Blogtexte2021_1_12

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Wehret den Anfängen. Wäre höfliche Distanzgewünscht gewesen, sagtest du: „Wir bleibenbitte beim ‚Sie‘, und natürlich – in IhreAusstellung, Herr Bassiner – komme ich gerneinmal.“ In die Kunsthalle, aber nicht nachtsin den Club, wir hätten früh merken können,dass wir zu weit gingen, vielleicht. MeineFehler – aber irgend etwas stimmt nicht beiallem. Ein ganzes Dorf spannthinter der digitalen Gardineund wartet nur auf denkrachenden Schlussakkord?Bereit, nach Kräften die Sacheanzufeuern und schließlichden Esel mit seinem Pinselgemeinsam durch die Straßenzu jagen. Ha ha. So muss esgewesen sein.Persönlicher Einschub: „C.“wirft mir vor „A.“ bedrängt zuhaben? Im Auto jedenfallsdränge ich niemanden. Dashilft mir zu verstehen? Nein.Ich kann jahrelang Zweisamkeitenmit meiner Kunstfreundinbelegen. Ohne, dass das Wort Liebe nureinmal fiel. „Lieber John“, schrieb sie: „Hey,wann wollen wir denn los? Ich habe schonmal in den Fahrplan geschaut“, so in der Art.Dann ist es eskaliert, warum? Abbruch jeglichenKontakts befohlen: „Ja, ich wurde beraten.“Alle lassen mich wohlmeinend auflaufen.Sie necken mich gönnerhaft, tröstend;die weisen Alten sind so freundlich: „Die istdoch viel zu jung für dich.“ Ich dann, Arschloch,male sie nackt auf Leinwand. Das Zielist Provokation. Niemand malt drei Wochenunter den Augen der Lieben Schweinkram,wenn das nicht dem nötigen Ziel geschuldetist. Wie im Märchen, die alte Hexe fragt:„Wer ist die Schönste?“ Ich will der Kaiserinneue Kleider machen, Transparenz erzwingen,Panikerzeugen,wütend machen,unddie Konfrontationmit demFrechsten.Das hätteich allesganz alleinverkackt,meint „C.“ dazu. Schönen Tag auch! Heutehasse ich Frauen, wenn sie alt und eingebildetsind, ihre Schönheit verblasst. Mit einerBlöden, in ihrer Blechdose Auto steckend,kann man nicht diskutieren, und mit einer,die sich hinter Pappe verschanzt, genausowenig. Ab einem gewissen Moment derVersuche, etwas zu begreifen, ist kein Dialogmehr möglich und die Einsicht, bereitsvorab von anderen – mit stillschweigendemEinverständnis untereinander – verarschtworden zu sein, unausweichlich.Warum ich das hier zwischentexte: Ich binfrüher normal Auto gefahren. Ich hatte dengesunden Menschenverstand dafür. Heutehalte ich mich exakt an die Vorschriften,auch an die Geschwindigkeit – und bremsealles aus deswegen. Ich dränge nie, und dieanderen kleben mir am Heck, schon weil ichmich an das Tempo halte. Das hat sich sonach und nach entwickelt, bin ich krank?# 4. Beispiel (a.), Frauen sind (auch) scheißeDas passende zum Thema: Ich muss stoppen,weil vor mir am rechten Fahrbahnrand derPaketdienst seinen Transporter parkt. Erhat den Warnblinker eingeschaltet. Einelange, gerade Strecke, aber nicht sehr breit,rechts Felderund Baumschulgelände,linksstehen Häuser.Wir befindenuns innerhalbgeschlossenerOrtschaft. EinPkw nähert sichentgegenkommend.Es ist fürmich unumgänglichanzuhalten.Der Paketbotehat die Türen geöffnetund lädtsich mehrereKartons auf, umnach dem Auto die Straße zu überqueren. Indem Moment, wo für mich frei wäre, um loszufahren,checkt der junge Mann mit einemkurzen Blick, ob er noch rüber könnte, ichwarte? Natürlich gebe ich ein Handzeichen.Der Mann dankt und sprintet los. Da huptmich die Frau im Fahrzeug hinten an! Ichlasse das Gemetzel ausnahmsweise, aber:Ist es zu fassen? Das war nun eine „Dame“hinter mir. „Dämlich“ ist als Schmähung wohlnicht genügend, sie damit abzuwerten. KeinGegner unter Männern im Kampf, so einmuskelbepacktes Arschloch. Ich bin ja nurein schwächlicher Zeichner aus dem Atelier,das weiß ich schon. Nein, dieses zarte,entsprechend zu schützende Geschöpf, istscheiße wie was.# 5. Beispiel, Mauern zwischen denNachbarnIn einer Wohnanlage kommt es zumWasserschaden. Einem Eigentümerist erheblicher Mangel entstanden,und der Mann führt an, das Wasserwäre über Jahre hinweg laut Gutachtenvon ganz wo oben geflossen undausgerechnet bei ihm ginge die Wandin’ Dutt. Der Baumangel am Dachsei schuld und betreffe das Ganze, ob dieanderen sich an den Kosten beteiligen? AufNachfrage finden sich drei zufällig Angesprochene.„Da haben wir nichts mit zu tun,das betrifft das vordere Haus“, meint einerund „Eigentum verpflichtet“, ein anderer. DerDritte führt noch ein persönliches Beispielan und stimmt dem Erstenzu.Zeit vergeht.Einer dieser lieben Zeitgenossenhat die „RohrreinigungKlaus“ im Haus.Spirale in der Spüle, daslange Bohrdings reicht meterlangbis in die angrenzendeKanalisation vorn an derStraße. „Schon zum drittenMal!“, schimpft der Hausbesitzer, und es isteiner von denen: „Eigentum verpflichtet!“,der nun seinerseits ausführt, die Kostenumlegen zu wollen. Er habe bereits mit derVerwaltung gesprochen. Es stünde fest, derPfropf, der regelmäßig seine Küche verstop-fe, stecke immer vorn an der Straße in derHauptleitung. Das sei das Rohr für mehrereKacklieferanten, und „keinesfalls wäre esseine Schuld“, wenn es dort nicht weiterginge.Der Ärger und die Kosten wären alleinbei ihm? und: „So ginge es nicht!“, schimpftder Wüterich.# 6. Beispiel, Freunde sind auch nur MenschenIch schreibe einen Blog, diesen hier. Immerwieder stelle ich Bilder vom Segeln ein. Ichfrage schon mal, ob ich einen Freund zuverpixeln hätte. Das führt stets zu lustigenMails: „Bloß nicht!“ schreibt Henning.Piet, Kocki und Niels diskutieren die altenGeschichten im wechselseitigen Austauschmit mir, wie es damals war, mit dem Krebsim Watt, dem Gewitter später oder demFeuerwerk an der Kugelbake. Karin erfreutein Foto von ihrem Laden, worauf ich sie perLink verweise. Den Text kommentiert niemand.Das muss man ja nicht lesen. MeineFrau: „Das ‚kann‘ man ja nicht lesen.“ Anfangshabe ich noch zu Ausstellungen geladenund gelegentlich ein Aquarell verkauft. DieFreunde brachten kleine Geschenke mit zurVernissage. Nach einiger Zeit wurde es nichteinfacher, die immer selben Leute zu erreichen.Ich vermute, sie zögern: „Diese Bilder.Wenn wir wieder hingehen, müssen wir Johnauch mal eines abkaufen.“Das sagt man nicht.Was ich meine ist, wie schafft es der Normalgesunde,diese Mauern im Kopf zu bildenund gleichwohl zu übersehen, je nach Lage?Ein Arzt kann dich mit was benebeln, dashilft nur in der schlimmsten Not.Niemand kann Normalität lehren, aber jedergibt dir diesen Rat.„Einfach leben.“Das ist so individuell, wie unsereiner sichabgrenzt, dass man einen, der es nicht(mehr) kann, wohl nur schwer darin unterrichtenoder therapieren könnte, es allerWelt gleich zu tun. Vielfalt, jeder Mensch istseine kleine Ordnung und eine feine Person,bis das Kollektiv, alles gleich, fair undgerecht haben zu wollen, uns den Stempelaufdrückt – und nicht wenige erdrückt. DieRetter retten; und trampeln dabei alles tot,denke ich böse. Einen Allerweltsmenschenbräuchten wir, vollständig geimpft mit diffuserSolidarität für alle? Er würde uns fertigmachen wie der Mensch den Neandertaler.Wie gut, dass der nochnicht erfunden wurde.:)Sep 30, 2021 - Mauern im Kopf 114 [Seite 111 bis 114 ]

Das ist nicht komischOkt 10, 2021Anfang der Achtziger erlebten Imke und ichGillian Scalici live in einem Hamburger Club.Das war zu der Zeit, als Eric den Show-Shopin der Spaldingstraße betrieb und bevor diebald so bekannte Sängerin und Schauspielerindie Stage-School leitete. Ich erinnereScalici als vielseitig und humorvoll. Wie EricEmmanuele, begeisterte sie uns durch ihreProfessionalität. Mich hat das geprägt, immerganz genau hinzusehen, wenn irgendwoauf einer Bühne, im Film oder sonst wo kreativGeschichten dargestellt sind. Wir warenmit „Musical-Projekt“ auf einem guten Wegund hatten nach einigen Jahren erfolgreicheAuftritte an verschiedenen Spielstätten. Einewunderbare Zeit.# „An Evening With Gillian Scalici“Ich weiß noch genau, dass wir aus einer Nische,von einer erhöhten Ecke mit Tisch, aufdie kleine Bühne schauten. Es gab Bewirtungam Platz. Ich meine mich zu erinnern,dass diese kuschlige Location an einemFleet gelegen, mehr wie ein Restaurantgewesen ist. Ein unscheinbarerEingang. Wir liefen durch einenverwinkelten Flur, um hineinzugelangen.Es war dort viel kleinerals im bekannten Schmidts Tivoli.Imke hatte den Auftritt ausfindiggemacht, sie begeisterte sichfür alles im Showbusiness. RotePlüschsessel und der warme Tonvon orange und gelb im Bereichder kleinen Bühne, wenn man vonoben auf die Dielen schaute. DieseBretter, die die Welt bedeutenund ansonsten Dämmerdunkelrundherum, schemenhaft Gäste erkennbar,die nahe der Spielflächesaßen, das weiß ich noch. GillianScalici war ganz dünn und schienkaum älter als wir vom MusicalFaszinierten im Séparée zu sein. Ich erinnereihre ausdrucksstarken, dunklen Augenbrauen,fand sie wunderschön, und dass manvon unserem erhöhtenPlatz recht gut in denAusschnitt ihres Kleidesschauen konnte, istmir tatsächlich nochpräsent. Das Kleid warblau? Da werde ichunsicher, aber es überraschtmich selbst, wiedeutlich die Erinnerungnoch heute ist.Nun ahnt man janicht, wie es im Lebenweitergeht, und dieseskleine Konzert hat nichtgerade meine Zukunftgeprägt. Deswegenskizziere ich dieseEpisode auch gar nicht.Meine gute Erinnerungan vieles, die Fähigkeit bildhaft zurückzublicken,ist das wesentliche Element meinerGestaltung. Ich arbeite nicht willkürlich.Mich treibt, etwas so hinzubekommen, wiees mir vorschwebt. Ebenso wichtig ist mirauszuloten, was damit gemeint sein könnte.Ich möchte von mir selbst wissen, warumich mich auf ein Thema einlasse. Geradezuschockiert lese ich deswegen die immergleich daherkommenden Artikel zum ThemaKunst im Tageblatt. Nun gut, es ist eine Dorfzeitung.Und Pinneberg unsere Kreisstadt istkaum mehr als ein Provinznest, ein richtigesKaff. Mich stört, dass der weltweit verwendeteBegriff „Kunst“ verballhornt daherkommt,in ein Händchen haltendes Netzwerkvertrockneter Tanten geopfert wird, die meinSteuergeld nutzen für ihren Scheiß.# Leben und TodDie Künstler in China seien in Gefahr, sagtman. Sie würden gelöscht und verfolgt. Daswird das Ende der Volksrepublik sein! DieKirche, die Mafia oder die Kunst verbietenzu wollen, muss letztlich das Schicksaleines Staates besiegeln. Gerade ist derösterreichische Kanzler Kurz über seineEitelkeit gestolpert und zurückgetreten:Keine Regierung ist unfehlbar, aber natürlich,das Gewaltmonopol liegt beim Staat. Darinbesteht das Risiko, abgewählt zu werdenoder eine Revolution anzufachen. Denn dasMonopol auf die Ordnung insgesamt zuhaben, bedeutet nicht, die Aggression desEinzelnen abzuschaffen, sondern allenfallszu unterdrücken. Ein Sportler, kurz vor demSprung über eine Hürde, benötigt sämtlicheEnergie und darf keinen Zweifel haben oderSchmerzen ignorieren, wenn eine Bestleistunggefordert ist. Ein Konkurrent magleichter drübersegeln, weil dieser fest dranglaubt, es zu schaffen und nichts in sichunterdrücken muss, weil alle Muskeln unddie ganze Motivation bereits in dieselbeRichtung wirken. So auch beim Tanz undTheater, in der Musik oder bei einer gutenFederzeichnung (die man nicht radierenkann). Wer lernte, sich voll einzubringen,respektiert Störungen.# Sie nahm nicht die Jogginghose für ihrDateEin Dorn im Fleisch, der Stein im Schuh, dassollten wir nicht ignorieren. Nach siebenStunden Tanga in Kombination mit Hotpants,hat ein Teenie den wunden Popo, lese ich.Dann Bakterien in der Ritze, Sepsis, Intensivstation.Wenn’s beginnt weh zu tun, ist eswichtig zu handeln. Kunst muss nichtteuer sein, sie muss uns berühren.Mit diesem intellektuellen Bogen hineinins Thema: Gegen die Kunst in Pinnebergund drumherum gibt es keinenWiderstand. Das ist so unbedeutend,dass niemand diese Armseligkeitenwahrnimmt. Eine Kunst, die nicht juckt.Kreationen, die nirgendwo eine Ritzeschneiden. Keine Haut, die sich rötetbei diesem Quatsch, so blutleer ist derKörper der Skulpturen und Flachwerke,denen wer weiß was zugeschriebenwird. Eine glatte Ästhetik für Liebhaber desgewichtigen Wortes mit ernstem Bezug zurschlimmen Gegenwart. Niemand stört sichdaran. Dann können wir unbesorgt sein? Esgeht uns gut, und Corona hat noch finanzielleReserven übrig gelassen.Okt 10, 2021 - Das ist nicht komisch 115 [Seite 115 bis 116 ]

Wehret den Anfängen. Wäre höfliche Distanz

gewünscht gewesen, sagtest du: „Wir bleiben

bitte beim ‚Sie‘, und natürlich – in Ihre

Ausstellung, Herr Bassiner – komme ich gern

einmal.“ In die Kunsthalle, aber nicht nachts

in den Club, wir hätten früh merken können,

dass wir zu weit gingen, vielleicht. Meine

Fehler – aber irgend etwas stimmt nicht bei

allem. Ein ganzes Dorf spannt

hinter der digitalen Gardine

und wartet nur auf den

krachenden Schlussakkord?

Bereit, nach Kräften die Sache

anzufeuern und schließlich

den Esel mit seinem Pinsel

gemeinsam durch die Straßen

zu jagen. Ha ha. So muss es

gewesen sein.

Persönlicher Einschub: „C.“

wirft mir vor „A.“ bedrängt zu

haben? Im Auto jedenfalls

dränge ich niemanden. Das

hilft mir zu verstehen? Nein.

Ich kann jahrelang Zweisamkeiten

mit meiner Kunstfreundin

belegen. Ohne, dass das Wort Liebe nur

einmal fiel. „Lieber John“, schrieb sie: „Hey,

wann wollen wir denn los? Ich habe schon

mal in den Fahrplan geschaut“, so in der Art.

Dann ist es eskaliert, warum? Abbruch jeglichen

Kontakts befohlen: „Ja, ich wurde beraten.“

Alle lassen mich wohlmeinend auflaufen.

Sie necken mich gönnerhaft, tröstend;

die weisen Alten sind so freundlich: „Die ist

doch viel zu jung für dich.“ Ich dann, Arschloch,

male sie nackt auf Leinwand. Das Ziel

ist Provokation. Niemand malt drei Wochen

unter den Augen der Lieben Schweinkram,

wenn das nicht dem nötigen Ziel geschuldet

ist. Wie im Märchen, die alte Hexe fragt:

„Wer ist die Schönste?“ Ich will der Kaiserin

neue Kleider machen, Transparenz erzwingen,

Panik

erzeugen,

wütend machen,

und

die Konfrontation

mit dem

Frechsten.

Das hätte

ich alles

ganz allein

verkackt,

meint „C.“ dazu. Schönen Tag auch! Heute

hasse ich Frauen, wenn sie alt und eingebildet

sind, ihre Schönheit verblasst. Mit einer

Blöden, in ihrer Blechdose Auto steckend,

kann man nicht diskutieren, und mit einer,

die sich hinter Pappe verschanzt, genauso

wenig. Ab einem gewissen Moment der

Versuche, etwas zu begreifen, ist kein Dialog

mehr möglich und die Einsicht, bereits

vorab von anderen – mit stillschweigendem

Einverständnis untereinander – verarscht

worden zu sein, unausweichlich.

Warum ich das hier zwischentexte: Ich bin

früher normal Auto gefahren. Ich hatte den

gesunden Menschenverstand dafür. Heute

halte ich mich exakt an die Vorschriften,

auch an die Geschwindigkeit – und bremse

alles aus deswegen. Ich dränge nie, und die

anderen kleben mir am Heck, schon weil ich

mich an das Tempo halte. Das hat sich so

nach und nach entwickelt, bin ich krank?

# 4. Beispiel (a.), Frauen sind (auch) scheiße

Das passende zum Thema: Ich muss stoppen,

weil vor mir am rechten Fahrbahnrand der

Paketdienst seinen Transporter parkt. Er

hat den Warnblinker eingeschaltet. Eine

lange, gerade Strecke, aber nicht sehr breit,

rechts Felder

und Baumschulgelände,

links

stehen Häuser.

Wir befinden

uns innerhalb

geschlossener

Ortschaft. Ein

Pkw nähert sich

entgegenkommend.

Es ist für

mich unumgänglich

anzuhalten.

Der Paketbote

hat die Türen geöffnet

und lädt

sich mehrere

Kartons auf, um

nach dem Auto die Straße zu überqueren. In

dem Moment, wo für mich frei wäre, um loszufahren,

checkt der junge Mann mit einem

kurzen Blick, ob er noch rüber könnte, ich

warte? Natürlich gebe ich ein Handzeichen.

Der Mann dankt und sprintet los. Da hupt

mich die Frau im Fahrzeug hinten an! Ich

lasse das Gemetzel ausnahmsweise, aber:

Ist es zu fassen? Das war nun eine „Dame“

hinter mir. „Dämlich“ ist als Schmähung wohl

nicht genügend, sie damit abzuwerten. Kein

Gegner unter Männern im Kampf, so ein

muskelbepacktes Arschloch. Ich bin ja nur

ein schwächlicher Zeichner aus dem Atelier,

das weiß ich schon. Nein, dieses zarte,

entsprechend zu schützende Geschöpf, ist

scheiße wie was.

# 5. Beispiel, Mauern zwischen den

Nachbarn

In einer Wohnanlage kommt es zum

Wasserschaden. Einem Eigentümer

ist erheblicher Mangel entstanden,

und der Mann führt an, das Wasser

wäre über Jahre hinweg laut Gutachten

von ganz wo oben geflossen und

ausgerechnet bei ihm ginge die Wand

in’ Dutt. Der Baumangel am Dach

sei schuld und betreffe das Ganze, ob die

anderen sich an den Kosten beteiligen? Auf

Nachfrage finden sich drei zufällig Angesprochene.

„Da haben wir nichts mit zu tun,

das betrifft das vordere Haus“, meint einer

und „Eigentum verpflichtet“, ein anderer. Der

Dritte führt noch ein persönliches Beispiel

an und stimmt dem Ersten

zu.

Zeit vergeht.

Einer dieser lieben Zeitgenossen

hat die „Rohrreinigung

Klaus“ im Haus.

Spirale in der Spüle, das

lange Bohrdings reicht meterlang

bis in die angrenzende

Kanalisation vorn an der

Straße. „Schon zum dritten

Mal!“, schimpft der Hausbesitzer, und es ist

einer von denen: „Eigentum verpflichtet!“,

der nun seinerseits ausführt, die Kosten

umlegen zu wollen. Er habe bereits mit der

Verwaltung gesprochen. Es stünde fest, der

Pfropf, der regelmäßig seine Küche verstop-

fe, stecke immer vorn an der Straße in der

Hauptleitung. Das sei das Rohr für mehrere

Kacklieferanten, und „keinesfalls wäre es

seine Schuld“, wenn es dort nicht weiterginge.

Der Ärger und die Kosten wären allein

bei ihm? und: „So ginge es nicht!“, schimpft

der Wüterich.

# 6. Beispiel, Freunde sind auch nur Menschen

Ich schreibe einen Blog, diesen hier. Immer

wieder stelle ich Bilder vom Segeln ein. Ich

frage schon mal, ob ich einen Freund zu

verpixeln hätte. Das führt stets zu lustigen

Mails: „Bloß nicht!“ schreibt Henning.

Piet, Kocki und Niels diskutieren die alten

Geschichten im wechselseitigen Austausch

mit mir, wie es damals war, mit dem Krebs

im Watt, dem Gewitter später oder dem

Feuerwerk an der Kugelbake. Karin erfreut

ein Foto von ihrem Laden, worauf ich sie per

Link verweise. Den Text kommentiert niemand.

Das muss man ja nicht lesen. Meine

Frau: „Das ‚kann‘ man ja nicht lesen.“ Anfangs

habe ich noch zu Ausstellungen geladen

und gelegentlich ein Aquarell verkauft. Die

Freunde brachten kleine Geschenke mit zur

Vernissage. Nach einiger Zeit wurde es nicht

einfacher, die immer selben Leute zu erreichen.

Ich vermute, sie zögern: „Diese Bilder.

Wenn wir wieder hingehen, müssen wir John

auch mal eines abkaufen.“

Das sagt man nicht.

Was ich meine ist, wie schafft es der Normalgesunde,

diese Mauern im Kopf zu bilden

und gleichwohl zu übersehen, je nach Lage?

Ein Arzt kann dich mit was benebeln, das

hilft nur in der schlimmsten Not.

Niemand kann Normalität lehren, aber jeder

gibt dir diesen Rat.

„Einfach leben.“

Das ist so individuell, wie unsereiner sich

abgrenzt, dass man einen, der es nicht

(mehr) kann, wohl nur schwer darin unterrichten

oder therapieren könnte, es aller

Welt gleich zu tun. Vielfalt, jeder Mensch ist

seine kleine Ordnung und eine feine Person,

bis das Kollektiv, alles gleich, fair und

gerecht haben zu wollen, uns den Stempel

aufdrückt – und nicht wenige erdrückt. Die

Retter retten; und trampeln dabei alles tot,

denke ich böse. Einen Allerweltsmenschen

bräuchten wir, vollständig geimpft mit diffuser

Solidarität für alle? Er würde uns fertig

machen wie der Mensch den Neandertaler.

Wie gut, dass der noch

nicht erfunden wurde.

:)

Sep 30, 2021 - Mauern im Kopf 114 [Seite 111 bis 114 ]

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