Blogtexte2021_1_12
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Okt 20, 2021
Jetzt ist es wieder passiert,
ein Amoklauf erschüttert uns.
Kongsberg, Norwegen – vor ein
paar Tagen hat ein Mann mehrere
Menschen getötet. Mit Pfeil
und Bogen bewaffnet war der
Verstörte unterwegs, auch Messer
kamen zum Einsatz, als er
zufällige Opfer für seine Attacke
fand. Es dauerte, bis die Polizei
zugriff und den Täter festgenommen
hat. Schnell verordneten Fachleute
die Bluttat als islamistisch motivierten Terrorakt.
Dann korrigierten sich die Behörden.
Der in Norwegen lebende Däne wäre seit
Jahren in psychologischer Behandlung, und
man ginge nun von einer Krankheit aus, die
zur Tat führte.
Wie immer in so einem Fall, stehen die
offiziellen Sicherheitsdienste anschließend
in der Kritik. Wenn ein polizeibekannter
Mensch zuschlägt, kommt die Frage auf, ob
das nicht verhindert werden konnte, voraussehbar
gewesen ist? Dem liegt die Problematik
zugrunde, dass die breite Masse einer
Gesellschaft diese Täter wegsortieren möchte,
am Besten rechtzeitig. Sie sind anders,
gefährden: Gestörte raus! Nun können wir
die Menschen nicht dahingehend belehren,
dass ein psychisch Kranker zunächst einer
der ihren ist. Der Normale nimmt diese Sicht
nicht an. Ihm ist egal, wie und warum es
kommen konnte, dass ein Mensch die anderen
nach einem zufälligen Muster auswählt
und scheinbar wahllos abschlachtet. Der einfache
Passant in seiner Heimat unterwegs,
möchte nicht angegriffen werden. Schließlich
gibt es die Polizei. Wir leben in der
Zivilisation. Ein Stadtbewohner denkt nicht
über seine Sicherheit nach, überquert eine
Straße, wenn das grüne Männchen leuchtet
und checkt mobile, was sonst noch wichtig
ist. So einer ist damit beschäftigt einzukaufen.
Ein Verbraucher nimmt nicht an,
mit Pfeil und Bogen angegriffen zu werden,
während er eine Unterhose auf Passgenauigkeit
prüft. Allenfalls Taschendiebe sind Teil
seiner Bedrohungskulisse, und dafür gibt es
den Kaufhausdetektiv.
Die Masse ist dumm und weiß es nicht; weil
ihr Leben funktioniert? Mit dieser These
macht man sich keine Freunde, enthält die
Ansicht ja einen pauschalen Vorwurf, die Gesellschaft
habe insgesamt eine Macke, von
der sie nicht wüsste. Trotzdem scheint es mir
sinnvoll, einige Belege für die Dummheit der
Normalen anzuführen. Wir können freundlicherweise
den Begriff mit Unwissenheit tauschen.
Unwissenheit ist gut an dieser Stelle
zu verwenden. Jeder kennt den Ausspruch,
sie schütze nicht vor Strafe. Die Logik, nach
der ein Amok funktioniert, wird regelmäßig
als nicht nachvollziehbar gebrandmarkt:
Warum kann der Normale nicht einsehen,
dass sein integriertes Verhalten für manche
unerreichbar scheint und solche Menschen
gute Gründe darin sehen, pauschal Rache zu
nehmen? Wäre dies ein Ansatz mit breitem
Konsens in einer Gesellschaft, wüssten wir,
dass allein unsere Normalität und unser
zivilisiertes Verhalten ausreichen, manche
so zu reizen, uns dafür zu bestrafen. Wenn
wir ausblenden, dass in einer
Stadt um uns herum welche
unterwegs sind, die ganz anders
empfinden, greift dieser
Satz „Unwissenheit schütze
nicht vor einer Bestrafung“ so
herum interpretiert, dass diese
uns strafen, weil wir sie nicht
respektierten. Empörung wird
daran nichts ändern.
Wir erwarten, alle
könnten sich leicht an
die Regeln halten, denen
wir gern bereit sind zu
folgen? Wenn wir uns
(naiv) auf die Sicherheitsbehörden
verlassen,
können wir das Opfer derjenigen werden,
die ihr eigenes Gesetz über das
der Allgemeinheit stellen. Im (blinden)
Vertrauen auf das Gewaltmonopol des
Staates und seine alleinige Berechtigung
zu richten, wird uns die nicht
haltbare Illusionen einer vollständig
geregelten und sicheren Umgebung
ein ums andere Mal als solche kalt
erwischen. Dass einer anschließend lebenslang
einsitzt, ist weniger Strafe, sondern die
hilflose Reaktion, das Zucken einer Justiz
und die Blendung der Masse, die es nicht
wahrhaben will, übertölpelt zu sein. Und
dumm ist diese Gesellschaft und eingebildet.
Zivilisation ist oft nur der intellektuelle
Rahmen. Er kann bedrohlich unzuverlässig
sein, wenn der Strom ausfällt oder sonst
wie die Natur zurückkehrt. Natürlich sind
wir angreifbar, was ist so schwer daran einzusehen?
Die hasserfüllten Äußerungen im
anonymen Netz zeigen doch nichts anderes
als die Wahrheit unseres Menschseins, sind
mitnichten vermeidbar und können durch
bessere Systeme höchstens eingedämmt
werden und rückverfolgt. Den Hass schaffen
wir nicht ab. Das geht nicht.
Kinder werden bestraft, um zu lernen.
Irgendwann sind diese erwachsen, und den
Eltern fällt nichts ein, als zu sagen: „Wenn
es dir nicht passt, zieh aus.“ Erwachsene
durch Gericht und Urteil mit Gefängnis zu
bestrafen, nimmt diesen die Selbstverantwortung.
Die Gesellschaft vertraut auf die
abschreckende Wirkung und nimmt an, dass
die Haft Verurteilte erziehen kann? Manchmal
geschieht es. Immerhin, das Gefängnis
schützt die normale Allgemeinheit vor den
weggesperrten Tätern.
# Stellen wir uns ein überspitztes Bild vor
Ein Mensch läuft in einer Blechrüstung herum.
Das ist aber kein sportlicher Ritter mit
der Lanze in der Hand, der gerade sein Pferd
im vollen Galopp dem Gegner präsentiert,
bereit ihn aus dem Sattel zu stoßen. Nein,
unser Typ in seiner Dose fühlt sich sicher,
und das ist eine Täuschung. Zur Navigation
gibt es höchstens ein kleines Guckloch. Damit
schaut dieser moderne Rittersmann auf
sein Handy, hält den Kopf dauerhaft geneigt
und es nicht für nötig, diesen frei bewegen
zu können. Wenn jetzt ein nackter Irrer von
schräg hinten angerannt kommt, muss der
Dosenmann den aufgezwungenen Kampf
verlieren. In diese Richtung sondiert keiner,
der fest auf die Sicherheit seiner Schutzkleidung
baut und die Navigation seiner Wege
dem Internet aufgibt.
Wenn das unsere Realität wäre, und ich bin
fest davon überzeugt, dass wir mehrheitlich
ausblenden, wie gefährlich zu leben
noch immer ist, so mag diese Skizze helfen
gegenzusteuern. Was könnten wir tun? Nur
der einzelne ist in der Lage zu handeln, zum
einen für sich selbst, indem vermeintliche
Sicherheit aufgegeben wird, wir lernten
unser Gegenüber zu bemerken und darüber
hinaus wäre es möglich, die Ansätze unserer
Fachleute, die mit der Ordnung, Stabilität
und der geistigen Gesundheit der Bürger
beauftragt sind, auf eine realistische Grundlage
zu stellen. Das hieße an erster Stelle
dafür zu sorgen, dass psychisch Kranke
gesund werden durch die ihnen angebotene
Behandlung. Das wird bislang kaum
versucht, obwohl dieses Thema einen hohen
Stellenwert hat. Es genügt uns, Kranke aus
gesamtgesellschaftlicher Sicht zu betrachten.
Wer sich und andere gefährdet, wird
behandelt, beobachtet und gezwungenermaßen
betreut. Medikamente möchten den
Kranken betäuben, und ihm wird gesagt, das
helfe. Das hilft dem Arzt. Regelmäßig kommt
es dazu, dass die entsprechenden Spezialisten
eine Situation verantworten müssen, die
ihnen in dieser Konstellation hinzuschauen,
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