Blogtexte2021_1_12
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damals ein Studium
im Bereich
Vermessung begonnen,
das sie
nie beendet hat.
Es erinnert mich
gern daran, dass
meine Mutter
wollte, ich solle
Zahntechniker
werden, warum
bloß?
An dieser Stelle
wird es Zeit, den
Bogen noch ein
wenig größer zu
spannen. In einer
Art Umlaufbahn,
das Thema
einkreisend wie
bei den Planeten, muss diese Geschichte
erzählt werden, damit alle wesentlichen Elemente
enthalten sind. Wie ein Busfahrer, der
auf seiner Route keine Haltestelle auslassen
darf, möchte ich Vergangenheit mit der
Gegenwart verweben. Jetzt ist es also nötig,
nachdem der Planet und meine maritime
Vorgeschichte mit dem Großvater skizziert
sind, den Philosophen Karl Popper zu Wort
kommen zu lassen. Es gefällt mir, ihn noch
einmal zu zitieren, wie bereits in einem
anderen Beitrag. Popper stellt die Theorie
richtig, räumt mit der Überzeugung auf, wir
sähen etwas und reagierten. Der kluge Autor
macht deutlich, dass der Spaziergänger den
Wald vor Bäumen nicht bemerkt. „Oh wie
schön die Tanne“, sagt er, aber ein Förster
sieht anderes.
# Dass die
Wissenschaften,
wie schon die
griechischen Philosophen
sahen,
vom Problem,
von der Verwunderung
über
etwas ausgehen,
das an sich
etwas Alltägliches
sein kann,
aber für den
wissenschaftlichen
Denker eben zur Verwunderung,
zum Problem wird, das habe ich schon am
Anfang angedeutet. Meine These ist, dass
jede wissenschaftliche Entwicklung nur so
zu verstehen ist, dass ihr Ausgangspunkt
ein Problem ist oder eine Problemsituation,
das heißt, das Auftauchen eines Problems
in einer bestimmten Situation unseres
Gesamtwissens.
Dieser Punkt ist von größter Bedeutung. Die
ältere Wissenschaftstheorie lehrte – und sie
lehrt es noch immer –, dass der Ausgangspunkt
der Wissenschaft unsere Sinneswahrnehmung
oder die sinnliche Beobachtung
ist. Das klingt zunächst durchaus vernünftig
und überzeugend, ist aber grundfalsch. Man
kann das leicht durch die folgende These
zeigen: ohne Problem keine Beobachtung.
Wenn ich Sie auffordere: „Bitte, beobachten
Sie!“, so sollten Sie mich, dem Sprachgebrauch
gemäß, fragen: „Ja, aber was? Was
soll ich beobachten?“ Mit anderen Worten,
Sie bitten mich, Ihnen ein Problem anzugeben,
das durch Ihre Beobachtung gelöst
werden kann; und wenn ich Ihnen kein
Problem angebe, sondern nur ein Objekt, so
ist das zwar schon etwas besser,
aber keinesfalls befriedigend.
Wenn ich Ihnen zum Beispiel
sage: „Bitte, beobachten Sie Ihre
Uhr“, so werden Sie noch immer
nicht wissen, was ich eigentlich
beobachtet haben will. Wenn
ich Ihnen aber ein ganz triviales
Problem stelle, dann wird die
Sache anders. Sie werden sich
vielleicht für das Problem nicht
interessieren, aber Sie werden
wenigstens wissen, was Sie
durch Ihre Wahrnehmung oder
Beobachtung feststellen sollen.
Als Beispiel könnten Sie das
Problem nehmen, ob der Mond
im Zunehmen oder Abnehmen ist; oder in
welcher Stadt das Buch, das sie gegenwärtig
lesen, gedruckt wurde. (Karl R. Popper, Alles
Leben ist Problemlösen, Piper 1996).
Nun habe ich, was Popper ausführt, gerade
selbst erlebt! Der besondere, wissenschaftliche
Denker, von dem der kluge Analyst
berichtet, bin ich gerade selbst gewesen. In
dieser zufälligen Situation, geadelt durch
die persönliche Erinnerung, konnte ich
genießen, was jemand anderes nicht wahrgenommen
hätte. Geprägt durch das Wissen
meiner Jugend, aber unvorbereitet, damit
konfrontiert zu werden, trottete ich in den
Tag. Das war am Montagmorgen. Ich stehe
gern früh auf. Es ist also kurz nach halb
sieben, als ich mit einem frisch gekochten
Becher Kaffee noch im Bademantel die Treppe
rauf ins Atelier komme. Ich betrete unser
Dachgeschoss, wie es auf etlichen Bildern
der Webseite online
abgebildet ist (und
deswegen unnötig,
meine unordentliche
Arbeitshöhle weiter
zu beschreiben). Ein
schöner Morgen
deutet sich an. Es
ist noch dunkel, und
als Erstes öffne ich
das Westfenster,
um zu lüften und
einen Blick auf die
Sterne zu genießen.
Der Mond hängt im
Westen rum und
versaut die Nacht mit seinem Licht. Der Winter
ist am Himmel um diese Uhrzeit bereits
am Davonlaufen. Orion hat den Meridian
schon überquert, noch bevor Weihnachten
überhaupt ein Thema ist. Es kommt eben
immer auf den Zeitpunkt der Betrachtung
an. Ein Wintersternbild am Abend ist keines
im Herbst am Morgen. Jetzt klettert vor der
Sonne bereits der Frühling hoch, und der
Löwe beherrscht den Südosten.
Da gehe ich nun hinüber,
mache auch das Velux der
Gegenseite auf. Zwischen dem
Giebel oberhalb vom „Lindos“
mit seinen beiden Fenstern,
der Satellitenschüssel darauf
und dem Hochhaus links, ist
eine breite Lücke zwischen
verschiedenen Gebäuden
drumherum geblieben. Das
freie Ende gestattet einen
weiten Blick zum östlichen
Horizont. Hier beginnt, hinter
niedrigen Bäumen versteckt, nach wenigen,
davon verdeckten Häusern, dem alten Dorfkern
von Schenefeld, gleich die Weltstadt
Hamburg. Es fängt an, hell zu werden. Die
Morgendämmerung kündigt sich an, und
genau in der Mitte dieser kleinen, frei bis
ganz nach unten gebliebenen Himmelsstrecke
im Osten, steht ein magisch funkelnder
Lichtpunkt. Nicht besonders hoch über den
Bäumen und einem Wohnhaus an der Bushaltestelle
Dorfplatz, hinter dem Flachdach
der Bäckerei.
Ein startendes Flugzeug von Fuhlsbüttel,
denke ich. Ich kann mich noch gut daran
erinnern, meinen Eltern einmal (stolz auf
meine Kenntnisse), die Venus am Himmel
präsentiert zu haben. Etwa dreißig Sekunden
hielt diese Vision stand, und mein Vater
staunte: „Die ist aber hell!“ Dann bog „sie“
links ab, nahm noch Geschwindigkeit auf
und bald kamen rot und grün die Seitenlichter
raus.
Das war Montag anders. Das musste ein
bekannter Stern sein oder ein Planet? Dazu
gibt es doch das Internet, Fragen dieser
Art zu klären, denke ich und finde heraus,
dass da eine gute Morgensichtbarkeit vom
Merkur just dieser Tage erwartet wird. Aus
verschiedenen Beiträgen wird klar, dass der
unscheinbare Planet ausnahmsweise so
hell scheinen wird wie ein gut erkennbarer
Stern!
Das ist der Moment an Popper zu erinnern,
der uns darauf hinweist, wir gingen nicht
primär von einer Beobachtung aus, um eine
Forschung zu beginnen. Es liegt ja eigentlich
nahe. Zunächst sehe ich das Objekt am
Himmel, dann beginne ich nachzurechnen,
mache kleine Skizzen, ein Foto vom Himmel,
drehe an meiner Kosmossternkarte, suche
die Ephemeriden raus und prüfe, ob das
wirklich unser kleiner, sonnennächster
Planet Merkur ist, der dort so schön im
Morgenlicht funkelt? Nein, es ist tatsächlich
anders. Nur ich, als besonderes Individuum
mit persönlicher Erfahrung und speziellen
Interessen, habe dieses „Problem“ mit dem
Lichtpunkt. Ich wecke meinen Sohn: „Schau,
komm schnell mit ins
Arbeitszimmer!“, fordere
ich aufgekratzt. Der
ist nur genervt, hätte
noch eine halbe Stunde
schlafen können,
bis er los muss: „Der
Merkur, das ist aber toll
Papa.“
Ich denke an meinen
Opa Heinz. Ich weiß
noch genau, dass wir
darüber sprachen. So lange ist es her. Er
wäre auf „Milwaukee“ oder einem anderen
Schiff der Hapag gefahren als dritter Offizier
Okt 29, 2021 - Merkur 125 [Seite 124 bis 126 ]