Blogtexte2021_1_12
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le Eingänge im Gebiss brutal fortfegt (wie
die wütende Ahr angrenzende Gebäude), ist
Schluss. Wir sind eine Krankheit der Erde,
machen alles kaputt, denke ich. Die Natur
kommt böse zurück.
Nichtsdestotrotz wollen, ja müssen wir leben.
Ein Paradox, dass wir nicht gern, leicht
und selbstbestimmt den Laden hier verlassen
können. Das liegt vor allem an unserem
automatischen Überlebenswillen. Was ist ein
Wille zum Weiterleben genau? Wer in uns
möchte nicht sterben, etwa das Herz, wie es
schlägt oder die Muskulatur zum Atmen, die
unentwegt arbeitet, ohne dass wir das mal
abstellen könnten, das sind Fragen. Und hier
kommt die Parallele zu unserer künstlichen
Schöpfung, dem Auto, als gelungenes Beispiel
dran, uns den menschlichen Organismus
zu erklären. Wie wäre es, einen Wagen
zu fahren, dessen Motor nicht abstellbar ist,
und ein Fahrzeug zu lenken ohne Bremse:
Was müssten wir tun, dem Auto Intelligenz
zu lehren? Das könnte auch anderswo
helfen, neu zu denken. Wir könnten größer
denken. Statt zu bemerken, der Lenker eines
Systems, beim Menschen also sein Gehirn
(oder der Busfahrer im Reiseverkehr) müsse
geändert und behandelt werden, sollten wir
beobachten und untersuchen, wie dieses
Gebilde insgesamt fährt und woraus es
besteht.
Eine Kutsche zu
verwenden, hieß
mit den Pferden
als ihr Antrieb
eine natürliche,
lebendige Maschinerie
einzusetzen.
Unter Umständen,
wenn dem Lenker
das Missgeschick
passierte, dass
ihm seine Gäule
durchgingen, erlebte
der Hilflose (und die
entsetzten Fahrgäste), dass zu bremsen nicht
genügte, das schleudernde Fahrzeug zu
stoppen. Im Gegenteil, ein kundiger Fahrer
würde gut daran tun, zu lenken, anstelle
krampfhaft am Bremshebel zu reißen. Mit
einem passenden Kurs konnte seinerzeit
möglicherweise das Schlimmste verhindert
werden. Dann beruhigten sich die Pferde
irgendwann. Damals wusste man, Natur und
Technik zu beherrschen, etwa dem Segelschiff
durch Sturm zu verhelfen, das eigene
Leben und die Fracht an Bord im unabänderlichen
Wetter zu führen. Der moderne
Kapitän kann glauben, sein monströses
Stahlungeheuer trotze jedem Sturm und
halte den digital errechneten Fahrplan ein,
ja der Reeder wird überlegen, ob das Schiff
überhaupt einen Kapitän benötigt? Das
selbstfahrende Schiff ist (noch) Utopie, Autos
und Bahnen fahren bereits vollautomatisch.
Der automatische Mensch ohne individuelle
Fantasie, mit entsprechenden Problemen
oder zumindest der systemrelevant, perfekt
integrierte, würde manchen gut in den Kram
passen. Spediteure, Reeder nutzen eine Flotte
von Lastwagen oder Schiffen, erwarten
billige und ungestörte Abläufe. Der Anbieter
eines sozialen Netzwerks im Internet möchte
Nutzer binden, ein Staat wünscht sich das
kontrollierte System. Jeder einzelne Mensch
ist dem Bindungswillen der entsprechend
übergeordneten Instanz unterworfen, wird
sich besser fühlen, wenn ihm das große Ganze
genügend Raum lässt. Das gilt umgekehrt
auch für jeden selbst. Wir lenken uns mit
dem Gehirn: Die größere Gesundheit erfährt
derjenige, dem angemessene Funktion
gelingt, Befindlichkeiten seiner Extremitäten
und inneren Organe spürt, wahrnimmt.
# Die gute Nachricht
Eine moderne Psychiatrie. Bald werden
Frauen in Massen diesen Beruf zu ihrem
machen. Es gibt bereits Anzeichen. Ich quatsche
ständig junge Mädels an, kenne mich
aus! (Das hat schon Ärger gegeben). Immer
öfter möchten sie Psychologie studieren,
toll. Psychiater und -innen könnten noch an
Intelligenz gewinnen. Letzte Hoffnung ist
die junge, moderne, farbige Frau. Wie die
bunte Kunst: Vielfarbiges Fabulieren und
fröhliches Therapieren gefallen mehr, als
alte, weiße Kittel, benebelte Schädel und an
das verkotete Bett geknotete Knebel.
Ein Mensch hat, als Erbe seiner Vorfahren
oder Einfall vom Schöpfer eingebaut, in
entsprechenden Situationen, die erkennbar
seine Existenz oder zumindest seine nächsten
Schritte gefährden, Angst. Wenn gerade
wenig davon spürbar ist, geht es uns gut,
beziehungsweise besser – ein klein wenig
Furcht wird uns dauerhaft zu eigen sein,
sonst – Narren fühlen nicht. Ein psychisch
Kranker weiß nicht, mit seiner Furcht umzugehen.
Nehmen wir an, der
Mensch begriff in
grauer Vorzeit, was ihm
jeweils Angst bedeutet?
Es gab noch keine
Atombomben. Anderes
wird den Urmenschen
geängstigt haben. Auch
wenn wir kein steinzeitlicher
Experte sind, sollte
jeder die bekannten
Fakten nutzen können.
Die frühen Vorfahren
lernten den aufrechten Gang. Sie begannen
zu sprechen. Sie verstanden schließlich
Waffen herzustellen, Feuer zu machen und
vieles mehr. Ganz sicher musste ihr Erfinder,
der allerliebste Gott, ihnen die Lernfähigkeit
als besten Wesenszug einbauen. Das, was
wir Intelligenz nennen, bedeutet eigentlich
die Fähigkeit auszuwählen. Der Gesunde
erkennt die gute Richtung, das nützliche
Produkt. Der psychisch Kranke erkennt es
weniger gut. Schlimmstenfalls wünscht sich
so einer den Tod, sucht also ganz bewusst
den schlechten Weg.
Es ist offenkundig, dass Angst wahrzunehmen
überlebenswichtig ist. Das bedeutet,
gemäß der Bibel: „Der Kluge sieht das
Unglück und verbirgt sich, die Einfältigen
laufen weiter und erleiden Strafe“, dass zu
bremsen, überhaupt langsamer zu handeln
und erst nachzudenken, eine bekannte
Qualität ist. Bremsen heißt, Muskeln zu
kontrollieren. Kein psychisch krankes
wie gesundes Gehirn existiert ohne den
dazugehörigen Körper. Manche spannen
sich täglich gewohnheitsmäßig, dass selbst
Laien gelingt, dies bei anderen zu bemerken.
Fremden beizubringen, sich zu ändern, ist
schon schwieriger. Angst lähmt, kann aber
auch die Basis einer spontanen Aggression
werden oder der Antrieb davonzulaufen.
Angst macht feige? Gleichwohl kann Angst
dazu führen, einen beherzten Befreiungsschlag
auszuprobieren. Der Angriff auf einen
Feind, der uns bedroht und wegen dem wir
uns fürchten, kann sinnvoll sein. In die Konstruktion
Mensch wurden diese Verhaltensweisen
bereits bauseitig integriert. Und zwar
in die Muskulatur.
Nur muss der Moderne lernen, damit umzugehen,
wie der Busfahrer mit dem Auto.
Das moderne Auto denkt, und nicht jedem
gefällt das. Der Apparat Mensch handelt in
manchem autonom. Das kann sich auf eine
Weise verselbstständigen, die weit über
das (vom Erfinder gesetzte) Ziel, ein in der
modernen, bedrohlichen Umwelt überlebensfähiger
Mensch zu sein, hinausschießt.
Was wäre ein automatischer Bremsassistent,
der fehlerhaft eingestellt, die Kontrolle im
Reisebus an sich reißt, selbstständig Gas
gibt, vollbremst? Wie kommt es, dass ein
Mensch so vieles macht, von dem er gar
nicht weiß wie? Obwohl der Vorgang „Essen“
eine komplexe Angelegenheit ist, kann kaum
jemand erklären, welche inneren Vorgänge
von dem Moment an, wo die Nahrung im
Mund ist, bis zum Ende vom Prozess auf dem
Klo übermorgen geschehen.
Nehmen wir an, der Affe unserer steinzeitlichen
Vergangenheit ist gerade im Begriff,
sich zum Neandertaler zu mausern. Es mag
so gewesen sein, dass die damaligen Primaten
in den Bäumen lebten und die neue
Sorte drunten herumgelaufen ist. Damit wird
sich, was ihnen als jeweils gefährlich galt,
geändert haben. Angst stecke uns in den
Knochen, heißt es, und in den Muskeln merken
wir Furcht. Sie krümmt uns oder macht
uns stocksteif; manche ignorieren diese
Tendenzen, latschen, als wär das scheinbar
locker, mache Eindruck. Unser Körperschema
bei Angst – aber jeder reagiert individuell
darauf.
# Etwas bemerken
Erst habe ich nur so gemalt. Als Künstler
wurde es mir bald wesentlich, mich genau
kennenzulernen. Andere scheinen sich in
dem was sie tun nur zu wiederholen. Mir
würde das nicht genügen. „Wenn ich merke,
da ist keine Entwicklung mehr, stoppe ich“,
sagt Trompeter Chet Baker im Interview.
Der eine
Trucker fährt
problemlos
mit der neuen
Technik,
andere regen
sich auf,
deswegen das
Beispiel, als
Anreiz drüber
nachzudenken.
Kein moderner
Fahrer
hat noch die
Wahl, vom
Chef einen
alten Büssing
von vor dem Kriege zu fordern und in der
Spedition seinen eigenen Oldtimer zu fahren.
Und kein moderner Mensch kann sich
der natürlichen Systematik entziehen, als
helfe eine neu gekaufte Jacke, eine Beauty-
OP, oder eine Medizin gegen emotionale
Probleme, würde effektiv als Impfung gegen
Furcht das Beste rausholen. Instinkte und
Angeborenes sind bis heute Teil des Menschen,
meint man, und noch mehr prägen
viele erlernte Muster, sich öffentlich zu
Okt 25, 2021 - Gretabedingt 122 [Seite 120 bis 123 ]