrontiert, muss
ein Mensch die gewöhnliche Haltung: „Ich
krieg’s nicht“ (nur die anderen) aufgeben.
Wer meint, grad jung zu sein und deswegen
interessiere das Siechen alter Menschen im
Pflegeheim nicht, denkt wohl, man selbst sei
ja erst später betroffen. Dann könne man sich
damit beschäftigen, alt und krank zu sein. Ich
musste schon Hilfe annehmen. Ich habe um
vieles bitten müssen. Ich fürchte die mir aufgezwungene
Hilfe, der ich mich verbal nicht
entziehen kann, wenn ich schwach bin, in die
Enge getrieben. Den Tod fürchte ich nicht.
Feb 27, 2021 - Hell, dunkel und farbverrückt 21 [Seite 20 bis 24 ]