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Nur ein Traum
Nov 13, 2021
Bei einem Seminar
der Feuerwehr warnt
der Seelsorger: „Die
Posttraumatische Belastungsstörung
kann
jeden treffen!“ Er will
deutlich machen, dass
es hier nicht um Weicheier
geht, die es gäbe,
und härtere Kameraden.
Ob es stimmt? Der
Referent steigt selbst
ein wenig in seiner eigenen
Wichtigkeit auf,
weil er allen auf einmal
drohen kann, nicht nur
den „Mädels“. Es lässt
sich kaum beweisen,
wenn nach dem Einsatz der geschockte Kollege
Meyer ausfällt und Krüger nicht, dass
es diesen gleichwohl getroffen hätte, wenn
– ja, was wäre der Grund? Typisch Psychiater,
sie möchten Bescheid wissen und können
nichts belegen. Auch Zwillinge erleben die
Tage verschieden, machen eigene Erfahrungen,
kommen in der Summe der Erkenntnisse
nie beieinander an.
Das Katastrophentrauma, auf jeden Fall
eine schöne Sache für den Betroffenen
und seinen Psychiater. Hier ist ein Mensch
gekommen, der kann zunächst einmal nichts
dafür zu leiden, weil ein bestimmtes Ereignis
Schuld am Problem ist. Das befreit Therapeuten
und Patienten gleichermaßen vom
Stigma, in der pathologischen Psychoecke zu
manövrieren, sagen zu können, keine auf die
Person bezogene Schwäche wäre der Grund.
Das ist das beste Arbeitsfeld. Der Kranke ist
wirklich krank, es gibt einen bekannten (und
anerkannten) Auslöser des Leidens. Er kann
nichts dafür, weil es anderen schon genauso
passiert ist. Ganz gewöhnliche Helfer haben
das manchmal. Das trifft nicht nur Spinner,
Frauen und Zartbesaitete: Selbsthilfegruppe?
Derbe Schale, weicher Kern. Der starke
Feuerwehrmann ist normal, obwohl er zum
Psychodoktor muss. Doku im Fernsehen, die
Krankheit ist erforscht. Wie eine Jacke kann
sie jedem angezogen werden. Da kommt
es nicht drauf an, was derjenige drunter
trägt, bereits mitgebracht hat. Interessierte
werden im Netz informiert.
# Die Begriffe Posttraumatische Belastungsstörung,
Posttraumatisches Belastungssyndrom,
Posttraumatisches Stresssyndrom oder
das englische Posttraumatic Stress Disorder
(PTSD) werden gleichbedeutend verwendet.
Die psychische Erkrankung wird gemäß der
internationalen Klassifikation ICD-10 den
Reaktionen auf schwere Belastungen und
Anpassungsstörungen zugeordnet. (Neurologen
und Psychiater im Netz, Informationsportal
zur psychischen Gesundheit und
Nervenerkrankungen, herausgegeben von
Berufsverbänden und Fachgesellschaften für
Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie,
Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde
und Neurologie aus Deutschland und
der Schweiz).
Da kann der Fachmann richtig auf die Kacke
hauen, was da alles untersuchtt wurde. Wie
viel Studium und Theorie hinter diesen
Krankheiten steht: Genau bezeichnet, eingeordnet
und welche Pille wie hoch
als Dosis im speziellen Fall die
richtige sei; das ist echte Medizin.
Sie gründet auf langjähriger Forschung
und kann ihre Wichtigkeit
entsprechend aufplustern. Patienten
sind gern bereit mitzumachen?
Anders sieht das Ganze aus,
wenn alle im Dunkeln tappen. Die
Diagnose wird schwierig, wenn
ein Verrückter nicht weiß woher’s
kommt und der Arzt zunächst
Detektiv spielt.
Es könnte einfacher sein. Wir
könnten behaupten, die Probleme
kämen immer von außen und
seien untrennbar vom ganzen
Betroffenen, seinem Körper, den
persönlichen Erfahrungen. Dann
müssten wir den Menschen
insgesamt ernst nehmen. Die
Erkrankung wäre nicht statisch der
Begriff, die Diagnose, ein einziges, momentan
zu bezeichnendes Ding. Da hätte, würden
wir realistisch sein und die Sache als solche
zugeben, eine Entwicklung stattgefunden
und schreitet noch fort. Die Krankheit wäre
nicht mehr allgemein die von jedermann,
sondern viele Faktoren infizierten den Menschen,
durch die persönliche Einschätzungen
der Umstände, die der Patient auf seine
Weise bewertet. Andere kämen
mit derselben Situation klar, die
ihn aus der Bahn wirft. Vom Arzt
und der Gesellschaft respektiert,
wäre so jemand krank, ohne
eine Krankheit zu haben. Wir
sollten uns dazu durchringen,
einzusehen, dass weder eine
bauliche Macke, etwa ein Gen
oder eine Beschädigung in der
Kindheit Schuld daran ist, die
das Normalsein für immer amputiert
hat, noch eine Krankheit
diagnostiziert werden müsste,
weil es symptomatisch anderen
ähnlich geht.
Wir könnten die Theorie der Verhaltensauffälligkeiten
insgesamt neu formulieren. Statt
die Störungen in einem Buch zu sammeln
wie Dosen im Regal und diese dem Kranken
zuzuordnen, verstünden wir zu leben als
dynamisch. Eine Diagnose neigt dazu,
psychisches Leid als schuldhaft ertapptes
Übel – vergleichbar dem Tumor, den es zu
behandeln gilt, bis dieser Feind eliminiert
wurde – dinghaft festzunageln. Das möchten
wir gern: wegschneiden, was kränkt? Die
Vergangenheit annehmen und zu integrieren
wird gesagt, sei wichtig, aber wie es zu
machen sei, sich zusammenzureißen, können
nur wenige uns beibringen. Vielleicht wäre
es hilfreicher, Psyche und Körper als ohnehin
zusammenhängend mit gemeinsamer
Erfahrung zu begreifen? Anstelle von psychosomatischen
Krankheiten zu reden und
diese nur als weitere Gruppe zu benennen:
Dann hätte jeder das Werkzeug, sich zu
einen bereits in der Hand, und das Gerede
von der gespaltenen Persönlichkeit wäre
keine dumme Worthülse mehr. Die Anleitung
zur Selbsterforschung könnte geschrieben
werden, statt nach „Borderline“und „Burnout“
zukünftig weitere, moderne Begriffe zu kreieren,
definieren. Das Dumme im Verhalten
der prinzipiell Intelligenten dürfte ehrlich
aufgedeckt werden, statt zu bemerken, emotionale
Intelligenz gäbe es auch noch und
etwa positiven Stress.
Die bessere Sicht auf uns wäre nicht statisch:
„Ich bin halt so“, sondern variabel mit
der Perspektive einer Entwicklung. Und statt
das Ziel zu fixieren, den Tag zu erreichen
an dem alles gut sein wird, könnte die
Gegenwart beweglicher sein. Eine Erzählung
dieses dynamischen Lebens wären Erlebnisse,
aber kein Roman. Die Geschichte dazu
müsste geschrieben werden. Alle Elemente
zusammen machen krank; worin besteht die
verbindende Erfahrung? Was passierte, wird
erst spät klar. Der Betroffene spürt es nicht,
und wird von Gefühlen übermannt. Der Arzt
scheint Bescheid zu wissen, da er einen Namen
dafür hat und andere genauso reagieren?
Ein Fehler, so zu denken! Die Krankheit
ist ein vielfältiger Gegner, der sich aufspaltet
und immer neue Visagen präsentiert. Das
ist ein Eindringling, der sich schließlich vermehrt,
ein visionäres Virus der Fantasie. Ein
intellektuelles Problem infizierte den Armen,
hat sich im System eingenistet. Die Angst ist
an Bord! Ratten sind in jedes Schapp und
sämtliche Backskisten gekrochen. Das Übel
hat Gehirnzellen, Körperteile, Organe und
Extremitäten befallen.
Dann kommt noch der Psychiater an Bord:
schwere Schlagseite! Der Fachmann für
geistige Probleme stellt seine Einschätzung
über die Erfahrungen des Patienten. Der Arzt
kennt vergleichbare
Fälle. Man
lehrte ihm, was
es alles gibt. Wie
die Muskulatur an
den Rippen seines
Kunden hakt, während
dieser atmet,
bemerkt der Psychiater
nicht. Er
konzentriert sich
auf seine Diagnose
und was im Fall
übereintreffender
Verhaltensweisen
mit bekannten
Fällen empfohlen wird. Der Schizophrene
bemerkt Spannungen im Leib genauso wenig.
Dann beginnt die Reise mit dem neuen
Lotsen an Bord, die bekannten Therapien.
Der Arzt begleitet seinen Patienten oft ein
Leben lang. Manche Kranke wechseln noch,
bis sie zufrieden sind. Andere verschleißen
mehrere Fachärzte im Laufe der Zeit, weil
diese Rentner wurden, ohne dass die Patienten
genesen sind.
Nov 13, 2021 - Nur ein Traum 132 [Seite 132 bis 134 ]