Blogtexte2021_1_12

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# Der ganze MenschFunktional und von der Struktur ähneln sichMenschen ziemlich. Sie unterscheiden sichdurch individuellen Erfahrungen. Das Wissenprägt sich nicht nur in die „Rinde“ seinesGehirns ein, der Mensch lernt insgesamt. Werein Tennisspiel gewinnen kann, weiß seinenKörper entsprechend zu verwenden, wie injedem Beruf spezielle Bewegungen nötigsind. Modernes Homeoffice macht deutlich,dass ergonomische Arbeitsplätze nichtgrundlos entwickelt wurden, um orthopädischeBeschwerden am Arbeitsplatz zuvermeiden. Nett zu Hause arbeiten, ist nichtjedermanns stressfreie Zone.Die Idee eines Daseins nach dem Todübersteigt unsere Vorstellungskraft schondeswegen, weil wir uns in der Summe nichtaußerhalb vom Körper, seinen Extremitätenund ganzheitlicher Erfahrungen begreifen,untrennbar ein Individuum sind. Wer möchteals Rind wiedergeboren sein?Noch dazu krank, heilig zwar,aber mit Wahnvorstellungen ausfrüheren Episoden des Lebensdurch Mumbai strolchen. DiesenVorteil gäbe es: Eine psychischkranke Kuh könnte andere nichtmit einer Axt angreifen. Wie aberfühlt sich’s an, das Jenseits imZustand der Demenz ewiglich zuerleben? Darüber müssten Rentnerim Seniorenstift nachdenken,denen der baldige Tod gewiss ist.Das Beste inklusive Jungbrunnenerwarten manche da oben imHimmel.Körper und Geist getrenntdarzustellen, ist eine Abstraktion.Obwohl es vertraute Begriffesind, helfen sie gerade nicht,Menschen und Verhalten zukennen. Wir spalten die Person.Damit verzettelt sich manchermehr als gut ist. Der Titel einerintelligenten Theorie lautetim Original: „Body and MatureBehaviour“ und nicht „Weg zumreifen Selbst“, wie die deutscheÜbersetzung. Ärzte sindspezialisiert und handeln isoliert.Der studierte Weißkittel einergeschlossenen Station glaubtnicht selten an den kranken Geistfür sich genommen. Ohne Konzept lässt manDesorientierte basteln und malen, weil dasin der Regeln gut tut und bietet Entspannungseinheitennach Jacobson oder alsbilligen Abklatsch Feldenkrais für (geistig)Arme an. Ärzte überhöhen sich, ohne Erfolgebelegen zu können. Wenn es dem Patientenbesser geht, bleibt der exakte Grund, warumihm das gelungen ist, dieser nicht wirklichzu entschlüsselnde Multikomplex ausFaktoren; wie schon bei der Suche nach derUrsache einer Erkrankung das Übel vielfältiggewesen ist. Keinesfalls wird der behandelndepsychiatrische Arzt etwas in der Artseiner Kollegen aus den anderen Fachbereichengemacht haben, das nachweislich wieein neues Hüftgelenk operativ Besserungbringt, wenn etwa der orthopädischeChirurg seinen Auftrag bekam. Wir solltendie Spürbarkeit der menschlichen Strukturnutzen, ihre Funktionalität zu bessern undVerstörten die Ordnung im Körper lehren,der Angst einen individuellen Rahmen zusetzten. Das hieße therapeutisch auf dieIntelligenz der Kranken zu setzen und dürftegesellschaftlich schwierig zu etablieren sein.Je nach Schwere der Verhaltensauffälligkeitmüssten auch neue Ansätze an bekannte,unüberwindbare Grenzen stoßen. Immerhin,es wurden Fortschritte gemacht; es könnteaber besser sein in der Psychiatrie. Besondersder Allgemeinheit nützte klügeresDenken anstelle stereotyper Darstellungender Presse.# Es gibt keine psychischen KrankheitenEs gibt keinen kranken Kopf, der nicht seineBeine zum Laufen nimmt oder die Armeschwingt, mit denen er Aktivitäten startet.Krank ist immer der ganze Mensch, wennwir vom „Geisteskranken“ reden. Spannung,Fluchtkräfte, Angriff: Diese drei Funktionensetzt ein psychisch Kranker unkontrolliertfrei, gegen andere, und ein selbstbeschädigenderAngriff auf die eigene Person istauch denkbar. Der Einsatz von Psychopharmakamöchtediese Energienzu vermeidenhelfen. Das gewohntePrinzipder Maßnahmen,zusammenmit einer aufMäßigunghinwirkendenTherapie, wirddie Problemeoft genug verewigen.Warumgenügt es derGesellschaft,ihre krankenMitglieder aufvielfältige Weiseauszusortieren?Nach wie vordiktiert dieHilflosigkeitgegenüber denProblemen unserHandeln.Amok wird zuralltäglichenBedrohung. Einums andere Malentsetzt die zurSchau gestellteFachlichkeit derVerantwortlichen, die in Wirklichkeit nichtwissen, was sie tun. Einen anderen kennen,hieße sich selbst kennen, sagt man. Bei psychischKranken eine Höchstanforderung fürdiejenigen, denen solche quasi an die Handgegeben sind. Berufsbezogen übernehmennicht wenige die Aufgabe zu helfen. Dasist in der Realität viel schwieriger, als mansich’s normalerweise vorstellt.Wir wollen gut sein, nicht strafen, stattdessenhelfen. Man möchte wegsperren, aberSchuldunfähigkeit feststellen. Es klingt wie:„Wir waschen unsere Hände in Unschuld“,und „das ist kein Gefängnis.“ Würde die Psychiatrieihre Behandelten in überschaubarerZeit dauerhaft gesund machen, könnte sieals anerkannte Fakultät einen Ehrenplatz inder Gesellschaft haben. Sie sperrt in ersterLinie weg, doktert weiter herum wie man’skennt. Das verschriebene Medikament, dieFußfessel am Bein der frei herumlaufendenSexualstraftäter sind weitere Einfälle, dieerdacht wurden, anstelle echter Integrationmoderne Käfige um diese Menschen herumzu basteln. Das macht die Betroffenen zornigund listig, nun gerade Rache zu nehmen, wiees immer wieder passiert. Gelehrt werdenmüsste die dosierte Anwendung unsererKräfte, wie die Gesunden sich einen Platzin der Gesellschaft ja auch erst erkämpfen.Es ist bekanntlich noch kein Meister vomHimmel gefallen.Manche Tante nimmt an einer FriedenswerkstattTeil und verschrobene Langbartonkelmöchten Frieden schaffen ohne Waffen, aberdiese Leute erträgt die Gesellschaft als Spinner.Wenn sie sich wenigstens gegen Coronaimpfen ließen, meinen viele und nicht etwaradikal für den gewaltfreien Frieden ihreSteine schmeißen.Und genau hier beginnt das Problem:Niemand möchte Gewalt erleben. KeinPsychiater will die Verantwortung übernehmen,wenn ein Patient ausrastet. Wenn dieGesellschaft nicht wahrhaben mag, dassAggression in ihrer brutalsten Form wie imdosierten Gebrauch, sich effektiv im Lebendurchzusetzen, das Ergebnis von Angst undÜberlebenswillen ist, werden wir weiterim Dunkeln tappen. Wir müssen größereGefängnisse und Psychiatrien bauen. Wirverspotten weiter Querdenker aller Art,können sie aber nicht verhindern, und vieleswird bleiben, wie es ist.:)Nov 13, 2021 - Nur ein Traum 134 [Seite 132 bis 134 ]

VolkstrauertagNov 18, 2021Früher habe ich gern gelesen. Ich bin oftim Kino gewesen. Das fing wohl mit „HomoFaber“ an, von Max Frisch. Wir lasen esgemeinsam in der Schule, mussten das Buchanalysieren und Referate halten. Thorstenund ich bekamen die Aufgabe, den im Buchthematisierten Ödipus-Komplex ausfindigzu machen und darüber zu sprechen. Wirwussten gar nicht, was das ist. Es gab keinInternet damals, und es dauerte ein wenig,bis wir unser Thema skizzieren konnten. Dieanderen in der Klasse erhielten paarweisezugeteilt andere Aufgaben, den Romanbetreffend, und nach einiger Zeit ging esschließlich los mit den Referaten. Anschließendbegann ich mich für Literatur zuinteressieren und las bis in die Mitte meinesLebens hinein unzählige Romane und Sachbücher,gab es dann auf.Mir genügt mein eigenes Leben und seinschon erkennbares Ende.Es ist anders gewesen. Ich probierte zuverstehen und war fasziniert von allenGeschichten. Ich sah als Jugendlicher „Spielmir das Lied vom Tod“ mit Bronson imKino, einige Male sogar, bis die Handlungverständlich wurde, die vielen Details. Eineganz wunderbare musikalische Inszenierungist Teil dieses großartigen Films. Es ergreiftund berührt den Zuschauer unweigerlich,nimmt mit, wenn die Kamera über dasBahnhofsgebäude nach oben schwebt unddas wunderbare Thema wie eine Welleanhebt, uns in die staubige Westernstadtgeradezu hinein spült. Die düsteren Klagender Mundharmonika und das wiederkehrende,einfache Motiv der klopfenden, wieHufe eines Pferdes im Takt angeschlagenenTöne, kann ich noch heute jederzeit abrufen.Natürlich schaute ich mir Robert de Niro als„Noodles“ im bald folgenden Monumentaldramaan, probierte, alles zu begreifen. Ichsah viele Filme und gehe heute nie mehr insKino; Ausnahme: „Star Wars“ (mussten wirsehen, unbedingt).Meine Bilder, die Malerei; ich glaube schon,dass Erzählungen und selbst zu erzählenmich fasziniert. Darum habe ich auch sovieles gelesen? Mit Karl May ging das los.Winnetou, der Anfang beim BüchsenmacherHenry, die ersten Seiten hatte mir meineMutter noch vorgelesen. Dann meinte sie,wie es weiterginge sollte ichselbst herausfinden. Nach MaxFrisch ab den Achtziger Jahrenfand ich immer neue und anerkannteAutoren und besonderserinnere ich, wie es mitJohn Irving losging. Ein kleinerBuchladen irgendwo in Hamburg,ich weiß gar nicht mehr, wodas gewesen ist und warum ichdort so viel Zeit vertrödelte. Eswar außer mir nur ein weitererMensch, ein fast zierlicher undmuskelloser, dünner Mann inschwarzer Kleidung, der Besitzerwomöglich, vor Ort, keine anderenKunden, und dieser beschäftigtesich am Schreibtisch einesHinterraumes oder im Bereich der Ladenkasse.Das Ambiente entsprach einer privatenAltbauwohnung im Erdgeschoss. Der Laden,schon von der Lage irgendwie versteckt,winkelte sich drinnen weiter; weiße Wände,hohe Räume und dicke, hölzerne Türfüllungenan den Durchbrüchen, in mehrere,mit Büchern geradezu gefüllte Räume. So,als wäre man bei einem Bibliophilen zuHause. Ich fing an, in einem Roman zu lesen,während ich vor einem der Regale stand. Einweißes Taschenbuch, nicht eben dünn, mitkleiner Schrift. „Lasst die Bärenlos!“, was konnte das bedeuten?Der Autor war mir unbekannt. DasBuch wurde auf der Rückseiteals „Erstling“ vorgestellt. Ich ließmich schon im Laden ein wenigdrauf ein, begann den Anfanginteressiert zu lesen. Das mit demSalzstreuer, den der neue Freundvom Erzähler mitgehen lässt?So steht das dort gleich vornan,glaube ich.Der Verkäufer schaute michprüfend an, während ich meinte,es gefalle mir, darin zu lesen unddeswegen möchte ich das Buch.Ich bezahlte also und war dann noch mitder Hochbahn unterwegs. Ich las gleichweiter, weil es so glaubwürdig daherkam,wie alles beschrieben wurde. Später kamich ins Stocken mit dem dicken Ding. Eswurde ein Roman, den ich nicht in wenigenTagen schaffen konnte. Es nervte, wenn esdem Erzähler wieder einmal eingefallenwar abzuschweifen. Viele Male stellte ichdiesen ersten Irving weg, nahm „Lasst dieBären los!“ aber bald immer wieder neu auf,zur Hand, las weiter – weil ich doch magischeingefangen davon war.Wie das wohl zu Ende gehen würde?Dieser „John“, ein Namensvetter, wurde eineZeitlang zum Lieblingsautoren von mir.Dabei habe ich gar nicht alles gelesen. „Zirkuskind“fing ich mehrfach an und brachtees nie zu Ende. „Die vierte Hand“ gab esmal zu Weihnachten. Dieses Buch ist direktin unser kleines Eckregal im Wohnzimmereingezogen und steht dort ungelesen. Auchschwierig: Den „Wassertrinker“ brach icheinige Male ab. Für diesen vergleichsweiseschmalen Band benötigte ich, das blödeBuch ganz zu lesen, vermutlich mehr als einganzes Jahr (oder mehrere), weil ich immerwieder von vorn anfing damit, wenn ichentnervt aufgegeben hatte. „Piggy Sneed“,da konnte man herausfinden, dass eine alteAusgabe 1984 den Namen mit „Schweini“eingedeutscht hatte, während es später(1995) original belassen war. Wir könnenenglisch. Schnelle Bücher von Irving? „DasHotel New Hampshire“ legt man nicht weg.„Garp“ konnte ich sofort durchlesen. Das mitHomer und Larch genauso: Mache dich nützlich.„Owen Meany“ las ich an zwei Tagenkomplett oder sogar an nur einem Tag? Esist dick dafür.Das Konsequente an diesem Buch ist der fürOwen feststehende Schluss.Demgegenüber stehen die Zweifel desErzählers, nicht nur an seinem Glauben, auchinsgesamt staunt der uns diese Geschichtepräsentierende die ganze Zeit. Er grübeltund hinterfragt das eigene Leben und gibtseine Unsicherheiten preis.853 Seiten, die letzte davon unbeziffert.Vor kurzem telefonierte ich mit einemFreund. Ein gelegentlicher Mitsegler aufmeinem Boot und langjähriger Begleiter– seit der Jugend sind wir befreundet,seine Eltern hatten wie meine ein Geschäftin Wedel – hat sich ein Motorrad gekauft.Den Führerschein machte Henning erstkürzlich, und mein Freund dürfte etwa soalt sein, wie ich selbst. Ganz schön spät, sichnoch aufs Radzu trauen undnicht unbedingtklug, finde ich.Er läuft schonmal untrainierteinen Marathonmit, um dannanschließendBlessuren zubeklagen, die dasam Körper anrichtet.Ich habeihm (am Telefon)einige kurze Passagenaus „Lasstdie Bären los!“zum Besten gegeben, aus der Erinnerung.Das konnte ich, obschon ich diesen Romanmit zwanzig Jahren las und dann nie wiederanfasste. Motorrad zu fahren ist für michausschließlich Theorie. Nur ein einziges Mal,als Schulfreund Jens sein „Kleinkraftrad“ganz neu hatte, nahm dieser mich hintendrauf mit.Nov 18, 2021 - Volkstrauertag 135 [Seite 135 bis 137 ]

Volkstrauertag

Nov 18, 2021

Früher habe ich gern gelesen. Ich bin oft

im Kino gewesen. Das fing wohl mit „Homo

Faber“ an, von Max Frisch. Wir lasen es

gemeinsam in der Schule, mussten das Buch

analysieren und Referate halten. Thorsten

und ich bekamen die Aufgabe, den im Buch

thematisierten Ödipus-Komplex ausfindig

zu machen und darüber zu sprechen. Wir

wussten gar nicht, was das ist. Es gab kein

Internet damals, und es dauerte ein wenig,

bis wir unser Thema skizzieren konnten. Die

anderen in der Klasse erhielten paarweise

zugeteilt andere Aufgaben, den Roman

betreffend, und nach einiger Zeit ging es

schließlich los mit den Referaten. Anschließend

begann ich mich für Literatur zu

interessieren und las bis in die Mitte meines

Lebens hinein unzählige Romane und Sachbücher,

gab es dann auf.

Mir genügt mein eigenes Leben und sein

schon erkennbares Ende.

Es ist anders gewesen. Ich probierte zu

verstehen und war fasziniert von allen

Geschichten. Ich sah als Jugendlicher „Spiel

mir das Lied vom Tod“ mit Bronson im

Kino, einige Male sogar, bis die Handlung

verständlich wurde, die vielen Details. Eine

ganz wunderbare musikalische Inszenierung

ist Teil dieses großartigen Films. Es ergreift

und berührt den Zuschauer unweigerlich,

nimmt mit, wenn die Kamera über das

Bahnhofsgebäude nach oben schwebt und

das wunderbare Thema wie eine Welle

anhebt, uns in die staubige Westernstadt

geradezu hinein spült. Die düsteren Klagen

der Mundharmonika und das wiederkehrende,

einfache Motiv der klopfenden, wie

Hufe eines Pferdes im Takt angeschlagenen

Töne, kann ich noch heute jederzeit abrufen.

Natürlich schaute ich mir Robert de Niro als

„Noodles“ im bald folgenden Monumentaldrama

an, probierte, alles zu begreifen. Ich

sah viele Filme und gehe heute nie mehr ins

Kino; Ausnahme: „Star Wars“ (mussten wir

sehen, unbedingt).

Meine Bilder, die Malerei; ich glaube schon,

dass Erzählungen und selbst zu erzählen

mich fasziniert. Darum habe ich auch so

vieles gelesen? Mit Karl May ging das los.

Winnetou, der Anfang beim Büchsenmacher

Henry, die ersten Seiten hatte mir meine

Mutter noch vorgelesen. Dann meinte sie,

wie es weiterginge sollte ich

selbst herausfinden. Nach Max

Frisch ab den Achtziger Jahren

fand ich immer neue und anerkannte

Autoren und besonders

erinnere ich, wie es mit

John Irving losging. Ein kleiner

Buchladen irgendwo in Hamburg,

ich weiß gar nicht mehr, wo

das gewesen ist und warum ich

dort so viel Zeit vertrödelte. Es

war außer mir nur ein weiterer

Mensch, ein fast zierlicher und

muskelloser, dünner Mann in

schwarzer Kleidung, der Besitzer

womöglich, vor Ort, keine anderen

Kunden, und dieser beschäftigte

sich am Schreibtisch eines

Hinterraumes oder im Bereich der Ladenkasse.

Das Ambiente entsprach einer privaten

Altbauwohnung im Erdgeschoss. Der Laden,

schon von der Lage irgendwie versteckt,

winkelte sich drinnen weiter; weiße Wände,

hohe Räume und dicke, hölzerne Türfüllungen

an den Durchbrüchen, in mehrere,

mit Büchern geradezu gefüllte Räume. So,

als wäre man bei einem Bibliophilen zu

Hause. Ich fing an, in einem Roman zu lesen,

während ich vor einem der Regale stand. Ein

weißes Taschenbuch, nicht eben dünn, mit

kleiner Schrift. „Lasst die Bären

los!“, was konnte das bedeuten?

Der Autor war mir unbekannt. Das

Buch wurde auf der Rückseite

als „Erstling“ vorgestellt. Ich ließ

mich schon im Laden ein wenig

drauf ein, begann den Anfang

interessiert zu lesen. Das mit dem

Salzstreuer, den der neue Freund

vom Erzähler mitgehen lässt?

So steht das dort gleich vornan,

glaube ich.

Der Verkäufer schaute mich

prüfend an, während ich meinte,

es gefalle mir, darin zu lesen und

deswegen möchte ich das Buch.

Ich bezahlte also und war dann noch mit

der Hochbahn unterwegs. Ich las gleich

weiter, weil es so glaubwürdig daherkam,

wie alles beschrieben wurde. Später kam

ich ins Stocken mit dem dicken Ding. Es

wurde ein Roman, den ich nicht in wenigen

Tagen schaffen konnte. Es nervte, wenn es

dem Erzähler wieder einmal eingefallen

war abzuschweifen. Viele Male stellte ich

diesen ersten Irving weg, nahm „Lasst die

Bären los!“ aber bald immer wieder neu auf,

zur Hand, las weiter – weil ich doch magisch

eingefangen davon war.

Wie das wohl zu Ende gehen würde?

Dieser „John“, ein Namensvetter, wurde eine

Zeitlang zum Lieblingsautoren von mir.

Dabei habe ich gar nicht alles gelesen. „Zirkuskind“

fing ich mehrfach an und brachte

es nie zu Ende. „Die vierte Hand“ gab es

mal zu Weihnachten. Dieses Buch ist direkt

in unser kleines Eckregal im Wohnzimmer

eingezogen und steht dort ungelesen. Auch

schwierig: Den „Wassertrinker“ brach ich

einige Male ab. Für diesen vergleichsweise

schmalen Band benötigte ich, das blöde

Buch ganz zu lesen, vermutlich mehr als ein

ganzes Jahr (oder mehrere), weil ich immer

wieder von vorn anfing damit, wenn ich

entnervt aufgegeben hatte. „Piggy Sneed“,

da konnte man herausfinden, dass eine alte

Ausgabe 1984 den Namen mit „Schweini“

eingedeutscht hatte, während es später

(1995) original belassen war. Wir können

englisch. Schnelle Bücher von Irving? „Das

Hotel New Hampshire“ legt man nicht weg.

„Garp“ konnte ich sofort durchlesen. Das mit

Homer und Larch genauso: Mache dich nützlich.

„Owen Meany“ las ich an zwei Tagen

komplett oder sogar an nur einem Tag? Es

ist dick dafür.

Das Konsequente an diesem Buch ist der für

Owen feststehende Schluss.

Demgegenüber stehen die Zweifel des

Erzählers, nicht nur an seinem Glauben, auch

insgesamt staunt der uns diese Geschichte

präsentierende die ganze Zeit. Er grübelt

und hinterfragt das eigene Leben und gibt

seine Unsicherheiten preis.

853 Seiten, die letzte davon unbeziffert.

Vor kurzem telefonierte ich mit einem

Freund. Ein gelegentlicher Mitsegler auf

meinem Boot und langjähriger Begleiter

– seit der Jugend sind wir befreundet,

seine Eltern hatten wie meine ein Geschäft

in Wedel – hat sich ein Motorrad gekauft.

Den Führerschein machte Henning erst

kürzlich, und mein Freund dürfte etwa so

alt sein, wie ich selbst. Ganz schön spät, sich

noch aufs Rad

zu trauen und

nicht unbedingt

klug, finde ich.

Er läuft schon

mal untrainiert

einen Marathon

mit, um dann

anschließend

Blessuren zu

beklagen, die das

am Körper anrichtet.

Ich habe

ihm (am Telefon)

einige kurze Passagen

aus „Lasst

die Bären los!“

zum Besten gegeben, aus der Erinnerung.

Das konnte ich, obschon ich diesen Roman

mit zwanzig Jahren las und dann nie wieder

anfasste. Motorrad zu fahren ist für mich

ausschließlich Theorie. Nur ein einziges Mal,

als Schulfreund Jens sein „Kleinkraftrad“

ganz neu hatte, nahm dieser mich hinten

drauf mit.

Nov 18, 2021 - Volkstrauertag 135 [Seite 135 bis 137 ]

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