Blogtexte2021_1_12
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Ich kam nie auf die Idee, selbst eins besitzen
zu wollen, den entsprechenden Führerschein
zu machen. Prägend war auch, einmal einen
Unfall als Augenzeuge miterlebt zu haben.
Ein Paar auf starker Maschine donnert
vorbei, ein junger Mann mit Freundin, zum
Überfluss noch in Jeans unterwegs; das soll
man ja nicht. Dieser erschreckend nicht
blinde Fleck
in meiner
Erinnerung:
Es ist schon
vierzig Jahre
her. Sie fliegen
durch die Luft,
das Motorrad
hat sich in ein
Auto verbissen,
dann liegen
die beiden auf
dem Asphalt.
Alles vermischt
sich. In
meinem Kopf,
das ist alles
nur in meinem
Kopf, und bei
den anderen
ist anderes
drin. Auch diese Geschichten. Irgendwie
geistert der Irving noch rum im Hirn. Mal
scharf, dann wieder verschwommen, aber
final endgelagert bleibt die Erinnerung an
lange Passagen aus der Familiengeschichte
vom Freund, der Salzstreuer klaut und Tiere
befreien will. Und dann Owen Meany; das
Leben auf’s unweigerliche Ende hin zu leben
und keine Zweifel zu kennen, wie fühlt sich
das an?
Als ich noch mit Alexandra befreundet war,
schrieb ich Rundmails an „Kunstfreunde“,
wenn es galt, zu einer Ausstellung einzuladen.
Manchem schickte ich gelegentlich
ausufernde Gedanken. Das passiert mir heute
kaum noch, eine lange Mail zu versenden.
Andere Menschen sind mir komplett egal,
wie meine eigene Existenz, die ohnehin bedeutungslos
ist. Ich vertreibe mir die Zeit, bis
ich endlich gehen kann. Alex’ Freunde haben
mich andere Wege gelehrt zu erzählen. Das
hier drängt sich nicht auf, muss niemand
lesen, wird nie kommentiert, von anderen
reflektiert. Niemand dürfte dabeisein. Mein
eigener Kosmos, mit einer Tür in den Äther
der anderen. Dagegen Ungeimpfte: Vorsicht,
kreative Aerosole!
# Vor kurzem war Volkstrauertag
Ich habe von oben aus dem Atelier zugesehen
wie etwa Gerd, Kalle, Christiane und
Rinja ins „Lindos“ gingen. Da bin ich froh,
nicht mehr dazuzugehören. Mit dem Staat,
gleich welcher Art, kann ich „der Künstler“
wie sie’s mir spottend nachrufen, nicht
befreundet sein. Das lernte ich. Erinnerung
beflügelt: Opa bekam Schwierigkeiten, weil
er nicht in „die Partei“ eintrat. Es gab ja nur
eine, und bald gehörte es dazu. Jeder wurde
automatisch damit konfrontiert: „Du büst
nich’ inpedd, Heinz?“ So kam man beruflich
nicht voran. Der andere Großvater saß im
Lager ein, weil er ein loses Mundwerk hatte
und das einigen nicht gefiel. Für mich nicht
mehr als Anekdoten der Kindheit. Konsequenzen:
Ich ignoriere jede Kunst anderer,
gehe in keine Ausstellungen, lese kein Buch,
schaue keinen Film. Es tut weh, dran zu
denken, dass ich mich für manches begeistern
konnte. Ich darf nicht daran denken. Es
macht zornig auf die Politik, die Polizei, die
Ärzte und die von ihnen Instrumentalisierten
– samt und sonders Arschlöcher. Das ist
meine Meinung, und sie ist als solche noch
erlaubt.
# Der Rechtsstaat, daran glaube ich (und
seine Grenzen)
Jetzt kommt
Totensonntag.
Bald ist Weihnachten.
Nicht
nur dann
denke ich zurück,
wie’s war
mit meiner
Kunstfreundin,
die immer
nur Liebes
sagte, bis sie
ermahnt, angewiesen
und
kontrolliert
abgezogen
wurde, vom
mutmaßlich
gefährlichen
Mann? Ich
bin kein Heiliger, es gibt keinen Johnstag.
Der Rumms, ein Schlusspunkt im Leben,
das Ende einer Geschichte; was bedeutet
das? Ein Meteor sei, zunächst unbemerkt,
in die Arktis, in das eisige Wasser gestürzt
und hätte die Kraft einiger Atombomben
entwickelt, damals genau an diesem
finsteren Dezembertag. So steht es im Netz.
Da ist wohl Energie übergesprungen: „Den
hätte ich auch verkloppt“, meint eine alte
Schenefelderin dazu, zu mir, und das tut gut.
Diese Grenze habe ich gezogen
und Gnade erfahren. Das Ende
sollte uns bewusst sein. Beamte
und Politiker sind ersetzbar,
reine Automaten. Nicht selten
missbrauchen sie ihre Macht.
Die Zeit zum Feiern und Buße
tun. Vor kurzem hatten wir den
Martinstag. Ein Freund heißt
wie der. Er ist geduldig und
freundlich zu meinen Texten,
schreibt selbst. Er durfte diese
Mail unten lesen, das passt ganz
gut zum erwähnten Irving.
# Martin Luther, der vorne ja
heißt wie du, wollte selbst gar
keine neue Kirche. Wir hören:
„Du magst keine anderen Götter
haben neben mir“, und insofern
bedeutet jede weitere Religion,
dass sich Gott mit neuer Auslegung verändert.
Die Kritik daran ist, ob sich der Mensch
einen ihm gemäßen Gott selbst schaffen
kann oder der eine sich entwickle, wir die
Dinge anders verstehen, weil wir eine längere
menschliche Geschichte kennen?
Warum gibt es keine Bibel zwei, der Klassiker
hat keine Fortsetzung, warum?
Der Briefträger und Hausmeister (das könnte
er sein, weiß ich ja nicht) vom Rathaus
glaubt, er habe Krebs bekommen, als Strafe,
weil er zwei weitere Beziehungen zu anderen
Frauen aus Chorfreundschaften einging,
während er doch verheiratet gewesen ist,
behauptet er wenigstens mir gegenüber.
Vielleicht ist er gar nicht in einer Kirche, das
wäre möglich – und verfolgt anderes, mich
zu bequatschen; aber als nächstes schimpft
der Mann regelmäßig auf den Islam. Das
finde ich nun wieder nicht nachvollziehbar,
weil ich so glaube, dass da ein Rahmen für
uns alle ist, inklusive Pflanzen, dem Getier
und natürlich sämtlichen Menschen, auch
denen aus anderen Religionen, weil es eben
so ist, wir nicht weg können, an Grenzen
stoßen – und nicht weil wir beschließen wie
sich’s gehöre.
Wenn ich das bekannte Foto von Mohammed
Atta anschaue, der ein Flugzeug in
das WTC lenkte, weiß ich, dass ich diesen
Blick nicht reproduzieren kann, obschon ich
genauso Mensch bin. Und würde ein Film
gedreht, fände sich schwerlich ein Schauspieler,
der mal so eben auf diese Weise
schauen könnte. Dem Mann war bewusst,
wohin seine Reise gehen würde, das drückt
dieser Blick aus, finde ich; wie etwa Sophie
Scholl mehr als nur ahnt, dass sie in aller
Kürze hingerichtet wird, unschwer zu spüren,
auf dem bedrückenden Dreifachbildnis, das
man leicht googeln kann. Für den Henker
galt Sophie als tapfer, und der Mann mit
dem Fallbeil machte seine Arbeit für das
aktuelle Regime. Für Atta war das WTC
und damit Amerika, unzählige Zivilisten
anzugreifen eine Pflicht, nichts anderes ist
es für Sophie gewesen, diese Flugblätter zu
verteilen, welche die Gesellschaft aufrütteln
sollten, Adolf Hitler zu stürzen. Wenn
auch heute niemand bereit sein wird, diese
beiden als auf dieselbe Weise motiviert zu
sehen, so lässt sich kaum bestreiten, dass
sie eine starke Motivation für ihr Handeln
fanden und konsequent zu Ende, buchstäblich,
ihren Weg gegangen sind. Als Maler und
auf den Blick, Gesichtsausdruck anderer Spezialisierter,
denke
ich viel weniger
darüber nach, Atta
zu verachten und
Sophie auf den Sockel
der Geschichte
zu stellen, damit
selbst ein wenig
besser wirken zu
wollen als die
Bösen, sondern
weine mit denen,
die bereit waren,
selbst zu sterben
für ihre Überzeugung.
Ganz egal,
wie das allgemein
bewertet wird. Das
bringt mir Unverständnis
ein; und
doch sind wir alle
nur Menschen.
Dazu bin ich ganz fest davon überzeugt,
dass negative und als „nieder“ besetzte
Gefühle zu haben, wie Neid und schlimmere,
zum Menschsein dazugehören. Gott
kann mitnichten den Hass verbieten. Das
musste er bereits mit der Sintflut und bei
der Geschichte mit Sodom und Gomorrha
einsehen, dass seine Schöpfung genügend
Eigenleben entwickelt, welches er nicht dauerhaft
bestrafen kann. Er gibt uns – selbst
einsichtig, dauerhaft eine Beziehung mit
dem sich ändernden Menschen zu haben –
vielmehr die Möglichkeit, daran zu wachsen
und schenkt Gnade.
Nov 18, 2021 - Volkstrauertag 136 [Seite 135 bis 137 ]