Blogtexte2021_1_12
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lichen. Das gehört nicht hierher, ich möchte
nur andeuten, etwas vom Thema zu verstehen,
ohne mich als Arzt zu legitimieren,
umgekehrt als Idioten zu outen, dem es um
die Anteilnahme in einer Selbsthilfegruppe
ginge. Mir geht es prima, ich bin kein Doktor
und erzähle gern! Als Kreativer ist zu denken
und kommunizieren mir eine Herzensangelegenheit.
Meine Ansicht, dass die Kindheit
und Jugend uns prägen, zu Gewohnheiten
führen, die möglicherweise krank machen, ist
bekannt. Ich halte wenig davon, psychische
Krankheiten auf Vererbung hin festlegen
zu wollen. Keine Veranlagung bindet so
fest, dass wir nicht, unterwegs auf eigenen
Wegen, von unserer individuellen Geschichte
verändert werden.
Gene, mit denen wir ins Leben starten,
haben Einfluss auf unser Verhalten. Ihre
Aktivität kann sich aber durch Emotionen in
Reflexion zur Umgebung ändern. Das Gute
daran, es auf diese Weise zu betrachten, ist
die Möglichkeit positiver Entwicklung. Die
statische Sicht auf die Welt und uns als Person
verselbständigt sich. Wir berauben uns
der Perspektive, uns noch ändern zu können.
Eltern wollen das Beste unbedingt. Gut
gedacht ist aber nicht immer gut gemacht.
Wir sollten einsehen, dass der Begriff
„Eltern“ zusammenfügt, was es so nicht gibt.
Es ist eine Abstraktion von Familie, Eltern,
den Erziehern oder Freunden zu sprechen,
verstempelt Individuen zur intellektuellen
Kombi. Die Liebe von Vater und Mutter zueinander
ist eine gleichermaßen dynamische
wie abstrakte Verbalisierung, die auch im
Begriff der Mutterliebe zum Kind nichts
weiter als einen zusätzlichen Ast wachsen
lässt, einen Arm dieser Konstruktion ausfährt,
der ein Kind bestenfalls trägt. Wie das
genau geschieht, ob es die Arme der Mutter
sind, die das Kind halten und schützen oder
es die Angewohnheit einer Familie ist, mit
Worten Trost zu geben, wenn es mal nicht so
gut läuft für einen Heranwachsenden, ist so
individuell, dass es sich verbietet zu urteilen,
wie es richtig gehöre zu lieben.
# Nun die erwähnte Geschichte mit unserem
Boot
Wir waren im kleinen Belt mit dem Delfin
unterwegs. Das muss Anfang der Achtziger
gewesen sein. Sämtliche Boote, die
mein Vater erwarb,
segelte, nannte er
gleich. Sie hießen,
wie man bekanntlich
die Weltenbummler
nennt; aber niemals
sprachen wir von
unserer Yacht als
„die“ Globetrotter,
entsprechend der
weiblichen, für
Schiffe bevorzugten
Anrede. Dieser Kielschwerter
mit der
Baunummer 32 war
der Nachfolger unseres Jollenkreuzers, den
meine Eltern nur wenige Jahre besaßen. „Der
Delf“ hatte die Abmessungen einer komfortablen
Kieljacht, ging aber nur gut einen
Meter tief, was sich auf der Elbe im Tidengewässer
auszahlt. Ich habe ein Foto aus dem
Jahr 1980 gefunden, das mich mit meinen
Eltern im Schlauchboot hinter Fænø vor der
Biegung in Richtung Middelfart zeigt.
Das kommt so ungefähr hin mit dem Ort
und der Zeit, in der ich die erzählenswerte
Begebenheit erlebte. Als Jugendlicher mit
vierzehn oder jedenfalls noch nicht siebzehn
Jahren, verbrachte ich die Sommer mit meinen
Eltern an Bord. Wir segelten etwa vier
Wochen, meistens auf der Ostsee. Zwischen
der erwähnten Insel und der Landzunge (auf
deren gegenüberliegenden Seite Middelfart
liegt), gibt es einen schmalen Wasserarm.
Bevor die Marina in eine nahe Bucht gebaut
wurde, war das bereits
ein beliebter Ankerplatz.
Es steht hoher Wald,
der gibt Schutz gegen
plötzlichen Wind über
Nacht, und es ist eine
Engstelle, an der typischerweise
keine Welle
steht, idyllisch.
Meine Eltern hatten als
Fischhändler in Wedel
auch außerhalb des
Berufs ein Faible für das
Angeln und selbst Zubereiten
ihres Lieblingstieres
aus dem Meer.
Wir schleppten am Bott
auf- bzw. abgewickelt
Sehne mit wirbelndem
Zugblinker nach,
fingen Hornhechte. Mein
Vater ließ das Schiff an
guter Tiefenlinie bei
Flaute treiben, und die
ganze Familie pilkte
auf Dorsch. „Hört auf!“,
mahnte meine Mutter,
„wer soll die alle essen?“
Sie erinnerte ihre tollen
Fischerslüd an begrenzte
Kapazitäten! Nicht
nur unsere Mägen, auch
der damals fehlende
Kühlschrank an Bord,
setzten dem Gemetzel schließlich ein Ende,
wenn wir das Cockpit wie im Rausch mit den
schönsten Fischen voll angelten. Mein Vater
Erich stellte (auf Anholt) Aalkörbe aus. Er
verlegte gelegentlich eine Reuse. Dazu verankerte
er diese mit dem kleinen Draggen
für das Beiboot, kennzeichnete die Stelle
mit einem Fender, der ihm als Boje geeignet
schien, um sie anderntags wiederzufinden.
Immer wieder brachen wir zum Fang auf. Wir
angelten vom Boot
und vom Strand aus.
Wir aßen mindestens
zweimal die Woche
Fisch, manchmal
auch mehr. Nur nicht
an Heiligabend.
Nach dem Schlachten
von vorbestellten
Karpfen, Schlei’
und Forellen in derartigen
Massen, wie
wir sie im Advent
verkauften, mochte
Weihnachten niemand noch dran denken.
Räucherlachs zum Frühstück an den Feiertagen
und ein winziges Glas mit echtem
russischen Kaviar, der ja quasi ein Vermögen
kostete, war erlaubt! Sylvester, obwohl auch
dann viel bestellt wurde, aßen wir durchaus
Karpfen mit den Gästen aus Blankenese.
Ich liebte diese geschlagene Sahne mit
Meerrettich dazu und die zerlassene Butter;
mag es heute noch. Oberhalb vom Maul
des Karpfens in seiner weichen Backe, dort,
wo das Fleisch gern rötlich ist und einen
ganz eigenen Geschmack anbietet, suchten
wir dieses kleine Fischlein aus Gräte, eine
winzige, knöcherne Platte, fast hauchdünnes
Porzellan …
Das sogenannte „Karpfenglück“ mussten wir
finden, um es über das Jahr im Portemonnaie
dabeizuhaben.
Wir konnten nie
genug kriegen,
auch im
Sommerurlaub
beim Segeln. Es
gab andauernd
Fisch. Mein
Lieblingsessen
war gebratener
Aal, und den
aßen wir sogar
einige Male im
Restaurant, dem
„Aalekrøn“ auf
der Insel Møn.
Normalerweise
gingen meine Eltern
in Dänemark
mit uns Kindern
nicht essen. Das
war hier teuer,
im Vergleich zu
den in Hamburg
gewohnten
Preisen. Meine
Mutter kochte
hervorragend,
auch an Bord, auf
dem praktischen,
zweiflammigen
Gasherd, der auf
der Backbordseite
gleich am
Niedergang
montiert war.
Die Stücke vom frischen Aal, den mein Vater
nach dem Fang etwa in Salz tot laufen ließ
(keine freundliche Methode), zuckten noch
beim Braten und hatten tatsächlich die Neigung,
aus der Pfanne springen zu wollen.
Ich war nicht tierlieb. Interessiert las ich die
beliebten Sachkinderbücher von Tessloffund
Bunter Kinder-Kosmos. Als ich zum
ersten Mal einen Flusskrebs abgebildet sah,
musste mein Vater sofort welche vom Markt
mitbringen, die wir wie Hummer kochten.
Diese genauso, sie kamen mit zusammengebundenen
Scheren lebend ins kochende
Wasser. Waren sie gar, hatten die Tiere ihre
rote Färbung, schmeckten köstlich mit
Majonäse. Wir hatten eine eigene Majonäsemaschine
im Laden; alles drehte sich um
Fische und Delikatessen in unserem Leben,
auch im Urlaub auf der Ostsee. Ich las Moby
Dick, und meine erste Reaktion auf den Walfang
war, ein Steak von diesem Riesentier
essen zu wollen wie Taschtego. Ich bekam
Thunfisch, immerhin.
In einem dieser Jahre ankerten wir an der
erwähnten Stelle. Mein Vater machte die
Angelruten klar, wir pumpten das Schlauchboot
auf. Nachdem die nötigen Vorbereitungen
getroffen waren, lösten Erich und
ich uns vom Dickschiff und pullten das
kleine Beiboot einige hundert Meter an eine
mutmaßlich günstige Stelle zum Fischen.
Es stand Strom, fast wie auf der Elbe. Das
ist im Kleinen Belt nicht ungewöhnlich. Wir
Dez 22, 2021 - Kein Fisch an Heiligabend 154 [Seite 149 bis 156 ]