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Gretabedingt

Okt 25, 2021

Selbst sei der Mensch, egoistisch und gut!

Wer sich nicht wehre, „käme an den Herd“,

lehrt die moderne Frau. Was ist mit denen,

die sich krankhaft nicht wehren können?

Und wieso überhaupt kämpfen, wenn alle

divers und tolerante Gutmenschen sind?

Mitnichten ist diese Welt freundlich. Die

Lüge als bessere Wahrheit: „Meine Waffe

ist das Wort“, scheinen viele zu denken. Auf

der anderen Seite haben einige Probleme.

Psychisch erkrankten Männern wie Frauen,

unfähig, sich zu sozialisieren, fehlt es schon

deswegen an einer starken Lobby. Sie sind

das Kanonenfutter einer Gesellschaft, die

munter andere abschießt und dabei frech

das Beste von sich sagt. Bloß nicht ausrasten.

Überwachung, mit Medikamenten gängeln,

Betreuung: Niemand hilft dir, wenn du

eine psychische Krankheit hast! Man nutzt

dich aus. Die Leute fürchten sich davor, und

Ärzte verdienen daran. Für Straftäter gibt es

Polizei, Gericht und Gefängnis. Für Kranke

ist der Psychiater zuständig, und der schafft

ein imaginäres Gefängnis um den Kranken

herum. Der Spezialist stützt das latent

vorhandene Misstrauen der Gesellschaft,

das sie gegenüber diesen Sonderlingen hat

und baut es noch aus, indem er ein Stigma

verewigt. Aus einem Menschen macht der

Arzt den Patienten.

Wer mehr als einmal in eine Klinik eingewiesen

wurde, bekommt anschließend Probleme

einer neuen Qualität. Zusätzlich dazu,

das Leben zu meistern, mit dem Handicap

erneut psychisch zu erkranken, entwickelt

sich neben der eingebildeten Bedrohung die

wirkliche, von anderen gemobbt zu werden.

Darin steckt eine verkappte Bosheit, die das

einfache Fertigmachen von Mitschülern

oder Arbeitskollegen, die genügend Angriffsfläche

bieten, bei weitem übertrifft. Wenn

es im Dorf einen Sonderling gibt, scheint es

lohnend zu provozieren, bis in der Gemengelage

aus Aktion und Reaktion postuliert

werden kann, nicht nur ein Spinner laufe

rum, sondern der stelle eine Gefahr dar. Nun

finden sich alsbald Menschen, die glauben,

die Polizei sei ihr willfähriges Spielzeug,

die Sache unter Dach und Fach zu bringen,

einen Mitmenschen dauerhaft des Ortes zu

verweisen. Die Grenzen zwischen Nachbarn,

Leuten die nur vom Hörensagen informiert

sind, Familienmitglieder, die Geld wittern,

das sie ihrem Verwandten abspenstig

machen können und die Barrieren zwischen

Ärzten, die Schweigepflicht haben sollten

sowie zwischen der Polizei und Politik, weichen

gern auf, wenn die Anerkennung winkt,

einen Gefährder dingfest zu machen.

Leben in der Zivilisation? Es bedeutet

klug zu sein, um es innerhalb

der anderen zum anerkannten Platz

zwischen ihnen, möglicherweise

über der Masse zu bringen, und klug

ist ein Verhaltensgestörter gerade

nicht. Das sagt man nicht, aber

psychisch krank zu sein, ist eine

Form von Dummheit. Man sollte es

so formulieren: unklug sein, das ist

treffender. Sonst gäbe es keine Therapie.

Denn was anderes ist das, als

Schule? Natürlich sind Schüler nicht

per se dumm oder nicht intelligent.

Therapie ist der (oft hilflose) Ansatz,

manipulativ Intelligenz bei anderen zu

entwickeln. Anders ausgedrückt: Intelligente

Menschen verhalten sich nicht klug, das

ist der Grund für ihre Probleme. Ohne über

Begriffe streiten zu wollen, hilft es, die Worte

Intelligenz und Klugheit gegeneinander

auszuspielen, um deutlich zu machen, dass

jemand nicht weiß, wie er gegen sich selbst

handelt.

Geboren zu werden, bedeutet nicht automatisch

willkommen zu sein. In jedem Fall ist

ein neu dazugekommener Mensch, ein Baby,

durchaus ein Problem. Wir berechnen Kindheit

über die Jugend bis zum Erwachsensein

mit heute achtzehn Jahren. Die Gesellschaft

erwartet, dass diese Zeit von Eltern,

Verwandten und Lehrern genutzt wird, den

jungen Dazukömmling zu integrieren. Eigenverantwortlichkeit,

das Streben nach gesicherter

und befriedigender Existenz des nun

Erwachsenen, sind eine gute Basis, ihn zum

nützlichen Mitglied der Welt zu machen. Wir

nehmen an, dass einer sowohl den anderen

dient, als auch sich selbst Gutes tut. Leider

entwickeln nicht wenige die ungesunde

Schieflage, ihr Selbst dabei problematisch

zu vernachlässigen. Auch ein Narzist oder

Egoist handelt nicht klug. Das Ideal wäre ein

Zeitgenosse, der in stabilen Beziehungen tut,

was ihm gefällt. Ein egomanischer Typ wird

kaum befriedigende Partnerschaften haben,

und ein der Anerkennung nachlaufender

genauso wenig. Abteilungsleiter wird nur,

wer sich als selbstbewusster und stärker

erweist (als der bisherige Vorgesetzte).

Durch Fleiß in der Arbeit allein gelingt keine

Karriere. Die Aufgabe eines Therapeuten

wäre, Selbstbewusstsein so zu lehren, dass

jemand, dem es daran fehlt, weiß, wie es zu

entwickeln sei. Mit Psychopharmaka, Gesprächen

und kleinen Aufgaben für die Patienten

erreicht dieser das Ziel, seine Zöglinge stark

zu machen, nur selten.

Man weiß schon, dass Sport und Entspannungsübungen

irgendwie gut tun. Genauer

darauf zu achten, wie das geschieht, könnte

hilfreich sein. Zwei Fehler macht der Therapeut

mindestens. Allein, dass er leitend Teil

des Lebens anderer wird, stellt das Problem

auf feste Beine, unselbständige Kranke an

einen Führenden zu binden. Dazu kommt

das Gespräch mit dem Patienten; die zweite

Schwierigkeit liegt im verbalen Umweg dieser

Hilfe. Kommunikation durch das gesprochene

Wort steht im Weg. Missverstandene

Anteilnahme, verdeckt durchschimmernde

Manipulation und Ratschläge, die ihr Ziel

verfehlen, sind nicht ungewöhnlich. Da das

bereits bekannt

ist, werden gern

Medikamente

eingesetzt. Das

kann in Notlagen

wirklich helfen,

auf lange Sicht

verewigt die

Medizin ihre

unbedingte

Notwendigkeit.

Droge Arzt; sich

vor dem Leben

ohne Therapeut

zu fürchten,

schafft eine alternativlose Symbiose. Und

keine Alternative zu haben, macht Angst. Das

ist ein Teufelskreis. Reden allein hilft nicht.

Dem Depressiven zu raten, dieses oder jenes

zu tun, haben auch die Angehörigen bereits

erfolglos probiert. Würde der Therapeut, der

lieber eine Art Trainer sein sollte, die Muskulatur

des psychisch Kranken in sinnvoller

Weise dem Betroffenen nutzbar machen,

könnten Abhängigkeit und missverständliche

Kommunikation zurücktreten. Selbstverständnis

stünde an erster Stelle beim

Patienten, dazu die Aussicht, wieder Mensch

zu werden.

Die Probleme beginnen mit der Eingrenzung

auf eine Diagnose. Anstelle den ganzen

Menschen vor sich zu bemerken, hilft sich

der Arzt, ihm eine Krankheit auszusuchen.

Das ist im Sinne des Fehlers, ein Pferd von

hinten aufzuzäumen, beim Symptom zu

beginnen, dies mit den Macken anderer

abzugleichen. Das mag beim Internisten gehen,

beinhaltet beim Psychiater die Gefahr,

den Kopf vom Rumpf zu trennen und sich in

Begrifflichkeiten verlieren. Ein Mensch ist

unterwegs wie eine Kutsche mit Passagie-

Okt 25, 2021 - Gretabedingt 120 [Seite 120 bis 123 ]

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