Blogtexte2021_1_12
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I Cover the Waterfront
Nov 2, 2021
Die „keiner liebt dich“ Theorie, kurz
zusammengefasst, ist so blöd gar nicht.
Eine totale Enttäuschung bleibt am Ende,
und so schlecht ist auch das nicht. Diese
alte Schallplatte der Allotria Jazzband mit
Vohwinkel kommt mir in den Sinn. Die
habe ich mal auf einem Flohmarkt gekauft.
Der Trompeter hatte Hamburg verlassen,
mit Papa Bue in Dänemark gespielt und
schließlich viele Jahre mit der Münchner
Band Musik gemacht. Aus dieser Zeit stammte
die Platte, und als ich sie Anfang der
Neunziger vom Grabbeltisch erwarb, waren
die Aufnahmen schon über zehn Jahre alt.
Das 1979 eingespielte „Jazz aus dem Radio“
entsprach dem Empfinden der Generation
meiner Eltern. Gerd ist im selben Jahr wie
mein Vater geboren.
Diese Zeit nach dem Krieg zu beschreiben,
die meine Eltern prägte und von mir aus
dem Fenster meiner Jugend betrachtet werden
kann, wird als das „Wirtschaftswunder“
bezeichnet. Meine Oma kochte für uns noch
leidenschaftlich gern Steckrübeneintopf. Ich
mochte das, ein fetter Kram; mit Speck und
Senf zu essen. Es war in den späten Sechzigern
und beginnenden Siebziger Jahren
aber verpönt. Man schaute abfällig auf diese
Speisen aus der schlechten Zeit, die daran
erinnerten, wie es war, als es nichts anderes
gab.
Nicht nur das Essen wurde vielfältig, bald
konnten wir sogar Fernsehen empfangen. In
den Achtzigern hörte ich Radio, und das Bemerkenswerteste
ist wohl, dass es schließlich
neue Anbieter gab. Mit dem neuen, privaten
Sender aus Schleswig-Holstein startet
für mich so deutlich wie nie die heutige Zeit,
die in allen Bereichen das breite Angebot
von Leistungen kennt. Es ist unnötig, vollständig
aufzuzählen, was sich noch änderte.
Die Post trat vom Telefondienst zurück oder
den Stromanbieter wechseln zu können,
wurde möglich. Statt einer Tube „Elmex“
fanden wir zwei derselben Marke im Regal.
„Aronal“ kam dazu; sollten wir morgens und
abends verschiedene Zahnpasta verwenden?
Das sei besser, warb der Hersteller. Während
die Musik im Radio die Bandbreite des
gesellschaftlichen Geschmacks abzudecken
versuchte, erkannten die Sender bald, sich
thematisch zu spezialisieren. Eine nicht
aufzuhaltende Entwicklung, warum auch?
Es lohnt eine kritische Einschätzung, Betrachtung
der modernen Vielfalt. Im Radio
liefen zunächst Musik und Wortbeiträge
gemischt. Es gab Nachrichten zur vollen
Stunde. Die Moderatoren brachten eigene
Schallplatten mit, die Musik war entsprechend
vielseitig. Die Zusammenstellung
der Titel entsprach viel weniger
einer exakt austarierten Strategie
am Markt auf den zum Sender
passenden Hörer. Nicht dass
früher alles besser gewesen wäre,
ist hier das Thema, sondern die
Überlegung, was es mit uns macht,
Teil einer Gruppe zu sein, mit auf
unsere Bedürfnisse zugeschnittenem
Angebot. Ich kann mich gut
an den Hamburger Jazzsender
erinnern, den ich eine Zeit lang
probierte, ohne dass es wirklich
Sinn gemacht hat. Der ironische Dixieland
von Gerd erinnert an die auslaufende Zeit
dieser Musikrichtung, die immer seltener
werdenden Momente einer Gelegenheit, Jazz
im Radio zu hören. Mit dem Aufkommen der
privaten Sender gab es die ersten Versuche,
speziell auf bestimmten Geschmack ausgerichtete
Stile zu etablieren.
# Noch einmal Merkur
Heute ist wetterbedingt und wegen seiner
Bewegung um die Sonne die beinahe letzte
Möglichkeit, den Planeten Merkur zu sehen,
bis eine neue Gelegenheit kommt. Während
ich einen Rest vom Mond durch schmierige
Schichtwolken erkennen kann, schafft es
der kleine Planet heute Morgen nicht mehr,
mein Auge zu erfreuen. Den täglich näher an
den Merkur rückenden, abnehmenden Mond
als aktuelle Findehilfe zu nutzen, empfehlen
mehrere Webseiten. Ich sehe den Mond.
Das bestätigt mir meine Beobachtung der
letzten Woche! Aber das Wetter selbst kann
ich leider nicht wählen und muss auf den
funkelnden Lichtpunkt darunter verzichten.
Hätte ich meinen Text in einem Forum für
Sternenfreunde gepostet, gäbe es vermutlich
Kommentare und Beschreibungen anderer.
Ich finde bereits Fotos vom Planeten dieser
Tage. Die sind natürlich qualitativ besser
als meine und erleben entsprechende
Beachtung. Ich interessiere mich dafür nur
am Rande.
Das führt zu weiteren Überlegungen. Der
Jazz, die Kunst oder das Segeln sind Themenbereiche.
Mit ein wenig Engagement
wäre es leicht, sich in entsprechenden
Gruppen den Austausch mit Gleichgesinnten
zu ermöglichen. Ich gehe tatsächlich bewusst
einen anderen Weg. Meine Arbeit, so
wie ich diese definiere, besteht seit Jahren
darin herauszufinden, was allgemein kränkt
oder zumindest enttäuscht. Ich möchte eine
grundsätzliche Antwort auf diese Frage. Es
ist wie bei einer Impfung. Durch Konfrontation
mit einem Problem, das zunächst
maskiert auftritt, soll deutlich werden, worin
exakt die persönliche Not besteht.
Nov 2, 2021 - I Cover the Waterfront 127 [Seite 127 bis 129 ]