03.01.2022 Aufrufe

Blogtexte2021_1_12

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

le Eingänge im Gebiss brutal fortfegt (wie

die wütende Ahr angrenzende Gebäude), ist

Schluss. Wir sind eine Krankheit der Erde,

machen alles kaputt, denke ich. Die Natur

kommt böse zurück.

Nichtsdestotrotz wollen, ja müssen wir leben.

Ein Paradox, dass wir nicht gern, leicht

und selbstbestimmt den Laden hier verlassen

können. Das liegt vor allem an unserem

automatischen Überlebenswillen. Was ist ein

Wille zum Weiterleben genau? Wer in uns

möchte nicht sterben, etwa das Herz, wie es

schlägt oder die Muskulatur zum Atmen, die

unentwegt arbeitet, ohne dass wir das mal

abstellen könnten, das sind Fragen. Und hier

kommt die Parallele zu unserer künstlichen

Schöpfung, dem Auto, als gelungenes Beispiel

dran, uns den menschlichen Organismus

zu erklären. Wie wäre es, einen Wagen

zu fahren, dessen Motor nicht abstellbar ist,

und ein Fahrzeug zu lenken ohne Bremse:

Was müssten wir tun, dem Auto Intelligenz

zu lehren? Das könnte auch anderswo

helfen, neu zu denken. Wir könnten größer

denken. Statt zu bemerken, der Lenker eines

Systems, beim Menschen also sein Gehirn

(oder der Busfahrer im Reiseverkehr) müsse

geändert und behandelt werden, sollten wir

beobachten und untersuchen, wie dieses

Gebilde insgesamt fährt und woraus es

besteht.

Eine Kutsche zu

verwenden, hieß

mit den Pferden

als ihr Antrieb

eine natürliche,

lebendige Maschinerie

einzusetzen.

Unter Umständen,

wenn dem Lenker

das Missgeschick

passierte, dass

ihm seine Gäule

durchgingen, erlebte

der Hilflose (und die

entsetzten Fahrgäste), dass zu bremsen nicht

genügte, das schleudernde Fahrzeug zu

stoppen. Im Gegenteil, ein kundiger Fahrer

würde gut daran tun, zu lenken, anstelle

krampfhaft am Bremshebel zu reißen. Mit

einem passenden Kurs konnte seinerzeit

möglicherweise das Schlimmste verhindert

werden. Dann beruhigten sich die Pferde

irgendwann. Damals wusste man, Natur und

Technik zu beherrschen, etwa dem Segelschiff

durch Sturm zu verhelfen, das eigene

Leben und die Fracht an Bord im unabänderlichen

Wetter zu führen. Der moderne

Kapitän kann glauben, sein monströses

Stahlungeheuer trotze jedem Sturm und

halte den digital errechneten Fahrplan ein,

ja der Reeder wird überlegen, ob das Schiff

überhaupt einen Kapitän benötigt? Das

selbstfahrende Schiff ist (noch) Utopie, Autos

und Bahnen fahren bereits vollautomatisch.

Der automatische Mensch ohne individuelle

Fantasie, mit entsprechenden Problemen

oder zumindest der systemrelevant, perfekt

integrierte, würde manchen gut in den Kram

passen. Spediteure, Reeder nutzen eine Flotte

von Lastwagen oder Schiffen, erwarten

billige und ungestörte Abläufe. Der Anbieter

eines sozialen Netzwerks im Internet möchte

Nutzer binden, ein Staat wünscht sich das

kontrollierte System. Jeder einzelne Mensch

ist dem Bindungswillen der entsprechend

übergeordneten Instanz unterworfen, wird

sich besser fühlen, wenn ihm das große Ganze

genügend Raum lässt. Das gilt umgekehrt

auch für jeden selbst. Wir lenken uns mit

dem Gehirn: Die größere Gesundheit erfährt

derjenige, dem angemessene Funktion

gelingt, Befindlichkeiten seiner Extremitäten

und inneren Organe spürt, wahrnimmt.

# Die gute Nachricht

Eine moderne Psychiatrie. Bald werden

Frauen in Massen diesen Beruf zu ihrem

machen. Es gibt bereits Anzeichen. Ich quatsche

ständig junge Mädels an, kenne mich

aus! (Das hat schon Ärger gegeben). Immer

öfter möchten sie Psychologie studieren,

toll. Psychiater und -innen könnten noch an

Intelligenz gewinnen. Letzte Hoffnung ist

die junge, moderne, farbige Frau. Wie die

bunte Kunst: Vielfarbiges Fabulieren und

fröhliches Therapieren gefallen mehr, als

alte, weiße Kittel, benebelte Schädel und an

das verkotete Bett geknotete Knebel.

Ein Mensch hat, als Erbe seiner Vorfahren

oder Einfall vom Schöpfer eingebaut, in

entsprechenden Situationen, die erkennbar

seine Existenz oder zumindest seine nächsten

Schritte gefährden, Angst. Wenn gerade

wenig davon spürbar ist, geht es uns gut,

beziehungsweise besser – ein klein wenig

Furcht wird uns dauerhaft zu eigen sein,

sonst – Narren fühlen nicht. Ein psychisch

Kranker weiß nicht, mit seiner Furcht umzugehen.

Nehmen wir an, der

Mensch begriff in

grauer Vorzeit, was ihm

jeweils Angst bedeutet?

Es gab noch keine

Atombomben. Anderes

wird den Urmenschen

geängstigt haben. Auch

wenn wir kein steinzeitlicher

Experte sind, sollte

jeder die bekannten

Fakten nutzen können.

Die frühen Vorfahren

lernten den aufrechten Gang. Sie begannen

zu sprechen. Sie verstanden schließlich

Waffen herzustellen, Feuer zu machen und

vieles mehr. Ganz sicher musste ihr Erfinder,

der allerliebste Gott, ihnen die Lernfähigkeit

als besten Wesenszug einbauen. Das, was

wir Intelligenz nennen, bedeutet eigentlich

die Fähigkeit auszuwählen. Der Gesunde

erkennt die gute Richtung, das nützliche

Produkt. Der psychisch Kranke erkennt es

weniger gut. Schlimmstenfalls wünscht sich

so einer den Tod, sucht also ganz bewusst

den schlechten Weg.

Es ist offenkundig, dass Angst wahrzunehmen

überlebenswichtig ist. Das bedeutet,

gemäß der Bibel: „Der Kluge sieht das

Unglück und verbirgt sich, die Einfältigen

laufen weiter und erleiden Strafe“, dass zu

bremsen, überhaupt langsamer zu handeln

und erst nachzudenken, eine bekannte

Qualität ist. Bremsen heißt, Muskeln zu

kontrollieren. Kein psychisch krankes

wie gesundes Gehirn existiert ohne den

dazugehörigen Körper. Manche spannen

sich täglich gewohnheitsmäßig, dass selbst

Laien gelingt, dies bei anderen zu bemerken.

Fremden beizubringen, sich zu ändern, ist

schon schwieriger. Angst lähmt, kann aber

auch die Basis einer spontanen Aggression

werden oder der Antrieb davonzulaufen.

Angst macht feige? Gleichwohl kann Angst

dazu führen, einen beherzten Befreiungsschlag

auszuprobieren. Der Angriff auf einen

Feind, der uns bedroht und wegen dem wir

uns fürchten, kann sinnvoll sein. In die Konstruktion

Mensch wurden diese Verhaltensweisen

bereits bauseitig integriert. Und zwar

in die Muskulatur.

Nur muss der Moderne lernen, damit umzugehen,

wie der Busfahrer mit dem Auto.

Das moderne Auto denkt, und nicht jedem

gefällt das. Der Apparat Mensch handelt in

manchem autonom. Das kann sich auf eine

Weise verselbstständigen, die weit über

das (vom Erfinder gesetzte) Ziel, ein in der

modernen, bedrohlichen Umwelt überlebensfähiger

Mensch zu sein, hinausschießt.

Was wäre ein automatischer Bremsassistent,

der fehlerhaft eingestellt, die Kontrolle im

Reisebus an sich reißt, selbstständig Gas

gibt, vollbremst? Wie kommt es, dass ein

Mensch so vieles macht, von dem er gar

nicht weiß wie? Obwohl der Vorgang „Essen“

eine komplexe Angelegenheit ist, kann kaum

jemand erklären, welche inneren Vorgänge

von dem Moment an, wo die Nahrung im

Mund ist, bis zum Ende vom Prozess auf dem

Klo übermorgen geschehen.

Nehmen wir an, der Affe unserer steinzeitlichen

Vergangenheit ist gerade im Begriff,

sich zum Neandertaler zu mausern. Es mag

so gewesen sein, dass die damaligen Primaten

in den Bäumen lebten und die neue

Sorte drunten herumgelaufen ist. Damit wird

sich, was ihnen als jeweils gefährlich galt,

geändert haben. Angst stecke uns in den

Knochen, heißt es, und in den Muskeln merken

wir Furcht. Sie krümmt uns oder macht

uns stocksteif; manche ignorieren diese

Tendenzen, latschen, als wär das scheinbar

locker, mache Eindruck. Unser Körperschema

bei Angst – aber jeder reagiert individuell

darauf.

# Etwas bemerken

Erst habe ich nur so gemalt. Als Künstler

wurde es mir bald wesentlich, mich genau

kennenzulernen. Andere scheinen sich in

dem was sie tun nur zu wiederholen. Mir

würde das nicht genügen. „Wenn ich merke,

da ist keine Entwicklung mehr, stoppe ich“,

sagt Trompeter Chet Baker im Interview.

Der eine

Trucker fährt

problemlos

mit der neuen

Technik,

andere regen

sich auf,

deswegen das

Beispiel, als

Anreiz drüber

nachzudenken.

Kein moderner

Fahrer

hat noch die

Wahl, vom

Chef einen

alten Büssing

von vor dem Kriege zu fordern und in der

Spedition seinen eigenen Oldtimer zu fahren.

Und kein moderner Mensch kann sich

der natürlichen Systematik entziehen, als

helfe eine neu gekaufte Jacke, eine Beauty-

OP, oder eine Medizin gegen emotionale

Probleme, würde effektiv als Impfung gegen

Furcht das Beste rausholen. Instinkte und

Angeborenes sind bis heute Teil des Menschen,

meint man, und noch mehr prägen

viele erlernte Muster, sich öffentlich zu

Okt 25, 2021 - Gretabedingt 122 [Seite 120 bis 123 ]

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!