Blogtexte2021_1_12
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Das ist aber weiterhin der Wunsch derjenigen,
die nicht verstehen können, warum
sie in einer Therapie besseres Verhalten
lernen müssen ohne erkennbares Ziel am
Ende. Das bleibt so vage wie die Normalität
ja ohnehin ein dehnbarer Begriff ist. Nach
einem grundsätzlichen Ansatz zu suchen,
psychische Krankheiten von den anderen zu
unterscheiden, wie den Fisch vom Landtier,
obwohl man weiß, wie verschieden diese
Störungen jeweils daherkommen, scheint so
abwegig nicht. Schließlich weckt die Therapie
Hoffnungen, man müsse nur folgsam
lernen, um irgendwann gesund zu werden?
Bei manchen ist ihre psychische Krankheit
so eindeutig, das Verhalten gezwungenermaßen
behandlungwürdig,
dass wir es doch schaffen
müssten, geistige Gesundheit
zu definieren. Könnten
Anfangspunkt und
These falschen Verhaltens
exakt definiert werden,
bewegte man sich in die
Richtung weg davon.
Es könnte jeder „facing
backwards“ navigieren,
wie es beim Fliegen heißt
und Fortschritte messen,
Etmale wie in einer Karte
eintragen.
Spezialisten gelingt in den
meisten Fällen, Krankheiten
wie Krebs, Infektionen
und organische Dysfunktionen
von denen abzusondern,
die einer gestörten Psyche mit den
unterschiedlichen Ausprägungen Depression,
Psychose oder Neurose, Zwangsstörung
zugeordnet sind. Nun sollte möglich sein,
Therapieziele zu formulieren und Fortschritte
zu prüfen. Patienten müssten zum
Training finden, dürften nicht beim Hausarzt
oder praktischerweise beim Psychiater um
die Ecke landen.
Es gibt, um das Beispiel weiter zu verwenden,
Menschen, die mögen keinen Fisch. Sie
weigern sich, die unterschiedlichen Gerichte,
Zubereitungen der allerverschiedensten
Wasserlebewesen auszuprobieren. Diese
schmeckten ihnen nicht, sagen sie. Dem
Gourmet ist es ein Rätsel, bei der Vielfalt
an Geschmacksnuancen, die ein guter Koch
hervorzaubern kann, wenn Fisch auf der
Karte steht. Es gibt sie aus Fluss und Teich,
die Süßwasserfische. Wir fangen Fisch aus
dem Meer, Ozean und der Tiefsee inklusive
der Krabben, Krebse und Austern, Muscheln
und was weiß ich Oktopussen. Wir können
dünsten, köcheln, braten und gratinieren,
Salate machen, Sushi essen: Die schmecken
doch alle verschieden, die Fische. Es gibt
Vegetarier aus Überzeugung, aber manche
mögen fettes Fleisch, kümmern sich um
keinen Rat, wie es sich gehöre, gesund zu
essen. Die kleine Abschweifung mag illustrieren,
dass Haarspalterei in den Diagnosen
möglich und gelegentlich schwierig zu
sagen ist, worin eine psychische Erkrankung
besteht, aber auf der anderen Seite eine rote
Linie verläuft, die den geistig Gesunden von
demjenigen trennt, der zum Psychiater muss.
Fisch ist nicht Fleisch.
Und genauso, Luxus der Einbildung, wie
sich’s ein Hypochonder einredet, meint
wiedergeboren, im falschen Körper gefangen
zu sein oder mit aufgespritzten Lippen sei
es gut, gibt es den kranken Kopf wie den
gebrochenen Fuß. Die Grauzone aus Lebensüberdruss,
Langeweile, Desorientiertheit
eines im Wohlstand verlorenen Millionärs
oder der arbeitsunwilligen Person, die den
Gang zum Arzt als Zeitvertreib aufsucht,
endet dort, wo ein Mensch zwangsweise
eingewiesen wird, weil es nicht anders
geht. Neben den eindeutig pathologischen
Fällen finden sich etliche Menschen, deren
Normalität als grenzwertig anzusehen ist,
obwohl sie mit einem Verhalten aufwarten,
dass umgangssprachlich als bescheuert
bezeichnet wird. Als Spinner abgewertet,
können sie trotzdem auf individuelle Weise
integriert leben. Krank ist in erster Linie, wer
zum Arzt muss und nicht wer mal hingeht,
weil’s gefällt.
# Genie und
Wahnsinn, verrückte
Künstler
Nicht wirklich
ein neues Thema;
vom Spinner
ist es nicht weit
zum kultigen
Typen, der
irgendwie dazugehört.
Da stellt
sich die Frage,
warum gibt es
Künstler, und
wozu braucht
die Gesellschaft
ihre Objekte,
die Malerei und
den vielfältigen Kram, der zwar gelegentlich
hochwertig gehandelt wird, aber nicht
unbedingt nötig erscheint?
Das sind weniger verschiedene Themen,
sich näher als Fisch und Fleisch. Der normale
Mitbürger, auf der anderen Seite die
Kunst und die Suche nach dem Grund für
psychische Krankheit; warum gibt es das?
Es geht um die Existenz: Die individuelle
Antwort zum Lebensentwurf ist so verschieden
wie der Mensch an sich. Das Einfachste
wäre wohl, alle machten nur nutzbringende
Sachen. Die Handwerksberufe, die Ebene
der Führungskräfte, die Sicherheit im Staat,
Medizin, Politik, es gäbe ja genug.
Warum beginnen Menschen mit Malerei,
beschränken sich nicht wenigstens, wenn es
unbedingt sein
muss, darauf,
die Köter und
Enkelkinder der
Verwandtschaft,
die Brandung vor
Sylt oder die Porträts
der Kanzler
anzufertigen?
Warum sind Menschen
so blöd,
im Wahn einen
Amok zu starten,
anstelle einfach
zu arbeiten und
anschließend zu
chillen, ficken, was weiß ich? Warum lassen
sich nicht alle endlich gegen das Coronavirus
impfen usw. – das sind diese Fragen, die
sind so unmöglich zu beantworten, wie die
nach dem Grund, warum es uns überhaupt
gibt. Nichtsdestotrotz ignorieren nicht
wenige diese Tatsache und halten verbal
auf alles drauf, das ihnen nicht geheuer ist.
Besonders, wenn etwas nicht nutzt, sondert
Schaden anrichtet. Nicht wahrhaben wollen,
das manches zum Dasein auf diesem Planeten
dazugehört, ist ihre Haltung. Glücklich
sind diese – wie sie betonen – Klügeren
nicht und motzen, mobben, lynchen wo’s
geht.
Ein neuer Ansatz, Spinner, Geisteskranke,
Querdenker und Künstler, Andersdenkende
schlechthin zu begreifen, wäre, ihnen pauschal
Neid vorzuwerfen. Wer nicht mitmacht,
einfach normal dabei zu sein wie’s die Masse
hinbekommt, ist neidisch auf diese Fähigkeit
und Duldsamkeit, unter dem sozialen Druck
kein Unwohlsein zu spüren?
Eine Masse Mensch folgte Adolf Hitler
begeistert in das Naziregime. Eine breite
Menge trägt die Demokratie, und das sehen
wir überall: Eine Mitte der Gesellschaft ist
soweit zufrieden, dass sie als normaler Block
verstanden werden kann. Ob nun freiheitlich
und demokratisch streitend oder uniform in
der Diktatur, zunächst einmal gibt es immer
den größeren Kern eines Systems. Den Rand
bilden einzelne Sprenkler oder gruppierte
Andersdenkende, unter Umständen zum
Widerstand bereit. Der Innenminister unterscheidet
gern den Terrorist vom kranken Einzeltäter
im Falle von Attacken, aber zunächst
einmal können wir sagen, dass Amok, Geisteskrankheit
und dem System keinen Nutzen
bringende Menschen den Rand bilden.
Neid als Ausdruck darin zu sehen, würde ein
Handlungsfeld bedeuten, wenn wir diese
Haltung beschreiben könnten. Durch Zufall,
und weil ich als Jugendlicher etwas las,
fand ich einen Hinweis darauf, den Neid als
Körperfunktion zu isolieren und weniger
verbal zu begreifen. Neid gehört zu den unerwünschten
Gefühlen. Für viele Menschen
finden psychische Krankheiten im Kopf statt.
Im Gehirn, das messbar entgleist, finden sie
ihren wissenschaftlichen Halt, diese Störung
einzuordnen und vergessen gern, dass
jeweils ein Körper zum entsprechenden Kopf
gehört, der mit seinen Armen und Beinen
all diese absurden Dinge macht, die ein
Verrückter anstellt.
Die meisten Gesunden laufen einigermaßen
normal. Die wenigsten psychisch Kranken
erwecken den Anschein entspannter Bewegung,
aber es gibt auch Momente, in denen
sie uns alle übertreffen, manisch aufdrehen,
mitreißen und sich
besser bewegen als
Ottonormal. Sich
mit der Bewegung
und überhaupt den
Spannungen in der
Muskulatur auseinanderzusetzen,
könnte
helfen, psychische
Krankheiten als dem
ganzen Menschen
innewohnend zu
begreifen.
Was haben Körper
und Verhalten
gemein? In der Regel verstehen wir den
Umgang mit anderen als entweder normal
oder zu therapierende Fehlleistung. Dass der
Körper eines Verhaltensgestörten anormal
funktioniert, wird gern übersehen, wenn es
darum geht, diese Störungen in alltägliche,
die Existenz verbessernde Handlungen zu
ändern. Das ist nicht klug. Leicht kann sogar
der Laie den guten Sportler erkennen, den
Dez 22, 2021 - Kein Fisch an Heiligabend 150 [Seite 149 bis 156 ]